Freisinnige Vereinigung

Freisinnige Vereinigung

Die freisinnige Vereinigung war eine durch die Spaltung der Deutsch-Freisinnigen Partei hervorgegangene liberale Partei. Sie bestand von 1893 bis 1910. War sie anfangs noch eine klassische Honoratiorenpartei, wandelte sie sich nach der Jahrhundertwende allmählich zu einer Mitgliederpartei.

Mitglieder der Reichstagsfraktion um 1889

Inhaltsverzeichnis

Entstehung

Die von Anfang an vorhandenen innerparteilichen Spannungen zwischen einem linksliberalen Flügel und eher gemäßigten Kräften in der Freisinnigen Partei traten am 6. Mai 1893 an die Oberfläche, als Georg von Siemens und sechs weitere Reichstagsabgeordnete im Gegensatz zur Fraktionsmehrheit für eine Heeresvorlage des Reichskanzlers Leo von Caprivi stimmten. Der Parteiführer Eugen Richter forderte daraufhin mit Erfolg den Ausschluss der Abweichler aus der Partei. Dies führte dazu, dass sich auch weitere Politiker des gemäßigten Flügels wie Karl Schrader, Heinrich Rickert oder Ludwig Bamberger von der Partei abwandten und sich zur Freisinnigen Vereinigung zusammenschlossen. Weitere prominente Mitglieder waren Hellmut von Gerlach, Friedrich Naumann, Rudolf Breitscheid, Helene Lange und Theodor Barth. In vieler, auch personeller Hinsicht ähnelte die neue Partei der Liberalen Vereinigung der frühen 1880er Jahre. Der linksliberale Flügel um Eugen Richter fand sich in der Freisinnigen Volkspartei zusammen.

Da es nach der Ablehnung der Heeresvorlage durch die Parlamentsmehrheit zur Auflösung des Reichstages kam, verlief die Entstehungsphase der neuen Partei parallel zum Wahlkampf zur Reichstagswahl von 1893. Die neue Partei betonte dabei vor allem wirtschaftsliberale Ziele. Allerdings hatte die Parteispaltung das Vertrauen der Wähler in die linksliberalen Parteien insgesamt erschüttert, so dass die beiden Parteien zusammengenommen deutlich schwächer war als die Deutsch-Freisinnige Partei bei vorangegangenen Wahlen. Die freisinnige Vereinigung kam nur auf 13 Mandate. Zusammen kamen beide auf 37 Mandate. Im Jahr 1890 waren es noch 66 gewesen.

Organisation und Politik bis 1903

Durch die Reichstagswahl kam es auch erst danach zu einer offiziellen Gründungsversammlung. Dabei machte der Fraktionsvorsitzende deutlich, dass die Vereinigung nicht so sehr eine geschlossene Partei sondern eher ein liberaler Wahlverein sein wollte. Daher gab es auch kein Parteiprogramm; stattdessen behielten die programmatischen Forderungen der Deutsch-Freisinnigen Partei von 1884 ihre Gültigkeit. Zwar gab es einen Mitgliedsbeitrag, eine feste Organisation gab es allerdings kaum, und die Vereinigung hatte keine Statuten. Die örtlichen Organisationen der Deutsch-Freisinnigen Partei hatten sich der Freisinnigen Volkspartei angeschlossen. Auch in der Folge blieb die Zahl der örtlichen Vereine gering. Etwas größer war die Zahl von Wahlkomitees. In vielen Wahlkreisen war die Vereinigung überhaupt nicht vertreten. Im Jahr 1903 gab es etwa 1000 Parteimitglieder. Die regionalen Schwerpunkte der Partei lagen in Norddeutschland und in Ostelbien. In Bremen wurde sie 1893 gar stärkste Partei. Fast zwei Drittel der Mandate wurde in den Gebieten östlich der Elbe gewonnen.

Im Gegensatz zur Freisinnigen Volkspartei unterstützte die freisinnige Vereinigung die Flottenpolitik und die Kolonialpolitik, so dass sie sich inhaltlich der nationalliberalen Partei näherte. Zwar gab es Ansätze zur Vereinigung mit den Nationalliberalen. Dazu kam es allerdings nicht.

Vereinigung mit dem Nationalsozialen Verein

Von großer Bedeutung war der Anschluss des Nationalsozialen Vereins von Friedrich Naumann an die Freisinnige Vereinigung im Jahr 1903. Dies veränderte den Charakter der Vereinigung nachhaltig. Die sozialen Probleme des Industriezeitalters spielten nunmehr eine größere Rolle. Ziel war es, nach Vorbild von Joseph Chamberlain den Gegensatz zwischen Bürgertum und Arbeitern zu überwinden. Neben der Lösung der sozialen Frage als solcher erhoffte man sich damit die Möglichkeit einer weiteren äußeren Machtentfaltung Deutschlands im Zeitalter des Imperialismus. Mit den Ortsgruppen der Nationalsozialen bekam die Vereinigung außerdem einen stärkeren organisatorischen Unterbau. Die örtlichen Vereine entfalteten insbesondere während der Wahlkämpfe eine erhebliche Aktivität und führten in der übrigen Zeit Veranstaltungen zur politischen Bildung ihrer Mitglieder durch. Auch politisch gewannen die örtlichen Organisationen an Gewicht, so gewann der Parteivorstand an Einfluss gegenüber der Reichstagsfraktion, und die Ortsvereine stellten Anträge auf den Parteitagen. Das Ziel, sich zu einer Volks- und Massenpartei zu entwickeln, wurde allerdings nicht erreicht. Im Jahr 1909 zählte die Partei erst etwa 9000 Mitglieder.

Zusammenschluss der Linksliberalen Parteien

Im Jahr 1905 kam es zu einem Treffen von Mitgliedern der beiden freisinnigen Parteien und der Deutschen Volkspartei, um über einen erneuten Zusammenschluss der (links-)liberalen Parteien zu beraten. Dabei kam er zur Ausarbeitung eines Programms auf Basis eines Minimalkonsenses. Zu einer engeren Zusammenarbeit kam es beim Wahlkampf für die Reichstagswahl 1907. Die drei Parteien gehörten danach dem Bülow-Block an und bildeten im Reichstag eine Fraktion. Allerdings hatte diese Politik innerhalb der Freisinnigen Vereinigung zur Abspaltung einiger Kritiker um Theodor Barth, Rudolf Breitscheid und Hellmut von Gerlach geführt. Deren Demokratische Vereinigung blieb ohne Bedeutung und zerfiel bald wieder.

Im Jahr 1910 wurde dann die Fortschrittliche Volkspartei als Zusammenschluss der linksliberalen Parteien gegründet.

Literatur

  • Walter Tormin: Geschichte der deutschen Parteien seit 1848. Stuttgart, 1967. S.111-114.

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