Albrecht Ludwig Berblinger

Albrecht Ludwig Berblinger
Der tragische Flug des „Schneiders von Ulm“ (zeitgenössische Darstellung).

Albrecht Ludwig Berblinger (auch bekannt als der Schneider von Ulm; * 24. Juni 1770 in Ulm; † 28. Januar 1829 ebenda) war ein deutscher Schneider, Erfinder und Flugpionier.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Albrecht Ludwig Berblinger wurde als siebtes Kind in bescheidenen Verhältnissen geboren. Er war gerade 13, als sein Vater starb und er ins Waisenhaus kam. Dort zwang man ihn, eine Schneiderlehre zu beginnen, obwohl er gerne Uhrmacher werden wollte.

Mit 21 Jahren wurde er Schneidermeister, aber sein eigentliches Interesse galt immer noch der Mechanik. Neben seiner Tätigkeit als Schneider war Berblinger daher auch als Erfinder tätig. Er entwickelte orthopädische Hilfsmittel, wie z. B. Beinprothesen. 1808 entwickelte er eine „Fußmaschine“, die nach Fußamputationen eingesetzt werden konnte – die erste Beinprothese mit Gelenk.

Gleitflug

Berblingers eigenhändige Konstruktionsskizze seines Fluggeräts

Seine bekannteste Erfindung ist ein Hängegleiter, der ihm den Gleitflug ermöglichen sollte. Jahrelang baute und verbesserte Albrecht Berblinger seinen Flugapparat und beobachtete den Flug von Eulen. Die Leute spotteten über ihn, man drohte damit, ihn aus der Zunft zu werfen und ließ ihn eine hohe Strafe zahlen für sein Werken außerhalb der Zunft. Trotzdem baute er, unter Einsatz seiner gesamten Einnahmen, weiterhin an seinem Fluggerät.

Seine Flugversuche führte er heimlich in den Weinbergen am Michelsberg von Ulm durch. Aus heutiger Sicht bietet die Südlage des Hanges sehr günstige Voraussetzungen für thermische Aufwinde. Auch die dort befindlichen Weinbergmauern und Weinberghäuschen boten ideale Möglichkeiten als Startrampen.

König Friedrich von Württemberg zeigte Interesse und spendete 20 Louis d’or. Im Mai 1811 besuchten der König, seine Söhne und der bayerische Kronprinz Ulm. Nun sollte Berblinger die Flugtauglichkeit seines Gerätes beweisen.

Ursprünglich wollte Berblinger seine Flugkünste erst am 4. Juni vorführen und hatte dazu einen Start vom Hauptturm des Ulmer Münsters vorgeschlagen, dessen Höhe zu diesem Zeitpunkt noch bei 100 m lag. Dieser Vorschlag Berblingers wurde jedoch von den Ratsherrn abgelehnt. Sie trauten seinen Flugkünsten nicht und hatten deshalb den Start von der 13 m hohen Mauer der Adlerbastei an der Donau verlangt. Berblinger hatte dann diesem Startplatz zugestimmt, ohne sich über die verhängnisvollen Folgen bewusst zu sein. Um die Donau überqueren zu können, hatte Berblinger die Absprunghöhe durch ein Gerüst auf 20 m erhöht.

Die Abreise des Königs am 31. Mai hatte wohl dazu geführt, dass Berblinger schon am 30. Mai starten sollte. Der König und viele Ulmer warteten auf seine erste Flugvorführung, doch Berblinger verschob seinen Start auf den nächsten Tag. Die historischen Schilderungen lassen darauf schließen, dass er hier die völlig anderen Windverhältnisse bemerkte und auf Veränderung am nächsten Tag hoffte. Aus heutiger Sicht ist klar, warum er die von ihm benannte "Fliegekraft" unter seinen Flügeln nicht spüren konnte. Durch das relativ kalte Wasser der Donau entstehen Fallwinde, die durch die Mauern der Bastei noch verstärkt werden.

Am folgenden Tag, dem 31. Mai, trat er erneut zu einem öffentlichen Flugversuch an. Der König war schon abgereist, aber sein Bruder, Herzog Heinrich, und die Prinzen schauten zu. Es ist klar, dass sich die Windverhältnisse auch am folgenden Tag nicht verändert haben konnten. Das musste ihm bewusst geworden sein, denn er verzögerte den geplanten Start um 16 Uhr, mit der Hoffnung es könnte sich noch etwas verändern. Gegen 17 Uhr wurden die zahlreichen Zuschauer und auch Herzog Heinrich ungeduldig und drängten ihn mit seiner Vorführung endlich zu beginnen. Ein umstehender Polizeidiener rempelte dann Berblinger an und das Verhängnis nahm seinen Lauf.

Er konnte aus diesem Überraschungsmoment heraus die erforderliche Anfangsgeschwindigkeit für den Gleitflug nicht erreichen und auch nicht die Tragflächen seines Fluggerätes in einem günstigen Anstellwinkel ausrichten. Die Fallwinde und der Start mit Rückenwind gaben den Träumen vom Fliegen dann den letzten Rest. Bereitstehende Fischer hatten ihn nach dem Absturz unter dem Gejohle der vielen Zuschauer aus den Fluten der Donau gerettet.

Der Absturz mit seinem Flugapparat war auch mit einem sozialen Absturz verbunden. Man bezeichnete ihn nun als Lügner und Betrüger, was zur Folge hatte, dass auch die Kunden seiner Schneiderwerkstatt ausblieben. Mit 58 Jahren starb er im Hospital völlig verarmt und mittellos an Auszehrung. Nach mündlicher Überlieferung hatte er aber seinen Flugapparat bis zu seinem Tod auf dem Dachboden aufbewahrt.

Spätere Rezeption

50 Pf-Sondermarke der DDR-Post 1990 anlässlich der Europäischen Luftpostausstellung: Albrecht-Ludwig Berblinger und sein Gleitfluggerät

1986 wurde anlässlich des 175. Jahrestags des ersten Flugversuchs ein Wettbewerb veranstaltet, bei dem auch herausgefunden werden sollte, ob eine Überquerung der Donau an dieser Stelle überhaupt möglich gewesen wäre. Ein Gleitflug wird durch die an Flüssen vorherrschenden Fallwinde sehr erschwert. Ein dem Original nachempfundenes Fluggerät stürzte, wie schon damals, nach wenigen Metern ins Wasser. Als einziges Modell von 30 gestarteten schaffte ein damals moderner, den Drachenfliegern abgeschauter Hängegleiter die Strecke.[1] Im selben Jahr wurde an einem Ulmer Berghang bewiesen, dass Berblingers Fluggerät grundsätzlich flugfähig war. Ein Nachbau des Flugapparats ist im Treppenhaus des Ulmer Rathauses zu sehen.

Der Ingenieur und Schriftsteller Max Eyth schrieb 1906 seinen Roman Der Schneider von Ulm. Geschichte eines zweihundert Jahre zu früh Geborenen. Auch Bertolt Brecht setzte dem „Schneider von Ulm“ mit seiner 1934 verfassten Ballade „Ulm 1592“ ein literarisches Denkmal. Allerdings verlegte er den Ulmer Flugversuch in die frühe Neuzeit, setzte an die Stelle des Königs einen Bischof, ließ den Schneider vom „großen Kirchendach“ springen und dadurch auch auf dem „harten Kirchenplatz“ sterben.

Der Regisseur und Autor Edgar Reitz verfilmte 1978 die Geschichte von Albrecht Ludwig Berblinger mit Tilo Prückner in der Hauptrolle. Der aufwendig produzierte Film wurde allerdings kein Publikumserfolg und riss auch Reitz selbst in den finanziellen Abgrund.

Barbara Honigmann gestaltete den Stoff als Hörspiel (1982) und auch als Theaterstück (1984).

Mitte der 80er-Jahre suchte Ulm nach neuen Möglichkeiten, sich überregional zu profilieren. Es herrschte Aufbruchstimmung, engagiert trieb man den Aufbau der Wissenschaftsstadt voran. Berblinger wurde als ein Tüftler und Pionier entdeckt bzw. stilisiert. Zum 175. Jubiläum seines Absturzes schrieb Ulm einen Flugwettbewerb aus.[2]

Ein Nachbau von Berblingers Hängegleiter im Ulmer Rathaus. Foto: Stadtarchiv Ulm</ref>

2011 hat die Stadt Ulm ein aufwändiges Jubiläumsprogramm organisiert.[3]

Berblinger ist Namensgeber des jährlich verliehenen Wissenschaftspreises der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrtmedizin.

Literatur

Filmographie

Weblinks

 Commons: Albrecht Ludwig Berblinger – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Christian Thomas: Ich der Vogel. In: Berliner Zeitung vom 28./29. Mai 2011, Magazin, S. 8, 3. Spalte unten
  2. Berblinger 2.0 (Autor: Johannes Schweikle)
  3. www.berblinger.ulm.de

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