Freistadt Christiania

Freistadt Christiania

Die Freistadt Christiania (dänisch Fristad Christiania, auch Das freie Christiana oder kurz Christiania) ist eine alternative Wohnsiedlung in der dänischen Hauptstadt Kopenhagen, die seit 1971 besteht. Aus Sicht der dänischen Behörden handelt es sich um eine staatlich geduldete autonome Kommune.

Freistadt Christiania (vom Turm der Erlöserkirche gesehen)
Haupteingang der Freistadt Christiania
… von der anderen Seite gesehen
Pusherstreet, die Straße der Haschischhändler, deutlich zu sehen sind die Fotografie-Verbotsschilder
Haus in der Freistadt Christiania
Wohnhaus („Bananenhaus“)
Das Badehaus in Christiania mit einem Briefkasten der „Christiania Post“

Inhaltsverzeichnis

Geografie

Christiania umfasst ein 34 Hektar großes Gebiet im Kopenhagener Stadtteil Christianshavn. Das ehemalige Militärgelände der Bådsmandsstrædes Kaserne liegt auf den historischen Wallanlagen der Stadt. Geografisch gliedert sich Christiania in insgesamt 15 Gebiete:

  • Loppebygningen
  • Fredens Ark (Friedensarche)
  • Prærien (Prärie)
  • Tinghuset (Thinghaus)
  • Psyak
  • Mælkevejen (Milchstraße)
  • Fabriksområdet (Fabrikgelände)
  • Løvehuset (Löwenhaus)
  • Mælkebøtten (Löwenzahn)
  • Nordområdet
  • Den Blå Karamel (Der blaue Karamell)
  • Bjørnekloen (Bärenklaue)
  • Syddyssen
  • Midtdyssen
  • Norddyssen

Geschichte

Baracken und Stadtbefestigung

Hütte, die von 1946 bis 1950 für Exekutierungen von Kollaborateuren im Zweiten Weltkrieg benutzt wurde. Vorhandene Ruinen können im Inneren von Christiania gesehen werden.

Das Gebiet von Christiania besteht aus früheren Baracken der Bådsmandsstræde (Bådsmandsstrædes Kaserne) und Teilen der Stadtmauer. Die Stadtmauern und die damals eigenständige Stadt Christianshavn wurden 1617 vom König Christian IV. durch die Neulandgewinnung zwischen Kopenhagen und Amager gegründet. Nach der Schlacht von Kopenhagen während des Kriegs mit Schweden wurden die Stadtmauern zwischen 1682 und 1692 unter Christian V. zu einem vollständigen Verteidigungsring ausgebaut. Die westlichen Mauern von Kopenhagen wurden während des 19. Jahrhunderts abgerissen, die Stadtmauern in Christianshavn jedoch belassen. Sie werden heute als eine der besterhaltenen Verteidigungsanlagen auf der Welt angesehen.[1]

Die Baracken der Bådsmandsstræde beherbergten das königliche Artillerieregiment, das Materialkommando der Armee und Munitionslabore sowie -lager. Sie wurden nach dem Zweiten Weltkrieg wenig genutzt und standen zwischen 1967 und 1971 leer.

Der nördlich anliegende Bereich, Holmen, war bis in die 1990er Jahre der Hauptmarinestützpunkt Dänemarks. Holmen wird derzeit ausgebaut und ist die Heimat des Kopenhagener Opernhauses (nicht zu verwechseln mit dem zuvor und immer noch existieren "Operaen", einem Veranstaltungsort für Konzerte in Christiania) und diverser Schulen. Der Bereich weiter nördlich wird weiterhin von der Marine benutzt, er ist allerdings tagsüber für die Öffentlichkeit zugänglich.

Die äußerste Verteidigungslinie, Enveloppen, wurde (bis auf die südlichste Spitze, welche nicht Teil von Christiana ist) im christianitischen Soziolekt in Dyssen umbenannt. Sie ist durch eine Brücke über den Hauptgraben mit Christiania verbunden oder kann über einen beim Christmas Møllers Plads beginnenden Pfad erreicht werden. Vier ehemalige Lager für Schießpulver befinden sich in den V-förmigen Ausformungen der Mauer, den Redans. Sie wurden zwischen 1779 und 1780 als Ersatz für einen Lagerplatz in Østerport im Zentrum Kopenhagens erbaut, der im Jahre 1770 explodierte und dabei 50 Menschen tötete. Die Häuser wurden in Aircontition, Autogena, Fakirskolen (die Fakirschule) und Kosmiske Blomst (Kosmische Blume) umbenannt und wurden trotz Denkmalschutz leicht verändert.[2]

Der letzte Ort in Dänemark, an dem zwischen 1946 und 1950 Exekutionen durchgeführt wurden, kann noch am zweiten Redan, nahe dem Aircondition genannten Haus, besichtigt werden.[3] Die hölzerne Exekutierungshütte wurde abgerissen, das Estrichfundament und ein Ablauf für das Blut befinden sich allerdings immer noch direkt neben dem Weg. Insgesamt wurden 29 Kriegsverbrecher des Zweiten Weltkriegs an diesem Platz exekutiert. Der letzte Kriegsverbrecher, der am 20. Juli 1950 hingerichtet wurde, war Ib Birkedal, ein hochrangiger Gestapokollaborateur aus Dänemark.

Schutz der Häuser und des Geländes

Glashaus in der Freistadt Christiania, eine der vielen eigentümlichen Konstruktionen, welche moderne „Architektur ohne Architekten“ darstellen.

Im Jahre 2007 beabsichtigte die Kulturarvsstyrelsen (auf Deutsch etwa „Kulturerbeverwaltung”) einen Teil der Militärgebäude, welche sich nun in Christiania befinden, unter Kulturschutz zu stellen. Diese sind:

  • Den grå hal (‚Die graue Halle‘), früher ein Reitstall mit einer einzigartigen Bohlendachkonstruktion, jetzt Christianias größter Veranstaltungsort
  • Den grønne hal (‚Die grüne Halle‘), ursprünglich ein kleinerer Reitstall
  • Mælkebøtten (‚Die Pusteblume‘)
  • Das Haus des Kommandeurs, ein Haus mit Teilfachwerk
  • Die Pulverkammern aus dem 17. und 18 Jahrhundert in den Bastionen

Einige historische Gebäude wurden nach der Übernahme von Christiania leicht verändert.[4]

Die Gründung von Christiania

Nachdem das Militär das Gebiet verlassen hatte, wurde das Gelände nur von wenigen Wärtern bewacht und die leeren Häuser wurden sporadisch unerlaubterweise von Obdachlosen bewohnt. Am 4. September 1971 wurden die Zäune von Einwohnern der umliegenden Stadtteile eingerissen, und der Bereich teilweise als Spielplatz für ihre Kinder übernommen.

Obwohl die Übernahme am Anfang nicht notwendigerweise organisiert war, wird behauptet, dass dies als Protest gegen die dänische Regierung geschah, da zu dieser Zeit in Kopenhagen ein Mangel an bezahlbaren Wohnungen bestand.

Am 26. September 1971 wurde Christiania von Jacob Ludvigsen, einem bekannten Provokateur und Journalist, welcher eine Zeitung namens Hovedbladet ('Das Hauptblatt') herausgegeben hat, welche für junge Menschen bestimmt und unter ihnen auch erfolgreich war, als geöffnet ausgerufen. Ludvigsen veröffentlichte in seiner Zeitung einen Artikel, in welchem er und fünf andere Personen eine Entdeckungsreise in ein Gebiet machten, welches er 'Die verbotene Stadt des Militärs’ nannte. Der Artikel hat die Gründung der Freistadt weitgehend bekannt gemacht, unter anderem schrieb er unter der Überschrift Zivilisten erobern die 'verbotene Stadt’ des Militärs:[5]

Christiania ist das Land der Siedler. Es ist bis jetzt die größte Chance eine Gesellschaft von Null aufzubauen - und dabei nichtsdestotrotz die vorhandenen Konstrukte weiter zu nutzen. Ein eigenes Elektrizitätswerk, ein Badehaus, eine gigantische Sporthalle, wo all die Friedenssuchenden würdevoll meditieren können - und Yogazentrum. Hallen, in denen sich Theatergruppen zu Hause fühlen können. Gebäude für Kiffer, die zu paranoid und schwach sind um sich abzuhetzen...Ja, für jene, die fühlen, wie das Pionierherz schlägt, kann kein Zweifel an dem Zweck von Christiania aufkommen. Es ist der Teil der Stadt, der vor uns geheim gehalten wurde - allerdings nicht mehr.

Ludvigsen war Mitauthor von Christianias Leitbild von 1971, in welchem folgendes steht:

Das Ziel von Christiania ist das Erschaffen einer selbst-regierenden Gesellschaft wo alle und jede Person selbst für das Wohlergehen der gesamten Gemeinschaft verantwortlich ist. Unsere Gesellschaft soll ökonomisch selbsttragend sein und, als solche, ist es unser Bestreben unerschütterlich in unserer Weltanschauung zu sein, dass psychologische und physische Armut verhindert werden kann.

Der Geist von Christiania entwickelte sich schnell in Richtung Hippiebewegung, Hausbesetzer, Kollektivismus und Anarchismus, im Kontrast zu der vorherigen militärischen Nutzung des Geländes.

Das Protestlied I kan ikke slå os ihjel (übersetzt: "Ihr könnt uns nicht töten"), geschrieben im Jahre 1976 vom Tom Lunden der Flower Power Rockgruppe Bifrost wurde die inoffizielle Hymne von Christiania.[6]

Die Gemeinschaft

Meditation und Yoga waren unter Christianiten von Anfang an beliebt, und Christiania hat seit vielen Jahren seine eigene international gefeierte Theatergruppe names Solvognen, welche neben ihren Theateraufführungen auch viele Ereignisse in Kopenhagen und sogar in ganz Schweden veranstaltet hat. Ludvigsen hatte immer von der Akzeptanz von Drogensüchtigen gesprochen, welche nicht länger mit der regulären Gesellschaft zurechtgekommen, und an diesem Glauben hat sich bis heute nicht geändert, obwohl viele Probleme durch den Gebrauch von Drogen entstanden sind (allerdings hauptsächlich 'harter Drogen', welche nichtsdestotrotz in Christiania nicht toleriert werden). Diese Abhängigen kommen nach Christiania und bleiben dort, und werden in der Ethik der Freistadt als genauso wesentlich wie auch die Unternehmer angesehen. Aus diesem Grund wird Christiania von vielen Dänen als gelungenes Experiment angesehen. Für viele Jahre war der rechtliche Status der Freistadt allerdings in der Schwebe, da die verschiedenen dänischen Regierungen versucht haben, die Einwohner aus Christiania zu vertreiben. Die Versuche waren bis jetzt allerdings erfolglos.

Christiania ist deshalb eine der größten Touristenattraktionen in Kopenhagen und im Ausland weitläufig als "Marke" für den progressiven und freien Lebensstil der Dänen bekannt. Auch viele dänische Unternehmen und Organisationen verwenden Christiana als Vorzeigeort für ihre ausländischen Freunde und Gäste. Der Zweck ist ihnen etwas 'dänisches’ zu zeigen, welches man an keinem anderen Ort der Welt findet.

Unter den lokalen Besuchern sind viele Sozialhilfeempfänger, Rentner, Immigranten und Menschen aus sozialen Einrichtungen. Auch alleinerziehende Mütter besuchen den Ort, ganz zu schweigen von den vielen Obdachlosen und jungen Arbeitslosen. Inuit (Grönländer), Menschen, welche auf der Straße leben und Vagabunden, alle finden hier eine Zufluchtsstätte. Aber auch viele andere Menschen wie Studenten, Musiker, Künstler, Intellektuelle und Akademiker besuchen oft die Freistadt.

Christiania ist reich an kreativen und erholsamen Plätzen. In Wirklichkeit scheinen die grünen Wallanlagen von Christiania viel erholsamer und attraktiver für die Besucher als die gut gepflegten, einsamen Orte unter der Verwaltung der Stadt Kopenhagen. Viele Menschen verzichten allerdings aus dem einfachen Grund darauf, Christiania zu erkunden und zu ihre Angebote zu nutzen, weil sie sich nicht in Kopenhagen auskennen.

Die Menschen in Christiania haben unabhängig vom dänischen Staat ihre eigenen Regeln entwickelt. Die Regeln verbieten Diebstahl, Gewalt, Feuerwaffen, Messer, kugelsichere Westen, harte Drogen und Abzeichen von Motorradclubs.

Christiania ist berühmt für seine Hauptattraktion namens Pusher Street (zu deutsch in etwa: ‚Drogendealerstraße‘), in der Haschisch und Cannabis bis ins Jahr 2004 öffentlich in befestigten Ständen verkauft wurden, nichtsdestotrotz gibt es eine Regel die „harte Drogen“ wie Kokain, Amphetamine, Ecstasy und Heroin verbietet. Der Cannabishandel ist umstritten, allerdings kann er laut den Regeln der Stadt nicht abgeschafft werden, solange nicht jeder sein Einverständnis dazu gibt. Die Legalisierung von Cannabis ist eine der Vorstellungen, die von vielen Bürgern in Christiania geteilt werden. Die Region hat mit dem dänischen Verteidigungsministerium (dem noch immer das Gelände gehört) im Jahre 1995 eine Übereinkunft getroffen. Seit 1994 haben die Bewohner Steuern und Gebühren für Wasser, Strom, Müllentsorgung und andere Nebenkosten gezahlt.

Die Zukunft des Gebietes war lange Zeit unsicher, da die dänischen Autoritäten die Beseitigung von Christiania anstrebten. Nach der Einigung der Bewohner mit der dänischen Regierung das Gebiet käuflich zu erwerben, scheint Christiania nun doch zu einer gesicherten Existenz gefunden zu haben.

Flagge

Flagge der Freistadt Christiania

Die Flagge der Freistadt Christiania ist ein rotes Banner mit drei gelben Punkten. Diese Punkte repräsentieren die „i“-Punkte in „Christiania“[7]. Als die ersten Hausbesetzer die verlassene Militäranlage besetzten, fanden sie eine große Menge roter und gelber Farbe und wählten diese Farben daher für ihre Flagge[8]

Neuste Kontroversen

In und um Christiania gibt es in letzter Zeit zunehmend Proteste und Konflikte, zum Teil als Konsequenz zu den Plänen der Regierung, den Bereich in die Stadt einzugliedern.

Unruhen wegen Abriss eines Hauses

Am 14. Mai 2007 drangen von der Polizei begleitete Arbeiter der Forst- und Naturbehörde in Christiania ein und rissen die Überreste des kleinen, verlassenes Gebäude der Cigarkassen ('Die Zigarrenkiste') ab. Sie trafen auf wütende und verängstigte Christianiten, die befürchteten, dass die Polizei auch den Abriss weiterer Häuser beabsichtigt. Straßensperren wurden gebaut und LKWs, die die Überreste der Gebäude abtransportierten, wurden sabotiert, damit sie sich nicht mehr fortbewegen können. Die Polizei drang mit einem Großaufgebot an Beamten in die Freistadt ein und traf auf massive Gegenwehr. Einwohner warfen Steine und schossen Feuerwerkskörper auf die Polizeifahrzeuge. Sie errichteten zudem Barrikaden außerhalb von Christiania. Die Polizei setzte Tränengas gegen die Einwohner ein und zahlreiche Verhaftungen wurden durchgeführt. Ein Aktivist schlich sich hinter den Polizeibefehlshaber und goss einen Eimer Urin und Fäkalien über ihn. Die Polizei zog sich später aus Christiania zurück. Da Jugendliche die Eingänge nach Christiania verbarrikadierten und die Polizei mit Steinen und Molotowcocktails bombardierten, zogen sich die Unruhen bis in die frühen Morgenstunden. Nach mehreren erfolglosen Versuchen, die Barrikaden zu stürmen, zog sich die Polizei zurück und gab letztendlich auf. Insgesamt wurden über 50 Aktivisten aus Christiania und von außerhalb verhaftet. Die Staatsanwaltschaft verlangte die Inhaftierung der festgenommenen Personen, da die Gefangenen ansonsten an weiteren Aufruhen in Kopenhagen teilnehmen könnten, da Kopenhagen in einem Zustand der Rebellion wäre.[9]

Schießerei und Mord von 2005

Am 24. April 2005 wurde ein 26-jähriger Einwohner von Christiania bei einem gewalttätigen Übergriff einer Gang auf der Pusher Street getötet und drei weitere verletzt. Der Grund dafür war ein Kleinkrieg über den Cannabismarkt in Kopenhagen.

Nachdem der offene Cannabishandel ein Jahr zuvor beendet worden war, waren kriminelle Kreise darauf aus, den Markt zu übernehmen. Verantwortlich für die Schießerei war eine Gang, welche hauptsächlich aus Immigranten aus dem Stadtteil Nørrebro im Nordwesten der Stadt besteht. Sie hatten zuvor die Händler aus Christiania mehrfach danach gefragt, sie in ihren Markt aufzunehmen, wurden allerdings wiederholt abgewiesen. Am 23. April 2005 eskalierte diese Stagnation gewaltvoll. Die Händler von Christiania hatten erfahren, dass ein Mitglied einer aussenstehenden Gruppe ihre Organisation infiltriert hat, indem er eine Beziehung mit einer weiblichen Händlerin hatte. Er wurde enttarnt und konnte knapp entkommen – es wurden zwei Schüsse auf ihn abgefeuert. Am nächsten Tag fuhren zwei Autos in Christiania vor, aus denen 6–8 maskierte Männer mit Maschinengewehren ausstiegen und sich in Richtung Pusher Street begaben. Nachdem sie dort eingetroffen waren, feuerten sie mindestens 35 Schüsse auf die Menschenmenge ab, töteten damit einen Christianiten und verwundeten drei weitere.

Fernsehbeitrag von 2004

Die politischen Satiresendung Den halve sandhed (Die halbe Wahrheit) drehte am 26. März 2004 eine Episode in Christiania. In einer nicht ganz ernst gemeinten Aktion fing ein Journalist an, eine kleine hölzerne Hütte auf einer der Freiflächen Christianias zu errichten, da er annahm, dass sich Jedermann in der Freistadt niederlassen kann.

Innerhalb von Minuten kamen Einwohner und erklärten ihm, dass dies komplett inakzeptabel wäre. Der Journalist wurde gewaltvoll aufgefordert zu verschwinden. Andere Einwohner nahmen sich allerdings die Zeit, um ihm friedlich das Baurecht von Christiania zu erklären (eine Baugenehmigung ist vom Plenum einzuholen). Später errichten Journalisten einen Stand um „nicht politisch korrekte“ Waren wie Coca-Cola und israelische Orangen zu verkaufen, da dies ihrer Meinung nach nicht schlimmer sei, als Cannabis an Minderjährige zu verkaufen.[10]

Fahrzeuge

In Christiania selbst sind keine Fahrzeuge erlaubt, allerdings besitzen die Einwohner insgesamt 132 Fahrzeuge, die auf den umliegenden Straßen geparkt sind.[11] Nach Verhandlungen mit der städtischen Verwaltung hat Christiania eingewilligt, für seine Bewohner Parkplätze innerhalb der Freistadt zu schaffen. Bis zum Jahr 2005 wurden nur 14 Parkplätze geschaffen.[12]

Vor den Stadtratswahlen im November 2001 schlugen die Bewohner eines Bereichs von Christiania vor, einen Kindergarten vor den Toren Christianias abzureißen, diesen in einigen hundert Metern Entfernung neu zu bauen und das gewonnene Areal in einen Parkplatz umzuwandeln. Dieser Vorschlag wurde von anderen Einwohnern Christianias und des umliegenden Stadtteils von Kopenhagen kritisiert, allerdings argumentierten die Befürworter, dass das Gebäude des hölzernen Kindergarten veraltet sei und das Parkplatzproblem gelöst werden muss, bevor Christiania selbst ein Problem wird.[13]

Seit 2008 gibt es im Eingang nach Christiania neben der Grauen Halle (Grå Hal) eine Schranke, um die Cannabiskunden und andere Besucher davon abzuhalten, ihre Fahrzeuge in den engen Gassen zu parken. Durch diesen Eingang ist nun nur noch Güterverkehr erlaubt. Der Nachteil war, dass dies das Problem bloß zu den anderen Eingängen verschoben hatte, welche nun allerdings komplett blockiert sind, bis eine weitere Schranke errichtet wird. Es gibt sehr wenige Eingänge nach Christiania, und die Christianiten glauben, dass sie das Problem der Belästigung durch den Verkehr durch das Versperren der Eingänge durch Schranken lösen können.

Schwulenhaus

Das Schwulenhaus (Bøssehuset), eine von Christianias autonomen Institutionen, ist seit den 1970er Jahren ein Zentrum der Schwulenbewegung, in dem unter anderem Partys und Theatershows veranstaltet werden. Die witzvollen und hochgradig artistischen Shows im Stil eines Varietés haben immer noch ein hohes Ansehen unter den Homosexuellen Kopenhagens.

Im Jahre 2002 wurde eine Gruppe aus jungen homosexuellen Darstellern und Aktivisten namens Dunst eingeladen, das Haus zu übernehmen, damit es weiterhin ein Zentrum für die Schwulenbewegung bleibt. Dunst hat eine demokratische Verwaltung eingeführt und stellt seitdem offene Workshops für Photographie, Kunst, Musik, Tanz, Film und diverse andere Dinge bereit. Sie haben außerdem drei 'Rettet Christiania'-Nächte, eine Kaberetshow und drei Partys für Sympathisanten organisiert, um Teile der Schulden des Schwulenhauses an Christiania zurückzubezahlen. Laut Dunst werden sie von den Nachbarn allerdings nicht bereitwillig aufgenommen und die Neuankömmlinge wurden bezichtigt, den „Lebensstil Christianias“ nicht zu verstehen. Dunst gibt an, dass sie verbal beschimpft wurden, Drohbriefe erhielten und einmal ein Baseballschläger nach ihnen geworfen wurde. Manchen gefielen Dunsts laute Partys nicht, ihre zeitgenössische Electro-Punkmusik wurde als Techno bezeichnet. Sie wurden nach neun Monaten aufgefordert, Christiania zu verlassen.

Dunst nahm im Jahr 2004 an „Christiania Distrotion“, einer Veranstaltung zur Unterstützung Christianias, teil. Da sie das Schwulenhaus nicht benutzen konnten, fand die Veranstaltung in einem Bus statt, der um Christiania herum fuhr.[14][15]

Räumung und Aufstand

Am 29. Oktober 2008 fand eine Räumung des zweiten Stockes des Hauses names Vadestedet statt, und führte zu einem eintägigen Aufstand, bei dem unter anderem für 25 Minuten eine Brücke blockiert wurde.[16] Am nächsten Tag arbeiteten Christianiten daran, den zweiten Stock zu renovieren.

Granatenattacke

Am 24. April 2009 wurde einem 22-jährigen Mann von einer Granate, die in die Menschenmenge beim Cafe Nemoland geworfen wurde, der Kiefer abgerissen.[17] Vier oder fünf[18] weitere Personen hatten kleinere Verletzungen am Rücken und an den Beinen. Der Täter wurde nie gefunden.

Politik

Die Bewohner betrachten sich selbst als in einer Freistadt lebend, die sich unabhängig von den staatlichen Behörden verwaltet. Basisdemokratisch und auf Konsens hin ausgerichtet, setzt man auf Selbstregulierung. Eine Polizei gibt es nicht, verschiedene Formen von Versammlungen intervenieren im Bedarfsfall und können als Strafe den Ausschluss aus der Gemeinschaft beschließen.

Das Plenum (Fællesmøde)

Das Plenum (Fællesmøde) behandelt die Angelegenheiten, welche die gesamte Gemeinschaft betreffen, wie z. B. den Beschluss des jährlichen Haushaltsplanes, Zusammenarbeit und Verhandlungen mit dem dänischen Staat oder Konflikte mit der Kopenhagener Polizei. In diesem Falle kann man das Plenum mit der Regierung im Folketinget vergleichen, als gesetzgebende Macht.

Die Gebietssitzung (Områdemøde)

Die Gebietssitzung (Områdemøde) wird in der Regel einmal im Monat einberufen. Hier werden die lokalen Probleme der 15 Gebiete besprochen.

Eine weitere Bedeutung der Punkte ist der Wahlspruch der Freistadt: „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ oder wie einige auch sagen: „Frieden, Liebe und Harmonie“.

Verhältnis zu den dänischen Behörden

Bisherige Versuche dänischer Behörden, die Besetzer vom Gelände zu entfernen, schlugen aufgrund der großen Anzahl der Personen (ca. 900) und der Größe des Areals fehl, sodass man sich 1972 darauf verständigte, die Besetzung als „soziales Experiment“ zu betrachten und zu dulden, bis über die Verwendung des Geländes entschieden würde. Im Gegenzug erklärten sich die Bewohner bereit, die Betriebskosten (Strom, Wasser) zu bezahlen. Aus Sicht der dänischen Behörden handelt es sich um eine staatlich geduldete autonome Kommune.

Die derzeitige dänische Mitte-Rechts-Regierung ist der „Freistadt“ politisch nicht wohlgesinnt. Die Regierung des ehemaligen dänischen Ministerpräsidenten Anders Fogh Rasmussen und die seines Nachfolgers Lars Løkke Rasmussen wollen in Christiania die Anwendung der sonst üblichen Bau- und Vergabebestimmungen für Wohnraum durchsetzen. Bisher entscheiden die Anwohner darüber. Im Mai 2007 wurde auf Anordnung der dänischen Behörden der zwangsweise Abriss des Holzhauses „Zigarrenkiste“ vollstreckt. Die Bewohner sahen darin einen unzulässigen Eingriff in ihre Selbstverwaltung und eine politische Provokation, weshalb sie das Gebäude provisorisch neu errichteten.

Am 26. Mai 2009 entschied das zuständige Gericht (Østre Landsret) zugunsten der dänischen Regierung die Räumung Christianias. Die Entscheidung ist in Berufung vor dem obersten Gerichtshof (Højesteret) gegangen.[19][20] Im Februar 2011 bestätigte das oberste Gericht den bereits 2009 in erster Instanz beschlossenen Entzug der Selbstständigkeit Christianias. Das Gebiet soll zu einem Stadtteil Kopenhagens werden.[21]

Am 14. Dezember 2009 kam es am Rande der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen zu Krawallen am Rande der Siedlung Christiania, in deren Verlauf brennende Barrikaden errichtet wurden.[22] Die Polizei ging mit Tränengas und Wasserwerfern gegen die Randalierer vor und nahm auf dem Gelände von Christiania etwa 150–200 Personen, nach anderen Angaben 210 Personen[23] fest.

Am 30. April 2011 stimmten die Bewohner Christianas dem Angebot des Staates Dänemark zu, den Grund und die Gebäude für 150 Millionen dänische Kronen, umgerechnet 20 Millionen Euro, zu kaufen. Die Geburtsstunde des neuen "Freistaats" Christiana wurde mit einem ausgelassenem Volksfest gefeiert.[24] Letztendlich wird es um 76,2 Mllionen Kronen, umgerechnet rund 10,2 Millionen Euro, über einen Fonds gekauft und Bauauflagen der Behörden müssen erfüllt werden.[25]

Sozial- und Gesundheitspolitik

Viele sozialstaatliche Dienste wurden im Laufe der Jahre eingeführt: von der Straßenreinigung über die Post bis hin zu Kindergärten, Schulfreizeitangeboten und einem Bade-/ Gesundheitshaus. Es gibt weder Mietvertrag noch Hauseigentum.

Kultur

Die individualistisch-pittoreske Architektur und die Stadtanlage sind Ausdruck der dort vertretenen alternativen Lebensform. Dennoch schottet man sich nicht gänzlich von der Gesellschaft ab, viele Christianitter arbeiten außerhalb der Siedlung, alle bezahlen ihre Steuern an den dänischen Staat – und zugleich einen Anteil an die eigene Verwaltung. Überhaupt ist das Leben in Christiania heute stärker konsumorientiert, als es den ursprünglichen Idealen der Hippie-Bewegung entsprach. Es gibt eine eigene Währung namens LØN (Lohn), die Münzen haben einen Wert von 50 Dänischen Kronen.

Regeln

Regeln in Christiania

Es gibt mehrere Regeln in Christiania. Die obersten sind:

  • Keine harten Drogen
  • Keine Waffen
  • Keine Gewalt
  • Keine kugelsichere Kleidung
  • Kein Diebesgut

Autos und Motorräder sind in Christiania verboten. Der Konsum sogenannter „weicher Drogen“ – zum Beispiel Marihuana und Haschisch – wurde in Christiania von der dänischen Regierung über dreißig Jahre toleriert und der Handel wenig behindert.

Im Jahre 2002 forderte die Regierung Dänemarks den Cannabisverkauf weniger sichtbar zu gestalten, woraufhin die Verkäufer als satirische Antwort ihre Stände in Camouflage hüllten.[26] Am 4. Januar 2004 rissen die Cannabishändler ihre Verkaufsstände in der Pusher Street ab, einen Tag vor einer geplanten Großaktion der Polizei. Die Verkäufer wussten von dieser Aktion und hatten sich dazu entschlossen, die Stände selbst abzureißen. Die Polizei führte in den folgenden Wochen über 20 Verhaftungen durch, was einen Großteil des organisierten Verkaufsnetzwerkes der Pusher Street eliminiert hatte. Das Dänische Nationalmuseum konnte einen der farbenfrohen Stände vor dem Abriss retten, welcher jetzt Teil einer Ausstellung ist.

Das Fotografieren in der Nähe der Pusherstreet ist verboten. Darauf weisen zahlreiche Verbotsschilder hin. Auf dem Rest des Gebietes ist das Fotografieren erlaubt, solange man die übliche Zurückhaltung beim Fotografieren von Personen einhält.

Rundfunk

  • Marc-Christoph Wagner: Biotop der Ideale. Deutschlandradio, Gesichter Europas, 25. März 2006
  • Constanze Suhr: Christiania. Deutschlandradio, Corso Kultur, 2004

Literatur

  • Constanze Suhr: Irgendwann willst du ein bißchen Privatleben. In: Tagesspiegel, 22. September 1996
  • Constanze Suhr: Wer ist faul im Staate Dänemark? In: Tagesspiegel, 30. September 2006
  • Constanze Suhr: Für eine Hand voll Freiheit. In: TIP Berlin, Nr. 20, 2006
  • Manfred Ertel: Friede in den Hütten. In: Der Spiegel. Nr. 28, 2007 (online).
  • Mark Edwards: Christiania – Versuche, anders zu leben. Rowohlt, Reinbek 1980, ISBN 3-498-01619-9.
  • Klaus Bischoff: Christiania – der autonome Freistaat in Kopenhagen. Der Kampf um eine alternative Gesellschaft. Diplomarbeit, Berlin 1995.
  • Ulrich Sonnenschein: Idealisten, Dealer und Verrückte. Im Zentrum Kopenhagens lebt der Freistaat Christiania nach eigenen Regeln. In: Joachim Meißner, Dorothee Mayer-Kahrweg, Hans Sarkowicz (Hrsg.): Gelebte Utopien. Alternative Lebensentwürfe. Insel Verlag, Frankfurt/Main 2001, ISBN 3-458-17086-3, S. 296–313.

Weblinks

 Commons: Freistadt Christiania – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Geschichte des Bereichs von Christiania, Kulturarvsstyrelsen, 12. März 2007 (Dänisch)
  2. Geschichte des Bereichs von Christiania, Kulturarvsstyrelsen
  3. Skydeskuret på Amager (Die Erschießungshütte von Amager), Information, 29. Mai 2007 (Dänisch)
  4. Beschreibung der Häuser, welches für den Denkmalschutz vorgeschlagen wurden, Kulturarvsstyrelsen, 13. März 2007 (Dänisch)
  5. Christiania, Facsimiles des 'Hovedbladet', Jacob Ludvigsens Website (Dänisch)
  6. Henrik Vesterberg, "Sangene kan de i hvert fald ikke slå ihjel", Politiken, 11. Juli 2007
  7. Christiania, Denmark. In: Flags of the World. Abgerufen am 10. April 2010.
  8. Rick Steves: Europe – Save Christiania. Abgerufen am 10. April 2010.
  9. modkraft.dk, 18. Mai 2007
  10. Den halve sandhed, DR Presse. 
  11. christiania.org (Link nicht mehr abrufbar)
  12. christiania.org (Link nicht mehr abrufbar)
  13. Fra Ugespejlet 11 (Link nicht mehr abrufbar)
  14. Dunst historie
  15. Åbent brev til Christiania
  16. Christiania fires it up. Indymedia (29 October 2008). Abgerufen am 29. Oktober 2008.
  17. Kiefer eines Mannes in einem Granatenangriff abgerissen, CHP Post
  18. Granate auf Cafe geworfen, Politiken
  19. Hippies müssen Christiania verlassen. In: Basler Zeitung. 26. Mai 2009.
  20. Landsretten, Grænser for fristad. In: Politiken. 26. Mai 2009.
  21. Freistaat Christiania verlor Selbstbestimmung vor Gericht endgültig. In: Der Standard, 18. Februar 2011
  22. Militante Umweltschützer setzen Barrikaden in Brand. In: RP-Online. 15. Dezember 2009.
  23. Klimagipfel Kopenhagen – Molotowcocktails und Tränengas. In: Süddeutsche Zeitung Online. 15. Dezember 2009.
  24. Bewohner kaufen ihren Freistaat. In: taz, 1. Mai 2011
  25. Kauf für über zehn Mio. Euro, orf.at, 21. Juni 2011
  26. Christiania Guide christiania.org, Page 10
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