Funktionenraum

Funktionenraum

Ein Funktionenraum ist eine Menge von Funktionen,[1] die alle denselben Definitionsbereich besitzen. Wenn diese Menge zudem durch eine geeignete Wahl der Vektoraddition und Skalarmultiplikation zu einem Vektorraum gemacht werden kann, dann spricht man von einem linearen Funktionenraum.[2] Viele wichtige Funktionenräume sind unendlichdimensional und werden in der Funktionalanalysis betrachtet.

Funktionenräume werden häufig mit einer Norm versehen, sodass ein normierter Raum oder – im Falle der Vollständigkeit – sogar ein Banachraum entsteht. In anderen Fällen werden Funktionenräume durch Definition einer Topologie zu einem topologischen Vektorraum oder einem lokalkonvexen Raum.

Inhaltsverzeichnis

Formale Definition

Seien M und N nichtleere Mengen dann bezeichnet NM (manchmal auch als Abb(M,N) notiert) die Menge aller Funktionen von M nach N. Ein Funktionenraum ist eine Teilmenge von NM.

Geschichte

Die Geschichte der Funktionenräume kann in drei Phasen unterteilt werden. Die erste, die "basic" Phase, begann etwa zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts und dauerte bis in die Mitte der 1930er-Jahre. In dieser Zeit entstanden die Funktionenräume Ck der k-mal stetig-differenzierbaren Funktionen, genauso wie die klassischen Lebesgue-Räume der p-integrierbaren Funktionen. Außerdem werden noch die Räume der hölder-stetigen Funktionen und die klassischen Hardy-Räume zu dieser Phase gerechnet.

Die zweite, die konstruktive Phase, begann mit den Veröffentlichungen von Sergei Lwowitsch Sobolew aus den Jahren 1935 bis 1938, in denen er die heute nach ihm benannten (ganzzahligen) Sobolew-Räume einführte. Die Theorie der Distributionen entstand und neue Techniken, wie zum Beispiel Einbettungssätze, wurden zum Lösen partieller Differentialgleichungen entwickelt. In dieser Phase wurden Funktionenräume mit Normen beziehungsweise Quasi-Normen ausgestattet. Wichtige neuentwickelte Räume dieser Zeit sind die Zygmund-Räume (oder Klassen), die Slobodeckij-Räume, die klassischen Besov-Räume und die Bessel-Potential-Räume. In den 1960er-Jahren wurden außerdem der BMO-Raum von Fritz John und Louis Nirenberg und die reellen Hardy-Räume von Elias Stein und Guido Weiss eingeführt.

Die dritte Phase, welche als systematische Phase bezeichnet wird, begann in den 1960er-Jahren und überschnitt sich klar mit der konstruktiven Phase. Hier wurden die Techniken der Fourier-Analysis weiterentwickelt und sogenannte Maximalungleichungen untersucht. Mit Hilfe dieser Werkzeuge wurden die Besov-Lebesgue-Räume B^s_{p,q} und die Lizorkin-Triebel-Räume F^s_{p,q} entwickelt. Diese beiden Räume lassen sich in den Raum der temperierten Distributionen S' einbetten. Wie ihre Definitionen vermuten lassen, sind diese Räume sehr eng mit Fourier-Analysis verflochten.

Beispiele

  • Ist X ein Vektorraum über einem Körper \mathbb K, dann wird die Abbildungsmenge XM ebenfalls zu einem Vektorraum über \mathbb K, indem man für die Funktionen f, g \in X^M und für Skalare \lambda \in \mathbb K
• die Addition (f + g)\colon M \rightarrow X, x \mapsto f(x) + g(x)
• und die Skalarmultiplikation \lambda f\colon M \rightarrow X, x \mapsto \lambda\cdot f(x)
punktweise vereinbart. Die Vektorraumeigenschaften des Abbildungsraums ergeben sich dann allein aus den Vektorraumeigenschaften von X.
  • Sind M und N topologische Räume, so schreibt man \mathcal C (M, N) (für englisch continuous) für die Menge der stetigen Funktionen f\colon M\to N.
  • Ist auf N eine Metrik d gegeben, dann kann man sinnvoll von der Menge der beschränkten Funktionen sprechen (auch ohne Topologie auf M). Für diese Abbildungsmenge wird unter andere die Notation B(M,N) verwendet. Ist auch auf M eine Topologie definiert, schreibt man \mathcal C_b(M, N) für die Menge der beschränkten stetigen Funktionen. Auf diesen Räumen wird durch
d_\infty\colon (f, g) \mapsto \sup_{x \in M}d(f(x),g(x))
eine Metrik definiert. Alternativ ist auch die Metrik
d'_\infty\colon (f, g) \mapsto \min\{1, \sup_{x \in M}d(f(x), g(x) ) \}
möglich. Diese beiden Metriken erzeugen aber dieselben offenen Mengen, sodass sie äquivalent behandelt werden können.
  • Sind die Topologien auf M und N durch eine Pseudometrik oder eine Metrik gegeben, dann schreibt man \mathcal C_u (M, N) für die Menge der gleichmäßig stetigen Funktionen. Sind M und N uniforme Räume, dann bezeichnet diese Notation die Menge der uniform-stetigen Funktionen, das heißt jener Funktionen, die die uniformen Strukturen respektieren.
  • Ist N der Körper der reellen Zahlen oder der komplexen Zahlen und ist aus dem Zusammenhang klar, in welchen Körper die Funktionen abbilden, wird dieser bei der Notation meist weggelassen, und man schreibt dann kurz \mathcal C (M), \mathcal C_b(M) bzw. \mathcal C_u (M).

Funktionalanalysis

Die meisten Funktionenräume werden in der Funktionalanalysis untersucht. Die folgende Liste ist eine Auswahl der dort untersuchten Räume. Sei D die Definitionsmenge der untersuchten Funktionen. Dann ist

  • \mathcal{C}^{p,\alpha}(D) der Raum der p-fach stetig differenzierbaren Funktionen, die hölderstetig mit Exponenten \alpha\in (0,1] sind. Ist D kompakt, so ist \mathcal{C}^{p,\alpha}(D) versehen mit der Norm
    \|f\|_{C^{p,\alpha}}:=\sum_{|\beta|\leq p}{\sup_{x\in D}{\|(D^\beta f)(x)\|}}+\sup_{x\neq y}{\frac{|f(x)-f(y)|}{|x-y|^\alpha}}
    ein Banachraum, wobei β ein Multiindex ist. \mathcal{C}^{p,1}(D) wird auch als Raum der lipschitzstetigen Funktionen bezeichnet.
  • \mathcal{D}(D) der Raum der Testfunktionen. Er enthält alle glatten Funktionen mit kompaktem Träger und ist mit der Topologie versehen, welche durch den Konvergenzbegriff induziert wird. Eine Folge (\phi_j)_{j \in J} konvergiert in \mathcal{D}(D) gegen ϕ, wenn es ein Kompaktum K \subset D gibt mit \operatorname{supp}(\phi_j) \subset K für alle j, und
    \lim_{j \to \infty} \sup_{x \in K} \left|\partial^\alpha_x(\phi_j(x) - \phi(x))\right| = 0
    für alle Multiindizes \alpha \in \N^n gilt.
  • Lp(D) der Raum der lebesgue-integrierbaren Funktionen. Dieser Raum besteht nicht aus einzelnen Funktionen, sondern aus Äquivalenzklassen von Funktionen, welche sich nur um eine Lebesgue-Nullmenge unterscheiden. Aus diesem Grund ist auch die Lp-Norm
    \|f\|_{L^p(D)} = \left( \int_D |f(x)|^p \mathrm{d} x \right)^{1/p}
    positiv definit und damit wirklich eine Norm. Bezüglich dieser Norm ist der Lp-Raum auf kompakten Mengen ebenfalls ein Banachraum. Der Spezialfall L2 ist sogar ein Hilbertraum. Dieser Raum wird in der Quantenmechanik häufig benutzt. Es ist der Raum der Wellenfunktionen. Für p < 1 kann man die Lp-Räume analog definieren, jedoch sind diese keine normierten Räume.
  • L^1_\mathrm{loc}(D) der Raum der lokal integrierbaren Funktionen. Sei f : D \to \R eine messbare Funktion. Lokal integrierbar bedeutet, dass für alle kompakten Teilmengen K \subset D das Integral
    \int_K | f(x) | \,\mathrm{d} x
    endlich ist. Genauso wie die Lp-Räume besteht der Raum L^1_\mathrm{loc}(D) aus Äquivalenzklassen von Funktionen. Insbesondere sind stetige Funktionen und Funktionen aus Lp lokal integrierbar. Der Raum L^1_\mathrm{loc}(\R) wird bei der Betrachtungen regulärer Distributionen benötigt.
  • Wk,p(D) der Raum der schwach differenzierbaren Funktionen. Er trägt den Namen Sobolew-Raum. Dieser Raum wird oft als Ansatzraum zum Lösen von Differentialgleichungen benutzt. Denn jede stetig differenzierbare Funktion ist auch schwach differenzierbar.
  • Indem man reelle oder komplexe Zahlenfolgen als Abbildungen von \N nach \mathbb R bzw. \C auffasst, kann man auch jeden Vektorraum von Folgen als Funktionenraum verstehen.

Funktionentheorie

Die folgenden Funktionenräume werden hauptsächlich in der Funktionentheorie betrachtet. Sei wie oben D die Definitionsmenge der untersuchten Funktionen, dann ist:

  • \mathcal{O}(D) ist der Raum der holomorphen Funktionen. Diese Funktionen sind beliebig oft differenzierbar, und ihre Taylor-Reihe konvergiert gegen die Ausgangsfunktion. Oftmals nennt man holomorphe Funktionen auch analytisch. Manchmal notiert man diesen Raum auch mit Cω(D).
  • Hp(D) ist der Raum der holomorphen, integrierbaren Funktionen, er heißt Hardy-Raum und ist ein Analogon zum Lp-Raum. Üblicherweise wird als Definitionsmenge die Einheitssphäre verwendet.

Einzelnachweise

  1. Naas J., Schmid H.L., Mathematisches Wörterbuch, B.G. Teubner Stuttgart, 1979, ISBN 3-519-02400-4
  2. Heuser H., Lehrbuch der Analysis Teil 1, 5. Auflage, Teubner-Verlag, 1988, ISBN 3-519-42221-2

Literatur


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