Gehirn

Gehirn

Als Gehirn (Hirn, lateinisch cerebrum, altgriechisch ἐγκέφαλον, enképhalon) bezeichnet man den im Kopf gelegenen Teil des Zentralnervensystems (ZNS) der Wirbeltiere. Es liegt geschützt in der Schädelhöhle, wird umhüllt von Hirnhaut und besteht hauptsächlich aus Nervengewebe.

Ein menschliches Gehirn
Rotationsanimation eines menschlichen Gehirns

Inhaltsverzeichnis

Funktion

Das Wirbeltier-Gehirn verarbeitet hochdifferenziert Sinneseindrücke und koordiniert komplexe Verhaltensweisen. Es ist somit der Hauptintegrationsort für alle komplexen Informationen, die der Organismus verarbeitet.

Nicht jede Information gelangt bis zur Hirnrinde und zum Bewusstsein. Peripher liegende Nervengeflechte (Plexus) und vor allem Zentren im Hirnstamm verarbeiten die meisten der von Rezeptoren ankommenden Erregungen unbewusst. Reflexbögen übernehmen Aufgaben, die mit höchster Geschwindigkeit und ohne bewusste Verarbeitung und verzögernde Einflussnahme erledigt werden. Auch beim Menschen gibt es ein solches autonomes Nervensystem. Es koordiniert vegetative Funktionen wie Atmung, Kreislauf (Herzfunktion), Nahrungsaufnahme, -verdauung und -abgabe, Flüssigkeitsaufnahme und -ausscheidung sowie Fortpflanzung.

Im Gehirn interagieren stark vernetzte Neuronen (siehe Neuronales Netz und Erregungsleitung). Seine Tätigkeit wird in vivo durch die Messung der Gehirnströme per EEG (Elektroenzephalographie) und der vom Gehirn produzierten elektrischen Felder per MEG (Magnetoenzephalographie) untersucht.

Im Lauf der Evolution hat das Gehirn „höherer“ Tiere ein beachtliches Maß an Differenzierung und innerer Organisation erreicht (Zerebration). Das spiegelt sich in der psychischen und körperlichen Entwicklung des Einzelnen wider (siehe: Embryologie). Die Struktur und – in geringerem Maß – das Volumen des Gehirns korrelieren mit Lernfähigkeit und Intelligenz. Aber erst in der Hierarchie des Nervensystems ist die Leistung des Gehirns verstehbar.

Neben den Wirbeltieren besitzen auch Tintenfische hochkomplexe Gehirne, die sie zu gezielten Tätigkeiten befähigen. Im weiteren Sinne bezeichnet man daher auch die Zentralstelle des Nervensystems verschiedener wirbelloser Tiere, etwa Ringelwürmern oder Insekten, als Gehirn. Je nach Gehirn-Typ spricht man hier von Cerebralganglion, Oberschlundganglion usw.

Aufbau des Wirbeltiergehirns

Magnetresonanztomographieaufnahmen eines menschlichen Gehirns

Die Einteilung des Gehirns ist je nach Lehrbuch und Institution verschieden. Das Mesencephalon, die Pons sowie die Medulla oblongata (je nach Autor auch das Diencephalon) werden oft zum truncus cerebri (Hirnstamm) zusammengefasst. Den Entwicklungsgrad des Gehirns bezeichnet man als Cerebralisation.

Das menschliche Gehirn

MRT-Bild eines menschlichen Gehirns. Schnitt sagittal, die Nase ist links. Hier klicken für eine animierte Abfolge von Schnitten.
Grobe Unterteilung des menschlichen Gehirns – Seitenansicht
Grobe Unterteilung des menschlichen Gehirns – Sicht auf die Schnittfläche des halbierten Gehirns (Schnittflächen ocker)
Grobe Unterteilung des menschlichen Gehirns – Sicht von unten

Das menschliche Gehirn ist neben einfachen Nervensystemen einiger Würmer sowie den Gehirnen von Mäusen, Ratten, Katzen und einigen anderen Primaten das am besten untersuchte Gehirn.

Zusammenfassung des Aufbaus des menschlichen Gehirns

Man unterscheidet vereinfacht vier Hauptbereiche:

a) Das Großhirn ist in der Mitte durch einen Einschnitt in zwei Halbkugeln (Hemisphären) geteilt. Diese sind stark gefaltet oder auch gefurcht. Zwischen den Hemisphären gibt es eine breite Verbindung aus einem dicken Nervenstrang, auch Corpus callosum oder Balken genannt, und weitere kleinere Verbindungen.

Die 2-4 mm dicke Oberfläche des Gehirns ist die Großhirnrinde bzw. der Cortex. Sie enthält bei der Frau etwa 19 Milliarden, beim Mann etwa 23 Milliarden Nervenzellen. Ansammlungen von Neuronen sind rosa, die myelinhaltigen Nervenfasern weiß. Im toten Gehirn färben sich die Neuronen grau. Deshalb heißen sie, obwohl im Leben rosa, graue Substanz.

Auf der Rinde lassen sich die so genannten Rindenfelder lokalisieren. Man unterscheidet zwischen primären Feldern und Assoziationsfeldern. Die primären Felder verarbeiten nur Informationen einer bestimmten Qualität, und zwar solche über Wahrnehmungen (Empfindung, zum Beispiel Sehen, Riechen, Berührung usw.) oder über einfache Bewegungen. Die Assoziationsfelder stimmen verschiedene Funktionen aufeinander ab. Die Zuweisung eines Rindenfeldes zu einer bestimmten Funktion wird immer wieder definiert und dann relativiert: Erst das korrekte Zusammenspiel verschiedener Felder ermöglicht eine Funktion.

Zu den primären Feldern zählen zum Beispiel der visuelle Cortex, der am hinteren Pol des Gehirns liegt und auf dem die Projektionen der Sehbahn münden, und der auditorische Cortex, der der Verarbeitung akustischer Reize dient und seitlich im Schläfenlappen liegt.

Assoziative Felder finden sich unter anderem im vorderen Teil des Gehirns. Ihre Aufgaben sind zum Beispiel Gedächtnis und höhere Denkvorgänge.

Die Rindenfelder und ihre Funktionen können voneinander abgegrenzt werden, indem man nach Ausfällen (zum Beispiel durch Schlaganfall) die Tätigkeit des Patienten oder durch elektrische Stimulation, mikroskopische und andere Techniken das gesunde Gehirn untersucht. Neben der Großhirnrinde sind aber meist auch andere Hirnregionen an einer bestimmten Funktion beteiligt.

b) Am Kleinhirn lassen sich ebenfalls zwei Hemisphären unterscheiden. Zusätzlich grenzt man weitere Teile ab. Es ist zum Beispiel für Gleichgewicht und Bewegungen und deren Koordination verantwortlich. Bei Tieren ist es – im Vergleich zum Großhirn – oft stärker entwickelt als beim Menschen, insbesondere bei Arten mit Flugvermögen oder bei schnellen Räubern.

Außerdem wird dem Kleinhirn auch eine Funktion beim unbewussten Lernen zugeschrieben. Neuere Forschungen (2005) lassen darauf schließen, dass es auch am Spracherwerb und dem sozialen Lernen beteiligt ist.

c) Zum Zwischenhirn rechnet man vier Teile:

  1. Thalamus (oberer Teil)
  2. Hypothalamus, der mit der Hypophyse (Hirnanhangdrüse) verbunden ist
  3. Subthalamus
  4. Epithalamus

Der Thalamus ist der Vermittler sensibler und motorischer Signale zum und vom Großhirn. Bei ihm laufen alle Informationen der Sinnesorgane zusammen und werden weiter vermittelt. Er besteht hauptsächlich aus grauer Substanz. Der Hypothalamus steuert zahlreiche körperliche und psychische Lebensvorgänge und wird selbst teils neuronal über das vegetative Nervensystem, teils hormonell über den Blutweg gesteuert. Hypothalamus und Hypophyse (wichtige Hormondrüse des Körpers, die über den Hypophysenstiel mit dem Hypothalamus verbunden ist) sind das zentrale Bindeglied zwischen dem Hormon- und dem Nervensystem. Das Zwischenhirn ist beteiligt an der Schlaf-Wach-Steuerung (siehe: Aufsteigendes retikuläres Aktivierungssystem, Schmerzempfindung, Temperaturregulation).

d) Der Hirnstamm ist der stammesgeschichtlich älteste Teil des Gehirns. Er bildet den untersten Gehirnabschnitt und besteht aus auf- und absteigenden Nervenfasern (Weiße Substanz) und Ansammlungen von Neuronen beziehungsweise von Somata (Graue Substanz), morphologisch aus dem Mittelhirn, der Brücke (Pons) und dem Nachhirn (auch verlängertes Mark = Medulla oblongata genannt, da zwischen Rückenmark und Brücke gelegen). Der Hirnstamm verschaltet und verarbeitet eingehende Sinneseindrücke und ausgehende motorische Informationen und ist zudem für elementare und reflexartige Steuermechanismen zuständig.

Im Nachhirn kreuzen sich die Nervenbahnen der beiden Körperhälften. Außerdem werden hier viele automatisch ablaufende Vorgänge wie Herzschlag, Atmung oder Stoffwechsel gesteuert. Ebenso befinden sich hier wichtige Reflexzentren, die zum Beispiel Lidschluss-, Schluck-, Husten- und andere Reflexe auslösen. Das untere Ende des Nachhirns schließt an das Rückenmark an.

Gehirne von Männern und Frauen

Die Gehirne von Männern und Frauen unterscheiden sich in der Größe und im Aufbau. Durchschnittlich wiegt das Gehirn einer erwachsenen Frau 1245 g, das Gehirn eines erwachsenen Mannes 1375 g. Bei gleicher Statur von Mann und Frau ist das Gehirn bei Männern durchschnittlich 100 g schwerer. Das Gewicht kann nicht in direkte Korrelation zur männlichen und weiblichen Geistesart beziehungsweise Intelligenz gesetzt werden. Nicht nur die Gesamtgehirngröße unterscheidet sich zwischen den Geschlechtern, sondern auch die relative Größe verschiedener Gehirnareale.[1] Am besten erforscht sind hierbei der Hippocampus und die Amygdala. Der Hippocampus ist fürs Lernen und die Erinnerung zuständig und hat bei Männern und Frauen unterschiedliche anatomische Strukturen, sowie neurochemische Zusammensetzungen. Im Verhältnis zum Gesamthirn ist der Hippocampus bei der Frau größer. Beim Mann ist jedoch die CA1 Region größer und die Anzahl der Pyramidenzellen erhöht.[1] Des Weiteren besteht eine unterschiedliche Rezeptor-Affinität für verschiedene Neurotransmitter und Unterschiede in der Langzeitpotenzierung.[1] Die Amygdala spielt eine Rolle beim Reproduktionsverhalten und stellt das Gedächtnis für emotionale Ereignisse dar.[1] Studien zeigten, dass es eine geschlechtsspezifische hemisspährische Lateralisation der Amygdalafunktionen in Beziehung auf die Erinnerungen von emotionalen Momenten, bei den Reaktion auf glückliche Gesichter, sowie bei der Verschaltung der Amygdala mit dem restlichen Gehirn, als auch bei bestimmten Krankheiten, wie der Depression gibt.[1] Bei den Frauen ist die linke Hälfte involviert, bei den Männern die rechte.[1]

Zur Entstehung dieses Dimorphismus gibt es verschiedene Theorien. Zum einen kommt alternatives Spleißen vom mRNA in Frage. Zum Beispiel das Spleißen von Kanalproteinen, so dass die Durchlässigkeit dieser für Ionen verändert ist.[1] Zum anderen sind epigenetische Kontrollmechanismus relevant. Hierzu zählen unter anderem die genomische Prägung und die Histonmodifikation. [1] Zudem wird immer wieder die Frage gestellt, inwiefern die Umwelt Einflüsse auf den Dimorphismus hat. Ein anderer Erklärungsansatz ist folgender: Geschlechtshormone wie Testosteron und die Östrogene wirken nicht nur auf die Keimdrüsen, sondern in vielfältiger Weise auf das Nervensystem als Ganzes sowie im Einzelnen auf Nervenzellen, Synapsen, Genexpression usw. Dies gilt sowohl für die Zeit der Embryonalentwicklung als auch während der Kindheit, der Pubertät und im Erwachsenenalter. Dies wird zum Beispiel in der Regio praeoptica im Hypothalamus sichtbar, die bei jungen Männern im Vergleich zu Frauen vergrößert ist. Ein entscheidender Faktor sind vermutlich auch die Barr-Körperchen, da viele X-chromosomale Gene in die neuronalen Prozesse der Gehirnentwicklung involviert sind. Die Barr-Körperchen entstehen durch zufällige Inaktivierung eines X-Chromosoms bei der Frau. Dies hat zur Folge, dass das weiblichen Gewebe und die Organe, inklusive des Gehirns, ein Mosaik darstellen, da in jeder Zelle ein anderes Gen des polymorphen X-Gens exprimiert wird.[2] Daher nimmt man an, dass die unterschiedlichen Geschlechtschromosomen der wahrscheinlichste Grund für den Dimorphismus sind.

Diese können auf zwei Arten die Entwicklung beeinflussen. Zum einem können die Genprodukte der Chromosomen direkt in den Zellen wirken, in denen sie exprimiert werden. Zum anderen bedingen die Gonosomen die Entwicklung der Gonaden, die die Geschlechtshormone bilden. Geschlechtshormone wie Testosteron und die Östrogene wirken nicht nur auf die Keimdrüsen, sondern in vielfältiger Weise auch auf das Nervensystem, sowohl zur Zeit der Embryonalentwicklung als auch während der Kindheit, der Pubertät und im Erwachsenenalter.[3] So bewirken die Geschlechtshormone eine typische männliche beziehungsweise eine typische weibliche Entwicklung des Nervensystems. Dies wird zum Beispiel in der Regio praeoptica im Hypothalamus sichtbar, die bei jungen Männern im Vergleich zu Frauen vergrößert ist.

Leistung des Gehirns

Das Gehirn ist ein sehr aktives Organ mit einem besonders hohen Sauerstoff- und Energiebedarf. Es macht nur etwa 2 % der Körpermasse aus, verbraucht aber etwa 20 % des Sauerstoffs und mehr als 25 % der Glukose. Da es nur äußerst geringe, arealabhängige Speicherkapazitäten für Energie besitzt, führt bereits ein kurzzeitiger Ausfall der Energieversorgung (ca. 10 Sekunden) zu spezifischen Hirnschäden. Die geringen, evolutionär unverständlichen Reservoirs werden durch Platzmangel erklärt. Seit 1994 ist bekannt, dass die Nervenzellen über die Astrozyten bei Bedarf eine genau bemessene Energiemenge aus dem Blut erhalten; man nennt diesen aktiven Vorgang „Energy on Demand“.[4] Die bedarfsabhängige Regulierung der Blutversorgung von Hirnarealen wird als Neurovaskuläre Kopplung bezeichnet. 1998 bis 2004 entwickelte Achim Peters die Selfish-Brain-Theorie, wonach das menschliche Gehirn bei der Regelung der Energieversorgung im Organismus vorrangig den eigenen, vergleichsweise hohen Bedarf deckt.

Vergleich mit Computern

Oft werden Vergleiche zwischen der Leistungsfähigkeit eines Computers und der des menschlichen Gehirns angestellt. Seit das Gehirn als Sitz kognitiver Leistung erkannt wurde, wurde es in der Literatur immer mit dem komplexesten verfügbaren technischen Apparat verglichen (Dampfmaschine, Telegraph). So versuchte man auch, aus der Funktionsweise von Computern auf die des Gehirns zu schließen. Heute dagegen bemüht man sich in der Computational Neuroscience und der bionischen Neuroinformatik, die Funktionsweise des Gehirns teilweise auf Computern nachzubilden bzw. durch sie auf neue Ideen zur „intelligenten“ Informationsverarbeitung zu kommen (siehe Blue Brain). Es ergibt sich die Perspektive, dass das Gehirn als Struktur für Denk- und Wissensproduktion eine Architektur liefert, die sich zur Nachahmung empfiehlt. Künstliche neuronale Netzwerke haben sich bereits bei der Organisation künstlicher Intelligenzprozesse etabliert.

Rechenleistung und Leistungsaufnahme

Bei Vergleichen mit modernen Computern zeigt sich die Leistungsfähigkeit des menschlichen Gehirns. Während das Gehirn etwa 1013 bis 1016 analoge Rechenoperationen pro Sekunde schafft und dabei etwa 15 bis 20 Watt an chemischer Leistung benötigt, schafft der Supercomputer BlueGene/L von IBM bis zu 3,6·1014 Gleitkommaoperationen pro Sekunde mit doppelter Genauigkeit, wozu jedoch etwa 1,2 Megawatt benötigt werden. Intels erster Teraflop-Chip Prototyp „Terascale“ mit 80 Prozessorkernen schafft hingegen etwa 1012 Gleitkommaoperationen mit einfacher Genauigkeit bei 85 Watt (oder 2·1012 Gleitkommaoperationen bei 190 Watt und 6,26 GHz), was immer noch dem 50- bis 5000-fachen Energiebedarf entspricht. Zwar erreichen moderne 3D-Grafikkarten vergleichbare Werte bei geringerem elektrischem Leistungsbedarf, allerdings sind Grafikchips stärker auf bestimmte Rechenvorgänge spezialisiert.

Es ist jedoch zu beachten, dass die hohe Rechenleistung des Gehirns vor allem durch seine vielen parallelen Verbindungen (Konnektivität) und nicht durch eine hohe Geschwindigkeit bei den einzelnen Rechenvorgängen (Taktfrequenz) erzielt wird. Künstliche Neuronen arbeiten 105 mal schneller als Neuronen des menschlichen Gehirns. Zudem treten bei analogen Rechenvorgängen Ungenauigkeiten auf, die bei der digitalen Verarbeitung vermieden werden (müssen).

Speicher

Zusätzlich zur Parallelisierung stellt ein neuronales Netzwerk gleichzeitig sowohl Speicher- als auch Verarbeitungslogik dar, während diese bei Computern, die auf der Von-Neumann-Architektur basieren, getrennt sind. Dies bewirkt, dass in einem einfachen neuronalen Netzwerk mit jedem Taktzyklus der gesamte Speicher aktualisiert wird, während ein Computer den Inhalt des Speichers schrittweise aktualisieren muss.

Schätzungen zufolge kann das menschliche Gehirn etwa 2 Petabyte[5] an Daten in chemischer Form in den Synapsen halten. Allerdings wird die Information im Gehirn nicht exakt und linear gespeichert wie in einem Von-Neumann-Computer, sondern durchläuft einen komplexen mehrstufigen Lernprozess, bei dem das Gehirn versucht, unwichtige Information temporal zu verwerfen und wichtige Informationen hierarchisch auf Basis bereits vorhandener Gehirnstrukturen zu generalisieren.

Effizienz

Rechenvorgänge, die auf einem Computer effizient ablaufen, sind meistens nicht effizient in einem neuronalen Netzwerk abbildbar und umgekehrt. Aufgrund dieser Ineffizienz bestehender Computerarchitekturen für bestimmte Aufgaben wie etwa das Sehen versucht man neuronale Netzwerke, wie etwa dasjenige des Neocortex, nachzubilden.[6] Eines der so entstandenen Modelle ist der hierarchische Temporalspeicher, der derzeit in Software abgebildet wird und der nur aufgrund starker Vereinfachungen in Echtzeit lauffähig ist. Bei der Simulation von Neuronen auf Computern ergibt sich nämlich das Problem, dass Computerchips und Neuronen eine völlig andere Architektur haben und der Rechenaufwand dadurch sehr hoch ist. Blue Gene kann „nur“ etwa 10.000 Neuronen simulieren, und das auch nicht in Echtzeit, dafür aber mit einem vollständigen Modell. Deshalb gibt es Bestrebungen, solche künstlichen neuronalen Netzwerke in Hardware zu implementieren (Neuromorphing).[7]

Künstliche neuronale Netzwerke im Rahmen des FACETS-Projekts bilden 2·105 künstliche Neuronen mit 5·107 künstlichen Synapsen auf einem einzelnen 8 Zoll (20,32 cm Diagonale) großen Computerchip ab (Stand März 2009).

Vernetzung der Nervenzellen

Das menschliche Gehirn besitzt Schätzungen zufolge etwa 100 Milliarden Nervenzellen (auch: Neuronen), die durch etwa 100 Billionen Synapsen eng miteinander verbunden sind. Durchschnittlich ist ein Neuron demzufolge mit 1000 anderen Neuronen verbunden und könnte von jedem beliebigen anderen Neuron aus in höchstens vier Schritten erreicht werden. Allerdings gibt es lokal deutliche Abweichungen von diesem Mittelwert.[8] Im Vergleich dazu hat der Cortex einer Maus etwa 8 Millionen Neuronen mit jeweils 8.000 Synapsen. Ein Grundprinzip der Organisation des Gehirns ist die topologische Abbildung (zum Beispiel Retinotopie), d. h., was nebeneinander auf dem Körper liegt, wird im Gehirn in den zuständigen Arealen auch nebeneinander verarbeitet.

Obwohl die Erregungen ausschließlich durch die Neuronen geleitet werden, sind 90 % der Zellen des Gehirns Gliazellen. Diese sind leichter und einfacher gebaut als Neuronen. Die Masse des Gehirns wird jeweils zur Hälfte durch Glia- und Nervenzellen ausgemacht. Der Begriff „Gliazelle“ leitet sich vom griechischen Wort für Leim ab, da man ursprünglich annahm, dass die Gliazellen die Nervenzellen lediglich verkleben und damit die Stabilität des Nervengewebes vermitteln. Mittlerweile hat man herausgefunden, dass ihre Funktion weit darüber hinausgeht: sie ermöglichen Nervenzellen eine rasche Signalweiterleitung, versorgen sie mit Nährstoffen, nehmen ausgeschüttete Botenstoffe auf und führen sie wiederaufbereitet zurück und sind an den physiologischen Barrieren wie der Blut-Hirn- und der Blut-Liquor-Schranke beteiligt. Auch werden durch sie aktiv die synaptischen Verbindungen zwischen Neuronen und dadurch die Erregungsleitungen verändert.[9]

Die zwölf Hauptnervenpaare des Gehirns

Hauptartikel: Hirnnerv
  1. Nervus olfactorius – ermöglicht das Riechen
  2. Nervus opticus – leitet optische Impulse
  3. Nervus oculomotorius – versorgt vier von sechs Muskeln, die das Auge bewegen, und andere Funktionen
  4. Nervus trochlearis – versorgt den oberen schrägen Augenmuskel
  5. Nervus trigeminus – leitet unter anderem Informationen über Berührungen aus dem Gesichtsbereich, ermöglicht das Kauen
  6. Nervus abducens – versorgt den seitlichen Augenmuskel
  7. Nervus facialis – ermöglicht unter anderem mimische Bewegungen und Geschmackswahrnehmung
  8. Nervus vestibulocochlearis (N. statoacusticus)- leitet Informationen aus dem Hör- und dem Gleichgewichtsorgan
  9. Nervus glossopharyngeus – unter anderem leitet er Informationen (auch Geschmack) aus dem Schlundbereich und ermöglicht Bewegungen in diesem Bereich
  10. Nervus vagus – im Wesentlichen Wahrnehmung und Bewegung – inklusive Drüsentätigkeit und Hormonausschüttung- von einem Teil der Eingeweide
  11. Nervus accessorius – ermöglicht Bewegungen durch zwei große Muskeln des Halses und Kopfes
  12. Nervus hypoglossus – ermöglicht Bewegungen der Zunge

Arbeitsteilung im Gehirn

Das Großhirn ist das Zentrum unserer Wahrnehmungen, unseres Bewusstseins, Denkens, Fühlens und Handelns. Im Großhirn herrscht eine Arbeitsteilung zwischen verschiedenen Bezirken, den Rindenfeldern, von denen drei Typen unterschieden werden:

  1. Sensorische Felder: Sie verarbeiten Erregungen, die von den Nerven der Sinnesorgane kommen.
  2. Motorische Felder: Sie aktivieren Muskeln und regeln willkürliche Bewegungen.
  3. Gedanken- und Antriebsfelder: Sie liegen im vorderen Teil des Gehirns und sind wahrscheinlich die Zentren des Denkens und Erinnerns.

Die sensorischen und motorischen Felder für die rechte Körperseite befinden sich in der linken Gehirnhälfte und umgekehrt. Es gibt aber auch Zentren, die nur in einer Gehirnhälfte vorkommen, wie zum Beispiel das Sprachzentrum.

Das Zwischenhirn ist der Bereich, in dem Gefühle wie Freude, Angst, Wut und Enttäuschung entstehen. Es filtert den Informationsfluss von den Sinnesorganen zum Großhirn; Unwichtiges wird nicht weitergemeldet. Damit schützt es das Gehirn vor Überlastung. Das Zwischenhirn regelt auch die Körpertemperatur, den Wasserhaushalt sowie weitere lebenswichtige Körperfunktionen. Es ist – über den Hypothalamus – die Verbindungsstelle zwischen dem Nervensystem und dem Hormonsystem.

Das Mittelhirn ist eine Umschaltstelle. Erregungen sensorischer Nerven werden zum Großhirn geschickt oder auf motorische Nerven umgeleitet. So regelt es unter anderem die Augenbewegungen, die Irismuskulatur und die Ziliarmuskeln.

Der zweitgrößte Gehirnabschnitt ist das Kleinhirn. Seine Aufgabe besteht einerseits darin, Bewegungen zu koordinieren und den Körper im Gleichgewicht zu halten. Bewegt man beispielsweise zum Ergreifen eines Gegenstandes Ober- und Unterarm gleichzeitig, stimmt das Kleinhirn beide Teilbewegungen aufeinander ab, somit wird der Gegenstand relativ genau ergriffen. Ohne diese Tätigkeit des Kleinhirns würde der Arm ruckartige Bewegungen ausführen, die meistens über das Ziel hinausgingen.

Andererseits hat das Kleinhirn die Aufgabe, automatisierte Bewegungsabläufe zu speichern. Lernt man beispielsweise das Tanzen, so muss man die einzelnen Schritte relativ bewusst nacheinander ausführen. Hierbei regelt das Großhirn direkt die Muskulatur. Mit einiger Übung, also nach einiger Zeit des bewussten nacheinander Ausführens der einzelnen Schritte, muss man sich nicht mehr auf jeden Schritt konzentrieren. Die Bewegungsfolgen werden nun vom Kleinhirn geregelt, das während der Lernphase die zugehörigen Impulsfolgen gespeichert hat.

Die Übergangsstelle zum Rückenmark wird als Nachhirn bezeichnet. Wichtige Funktionen sind die Regulation des Blutdruckes, der Atemmuskulatur und der Hustenreflexe. Über zwölf Paar Gehirnnerven steht es in Verbindung mit Sinnesorganen, Muskulatur und Drüsen im Kopf.

Sonstiges

Die Länge aller Nervenbahnen des Gehirns eines erwachsenen Menschen beträgt etwa 5,8 Millionen Kilometer, das entspricht dem 145-fachen Erdumfang.

Größenvergleich der Gehirne verschiedener Säugetiere
Quelle: University of Wisconsin and Michigan State Comparative Mammalian Brain Collections and the National Museum of Health and Medicine

Das hochentwickelte Gehirn von Wirbeltieren scheint mit dem Strickleiternervensystem von Gliederfüßern wenig gemeinsam zu haben. Bei Insekten zieht sich der Verdauungstrakt direkt durch das vordere Nervensystem (zwischen Tritocerebrum und subösophagealem Ganglion), so dass die Bauchganglien ventral (bauchseitig) des Darmrohrs liegen, während bei Wirbeltieren das Rückenmark dorsal (rückenseitig) des Darms liegt.

2008 wurden auf dem Gelände der University of York (England) die Überreste eines 2500 Jahre alten menschlichen Schädels gefunden, dessen Gehirn überwiegend erhalten ist. Forscher vermuten, dass das Gehirn des wahrscheinlich 26–45 Jahre alten Mannes unter anderem deswegen bis heute so gut erhalten blieb, weil der Kopf – ein Körper wurde nicht gefunden – seinerzeit unmittelbar nach dem Tod in nasser Lehmerde begraben wurde. Eine vollständige Klärung, warum das Gehirn nicht schon längst zerfallen ist, konnte bislang allerdings nicht gefunden werden.[10]

Siehe auch

Literatur

  • Olaf Breidbach: Die Materialisierung des Ichs: Zur Geschichte der Hirnforschung im 19. und 20. Jahrhundert. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1997. (stw ; 1276). ISBN 3-518-28876-8
  • Günter Gassen, Sabine Minol: Unbekanntes Wesen Gehirn. Darmstadt: Media Team Verlag, 2004. ISBN 3-932845-71-4
  • Eccles, John C.: Wie das Selbst sein Gehirn steuert. Berlin / Heidelberg: Springer, 1994
  • Michael Hagner: Geniale Gehirne. Zur Geschichte der Elitegehirnforschung. Göttingen: Wallstein, 2004. ISBN 3-89244-649-0
  • Sabine Perl, Verena Weimer, Hans Günter Gassen: Das Gehirn: Zwischen Perfektion und Katastrophe. Biologie in unserer Zeit 33(1), S. 36–44 (2003), ISSN 0045-205X
  • John von Neumann: Computer and the Brain. Yale University Press, 2000. ISBN 0-300-08473-0
  • Oliver Sacks: Musicophilia: Tales of Music and the Brain, Knopf, 2007, ISBN 0-676-97978-5
  • Richard F. Thompson: Das Gehirn: von der Nervenzelle zur Verhaltenssteuerung. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag, 2001 (3. Aufl.) ISBN 3-8274-1080-0
  • Gerhard Roth: Aus Sicht des Gehirns. Suhrkamp Verlag, September 2003. ISBN 3-518-58383-2
  • Butler, Hodos: Comparative Vertebrate Neuroanatomy. Evolution and Adaptation. Wiley-Interscience. ISBN 0-471-21005-6
  • Michael Madeja: Das kleine Buch vom Gehirn. Reiseführer in ein unbekanntes Land. Verlag C. H. Beck, München 2010. ISBN 978-3-406-60097-5
  • Mark F. Bear, Barry W. Connors, Michael A. Paradiso: Neuroscience: Exploring the Brain Lippincott Williams & Wilkins 2006. ISBN 978-0-781-76003-4

Weblinks

 Commons: Gehirn – Album mit Bildern und/oder Videos und Audiodateien
Wikibooks Wikibooks: Neuroanatomie – Lern- und Lehrmaterialien
Wiktionary Wiktionary: Gehirn – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
 Wikiquote: Gehirn – Zitate

Videos und DVDs

Quellen

  1. a b c d e f g h Larry Cahil: Why sex matters for neuroscience In: Nature Reviews Neuroscience 2006, 7, S. 477-484
  2. Arthur P. Arnold: Sex chromosomes and brain gender In: Nature Reviews Neuroscience 2004, 5, S. 701-708
  3. Elena Jazin und Larry Cahill: Sex differences in molecular neuroscience: from fruit flies to humans In: Nature Reviews Neuroscience 2010, 11, S. 9-17
  4. Pellerin L, Magistretti PJ 1994: Glutamate uptake into astrocytes stimulates aerobic glycolysis: a mechanism coupling neuronal activity to glucose utilization. In: Proc Natl Acad Sci U S A 91:10625-10629
  5. WolframAlpha abgerufen am 21. Mai 2010
  6. Cortical architectures on a GPGPU
  7. [1]
  8. Highly Nonrandom Features of Synaptic Connectivity in Local Cortical Circuits – PLoS Biology (englisch)
  9. Briefträger, Botenstoffe und der unterschätzte Klebstoff – Artikel von Telepolis
  10. Ancient "Pickled" Brain Mystery Explained? aufgerufen am 25. Juni 2011

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Synonyme:

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