Gefährdungsbeurteilung

Gefährdungsbeurteilung
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Die Gefährdungsbeurteilung zu Arbeitsstätten, Arbeitsplätzen, Arbeits- und Fertigungsverfahren, Arbeitsabläufen und Arbeitszeiten basiert u. a. auf § 5 Arbeitsschutzgesetz infolge der Umsetzung europäischer Rahmenrichtlinien zum Arbeitsschutz (1992), § 3 Betriebssicherheitsverordnung, § 6 Gefahrstoffverordnung, § 89, 90 Betriebsverfassungsgesetz.

Das Ziel der Beurteilung der für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdungen besteht darin, zu ermitteln, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes zwingend erforderlich sind.

Inhaltsverzeichnis

Bedeutung für Arbeitsschutzvorschriften

Verschiedene weitere Vorschriften des Arbeitsschutzes bauen auf den genannten Gesetzen und Verordnungen auf und setzen eine Erstellung von Gefährdungsbeurteilungen voraus. Beispielsweise hat nach § 3 der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) der Arbeitgeber „auf der Grundlage der Gefährdungsbeurteilung für eine angemessene arbeitsmedizinische Vorsorge zu sorgen“. Weiterhin ist der Arbeitgeber nach § 3 der Bildschirmarbeitsverordnung (BildscharbV) verpflichtet, „die Sicherheits- und Gesundheitsbedingungen insbesondere hinsichtlich einer möglichen Gefährdung des Sehvermögens sowie körperlicher Probleme und psychischer Belastungen zu ermitteln und zu beurteilen“.

Zahlreiche Berufsgenossenschaftliche Informationen enthalten Anleitungen oder Vorlagen für Gefährdungsbeurteilungen.

Gefährdung

Das Bundesarbeitsgericht stellte am 12. August 2008 fest[1]: „§ 5 ArbSchG dient nicht in erster Linie dazu, unmittelbare Gesundheitsgefahren zu verhüten. Durch die Gefährdungsbeurteilung werden vielmehr im Vorfeld Gefährdungen ermittelt, denen gegebenenfalls durch entsprechende Maßnahmen zu begegnen ist“. Mit Gefährdungsbeurteilungen werden nicht Gefahren beurteilt, sondern Gefährdungen: „Der Begriff der Gefährdung bezeichnet im Unterschied zur Gefahr die Möglichkeit eines Schadens oder einer gesundheitlichen Beeinträchtigung ohne bestimmte Anforderungen an ihr Ausmaß oder ihre Eintrittswahrscheinlichkeit." Mit dieser Beurteilung „fängt der Schutz der Gesundheit als der körperlichen und geistig-psychischen Integrität des Arbeitnehmers an“.

Gefahr

Gefährdungen im Sinne des Arbeitsschutzes treten früher ein als Gefahren. „Unter einer Gefahr ist im Bereich des Arbeitsschutzes eine Sachlage zu verstehen, die bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens zu einem Schaden führt. Dem Schadenseintritt muss eine hinreichende Wahrscheinlichkeit zugrunde liegen. Welcher Grad der Wahrscheinlichkeit ausreicht, ist unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nach der Art der betroffenen Rechtsgüter zu bestimmen. Im Arbeitsschutz, bei dem es um Leben und Gesundheit der Arbeitnehmer geht, genügt ein geringeres Maß an Wahrscheinlichkeit als bei einer Gefahr für Sachgüter“[1]

Spielraum des Arbeitgebers

In der Betriebssicherheitsverordnung (§ 3), der Gefahrstoffverordnung und der Biostoffverordnung sind Gefährdungsbeurteilungen aufgegriffen und verankert worden. Im Rahmen der Liberalisierung des Arbeitsschutzes soll dem Arbeitgeber ein größerer Spielraum gewährt werden, um den Anforderungen des Arbeitsschutzes zu genügen ("Betreiberverantwortung"). Dazu tragen die Rücknahme und Vereinheitlichung von Vorschriften, z. B. vieler Einzel-Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaften bei. An Stelle bis ins Detail gehender Regulierung wird nun vom Arbeitgeber eine Gefährdungsbeurteilung verlangt, in der er juristisch nachvollziehbar die Erfüllung seiner Sorgfaltspflichten bezogen auf Arbeitsmittel oder Gefahrstoffe nachweisen muss.

Der Arbeitgeber oder von ihm nach § 7 ArbSchG beauftragte und befähigte Personen müssen grundsätzlich vor Beginn der Arbeiten und in ausreichenden Abständen die Arbeitsbedingungen bewerten, Gefährdungen minimieren und Maßnahmen zur Verbesserung durchführen. Dabei soll er sich von Experten, insbesondere einer Fachkraft für Arbeitssicherheit, einem Brandschutzbeauftragten und einem Betriebsarzt unterstützen lassen.

Mitbestimmung des Betriebsrates

Aus dem Spielraum, den das Arbeitsschutzrecht einräumt, ergibt sich ein volles Mitbestimmungsrecht der Betriebsräte beim Erarbeiten von Gefährdungsbeurteilungen (Bundesarbeitsgericht vom 8. Juni 2004, 1 ABR 13/03 und 04/03) sowie den daraus abzuleitenden Maßnahmen und Wirksamkeitskontrollen.[2] Dieses Mitbestimmungsrecht bei der Gefährdungsbeurteilung setzt „nicht voraus, dass eine konkrete Gesundheitsgefahr bereits bestimmbar wäre“, so das BAG. Betriebsräte müssen auch dann beteiligt werden, „wenn keine konkrete Gesundheitsgefährdung feststellbar ist und die vom Arbeitgeber zu treffenden Maßnahmen lediglich mittelbar dem Gesundheitsschutz dienen.“

Mitbestimmungspflicht

Der Betriebsrat hat bei der Gefährdungsbeurteilung nicht nur ein Recht auf Mitbestimmung, sondern eine Pflicht zur Mitbestimmung, auf die das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 12. August 2008 gleich zwei mal hinweist:

  • „Hinzu kommt, dass der Betriebsrat bei der Ausfüllung des Beurteilungsspielraums durch den Arbeitgeber nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG mitzubestimmen hat. Dadurch soll im Interesse der betroffenen Arbeitnehmer eine möglichst effiziente Umsetzung des gesetzlichen Arbeitsschutzes im Betrieb erreicht werden.“
  • „§ 5 Abs 1 ArbSchG räumt dem Arbeitgeber bei dieser Beurteilung einen Spielraum ein. Der Betriebsrat hat bei dessen Ausfüllung nach § 87 Abs 1 Nr 7 BetrVG mitzubestimmen. Der einzelne Arbeitnehmer kann deshalb nicht verlangen, dass die Gefährdungsbeurteilung nach bestimmten von ihm vorgegebenen Kriterien durchgeführt wird.“[1].

Betriebsräte können mit Arbeitgebern keinen Verzicht auf die Erstellung solcher Beurteilungen vereinbaren, denn die Pflicht zu ihrer Erstellung ist unabdingbar.

Katalog der Gefährdungen

Der Katalog der zu ermittelnden Gefährdungen aus § 5 ist weit gefasst. Neben Fragen der Gestaltung von Arbeitsplätzen sowie den physikalischen, chemischen und biologischen Einwirkungen auf die Arbeitnehmer/innen besteht hinsichtlich der Gefährdungsermittlung auch Ermittlungsbedarf bei Gestaltung und Auswahl von Arbeitsmitteln sowie der Gestaltung von Arbeits- und Fertigungsverfahren (beispielsweise Projektplanung), Arbeitsabläufen und Arbeitszeit und deren Zusammenwirken.

Eine Liste der Gefährdungen und Hilfen gibt es bei den Berufsgenossenschaften, der Gewerbeaufsicht, den Gewerkschaften und den Betriebsräten. Über Listen hinaus gibt es auch Software[3], die Gefährdungsbeurteilungen unterstützt.

Ein wichtiges Hilfsmittel für Konstrukteure und Arbeitgeber bzw. deren Sicherheitsfachkräfte bei der Gefährdungsermittlung für die Maschinensicherheit ist u. a. die DIN EN ISO 12100:2011-03 Sicherheit von Maschinen – Allgemeine Gestaltungsleitsätze – Risikobeurteilung und Risikominderung; Deutsche Fassung EN ISO 12100:2010.

Psychische Integrität des Arbeitnehmers

Nach einem Beschluss[1] des Bundesarbeitsgerichts ist auch die Ermittlung zum Schutz der „geistig-psychischen Integrität des Arbeitnehmers“ Gegenstand der Gefährdungsbeurteilung. Im Gegensatz zu den anderen Kategorien stellen jedoch sogar Behörden fest, das vor allem psychische Arbeitsbelastungen bei der Gefährdungsbeurteilung nach wie vor kaum berücksichtigt werden, obwohl die Betriebe seit 1996 durch das Arbeitsschutzgesetz verpflichtet sind, körperliche wie auch psychische Arbeitsbelastung am Arbeitsplatz im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung zu ermitteln und sie so gering wie möglich zu halten.[4]

Die mangelnde Umsetzung von Gefährdungsbeurteilungen hinsichtlich psychischer Belastungen dürfte auf verschiedene Gründe zurückzuführen sein. Neben einer methodisch anspruchsvolleren Ermittlung und Beurteilung ist hier vor allem auch die Furcht vor einer möglichen Stigmatisierung betroffener Mitarbeiter und Verantwortlicher zu nennen. [5]

Die Erfassung und Beurteilung psychischer Gefährdungsfaktoren sollte auf keinen Fall als Versuch missverstanden werden, die individuelle psychische Situation der Beschäftigten abzufragen. Vielmehr müssen betriebliche Faktoren wie Arbeitsorganisation, Über- oder Unterforderung, Qualifikation, Kommunikation, Führungsmethoden, Kundenverhalten u. a. m. als mögliche Belastungsfaktoren erkannt, bewertet und menschengerecht gestaltet werden.

Siehe auch

Quellen

  1. a b c d BAG, Urteil vom 12. August 2008, 9 AZR 1117/06
  2. Jens Gäbert, Brigitte Maschmann-Schulz: Mitbestimmung im Gesundheitsschutz, 2008, ISBN 978-3766334985
  3. IG-Metall: Handbuch »Gute Arbeit« (Kapitel 6.3.4: Neue Ansätze und Instrumente für die Praxis), 2007, ISBN 978-3-89965-255-0
  4. BAuA, Quellen siehe: http://www.psybel.de/#keineUmsetzung
  5. Ingo Weinreich, Christian Weigl: Unternehmensratgeber betriebliches Gesundheitsschutzmanagement: Grundlagen - Methoden - personelle Kompetenzen, 2011, ISBN 978-3503130573

Literatur

  • Michael Kittner, Ralf Pieper: Arbeitsschutzgesetz. 2007, ISBN 978-3766332011
  • U. Hauptmanns, T. Knetsch und M. Marx: Gefährdungsbäume zur Analyse von Unfällen und Gefährdungen. Bremerhaven: Wirtschaftsverlag NW 2004. (Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: Forschungsbericht, Fb 1028), ISBN 3-86509-208-X
  • Rolf Satzer, Max Geray: Stress - Psyche - Gesundheit, das START-Verfahren zur Gefährdungsbeurteilung von Arbeitsbelastungen, Frankfurt am Main 2008, ISBN 978-3-7663-3683-5

Weblinks

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