Gartenstadt Hellerau

Gartenstadt Hellerau
Hellerau
Stadtteil der Landeshauptstadt Dresden
Koordinaten: 51° 7′ N, 13° 45′ O51.112513.752777777778187Koordinaten: 51° 6′ 45″ N, 13° 45′ 10″ O
Höhe: 187–227 m ü. NN
Eingemeindung: 1. Juli 1950
Postleitzahl: 01109
Vorwahl: 0351
Karte
Lage der Gemarkung Hellerau in Dresden
Das Festspielhaus (2006)
Altes Werkstor der Deutschen Werkstätten Hellerau

Hellerau ist ein Stadtteil, ehemals Vorort, von Dresden im Ortsamtsbereich Klotzsche und die erste deutsche Gartenstadt.

Inhaltsverzeichnis

Die Idee

Fußend auf dem Gartenstadtgedanken von Ebenezer Howard, gründete der Möbelfabrikant Karl Schmidt-Hellerau 1909 an der nördlichen Peripherie von Dresden am Heller auf den Fluren von Rähnitz und Klotzsche die Gartenstadtsiedlung Hellerau zusammen mit dem Neubau seiner „Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst“. Die Einheit von Wohnen und Arbeit, Kultur und Bildung, in einem von der Lebensreform geprägten Organismus, ist der gebaute Anspruch der Gartenstadt Hellerau.

Der von Schmidt beauftragte Architekt Richard Riemerschmid plante den Bau der Werkstätten und dazu eine Wohnsiedlung mit Kleinstwohnhäusern für die Arbeiter, geräumigen Landhäusern, Markt, Geschäften, Wasch- und Badehaus, Praxen, Ledigenwohnheim, Schule und Schülerwohnheim. Neben Riemerschmid gehörten Heinrich Tessenow, Hermann Muthesius und Kurt Frick, aber auch Theodor Fischer zu den renommierten Architekten, von denen in Hellerau ganze Straßenzüge oder zumindest Häuserreihen realisiert wurden. Während der Zeit ihrer Errichtung war Hellerau, wie sonst nur die Essener Gartenstadt Margarethenhöhe, durch einen Regierungserlass von allen Bauvorschriften befreit.

Reformbegeisterte aus ganz Europa kamen, um Zeuge der real praktizierten Lebensreform zu werden. Einige besuchten Hellerau nur für kurze Zeit, andere blieben.

Emile Jaques-Dalcroze, ein Komponist und Musikpädagoge aus der Schweiz, der mit Aufführungen seiner selbst entwickelten „Rhythmischen Gymnastik“ in Deutschland Menschen zu begeistern suchte, kam auf Einladung von Schmidt und dessen „rechter Hand“ Wolf Dohrn nach Hellerau, wo er zunächst im Schulsaal der Werkstätten unterrichtete. Der damals junge Architekt Heinrich Tessenow errichtete unterdessen für ihn ein eigenes Gebäude, die „Bildungsanstalt für Rhythmische Gymnastik“ („Hellerauer Festspielhaus“). Mit Gret Palucca und Mary Wigman wurde Hellerau so ein Zentrum für den modernen Ausdruckstanz.

Das Festspielhaus

Mit dem Entwurf dieses Ensembles – dem gewaltigen Festspielhaus, dem brunnenbestandenen Vorplatz, der die pavillongleichen Pensionshäuser einfasst, der rückwärtigen Freiluftarena und den umlaufenden Licht- und Sonnenhöfen – setzte Tessenow bedingungslos die Vorstellungen von Emile Jaques-Dalcroze und die Bühnenentwürfe seines Bühnenbildners Adolphe Appia um.

In den Folgejahren bis 1914 versammelten sich dort zu den jährlichen Festspielen viele bekannte Vertreter der europäischen Kulturelite, u. a. Emil Nolde, George Bernard Shaw, Franz Kafka, Oskar Kokoschka, Henry van de Velde, Djagilew und Stefan Zweig sowie der US-amerikanische sozialkritische Schriftsteller Upton Sinclair.

Ende der Sturm- und Drangzeit

Der Tod Wolf Dohrns und der Ausbruch des Ersten Weltkrieges beendete die Sturm- und Drangzeit Helleraus.

Mit einzelnen reformpädagogischen Konzepten und kulturellen Projekten konnte Hellerau in den Folgejahren unter der Leitung von Wolfs Bruder Harald Dohrn kurzfristig noch an die anfänglichen Glanzzeiten anknüpfen. So nahm zum Beispiel im Festspielhaus eine reformpädagogisch orientierte Schule ihre Arbeit auf, deren internationalen Zweig Alexander Neill im Dezember 1921 gründete (dies gilt als Gründungsdatum der international renommierten Summerhill-Schule).

Ende der dreißiger Jahre wurde die Bildungsanstalt für Rhythmische Gymnastik von den Nationalsozialisten in einen Kasernenhof umgebaut, und nach 1945 von der sowjetischen Besatzungsmacht weiter militärisch genutzt.

Hellerau und Festspielhaus heute

Mit zeitgenössischen Darbietungen und jungen kulturschaffenden Institutionen vor Ort entwickelt sich das Festspielhaus zunehmend zu einem der wichtigen Veranstaltungsorte in Dresden.

In das westliche Seitengebäude des Festspielhauses zog 2003 das Dresdner Zentrum für zeitgenössische Musik ein. Dessen damaliger Intendant, der Komponist Udo Zimmermann, trieb seitdem die Renovierung des Festspielhauses voran, es wurde am 7. September 2006 nach zwei Jahren Umbauzeit wiedereröffnet. Zimmermann leitete das Europäische Zentrum der Künste am Standort Hellerau bis 2009 und kooperierte u. a. mit dem Choreografen William Forsythe, dessen Tanztheatercompany in Hellerau eine neue Spielstätte gefunden hat. Mit verschiedenen Veranstaltungen aus den Bereichen Theater, Musik, Tanz und übergreifenden Formen (z. B. der CYNETart, Festival für computergestützte Kunst) wollte er den Standort Hellerau an seinen Ursprungsgedanken, dem Entstehen von zeitgenössischer Kunst, zurückführen. 2009 trat der Kulturmanager Dieter Jaenicke die Nachfolge Zimmermanns als künstlerischer Leiter an.

Die Deutschen Werkstätten Hellerau knüpften in benachbarten neuen Werkhallen längst an ihre alte handwerkliche Traditionen an und sind international erfolgreich im hochwertigen Innenausbau tätig.

Die historischen Räumlichkeiten der Werkstätten, das sogenannte GebäudeEnsemble Deutsche Werkstätten Hellerau, sind heute Standort für Ingenieur- und Dienstleistungsunternehmen.

Ganz Hellerau ist heute ein Flächendenkmal, nicht ausschließend, dass auch Modernes entsteht; ist es doch gerade die Tradition von Hellerau Neues und Zukunftsweisendes hervorzubringen.

Die „Interessengruppe Hellerau“ wurde unter dem Dach des Kulturbundes der DDR gegründet, um das Architekturdenkmal zu schützen. 1990 wurde das „Bürgerkomitee Hellerau“ gegründet, daraus entstand der Verein „Bürgerschaft Hellerau“.

Typisches Haus der Gartenstadt

Persönlichkeiten des Stadtteils

Literatur

  • Claudia Beger: Gartenstadt Hellerau. Architekturführer. DVA, München 2008. ISBN 3-421-03700-0
  • Wolf Dohrn: Die Gartenstadt Hellerau und weitere Schriften. Hellerau-Verlag, Dresden 1992. ISBN 3-910184-08-1
  • Dresdner Geschichtsverein e. V.: Gartenstadt Hellerau. Der Alltag einer Utopie. Michel Sandstein, Dresden 1997. ISBN 3-910055-42-7
  • Michael Fasshauer: Das Phänomen Hellerau. Die Geschichte der Gartenstadt. Hellerau-Verlag, Dresden 1997. ISBN 3-910184-25-1
  • Clemens Galonska, Frank Elstner: Gartenstadt Hellerau / Garden City of Hellerau. Palisander, Chemnitz 2007. ISBN 3-938305-04-5
  • Ehrhardt Heinold, Günther Großer: Hellerau leuchtete. Zeitzeugenberichte und Erinnerungen. Verlag der Kunst, Dresden 2007. ISBN 978-3-86530-077-5.
  • Ralph Lindner und Hans-Peter Lühr (Hrsg.): " Gartenstadt Hellerau. Die Geschichte ihrer Bauten, Dresden 2008, Sandstein Verlag. ISBN 978-3-940319-30-2
  • Karl Lorenz: Wege nach Hellerau. Auf den Spuren der Rhythmik. Hellerau-Verlag, Dresden 1993. ISBN 3-86530-077-4
  • Peter de Mendelssohn: Hellerau. Mein unverlierbares Europa. Hellerau-Verlag, Dresden 1993. ISBN 3-910184-16-2
  • Thomas Nitschke: Die Gartenstadt Hellerau als pädagogische Provinz. Hellerau-Verlag, Dresden 2003. ISBN 3-910184-43-X
  • Thomas Nitschke: Grundlegende Untersuchungen zur Geschichte der Gartenstadt Hellerau. Bd 1. Die Gründerjahre. Engelsdorfer Verlag, Engelsdorf 2005. ISBN 3-938607-02-5
  • Thomas Nitschke: Die Gartenstadt im Spannungsverhältnis zwischen weltoffener Reformsiedlung und nationalistisch gesinnter völkischer Gemeinde. Dissertationsschrift. Martin-Luther-Universität, Halle 2007.
  • Hans-Jürgen Sarfert: Hellerau. Die Gartenstadt und Künstlerkolonie. Hellerau-Verlag, Dresden 1995. ISBN 3-910184-05-7
  • Alfred Ziffer, Christoph De Rentiis: Bruno Paul und die Deutschen Werkstätten Hellerau. Hellerau-Verlag, Dresden 1993. ISBN 3-910184-18-9

Weblinks


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