Finanzsystem

Finanzsystem

Ein Finanzsystem ist ein System, welches Zahlungsströme zwischen Teilnehmern des Systems erlaubt.

Ein Finanzsystem kann auf verschiedenen Ebenen betrachtet werden, aus volkswirtschaftlicher Sicht auf globaler, nationaler und regionaler Ebene sowie aus einzelwirtschaftlicher Sicht in der Regel auf der Ebene eines Unternehmens.

Die wesentlichen Elemente eines Finanzsystems sind typischerweise Personen, Haushalte, Abteilungen, Sparten, Unternehmen, Staaten und supranationale Organisationen, die untereinander Zahlungsströme bewirken. Genauso gehören auf volkswirtschaftlicher Ebene spezialisierte staatliche und private Institutionen des Finanzsektors dazu, auf einzelwirtschaftlicher Ebene die in einem Unternehmen spezialisierten Finanzabteilungen. Beaufsichtigend und regulierend sind zumeist staatliche Institutionen sowie auch unternehmensinterne Abteilungen als Teil des Systems zuständig.

Zum Finanzsektor wiederherum gehören alle Institutionen und Systeme, die finanzielle Leistungen für eine Volkswirtschaft erbringen. Dazu zählen insbesondere Finanzmärkte (Geldmarkt, Kapitalmarkt und Devisenmarkt) und Finanzintermediäre (Banken, Versicherungen usw.) Die wichtigsten Funktionen des Finanzsektors sind die Geldfunktion, die Lenkungsfunktion (Allokationsfunktion), d.h. die Vermittlung und Koordination des finanziellen Mittelflusses zwischen Kreditgebern (Gläubiger) und Kreditnehmern (Schuldner), und die Versicherungsfunktion (Diversifikationsfunktion), d.h. die Reduktion des mit der Überlassung von finanziellen Mitteln verbundenen Risikos. [1]

Bedeutende staatliche Institutionen im Finanzsystem sind die Zentralbanken, supranationale Banken (zum Beispiel die Weltbank, internationale Entwicklungsbanken mit regionalem Tätigkeitsfeld, die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich), der Internationale Währungsfonds und verschiedene Aufsichtsbehörden (zum Beispiel die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht).

Inhaltsverzeichnis

Entstehung von Finanzsystemen

Die Entstehung von Finanzsystemen ist eng mit der Geschichte des Geldes verbunden. Nehmen geldwirtschaftliche Entwicklungen und Beziehungen der Akteure eigenständige Muster und Strukturen an, so kann von einem Finanzsystem gesprochen werden. Diese Strukturen können national beschränkt sein oder global ausgerichtet sein.[2]

Finanzsysteme sind ein wesentliches Instrument zur gesellschaftliche Organisierung der Verteilung von Vermögen, Werten und Reichtum.[3] Die Organisation der Verteilung gesellschaftlichen Reichtums (Freier Markt, Almosensystem, privilegierte und gleichmäßige Verteilung) fällt geschichtlich (Antike, Mittelalter, Neuzeit) und kulturell (Abendland, westliche Industrienationen, Islam) sowie nach der jeweiligen Gesellschaftsordnung (Theokratie, Kastensystem, Ständewirtschaft, Kapitalismus, Sozialismus, Faschismus, Kolonialsystem, Kommunitarismus, Sozialstaat, Wohlfahrtsstaat etc.) und ihren Vorstellungen von einer "gerechten" Verteilung sehr unterschiedlich aus. Größere Unterschiede existieren in der Frage der Zulässigkeit von Zinsen, Handelsformen, der Besteuerung, der Verteilung und Bemessung nach gesellschaftlicher Zugehörigkeit und der Zulassung und Ausgrenzung von Akteuren.

Funktion des Finanzsystems

Lenkungsfunktion (Allokationsfunktion)

Das Finanzsystem koordiniert den Fluss der finanziellen Mittel von den Kreditgebern zu den Kreditnehmern. Kreditgeber sind zum Beispiel private Haushalte, die sich in der Vermögensaufbauphase befinden und nicht ihr gesamtes laufendes Einkommen konsumieren. Mit den Ersparnissen können später größere Anschaffungen vorgenommen oder Vorsorge für das Alter betrieben werden. Kreditnehmer sind zum Beispiel Unternehmen, die Investitionen finanzieren, private Haushalte, die ein Eigenheim oder Konsumwünsche finanzieren, oder Gebietskörperschaften, die ein Budgetdefizit durch Verschuldung ausgleichen müssen. Über den Preis, der für die zeitweise Überlassung finanzieller Mittel zu zahlen ist, werden die Ersparnisse in diejenigen Verwendungen gelenkt, die die größte erwartete reale Rendite versprechen.

Versicherungsfunktion (Diversifikationsfunktion)

Statt die gesamten Ersparnisse in individuelle Projekte zu investieren, können Kreditgeber ihre Ersparnisse in viele verschiedene Verwendungen investieren, so dass sie von den Ideen und der Produktivität anderer profitieren können und von negativen Entwicklungen in einzelnen Branchen oder Regionen nicht so stark getroffen werden. Von der Risikoreduktion profitieren wiederum sowohl Kreditgeber als auch Kreditnehmer. Kreditgeber werden in der Regel als risikoavers angenommen, d.h. sie bevorzugen bei gleicher erwarteter Rendite sichere Anlagen (mit geringerer Streuung der Ergebnisse) gegenüber unsicheren. Risikoaverse Kapitalgeber stellen ihre Ersparnisse für riskante Projekte nur dann zur Verfügung, wenn sie mit einer entsprechenden Risikoprämie für die Übernahme des Risikos belohnt werden. Lässt sich nun durch die Aufteilung der Ersparnisse in viele Verwendungen das durchschnittliche Risiko reduzieren, dann sind auch die Risikoprämien niedriger.

Struktur des Finanzsystems

Ein funktionierendes Finanzsystem ist von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung und das Wachstum einer Volkswirtschaft. Es ist empirisch gut belegt, dass die Verfügbarkeit finanzieller Ressourcen für private Kreditnehmer positive Auswirkungen auf das durchschnittliche reale Pro-Kopf-Einkommen eines Landes hat. Die Verfügbarkeit finanzieller Mittel fördert die Investitionstätigkeit und den technologischen Fortschritt. Neben der bloßen Verfügbarkeit finanzieller Mittel ist allerdings auch die Effizienz des Finanzsystems von Bedeutung.[4]

Umstritten ist allerdings die ideale Organisationsform eines Finanzsystems. Die Finanzsysteme der Industrienationen unterscheiden sich zum Teil erheblich in ihrer Ausgestaltung. Während die USA und das Vereinigten Königreich eine größere Bedeutung des Kapitalmarktes aufweisen (kapitalmarkt-basierte Finanzsysteme), stützen sich Deutschland und Japan zu einem größeren Teil auf Finanzintermediäre (bank-basierte Finanzsysteme). Als Vorteile von bank-basierten Systemen werden die guten Überwachungsmöglichkeiten genannt, welche aus der relativ engen Beziehung zwischen Kreditnehmern und Hausbanken entstehen. Durch diese können Corporate-Governance-Probleme, die auf asymmetrischen Informationen beruhen, effektiver gelöst werden, als bei vielen Gläubigern. Des Weiteren schließt eine Hausbankbeziehung bessere Möglichkeiten mit ein, einen Kreditnehmer über schlechte Zeiten hinweg zu stützen. Dagegen besteht in einem bank-basierten Systems die Gefahr des Machtmissbrauchs der Hausbanken, die nicht der Machtkontrolle unterliegen, zum Beispiel, indem eine Kollusion zwischen Kreditnehmern und Banken zu Ungunsten der Aktionäre und/oder der Allgemeinheit stattfindet.

Internationalisierung des Finanzhandels

Die Gesamtheit der nationalen Finanzsystemene und ihre Interaktion bezeichnet man auch als das globale (internationale) Finanzsystem. Außerdem treten hier Nationen auch als internationale Gläubiger und Schuldner auf.

Ungefähr seit 1980 lässt sich eine zunehmende internationale Integration des Finanzhandels beobachten. Internationaler Finanzhandel findet zum Beispiel statt, wenn ein Privatanleger aus den USA Anleihen deutscher Unternehmen oder wenn eine deutsche Bank russische Staatsanleihen kauft. Die finanzielle Integration kann anhand verschiedener Kriterien gemessen werden. Das Volumen der grenzüberschreitenden Wertpapiertransaktionen (festverzinsliche Wertpapiere und Aktien) zwischen den USA, Deutschland und Japan ist zum Beispiel von durchschnittlich 15 Prozent des jeweiligen BIP in den Jahren 1975-79 auf knapp 600 Prozent in den Jahren 1995-2000 gestiegen. Seit 1990 haben zwar auch die Kapitalströme von Industrieländern in Schwellen- und Entwicklungsländer erheblich zugenommen, aber der überwiegende Anteil der Finanztransaktionen findet nach wie vor zwischen den Industrieländern statt. Deutlich wird die Zunahme der Bedeutung internationaler Finanztransaktionen auch am Verhältnis von weltweiten Devisen- und Exportumsätzen. 1979 hatten die weltweiten Devisenumsätze ein Volumen von 17,5 Billionen Dollar, während die weltweiten Exporte einen Umfang von 1,5 Billionen Dollar hatten. Das entsprach einem Verhältnis von 12:1. Im Jahr 1998 betrug dieses Verhältnis 69:1 (Devisen: 372 Billionen Dollar, Exporte: 5.4 Billionen Dollar). Allerdings ist auch heute der intranationale Handel auf Güter- und Finanzmärkten immer noch wesentlich bedeutender als der internationale Handel.[5]

Unternehmer mit profitablen Projekten können sich im Ausland verschulden, wenn die inländische Ersparnis nicht ausreichend groß ist, um alle profitablen Investitionsprojekte im Inland mit Kapital zu versorgen. Letzteres ist theoretisch für Schwellen- und Entwicklungsländern zu erwarten. Dort ist die Produktivität zusätzlichen Kapitals besonders hoch, weil sich die öffentliche Infrastruktur und der private reale Kapitalstock auf relativ niedrigem Niveau befinden.[6]

Ein Akteur im globalen Finanzsystem ist der Internationale Währungsfonds (IWF). Dem IWF werden folgende Aufgaben zu geschrieben: Förderung der internationalen Zusammenarbeit in der Währungspolitik, Ausweitung des Welthandels, Stabilisierung von Wechselkursen, Kreditvergabe, Überwachung der Geldpolitik, Technische Hilfe.

Kontrolle und Informationszugang

Für die Kontrolle des Finanzsektors ist in der BRD die Finanzdienstleistungsaufsicht zuständig. In der BRD ist das die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Inwieweit das Recht auf Aktenzugang gewährt wird, regelt das Informationsfreiheitsgesetz des Bundes (IFG) und das Kreditwesengesetz.

Literatur

  • Stephen G. Cecchetti: Money, banking, and financial markets. 2nd edition. McGraw-Hill Irwin, Boston 2008, ISBN 978-0-07-128772-2.
  • Joseph P. Daniels and David VanHoose: International monetary & financial economics. 2nd edition, South-Western Thomsom Learning, Mason 2002, ISBN 0-324-06362-8.
  • Peter Howells and Keith Bain: The economics of money, banking and finance. A European text. 4th edition, Financial Times Prentice Hall, Harlow 2008, ISBN 978-0-273-71039-4.
  • Frederic S. Mishkin: The economics of money, banking, and financial markets. 7th edition. Pearson Addison Wesley, Boston 2004, ISBN 0-321-20463-8.

Einzelnachweise

  1. Horst Gischer, Bernhard Herz, Lukas Menkhoff: Geld, Kredit und Banken. Seite 2 ff
  2. vgl. u.a.a. zur sozialen Struktur: Christoph Deutschmann (Hg.): Die gesellschaftliche Macht des Geldes. Wiesbaden, 2002. Vgl. insb. Seite 60: "Erst durch die Möglichkeit, mit Geld nicht mehr nur Güter und Dienste, sondern Arbeitskraft und darüber hinaus Boden sowie die anderen sachlichen Voraussetzungen der Produktion zu kaufen, kann Geld auf Reichtum schlechthin zugreifen und damit im vollen Sinn zu Kapital werden."
  3. vgl. Christoph Deutschmann (Hg.): Die gesellschaftliche Macht des Geldes. Wiesbaden, 2002.
  4. Oliver Holtemöller: Geldtheorie und Geldpolitik. Mohr Siebeck, Tübingen 2008, ISBN 978-3-16-148525-1. Kapitel 4.4.
  5. International Monetary Fund: World economic outlook. Trade and finance. Washington, September 2002, S. 110 ff.
  6. R. Solow (1956): „A contribution to the Theory of Economic Growth“ in: Quarterly Journal of Economics, Vol. 70, S. 65-94; Empirisch lässt sich aber auch das 'Lucas-Paradoxon' beobachten, also die entgegengesetzte Richtung der Kapitalflüsse: R. Lucas (1990): „Why doesn't capital flow from rich to poor countries?“ in: American Economic Review, Vol. 80, S. 92-96

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