Frankobelgischer Comic

Frankobelgischer Comic

Der Begriff frankobelgischer Comic ist eine Sammelbezeichnung für jene Comics, die von französischen oder belgischen und luxemburgischen Herausgebern erstveröffentlicht werden. Diese Länder haben eine lange Comic-Tradition und die gezeichneten Bildergeschichten sind dort überwiegend als eigenständige Kunstform anerkannt. Erfolgreiche Comicveröffentlichungen erreichen hohe Auflagen und werden in Frankreich und Belgien zu einem nennenswerten Anteil über den „normalen“ Buchhandel vertrieben.

Besonders in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg war die Comicproduktion des französischen Sprachraumes in Europa quantitativ wie qualitativ dominierend. Viele andere europäische Comics wurden stark durch frankobelgische Comics beeinflusst. Bis in die 1970 Jahre hinein galt die Bezeichnung „frankobelgischer Comic“ praktisch als Synonym für den europäischen Comic.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Anfänge

Anfang des 20. Jahrhunderts erschienen Comics noch nicht in Albenform, sondern wurden als abgeschlossene Gagstrips in verschiedenen Tageszeitungen sowie in Wochen- und Monatszeitschriften veröffentlicht. Eine weitere Wurzel des französischsprachigen Comics waren die in großer Zahl existieren Kinder- und Jugendzeitschriften der katholische Kirche, in der auch gezeichnete Bilderzählungen erschienen. Den ersten „richtigen“ französischen Comic schuf 1925 Alain Saint-Organ mit Zig und Puce, einem kindlichen „Laurel und Hardy-Gespann“, der in der Zeitung Le Dimanche Illustré erschien. Im Unterschied zu allen früheren europäischen Serien bestand diese Reihe nicht aus abgeschlossen Gags, sondern aus von Woche zu Woche fortgesetzten Abenteuern. Ab dem 10. Januar 1929 erschien in der Zeitschrift Le Petit Vingtième mit dem Abenteuer Tintin au pays des Soviets der früheste „richtige“ belgische Comic. Die Abenteuer eines jungen Reporters in Kniebundhosen in der Sowjetunion stammten aus der Feder von Georges Remi, der sich das Pseudonym Hergé zugelegt hatte.

1930–1945

Im Jahr 1934 gründete der Ungar Paul Winkler das Journal de Mickey nachdem er einen Lizenzvertrag mit dem amerikanischen King Features Syndicate geschlossen hatte. Die 8-seitige Wochenzeitung wurde faktisch das erste belgische Comicmagazin. Das Projekt wurde auf Anhieb ein Erfolg und bald fingen auch andere Verleger an, Zeitschriften mit amerikanischen Reihen zu veröffentlichen. Als Folge entstand eine Vielzahl von ähnlichen Zeitschriften, die zunächst fast ausschließlich übersetztes Importmaterial aus Amerika enthielten. Die wichtigsten derartigen französischen Magazine waren Robinson, Hurra und Coeurs Vaillants, belgische Beispiele sind Wrill und Bravo. Im Jahr 1938 wurde in Belgien das Magazin Spirou gegründet. Neben amerikanischen Importserien wurde von Anfang an auch eigenes Material produziert, insbesondere die von Rob-Vel geschaffene Serie um die namensgebende Hauptfigur des Magazins, den Hotelboy Spirou.

Nach der Besetzung Belgiens und Frankreichs durch Deutschland während des zweiten Weltkriegs, wurde es nahezu unmöglich, amerikanische Comics weiter zu importieren. Aus dieser Notsituation heraus bot sich vielen heimischen jungen Künstlern eine Gelegenheit, sich als Comiczeichner zu versuchen. Anfangs vollendeten Autoren wie Jijé für Spirou und Edgar P. Jacobs für Bravo die bereits angelaufenen Episoden von amerikanischen Reihen wie Superman und Flash Gordon. Indem sie die amerikanischen Vorbilder kopierten, erlernten sie die Grundlagen zur Fertigung erfolgreicher Comicerzählungen. Schon bald verschwanden die nachgemachten Versionen der amerikanischen Comics aus den Magazinen und wurde durch eigene Schöpfungen ersetzt. Viele der bekanntesten Künstler des frankobelgischen Comics begannen ihre Laufbahn in dieser Periode, einschließlich André Franquin, Peyo, Willy Vandersteen, Jacques Martin und Albert Uderzo.

1945–1960

Als nach dem Ende des Krieges die amerikanischen Comics wieder zur Verfügung standen, waren die französisch-belgischen Eigenproduktionen von der Leserschaft bereits soweit akzeptiert, dass sich viele Verleger entschieden, die selbst produzierten Serien fortzuführen. Viele Zeitschriften, die zu den früheren Abnehmern des amerikanischen Materials gehört hatten, hatten den Krieg nicht überdauert, so auch Le Petit Vingtième und Le Journal de Mickey, das erst 1952 neu gegründet wurde.

In der Aufbruchstimmung der Nachkriegsjahre entstanden in der zweiten Hälfte der vierziger Jahre eine Vielzahl neuer Magazine, von denen sich viele allerdings nur für wenige Wochen oder Monate halten konnten. Anfang der 1950er Jahre begannen sich die Magazine Spirou und das neue im Jahr 1946 gegründete Tintin-Magazin als die einflussreichsten belgischen Comicmagazine zu etablieren. Hergé wurde mit seinem Zeichenstil der „klaren Linie“ zum Mentor der Comiczeichner des Tintin-Magazins und beeinflusste maßgeblich den Zeichenstil von Künstlern wie Bob de Moor, Jacques Martin, Roger Leloup und Edgar P. Jacobs. Einen stilistischen Gegenpol bildete die „École Marcinelle“ um das Spirou Magazin. Prägend wirkte hier Jije, der zahlreiche junge Zeichner wie Peyo, André Franquin, Morris oder Eddy Paape und Willy Maltaite ausbildete und in ihrer zeichnerischen Entwicklung beeinflusste.

In den folgenden Jahren drängten weitere Magazine auf den Markt. Die bekanntesten waren Vaillant, le journal de Pif und Héroïc-Albums (die anstelle der endlosen Fortsetzungsgeschichten der anderen Magazine in jeder Ausgabe nur abgeschlossenen Erzählungen präsentierten). Die Vielfalt der Magazine und ihr regelmäßiger Bedarf an Nachschub begünstigte die Entwicklung einer breit gefächerten Palette unterschiedlicher Formate und Zeichenstile, die neben ihrer frankobelgischen Herkunft nur einige formale Gemeinsamkeiten haben, wie beispielsweise die weitgehend vereinheitlichte Länge eines Comicabenteuers.

1960 bis heute

In den 1960er Jahren begann sich zunehmend ein erwachseneres Publikum für Comics zu interessieren. Neue Magazine, wie das französische Pilote, passten sich mit anspruchsvolleren Serien wie Asterix, Der rote Korsar, Tanguy und Laverdure, Valerian und Veronique und Leutnant Blueberry einem gewandelten Publikumsinteresse an. Die gesellschaftlichen Änderungen, die durch die 68er-Studentenbewegungen entstanden waren, spiegeln sich in Zeitschriften wie L'Écho des Savanes, Fluide Glacial, Charlie Hebdo oder der Science-Fiction-orientierten Métal Hurlant wider. Gegründet von den Autoren Jean-Pierre Dionnet, Philippe Druillet, Bernard Farkas, Jacques Géron und Moebius entstanden hier Werke, die eine wichtige Entwicklung des Comics darstellen. Baru etwa beschreibt in Der Champion den algerischen Box-Weltmeister Said Boudiaf und seine Verstrickung in den Unabhängigkeitskampf seines Landes sowie in L'autoroute de Soleil die Folgen des erwachenden Rassismus' im Land von Le Pens' Front National.

In Buchform brachten vor allem die Verlage Albin Michel und Éditions du Square in seiner Série bête et méchante („dumm und bösartig“) Zeichner wie Reiser und Wolinski heraus, die aktuelle gesellschaftliche und politische Entwicklungen in Frankreich auf die Feder spießten. In den 1970er Jahren setzte sich dieser Trend zum Erwachsenencomic weiter fort. Zeichner wie Gotlib, Moebius, Druillet und Bilal, stehen für diese neue Entwicklung mit neuen Inhalten von phantasievollen Zukunftsvisionen bis zu erotischen Comics und der gleichzeitigen Weiterentwicklung graphischer Stile. Zur Heimat vieler Vertreter dieser Comicform wurde das avantgardistische Magazin Métal Hurlant (Schwermetall). Zeitweiligen Kultstatus erreichte auch die Serie Les Frustrés (dt.: Die Frustrieren) von Claire Bretecher, die in der Wochenzeitschrift Le nouvel observateur erschien. Im Jahr 1974 fand der erste Comic-Salon in Angoulême statt.

In den achtziger Jahren gingen die Auflagen der traditionellen französischsprachigen Comicmagazine kontinuierlich zurück, vor allem weil sich immer weniger Jugendliche für Comics interessierten. Zugleich verzeichnete der 10. Comic-Salon von Angoulême im Jahr 1983 mit 150.000 Gästen einen neuen Besucherrekord. Im Jahr 1985 bemühte sich sogar der französische Staatspräsident François Mitterrand auf das inzwischen über die Landesgrenzen hinaus bekannte Comic-Festival und machte den Comic in Frankreich damit endgültig salonfähig. Ende der achtziger Jahre wurden sowohl Tintin als auch Pilote eingestellt. Nach Jahrzehnten der Expansion geriet der frankobelgische Comic in eine vorübergehende Krise, ausgelöst durch zu viele Serien, zu viele Alben, zu viel Mittelmaß. Selbst für jahrzehntealte Traditionsserien bedeutete die folgende Besinnung auf mehr Qualität das Aus. Die Weiterentwicklung des frankobelgischen Comics blieb hiervon jedoch weitgehend unberührt. Noch immer erscheinen Comics in Albenformat in hoher Zahl und mit teilweise ebenso hohen Verkaufszahlen. Doch obwohl nach wie vor eine Vielzahl neuer Reihen entsteht, ist der Einfluss des frankobelgischen Comics außerhalb des französischen Sprachraums seit etwa Mitte der 1990er Jahren deutlich zurückgegangen. Auch der kommerzielle Erfolg der neuen Serien ist gemessen an den Klassikern des frankobelgischen Comics bescheiden. Vor allem Comics aus Japan, die Manga, werden zunehmend eine Bedrohung für den Absatz der einheimischen Comics. 2006 betrug der Anteil japanischer Comics an den Gesamtverkaufszahlen in Frankreich bereits rund 60 % (in Deutschland sind es rund 80 %).

Frankobelgische Klassiker

Frankobelgische Comics sind in viele europäischen Sprachen übersetzt worden, einige sind sogar weltweit erfolgreich. Der hohe Bekanntheitsgrad frankobelgischer Comics außerhalb der französisch und niederländisch sprechenden Länder gründet sich jedoch auf eine eher kleine Zahl überdurchschnittlich erfolgreicher und populärer Serien, von denen folgende besonders bekannt sind:

Literatur

Weblinks

 Commons: Frankobelgische Comics – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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