Freispiegelabfluss

Freispiegelabfluss
offenes Gerinne

Strömungen in offenen Gerinnen und stehenden Gewässern sind ein Typus von Strömungen der Strömungslehre, die für viele Bereiche der Hydrologie von Bedeutung sind. Gerinne sind künstlich angelegte Abflussmöglichkeiten für verschiedene Gewässerarten (Oberflächen-, Regen-, Schmutz-, Abwasser oder andere Arten). Dabei wird ein laminares Strömen angestrebt, turbulente Strömungen sollen die Ausnahme sein.

Inhaltsverzeichnis

Offenes Gerinne als Strömungsleiter

Gerinne haben wie Fließgewässer einen Wasserspiegel, hier Pegel (Wasserstandsmessung) genannt. Offene Gerinne stehen immer unter atmosphärischen Druck. Bei geschlossenen Gerinnen kann über dem Flüssigkeitsspiegel ein Überdruck sein. Kenngrössen der Strömung sind etwa Durchflussprofil und Fließgeschwindigkeit.

Gegenteil sind die klassischen hydrodynamischen Verhältnisse der Strömungen in geschlossenen Leitungen (Strömungen in Rohrleitungen, die in Wasserleitungen und Druckstollen angewendet werden). Unterschied ist, dass im klassischen Fall der Leitungsquerschnitt konstant ist. Eine größere Wassermenge (Durchfluss, hydrologisch Abfluss) führt im geschlossenen Leiter zu Druck- und Fließgeschwindigkeitsänderung, im offenen Gewässer aber zusätzlich zum Pegelanstieg, im natürlichen Bett der Fließgewässer zu komplizierten Veränderungen der Querschnittsflächen und damit einhergehend der lokalen Flussrichtung des Wassers. Drittes Gebiet sind die Strömungen im Grundwasser (Sickerströmung).

Anwendungsgebiete

In der Gewässerkunde helfen die für Strömungen in offenen Gerinnen bzw. stehenden Gewässern ausgearbeiteten Modelle und Lösungen beispielsweise, folgende Fragen über das Fließverhalten von Gewässern zu klären:

Arten der Strömungsvorgänge

Strömungen in offenen Gerinnen und stehenden Gewässern sind in der Regel instationär (in einer gewissen Stelle von der Zeit abhängig) und auch in allen drei Raumrichtungen zu betrachten. Derartige Berechnungen sind äußerst aufwändig. In vielen Fällen sind aber Vereinfachungen zulässig. Oft ist auch ein Modellversuch erforderlich.

Zumeist wird bei der Berechnung in Gerinnen auf stationäre, eindimensionale Berechnungsverfahren zurückgegriffen. Dabei wird ein über die Zeit konstanter Abfluss entlang der Gerinneachse betrachtet. Vorausgesetzt wird meist auch – wie in anderen fluidmechanischen Problemstellungen – Reibungsfreiheit und laminare Strömung, also Wirbelfreiheit.

Auf Grund der steigenden Anforderungen an die Berechnungsgenauigkeit und der laufend verbesserten Leistungsfähigkeit der Rechenanlagen werden in jüngerer Vergangenheit jedoch auch instationäre, zwei- und dreidimensionale Berechnungen durchgeführt. Damit ist der zeitliche Ablauf z. B. von Überflutungen auch in komplexen Abflusssituationen (z. B. flache, breite Täler, Dammbrüche) darstellbar. Ebenso trifft dies für die Berechnung von Strömungen in flachen Seen beziehungsweise küstennahen Bereichen der Meere zu.

Eindimensionaler Abfluss in offenen Gerinnen

Strömen und Schießen

Naturbeobachtungen zeigen, dass sich bei langsamer Fließgeschwindigkeit in Oberflächengewässern Störungen (z. B. durch Einbauten) in Fließrichtung nach oben und bei schnellen Fließgeschwindigkeiten nach unten auswirken.

  • unter strömendem oder unterkritischem Abfluss versteht man eine Fließbewegung, bei der sich Störungen in Fließrichtung nach oben auswirken
  • unter schießendem oder überkritischem Abfluss das Gegenteil.

Mathematisch lässt sich dies aus der Bernoullischen Energiegleichung ableiten. Als quadratische Gleichung besitzt diese für die Energiehöhe bei konstantem Abfluss ein Minimum. Bei diesem tritt die kritische Geschwindigkeit auf.

  • Schnellerer Abfluss als die kritische Geschwindigkeit ist Schießen
  • langsamerer Strömen.

Mathematisches Kriterium für den genauen Strömungszustand ist die Froude-Zahl des Gerinnes.

Für die Berechnung von Gerinnen ist dies von großer Bedeutung. Bei strömendem Abfluss hat die Berechnung der Energielinie stromaufwärts zu erfolgen, bei schießendem Abfluss stromabwärts. Am Punkt des Fließwechsels (z. B. an Wehren) können die Anfangsbedingungen für eine Abflussberechnung gewonnen werden.

Der Wechsel vom strömenden zum schießenden Abfluss (z. B. bei Erhöhung des Gefälles entlang des Fließweges oder großen Einengungen) erfolgt gleichsam kontinuierlich, wohingegen der Wechsel vom schießenden zum strömenden Abfluss sprunghaft (siehe Wechselsprung) verbunden mit hoher Energiedissipation erfolgt. Letzteres wird in Tosbecken von Wasserkraftwerken zur gezielten Energieumsetzung ausgenutzt.

Gleichförmiger und ungleichförmiger Abfluss

  • Beim gleichförmigen Abfluss ändert sich die Fließgeschwindigkeit entlang einer Stromlinie nicht.
  • Bei stationärem (zeitlich konstantem) und gleichförmigem Abfluss ist der Wasserspiegel parallel zur Gerinnesohle.
  • Einengungen, Erweiterungen, Schwellen und ähnliches führen zu Abflussverhältnissen, bei denen ungleichförmiger Abfluss vorliegt und der Wasserspiegel nicht mehr parallel zur Gerinnesohle verläuft.

Schwall und Sunk

Bei zeitlichen Änderungen des Abflusses spricht man von instationären Bedingungen. Besonders deutlich tritt dies bei plötzlichen Abflussänderungen z. B. durch das Öffnen und Schließen von Wehren oder bei Katastrophen wie dem Bruch von Staudämmen auf. Unter Schwall versteht man eine plötzliche Abflusserhöhung und unter Sunk die plötzliche Verminderung des Abflusses.

Berechnung des eindimensionalen Abflusses in offenen Gerinnen

Unter stationären Bedingungen erfolgt die Berechnung entweder nach einfachen Formeln für gegebene Abflussquerschnitte oder abschnittsweise von Profil zu Profil.

  • Die Berechnung der mittleren Fließgeschwindigkeit erfolgt bei bekanntem durchflossenem Querschnitt in der Praxis meist nach empirischen Formeln (z. B. Gauckler-Manning-Strickler, Darcy-Weisbach).
  • Der Verlauf der Wasserspiegellagen entlang des Fließweges bei bekanntem Abfluss basiert auf der Bernoullischen Energiegleichung und erfolgt bei strömenden Abfluss gegen die Fließrichtung und bei schießenden Abfluss mit der Fließrichtung, beginnend in einem Anfangsquerschnitt mit schon bekannter Spiegelhöhe.

Die Berechnung gegen die Fließrichtung bei strömendem Abfluss hat zur Folge, dass eine eventuelle Fehleinschätzung der Wasserspiegelhöhe (sowohl zu hoch als auch zu niedrig) im darauf folgenden Abschnitt ausgeglichen wird. Eine zu hoch eingeschätzte Wasserhöhe hat eine kleinere Geschwindigkeit zur Folge; die ein flacheres Energieliniengefälle im nächsten Abschnitt und daraus resultierend eine geringere Wasserhöhe. Somit wird die Toleranzabweichung aus dem ersten Abschnitt ausgeglichen.

Schwall und Sunk sind als instationäre Strömungsvorgänge nur mit komplexeren Formeln zu berechnen.

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