Fritz Stein

Fritz Stein

Fritz Stein (* 17. Dezember 1879 in Gerlachsheim; † 14. November 1961 in Berlin) war ein Theologe, Dirigent, Musikwissenschaftler und Kirchenmusiker. In der Zeit des Nationalsozialismus hatte er eine führende Position in der Reichsmusikkammer und war maßgeblich an der Gleichschaltung des Musikwesens beteiligt.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Stein war der Sohn eines Taubstummenlehrers. Er studierte zunächst in Heidelberg und Berlin Theologie und legte 1902 in Karlsruhe das theologische Staatsexamen ab.[1] Anschließend begann er ein musikwissenschaftliches Studium bei Arthur Nikisch und Hans Sitt. 1909 oder 1910 entdeckte er in einem Jenaer Archiv die Partitur der Jenaer Sinfonie von Friedrich Witt, die er dem jungen Beethoven zuschrieb und bei Breitkopf & Härtel herausgab.[2] 1910 wurde er mit seiner Dissertationsschrift Geschichte des Musikwesens in Heidelberg bis zum Ende des 18. Jahrhunderts zum Dr. phil. promoviert.[3] 1914 wurde er als Nachfolger Max Regers zum Meininger Hofkapellmeister ernannt. Als Teilnehmer am Ersten Weltkrieg leitete er in Laon einen Soldatenchor.[4]

1919 wurde er außerordentlicher Professor und 1928 Ordinarius für Musikwissenschaft in Kiel,[1] wo er bis 1923 zusätzlich Organist an der Nikolaikirche war und von 1925 bis 1933 die Position des Generalmusikdirektors übernahm.[3] Als Mitglied im Allgemeinen Deutschen Musik-Vereins, der Deutschen Musikgesellschaft, der Neuen Bachgesellschaft und der Händelgesellschaft, sowie als Herausgeber und als Organisator mehrerer Musikfeste genoss er in Fachkreisen einen guten Ruf. So war er 1928 eine der führenden Persönlichkeiten in der „Arbeitsgemeinschaft für das Deutsche Chorwesen“, zu dem sich der Deutsche Sängerbund, der Deutsche Arbeiter-Sängerbund (DAS) und der Reichsverband der gemischten Chöre Deutschlands zusammengeschlossen hatten.

1932 trat er dem völkisch gesinnten, antisemitischen Kampfbund für deutsche Kultur bei. Nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten wurde er Direktor der Staatlichen Musikhochschule Berlin. Als Bedingung für die Annahme des Postens hatte er die fristlose Entlassung von jüdischen Musikern wie Emanuel Feuermann gefordert.[3] Innerhalb des Kampfbunds für Deutsche Kultur wurde Stein im Juli 1933 Reichsleiter der Fachgruppe Musik ,[1] sowie Referent für Kirchenmusik und Chorwesen.[3] Bereits 1933 war er Präsidialrat der Reichsmusikkammer.[1] Im Mai 1933 war Stein als Leiter der „Interessengemeinschaft für das deutsche Chorgesangswesen“ mitverantwortlich für die Gleichschaltung aller Chöre, insbesondere der Arbeiterchöre unter einem Dachverband. Am 30. Juli 1933 bat Stein um eine beschleunigte Aufnahme in die NSDAP: „Ich kann ehrenwörtlich versichern, daß ich mit dem Herzen seit vielen Jahren der herrlichen Bewegung Adolf Hitlers zugetan war“.[5] Wegen der Mitgliedersperre, die ab dem 1. Mai 1933 bestand und bis 1937 galt, wurde er nicht aufgenommen,[6] sondern erst am 1. März 1940 unter der Nummer 7.547.647 als NSDAP-Mitglied registriert.[3] 1936 war er der Bearbeiter des Festoratoriums von Georg Friedrich Händel, das er „durch Tilgung von Formulierungen wie ‚Jehova‘ oder „Auf Zions heiligem Berg“ für politische Feiern des NS-Staates dienstbar machte“.[7]

1939 dirigierte er am Vorabend zum 50. Geburtstag von Adolf Hitler den Chor der SS-Leibstandarte Adolf Hitler.[8] Im Dezember desselben Jahres verlieh ihm Adolf Hitler anlässlich seines 60. Geburtstages die Goethe-Medaille für Kunst und Wissenschaft.[9] Nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde die Abteilung Chorwesen der Reichsmusikkammer geschlossen. 1940 stellte Stein zusammen mit Ernst-Lothar von Knorr ein Chorliederbuch für die Wehrmacht zusammen,[9] das in der Edition Peters herausgegeben und nach Kriegsende in der Sowjetischen Besatzungszone auf die Liste der auszusondernden Literatur gesetzt wurde.[10] In der Endphase des Zweiten Weltkriegs wurde Stein im März 1945 Leiter des Staatlichen Instituts für deutsche Musikforschung.[11]

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs verlor er seine Ämter und wirkte „freischaffend“, unter anderem für Christian Science. Später wurde er Präsident des Verbands für evangelische Kirchenmusik.[3]

Literatur

  • Albrecht Dümling: Die Gleichschaltung der musikalischen Organisationen im NS-Staat. In: Dietrich Schuberth (Hrsg.): Kirchenmusik im Nationalsozialismus – Zehn Vorträge. Kassel 1995

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b c d Ernst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. S. Fischer, Frankfurt am Main 2007, S. 588.
  2. Hans Renner: Reclams Konzertführer, Philipp Reclam Stuttgart, 1961, S. 141.
  3. a b c d e f Fred K. Prieberg: Handbuch Deutsche Musiker 1933–1945, CD-Rom-Lexikon, Kiel 2004, S. 6.817–6.818.
  4. Fred K. Prieberg: Handbuch Deutsche Musiker 1933–1945, S. 6.822.
  5. Zitat bei Ernst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich, S. 588.
  6. Fred K. Prieberg; Handbuch Deutsche Musiker 1933–1945, S. 6.819.
  7. Zitat von Fred K. Prieberg, in: Handbuch Deutsche Musiker 1933–1945, S. 6.823.
  8. Fred K. Prieberg: Handbuch Deutsche Musiker 1933–1945, S. 6.823.
  9. a b Fred K. Prieberg: Handbuch Deutsche Musiker 1933–1945, S. 6.825.
  10. http://www.polunbi.de/bibliothek/1947-nslit-s.html
  11. Fred K. Prieberg: Handbuch Deutsche Musiker 1933–1945, S. 6.829.

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