Freireligiös

Freireligiös

Die freireligiöse Bewegung ist eine Glaubensrichtung, die auf formelle Lehren und Bekenntnisse verzichtet. Menschenrechte, Toleranz zwischen den Menschen und Werte des Humanismus werden unterstützt.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Die freireligiöse Bewegung entstand Mitte des 19. Jahrhunderts in der Zeit des politischen Vormärz aus dem Deutschkatholizismus und den ursprünglich protestantischen Lichtfreunden. Unmittelbarer Auslöser war 1844 ein offener Brief des katholischen Priesters Johannes Ronge an den Bischof von Trier gegen die Ausstellung des „Rock Christi“, einer Reliquie, die er als Götzenfest anprangerte. Dieser offene Brief wurde vielfach nachgedruckt und gelesen. In der Folge gründeten kritische Geistliche beider Kirchen neue, freie Gemeinden, wohl im Geiste der bürgerlichen Emanzipationsbewegung in der Zeit der Märzrevolution.

Am 17. Juni 1859 schlossen sich die 40.000 Gläubigen der 53 - und damit der meisten - freien Gemeinden zum Bund Freireligiöser Gemeinden Deutschlands zusammen. Dieser Bund wurde später in Bund freier religiöser Gemeinden Deutschlands umbenannt.

Daneben entstanden weitere Zusammenschlüsse freier Gemeinden, so auch der bereits 1845 gegründete Verband der deutschkatholischen und freireligiösen Gemeinden Süddeutschlands, der mehr als andere auch für traditionelle Christen offen blieb. Neben einem Flügel, der eher eine freie Religion propagierte, entstanden in Berlin, Breslau, Chemnitz, Leipzig, Nürnberg, Stettin auch freireligiöse Gemeinden, die stärker freidenkerisch orientiert waren. Die naturalistisch orientierte Breslauer Gemeinde des Predigers Gustav Tschirn war in besonderem Maße am Materialismus und der Religionskritik Ludwig Feuerbachs orientiert. Aus dieser Richtung entstand später die organisierte Freidenkerbewegung, vor allem durch die Gründung des Deutschen Freidenker-Verbandes am 10. April 1881 in Frankfurt am Main. [1][2]

Die freireligiöse Bewegung wurde von der Philosophie der Aufklärung, aber auch von der Mystik und christlichen liberalen Strömungen beeinflusst. Im wesentlichen speiste sich die freireligiöse Bewegung aus drei Quellen:

  • reformatorische Kreise der katholischen Kirche („Deutschkatholiken“)
  • rationalistische Kreise der protestantischen Kirche („Lichtfreunde“)
  • die demokratisch-politische Bewegung der Revolution von 1848/49

Aus diesem Spektrum entwickelten sich Positionen, die eine große Bandbreite religiöser, weltanschaulicher und philosophischer Ansichten abdeckt. Der Religionsbegriff reicht von urchristlichen über pantheistische bis hin zu nahezu atheistischen Positionen.

In der Zeit des Nationalsozialismus wurden viele freireligiöse Gemeinden ab 1934 verboten oder lösten sich auf. Zudem wurde vielfach freireligiöser Religionsunterreicht oder die Durchführung von Jugendweihen verboten. Einige Mitglieder wurden verhaftet. Der Volksbund für Geistesfreiheit, der Mitgliedsgemeinden mit damals 60.000 bis 90.000 Mitglieder hatte, versuchte durch Umbenennung einem Verbot zu entgehen. Im Mai 1934 nannte er sich in Deutscher Freireligiöser Bund, wenige Tage später in Bund Freireligiöser Gemeinden Deutschlands um.[3] Dieser schloss sich 1933 als förderndes Mitglied der „Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung“ (ADG) an, aus der die Deutsche Glaubensbewegung hervorgegangen ist. Der Bund freireligiöser Gemeinden wurde jedoch 1935 aufgelöst, nachdem die meisten Gemeinden verboten worden waren. Die Freie Religionsgemeinschaft Deutschlands, der vor allem südwestdeutsche freireligiöse Gemeinden angehörten, blieb bestehen, musste sich aber an das NS-Regime anpassen.

Heutige Freireligiöse bezeichnen sich oft auch als Humanisten und einige Gemeinden als Freie Humanisten.

Lehre

Durch die Betonung von Werten wie Freiheit, Vernunft und Duldsamkeit bilden die Freireligiösen eine kritische Anfrage an die christlichen Kirchen. Unter dem Motto „Frei sei der Geist und ohne Zwang der Glaube“ verwerfen Freireligiöse jede Art von dogmatischer Bindung und Hierarchie. Dementsprechend gelten die von dem Kirchenhistoriker E.M. Wilbur entwickelten Grundsätze:

  • völlige geistige Freiheit in der Religion statt Bindung an Dogmen und Bekenntnisse
  • uneingeschränkter Gebrauch der Vernunft in der Religion statt Berufung auf äußere Autorität und Überlieferung
  • großzügige Duldsamkeit verschiedener Religionsansichten und Gebräuche statt Beharren auf Einheitlichkeit in Lehre, Brauchtum und Verwaltung.

Lösten sich Freireligiöse von kirchlichen Dogmen und Bekenntnissen, so trennten sie sich aber nicht von der Religion. In ihrem Religionverständnis folgen sie Friedrich Schleiermacher, wenn Religion definiert wird als „etwas, was den Menschen im Innersten bewegt, was ihn zutiefst angeht, was ihm wesentlich ist“ (siehe „Grundgedanken der Freireligiösen Gemeinde Mainz“). Freie Religion wird demnach begriffen als eine innerliche Angelegenheit des Menschen, die - so der Religionsphilosoph Arthur Drews - „nicht an eine bestimmte Lehre oder Offenbarung, an heilige Bücher oder Religionsstifter gebunden ist, sondern sich im Einzelnen selbst ereignet als das Innerlichste, was sich denken läßt.

Als Religion ohne Kirche und ohne bestimmte Gottesvorstellung sehen Freireligiöse die Welt als Einheit, ohne sie in Diesseits und Jenseits zu spalten (Monismus). Sie leugnen den Geltungsanspruch Heiliger Bücher wie auch der vielen, sich als einzigartig verstehenden Religionen. Vielmehr werden die Urkunden der Weltreligionen als Zeugnisse des religiösen Bedürfnisses des Menschen geschätzt. Freireligiöse betonen, dass sie nicht frei von Religion, sondern frei in der Religion seien- also ohne dogmatische Bindungen (siehe auch unter Weblinks: Quellenbuch).

Bekannte Personen der freireligiösen Bewegung

Eduard Baltzer, Walter Arthur Berendsohn, Robert Blum, Lily Braun, Lorenz Diefenbach, Arthur Drews, Eduard Duller,Julius Fröbel, Georg Gottfried Gervinus, Ernst Haeckel, Käthe Kollwitz, Ludwig Marum, Malwida von Meysenbug, Christian Gottfried Daniel Nees von Esenbeck, Bertha Ronge, Johannes Ronge, Emil Adolf Roßmäßler, Carl Scholl, Carl Schurz, Amalie Struve, Gustav von Struve, Leberecht Uhlich, Bruno Wille.

Einzelnachweise

  1. Manfred Botzenhart: Reform, Restauration, Krise, S.133f.
  2. Horst Groschopp: Dissidenten, S. 93 ff.
  3. Ulrich Nanko: Die Deutsche Glaubensbewegung. Marburg 1993, S. 121 ff.

Literatur

  • Franz Bohl: Die freireligiöse Bewegung in Bayern: Werden und Wirken, hrsg. von der Freireligiösen Bewegung in Bayern, 83. S. o. Ort, o. Jahr
  • E.Gensler: Freie Religion für Einsteiger, hrsg. von der Freireligiösen Gemeinde Mainz, 2000
  • L.Geis: Quellensammlung freireligiöser Thesen, hrsg. von der Freireligiösen Gemeinde Mainz, 1989
  • L.Geis: Freireligiöses Quellenbuch 1844-1926, Bd.1, Eine Sammlung grundlegender Texte über Inhalt und Ziele Freier Religion, Selbstverlag Freireligiöse Gemeinde Mainz, 2006
  • Eckhart Pilick (Hrsg.): Lexikon freireligiöser Personen, Rohrbach/Pfalz: Peter Guhl, 1997
  • Uwe Spörl: Gottlose Mystik in der deutschen Literatur um die Jahrhundertwende. Dissertation Erlangen, 1995, Paderborn: Schönigh, 1997 ISBN 3-506-78610-5
  • Friedrich Heyer und Volker Pitzer: Religion ohne Kirche - Die Bewegung der Freireligiösen, Stuttgart: Quell, 1977 ISBN 3-7918-6003-8
  • Karl Becker: Freigeistige Bibliographie, 1974
  • Th. Lasi und H. Manteuffel: Freie Religion - eine Alternative, Mannheim: Freireligiöse Verlagsbuchhandlung
  • Kampe, Ferdinand: Geschichte der religiösen Bewegung der neueren Zeit. 4 Bände. Leipzig 1852-1860.
  • Graf, Friedrich Wilhelm: Die Politisierung des religiösen Bewußtseins. die bürgerlichen Religionsparteien im deutschen Vormärz: Das Beispiel des Deutschkatholizismus. Stuttgart 1978
  • Weiß, Karl: 125 Jahre Kampf um freie Religion. Dargestellt an der geschichtlichen Entwicklung der Freireligiösen Landesgemeinde Baden. Mannheim 1970
  • Die Freireligiöse Bewegung 1859-1959 - Wesen und Auftrag. Mainz o. J. (1959,)
  • Gervinus, Georg Gottfried: Die Mission der Deutsch-Katholiken. 2. Aufl., Mannheim 1982


Weblinks


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