Flaschenschiff

Flaschenschiff

Ein Buddelschiff ist das meistens handgefertigte Modell eines Schiffes, meistens eines Segelschiffes, in einer Glasflasche.

Buddelschiff

Das besondere Merkmal der Buddelschiffe ist, dass sie den Betrachter mit der Größe des Modells im Vergleich zum Flaschenhals verblüffen. Dieser Effekt wird dadurch erzielt, dass die Takelage des Schiffes beim Einführen eingeklappt ist und nachträglich von außen mit feinen Instrumenten in ihre naturgetreue und raumgreifende Position gebracht wird.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Bereits seit ca. 300 Jahren kennt man im Allgäu und im Erzgebirge in Flaschen gesetzte modellhafte Darstellungen, die Geduldsflasche, auch Eingericht genannt. Man mutmaßt, dass ein Erzgebirger zur See gegangen war, dort seinen Kollegen beim Schiffsmodellbau zusah und dieses Motiv in der Geduldsflaschenkunst zu verwenden begann. Nachweisen lässt sich das nicht, denn die ältesten bekannten seemännischen Kunstwerke (Buddelschiffe) sind nicht viel älter als hundert Jahre.

Buddelschiffmuseum in Neuharlingersiel

Unabhängig davon hat sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts eine auch für heutige Maßstäbe hochwertige Buddelschiff-Kultur entwickelt. Die professionellen Modellbauer der Schiffswerften setzten die Miniaturmodelle ihrer Schiffe in ungeahnter Perfektion in die Flasche, „Preisklasse“ Geschenk vom König an den Admiral. Im Holstentor-Museum Lübeck ist so ein Meisterwerk zu sehen.

Die große Zeit des Flaschenschiffbaues indessen waren die Mitte und die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. Einige kostbare Stücke werden heute in fast allen maritimen Museen der Welt aufbewahrt. Diese Zeit war identisch mit der Zeit der Großsegler, deren Reisen in das Kaiserreich China, nach Australien, Chile und zurück führten, um den europäischen Bedarf an Tee, Wolle, Salpeter und anderen Gütern zu decken. Auf jeder dieser langen Seereisen passierten die Segler Schönwetterzonen, in denen die Schiffe größtenteils gute Fahrt machten, relativ ruhig in der See lagen und Segelmanöver selten waren. Was sich da anbot, war die Herstellung nautischer Gegenstände aus Werkstoffen, die zum Greifen nahe waren. Zum Beispiel Holz, allerlei Garne und Tauwerk, auf den Walfangschiffen Zähne vom Wal und Knochen, mit denen sich manches herstellen ließ: dekorative Gebilde, mit denen der Seemann sein Schiff schmücken konnte.

Das beliebteste Hobby war gewiss zu jener Zeit der Buddelschiffbau. Auf fast jedem Schiff wurden sie gebaut, wenngleich es natürlich nicht jedem Seemann gegeben war, feinste Handarbeit zu verrichten. Lange Zeit umgab den Buddelschiffbau so etwas wie ein Geheimnis. So hatte der alte Seemannsschnack, demzufolge es eine Flüssigkeit geben soll, die die Hand so geschmeidig macht, dass sie mühelos durch den engen Hals einer leeren Rum- oder Kömflasche gleiten kann, um dann noch im Flaschenbauch das Wunder des kleinen Modells zu bauen, schon manch gläubigen Zuhörer gefunden.

Bau

Als Flasche wird aus Stilgründen meistens eine klare, glatte Spirituosenflasche üblicher Größe (meistens 0,7 l bis 1,0 l, jedoch auch bis zu 5,0-l-Gastronomie-Größe oder ein „Flachmann“) bzw. eine klare Apothekerflasche entsprechender Größe benutzt. Auch Kunst- bzw. Designerflaschen finden Verwendung. Der Durchmesser der Flaschenhalsöffnung beträgt bei ernsthaften Modellen höchstens ein Viertel bis ein Drittel des Durchmessers einer Flasche mit kreisförmigem bzw. der Seitenlänge oder der Diagonalen einer Flasche mit vierseitigem Querschnitt.

Der Rumpf wird aus Massivholz, die Masten meist aus handelsüblichen Rundholzstäben, die Takelage aus Garn und die Segel meist aus Papier gefertigt. Die Verwendung von Originalmaterialien (evtl. Metall für Rumpf und Spieren, Stoff für die Segel) ist wegen der mangelhaften Verarbeitbarkeit und der aufgrund des Maßstabes wenig authentischen Optik wenig verbreitet.

  • Klassische „Aufzieh“-Technik

Das Buddelschiff wird außerhalb der Flasche fertig gebaut, jedoch mit klappbaren Masten und beweglichen Spieren ausgerüstet.

Die Takelage wird derart an Rumpf und Masten befestigt bzw. an entsprechenden Stellen durch dafür vorgesehene Löcher in Masten, Spieren und Rumpf geführt, dass die Masten nach achtern (hinten) umgelegt werden können. Dabei haben die einzelnen Fäden eine derartige Länge, dass sie später noch aus der Flasche heraus ragen, um an ihnen die Masten durch Zug wieder aufrichten zu können. Zum Kippen besitzen die Masten ein meistens aus Draht hergestelltes Gelenk am Fuß.

Das fertige Schiffsmodell wird mit einer Spezialzange mit dem Heck voraus und mit am Rumpf anliegenden Masten und Spieren durch den Flaschenhals in die Flasche gebracht und dort auf eine vorgefertigte gefärbte Masse, die das Meer darstellen soll (meistens Kitt), gesetzt und fixiert. Nun werden die Masten mit den Fäden wieder aufgerichtet, die Fäden an den Löchern im Schiffsmodell festgeklebt, mit einem Spezialwerkzeug am Schiffsmodell abgetrennt und die Flasche schließlich verschlossen.

Diorama des Untergangs der Titanic als Buddelschiff im Buddelschiffmuseum Neuharlingersiel
  • Zerlegen fertiger Modelle

Das Modell wird außerhalb der Flasche komplett fertig gebaut. Dann wird es in Teile zerschnitten, die durch die Flaschenöffnung passen und im Flascheninneren wieder zusammengeklebt. Mit dieser Technik lassen sich auch Modelle mit erheblich größeren Rümpfen als dem Halsdurchmesser bauen. Die Kunst besteht hier darin das Modell so zu zerschneiden und in der Flasche wieder zusammen zu kleben, dass diese „Zerstörung“ nicht mehr sichtbar ist.

  • PHS

Eine weitere Technik ist „PHS“, was „Perfektes Haar-System“ bedeutet, denn als „Fäden“ für die Takelage werden Haare verwendet. Das Schiff wird zunächst außerhalb der Flasche komplett fertiggestellt. Dann werden die Masten einzeln, aber mitsamt der Takelage und der Segel, vom Rumpf entfernt. Als nächstes wird der Rumpf eingesetzt, dann die Masten einzeln von hinten nach vorne. Diese Technik erlaubt eine wesentlich detailliertere Darstellung des Schiffes, denn es können feinere Materialien verwendet werden.

Diese Technik wurde zwischen 1975 und 1985 vom dänischen Buddelschiff-Meister Paul Hass erfunden, dann in Zusammenarbeit mit Fa. Buddel-Bini Hamburg zur Serienreife weiterentwickelt. Sie stellt heutzutage den ultimativen Qualitätsstandard für kommerziell gefertigte Buddelschiffe dar.

  • Diverse

Weitere Techniken arbeiten unter anderem mit am Fuß mittels eines Kugelgelenks nach allen Richtungen schwenkbaren Masten oder mit Gummifäden als Takelage.

Details

Ein Buddelschiff weist je nach gewähltem Modell und dem Maßstab meistens folgende Details in entsprechend richtigen Proportionen auf:

  • Rumpf: Bug- und Heckform, Farbgebung, evtl. Bullaugen, Wasserlinie
  • Deck: Schanzkleid, Decksprung, Niveauunterschiede, Aufbauten, Rettungs- und andere Beiboote mit Davits, Treppen, Reling
  • Spieren: Untermaste, Stengen, evtl. Mars, Rahen, Bäume, Gaffeln, Bugspriet (Klüverbaum)
  • Takelage: Stage, Wanten, Pardunen, Brassen, Toppnanten
  • Segel: Alle gemäß der dargestellten Szene gesetzten Schrat- und Rahsegel
  • Umgebung: Auf See das Wasser; im Hafen das Wasser und Kaimauern, Häuser, Leuchttürme, Windmühlen und Landschaft
  • Hintergrund: Manche Buddelschiffe haben einen auf die der vorgesehenen Blickrichtung gegenüberliegenden Flascheninnenseite gemalten zweidimensionalen Hintergrund, der meist Himmel oder Land darstellt und Tiefenwirkung simulieren soll.

Modellwahl

Gemäß der Entwicklungsgeschichte der Buddelschiffe werden meistens Segler des 19. und des 20. Jahrhunderts dargestellt, entweder lediglich bestimmte Schiffstypen oder Nachbauten bestimmter, oft bedeutender Schiffe.

  • Die wichtigsten Schiffstypen:

(Gaffel-) Schoner (zwei bis sieben Masten), Brigantine, Brigg, Bark, Vollschiff, letztere beiden auch mit vier bzw. mit fünf Masten.

  • Oft dargestellte Schiffe:

Preußen (einziges Fünfmastvollschiff), Gorch Fock (1) oder (2) (Deutsches Schulschiff), Thomas W. Lawson (einziger Siebenmastschoner)

Varianten

Zur Erhöhung des Schwierigkeitsgrades wurden vereinzelt Abweichungen in der Anordnung des Modells in der Flasche gewählt. So kann das Modell mit dem Bug voran in die Flasche gebracht und in dieser Stellung befestigt werden, was eine Umlenkrolle oder Ähnliches zum Aufrichten der Masten nötig macht, da diese wegen der achterständigen Wanten nach wie vor heckwärts umgelegt und also entgegen der Zugrichtung aufgestellt werden müssen. Ebenfalls kann das Modell um 90° gedreht und am Boden befestigt werden, sodass der Hals später nach oben zeigt. Auch Modelle mit dem Hals nach unten wurden realisiert.

Ferner gibt es Ganzmodelle, die das Schiff nicht mit lediglich über dem Wasserspiegel dargestellten Teilen, sondern einschließlich des Unterwasserrumpfes zeigen, wobei kein Meer dargestellt wird.

Anekdoten

In einen Bericht eines Mitreisenden ist zu lesen: „Mit der Sorgfalt einer jungen Mutter, die ihr Neugeborenes händelt, heben sie die Flasche empor, legen die Fäden im Flaschenhals zurecht, zupfen den einen, lockern den anderen, raffen sie zwischen zweien jener mahagonifarbenen, pockholzharten Teewürsten, die ihnen als Finger dienen, zusammen, beginnen mit ungeahnter Zartheit zu ziehen. Und nun sieht man, wie das chaotische Häufchen aus Holz anfängt sich zu regen... Was tut es, wenn es beim erstenmal mißlingt. Mit wahrhaft eiserner Geduld wird wieder von vorne angefangen, denn wie pflegt der Seemann zu sagen? ‚Dreemol is Bremer Recht‘.... Noch eine Minute der Spannung, und man sieht, wie sich drei oder vier Masten aufrichten, wie die Hölzchen nicht mehr Hölzchen sind, sondern Rahen, ein Dutzend oder fünfzehn an der Zahl oder auch achtzehn, wie es sich für einen großen P-Liner schickt“.

Literatur

  • Peter Hille, Barry Young - Handbuch für den Buddelschiffbau, Werkzeug, Zubehör, Materialien, Delius Klasing, Bielefeld 1995, ISBN 3-7688-0857-2
  • Bielert, A. - Vom Original zum Buddelschiff, Bernhard & Graefe, Koblenz 1990, ISBN 3-7637-5867-4
  • Donald Hubbard - Buddelschiffe, wie macht man sie, Delius Klasing, Bielefeld 1971, ISBN 3-7688-0168-3
  • Hans Pegge - So entsteht ein Buddelschiff, Franckh´sche Verlagshandlung, Stuttgart 1980, ISBN 3-440-04845-4

Weblinks

Siehe auch


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