Freie Kameradschaften

Freie Kameradschaften
Aufmarsch Freier Kameradschaften am 17. Oktober 2009 in Leipzig

Als freie Kameradschaften bezeichnen sich rechtsextreme Gruppen, die keine gesetzlich definierte Organisationsform wie eine Partei oder einen eingetragenen Verein haben. Sie sind rechtlich nichtrechtsfähige Vereine und daher hinsichtlich ihrer Struktur und der Mitglieder nur schwer greifbar, da z. B. in einem Zivilprozess alle Mitglieder namentlich genannt und verklagt werden müssten.

Die Gruppen sind autonom, aber stark miteinander vernetzt. Sie sehen sich als Teil des sogenannten „nationalen Widerstandes“ an, einer Art rechter Einheitsfront. In Deutschland gibt es nach Einschätzungen des Bundesamtes für Verfassungsschutz etwa 150 regional und überregional agierende Kameradschaften mit einer Mitgliederzahl von je fünf bis zwanzig Personen.[1] Nach Aussage der Dresdner Staatsanwaltschaft existieren allein in Sachsen circa 40 freie Kameradschaften mit insgesamt 1800 Mitgliedern.[2]

Inhaltsverzeichnis

Konzept und Organisation

Das Konzept der „freien Kameradschaften“ oder auch „autonomen Kameradschaften“ bildete sich in der Mitte der 1990er Jahre heraus, als durch Verbote mehrerer rechtsextremistischer Parteien und Neonazi-Organisationen wie der Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP) eine Basis des rechten Randes weggebrochen war (siehe auch: Liste in Deutschland verbotener rechtsextremistischer Organisationen). Die Kameradschaften sind, anders als Parteien oder Vereine mit festen Mitgliedern, freie Zusammenschlüsse, bei denen Aktivisten in keinem Parteibuch oder Vereinsmitgliederverzeichnis namentlich festgehalten sind und sich eine Rekrutierung neuer Mitglieder aus dem Bekanntenkreis und über Rechtsrock-Konzerte vollzieht. Eine Kameradschaft ist aus diesen Gründen schwerer von staatlicher Seite zu verbieten. Neben dem Verzicht auf eine nach außen sichtbare feste Organisationsstruktur ist für die Kameradschaften eine verstärkte Nutzung neuer Kommunikationstechniken wie der sogenannten Nationalen Infotelefone und des Internet typisch, die ihnen eine beachtliche Flexibilität erlauben. Dabei übernahmen die Kameradschaften ihre Organisationsstruktur im Wesentlichen von der autonomen Szene und der Antifa, wo das Konzept „Organisierung ohne Organisation“ schon länger bestand.

Eine wesentliche Rolle bei der Entstehung und Weiterentwicklung der „freien Kameradschaften“ spielt der Hamburger Neonazi Christian Worch. Sein Freund und Mitstreiter Thomas Wulff (Spitzname: Steiner) entwickelte Mitte 1996 das Konzept der „Freien Nationalisten“, bei dem regionale Kameradschaften zu überregionalen Bündnissen zusammenschlossen werden sollen, und das er selbst in einem Interview für das Neonazi-Blatt „Zentralorgan“, eine Informationsquelle und Verbreitungsmöglichkeit von Propaganda von überregionaler Bedeutung, wie folgt erläuterte:

„Es ist eine Bündnisstruktur, die immer dann zum Tragen kommt, wenn im norddeutschen Raum verschiedenste Aktionsgruppen und Parteien zu nationalen und sozialen Fragen aktiv werden. Der Name soll vor allem deutlich machen, dass unter diesem Aktionsnamen alle anderen nationalen Kräfte ein Bündnis eingehen können, ohne dass sie ihre Selbständigkeit aufgeben müssen.“

In Deutschland bestehen derzeit folgende überregionalen Bündnisse:

Ideologie und Auftreten

Ideologisch berufen sich zumindest einige der „freien Kameradschaften“ auf die Weltanschauung der Nationalsozialisten, teils mit direktem Bezug auf die NS-Zeit und deren militärische und geistige „Führer“. Sie beziehen sich positiv auf die Ideologie des „politischen Soldaten“. Entsprechend erfreuen sich ehemalige, teilweise zum Schutz vor Strafverfolgung abgeänderte NS-Symbole einer großen Beliebtheit bei den Neonazis. Oft werden bei Demonstrationen schwarze Fahnen als Zeichen der „freien Kameradschaften“ getragen.

Verhältnis der Freien Kameradschaften zur NPD

Innerhalb der Kameradschaftsszene umstritten sind Umgang und Abgrenzung zur NPD. Insbesondere in den östlichen Bundesländern sind zahlreiche Neonazi-Kader zugleich Mitglied der NPD oder ihrer Jugendorganisation JN. Die NPD wiederum unternimmt zahlreiche Aktivitäten, um Mitglieder der „freien Kameradschaften“ einzubinden. Mehrere wichtige Kameradschaftsführer wurden in jüngster Zeit Parteimitglied. Der Neonazi Thorsten Heise ist inzwischen sogar in den Bundesvorstand der Partei aufgestiegen und betreut dort ein eigens eingerichtetes „Referat Freie Kameradschaften“. Der Bundesgeschäftsführer Frank Schwerdt war vor seinem Eintritt in die NPD aktiv an der Gründung mehrerer Kameradschaften im Raum Berlin-Brandenburger beteiligt. Udo Voigt, der Bundesvorsitzende der NPD, bot in der sechsten Ausgabe des Szeneblattes „Widerstand“ als Interviewpartner den autonomen Kameradschaften eine Kooperation an. Er meinte hier: Diejenigen, die „daran arbeiten, sich als Systemalternative zu sehen und deren Grundlage ein nationalistisches Weltbild ist und ernsthaft daran arbeiten wollen, fordern wir zur Mitarbeit in der NPD auf“, so Voigt.

Aktionsfelder

Aufmärsche und Kundgebungen

Eines der wesentlichsten Aktionsfelder der „freien Kameradschaften“ sind Demonstrationen und Kundgebungen. Die Inhalte sind dabei nach eigenen Aussagen eher unerheblich, im Wesentlichen geht es um die Präsenz auf der Straße. Anmelder der meisten Demonstrationen mit überregionaler Mobilisierung war und ist der altgediente Neonazikader und Millionenerbe Christian Worch. Regionale Demonstrationen dagegen werden meist von örtlichen Kadern oder NPD-Kräften angemeldet.

Bei Aufmärschen zum „Heldengedenken“ in räumlicher Nähe zum Soldatenfriedhof in Halbe oder dem Rudolf-Heß-Gedenkmarsch sind „freie Kameradschaften“ immer und in großer Anzahl vertreten. So marschierten am 31. Januar 2004 an die 1000 Neonazis in Hamburg auf, um gegen die Wehrmachtsausstellung des Hamburger Institutes für Sozialforschung zu den Verbrechen der Wehrmacht zu demonstrieren.

Anti-Antifa-Arbeit

Einen weiteren Schwerpunkt des Aktionsspektrums stellt die sogenannte Anti-Antifa-Arbeit dar. Diese umfasst das Zusammenstellen von Informationen zur „Feindaufklärung“. Konkret geschieht dies durch das Sammeln und Veröffentlichen von Namen, Adressen und Fotos politischer Gegner, sowohl von Einzelpersonen wie auch von linken oder alternativen Projekten. Von einem Aufruf zur Gewaltanwendung sehen die Autoren dieser „schwarzen Listen“ meist ab, die Intention der Verbreitung von Schrecken und der Vorbereitung von Gewalttaten ist jedoch nicht zweifelhaft. Die Anti-Antifa-Arbeit wurde in ihrer organisierten Form erstmals Mitte der 1980er Jahre aufgenommen. Zahlreiche Kameradschaften und überregionale Verbände gehen auf solche Strukturen zurück, so z. B. der Thüringer Heimatschutz auf die Anti-Antifa-Ostthüringen. Besonders großer Beliebtheit erfreut sich die Anti-Antifa-Arbeit bei Autonomen Nationalisten.

Paramilitärisches Training (Wehrsport)

Kameradschaften führen oft sog. Wehrsportübungen, d. h. paramilitärische Übungen teilweise auch mit scharfen Waffen durch. Diese dienen unter anderem zur Vorbereitung terroristischer Aktivitäten und finden im allgemeinen in abgelegenen Waldgebieten statt. Vorbildhaft für diese Aktivitäten ist die in den 1980er Jahren verbotene Wehrsportgruppe Hoffmann. Häufig wird die Teilnahme an Wehrsportübungen nur ausgewählten Neonazikadern erlaubt, die sich innerhalb ihrer Szene oft als Elite betrachten.

Politische Schulung und Kameradschaftsabende

Eine weitere wichtige Aktionsform der „freien Kameradschaften“ sind politische Schulungen und Kameradschaftsabende. Erstere dienen vor allem der ideologischen Festigung und Indoktrination der Mitglieder und finden oft in rechten „Bildungsstätten“ wie dem „Collegium Humanum“ in Vlotho statt. Hierbei treten oft prominente Neonationalsozialisten wie Christian Worch auf. Kameradschaftsabende finden hingegen eher in den Räumlichkeiten einzelner Kameradschaften oder Mitglieder statt und bestehen im allgemeinen aus politischen Vorträgen, Planungen von Aktionen und musikalischen Darbietungen z. B. von Nazi-Liedermachern wie Frank Rennicke.

Terroristische Aktivitäten

Einige Mitglieder von Kameradschaften machen immer wieder durch Gewalttaten auf sich aufmerksam und geraten zumeist erst dann in den Blickwinkel der Presse. Dabei wird zwar über die Waffen- und Sprengstofffunde berichtet, der konzeptionelle Hintergrund jedoch nicht selten ausgeblendet. Sprengstoffattrappen und drei Rohrbomben mit insgesamt 1,4 kg TNT wurden beispielsweise 1997/98 in Jena bei drei Mitgliedern des Thüringer Heimatschutzes gefunden.[3] Ein vierter „Kamerad“ hatte sich am 28. September 1998 beim Bombenbau in Jena selbst in die Luft gesprengt.[4] Weitere Waffendepots der THS und zugehöriger Kameradschaften in Thüringen wurden in Heilsberg bei Saalfeld und 2004 in Weimar sowie 2003 das Sprengstofflabor eines 19-jährigen Neonazis in Ohrdruf entdeckt.[5] Im Januar 2004 wurden zudem bei einer Abspaltung der Kameradschaft „Elbmarsch“ in Pinneberg (Schleswig-Holstein) namens „Combat 18 Pinneberg“ über ein dutzend Schusswaffen nebst Beweisen für einen regen Waffenhandel unter norddeutschen Neonazis gefunden.

Als besonders gefährlich erwies sich die „Kameradschaft Treptow“ in Berlin, die von einem ehemaligen Funktionär der FAP gegründet wurde. Aus ihren Reihen kam Kay Diesner, der einen der PDS angehörenden Buchhändler mit Schüssen schwer verletzte, kurz darauf einen Polizisten tötete und im Strafvollzug einen weiteren Mord gestand. Ein weiteres Kameradschaftsmitglied war der 17-jährige Patrick D., der zusammen mit einem drei Jahre älteren Komplizen eine Rohrbombe bastelte, deren Opfer ein PDS-Mann in Treptow werden sollte.

Am 9. November 2003, zum 65. Jahrestag der Reichspogromnacht, plante die Kameradschaft Süd unter Führung von Martin Wiese ein Sprengstoffattentat bei der Grundsteinlegung des jüdischen Kulturzentrums am St.-Jakobs-Platz in München, das jedoch vereitelt werden konnte.

Staatliche Reaktionen

Trotz der eindeutig neonazistischen und teilweise rechtsterroristischen Ausrichtung der Gruppen wurden aufgrund der Organisationsstruktur bislang erst wenige Kameradschaften verboten: 1995 betraf es die „Direkte Aktion/Mitteldeutschland“, die „Kameradschaft Oberhavel“ (Brandenburg) am 14. August 1997 und die Kameradschaft „Hamburger Sturm“ am 11. August 2000. Die Mitglieder der beiden Organisationen setzten ihre Tätigkeit danach unter neuem Namen weitgehend ungehindert fort.

Verboten wurden bislang die „Kameradschaft Oberhavel“ am 14. August 1997 durch den Innenminister des Landes Brandenburg und am 11. August 2000 die Kameradschaft „Hamburger Sturm“, die eine Publikation gleichen Namens herausgab. 2001 wurde die Skinhead-Kameradschaft Skinheads Sächsische Schweiz (SSS) durch Sachsens Innenminister Klaus Hardraht (CDU) verboten. Gleichzeitig wurden die „Skinheads Sächsische Schweiz – Aufbauorganisationen“ (SSS-AO) verboten sowie die Kameradschaft „Nationaler Widerstand Pirna“ (NWP).

Am 9. März 2005 wurden durch den Berliner Innensenator Ehrhart Körting die beiden Neonazi-Organisationen „Kameradschaft Tor“ (KS Tor, Berlin-Lichtenberg) inklusive ihrer „Mädelgruppe“ und „Berliner-Alternative-Süd-Ost“ (Baso, Berlin-Treptow/Köpenick) verboten.

Anfang April 2005 hat das Bundesland Brandenburg die Neonazi „Kameradschaft Hauptvolk“ und deren Untergliederung „Sturm 27“ verboten. Das Aktionsbündnis Mittelhessen löste sich Ende 2004 selbst auf, um einem Verbot zuvorzukommen.

Im April 2007 hat der sächsische Innenminister Sturm 34 verboten.

Siehe auch

Literatur

  • Andrea Röpke, Andreas Speit (Hrsg.), Braune Kameradschaften. Die neuen Netzwerke der militanten Neonazis, Ch. Links Verlag, Berlin, 2004, ISBN 3-86153-316-2
  • „Freie Kameradschaften“. Informations-Broschüre der Antifa 3000, Hannover 2002.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Vorabfassung Verfassungsschutzbericht 2005
  2. http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,1185,OID6267786_TYP6_THE_NAV_REF1_BAB,00.html (nicht mehr online verfügbar) (Link nicht mehr abrufbar)
  3. Bombenbastler weiter auf der Flucht, in: TAZ, 4. März 1998, S. 7 / Inland
  4. Bombenbauer in rechter Szene als Einzeltäter, in: Ostthüringer Zeitung vom 10. Mai 2000 / Lokalnachrichten aus Jena und Umgebung
  5. Gefährlicher Verdacht - Ermittler finden bei Razzia explosive Chemikalien, in: Thüringer Allgemeine vom 28. November 2003 Seite Thüringen

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