Fernwirkung (Physik)

Fernwirkung (Physik)

Fernwirkung bezeichnet ein physikalisches Konzept der klassischen Physik, bei dem sich eine physikalische Wirkung instantan (zum selben Zeitpunkt) über beliebig entfernte Distanzen auswirkt. Dieses Konzept wurde vom 17. Jahrhundert an kontrovers diskutiert, die heutige Form wurde dann zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt.

Eine instantane Ursache-Wirkung-Ausbreitung konnte bisher nicht gemessen werden. Es kann sich nach Einsteins Relativitätstheorie eine Wirkung nur maximal mit Lichtgeschwindigkeit auswirken. Allerdings gibt es in der quantenmechanischen Theorie das Phänomen der Quantenverschränkung, welches eine im weitesten Sinne probabilistisch mögliche Fernwirkung darstellt, allerdings ohne die deterministische Kausalität zu verletzen.

Inhaltsverzeichnis

Newton

Im Rahmen der klassischen Mechanik wurde als „Fernwirkung“ eine gegenseitige Beeinflussung von Körpern bezeichnet, die Kräfte aufeinander ausüben, ohne in direktem mechanischem Kontakt miteinander zu stehen. Je nach historischem Kontext kann außerdem zum Konzept der Fernwirkung gehören, dass die Wirkung nicht nur fern von der Ursache liegt, sondern überdies instantan auftritt, d. h. ohne Zeitverzögerung.

Ein Beispiel ist Isaac Newtons Theorie der Gravitation: Wenn die Sonne durch irgendeine Kraft plötzlich verschoben würde, dann würde die Erde sofort eine andere Gravitation spüren und auf diese Verschiebung mit einer entsprechenden Änderung ihrer Bahn reagieren. Während Newton also einerseits die Gravitation formal als Fernwirkung beschrieb, war er im philosophischen Sinne skeptisch was Fernwirkungen betraf. Er schrieb:

„It is unconceivable that inanimate brute matter should (without the mediation of something else which is not material) operate upon and affect other matter without mutual contact; as it must if gravitation in the sense of Epicurus be essential and inherent in it. And this is one reason why I desired you would not ascribe innate gravity to me. That gravity should be innate inherent and essential to matter so that one body may act upon another at a distance through a vacuum without the mediation of any thing else by and through which their action or force may be conveyed from one to another is to me so great an absurdity that I believe no man who has in philosophical matters any competent faculty of thinking can ever fall into it. Gravity must be caused by an agent acting constantly according to certain laws, but whether this agent be material or immaterial is a question I have left to the consideration of my readers.“

Brief an Richard Bentley von 1692/1693 - in: Herbert Westren Turnbull, The correspondence of Isaac Newton 1961, Vol. III, S. 253-254

„Es ist undenkbar, dass leblose, rohe Materie auf andere […] Materie wirken sollte, ohne direkten Kontakt und ohne die Vermittlung von etwas anderem, das nicht materiell ist. Dass die Gravitation eine angeborene, inhärente und wesentliche (Eigenschaft) der Materie sein soll, so dass ein Körper auf einen anderen über eine Entfernung durch Vakuum hindurch und ohne die Vermittlung von etwas Sonstigem wirken soll, […], ist für mich eine so große Absurdität, dass ich glaube, kein Mensch, der eine in philosophischen Dingen geschulte Denkfähigkeit hat, kann sich dem jemals anschließen. Gravitation muss durch einen Vermittler erzeugt werden, welcher gleichmäßig nach bestimmten Gesetzen wirkt. Aber ob dieser Vermittler materiell oder immateriell ist, habe ich der Überlegung meiner Leser überlassen.“

Trotzdem war es der Erfolg von Newtons Theorien, welche für lange Zeit die Fernwirkung als akzeptiertes Modell vieler Bereiche der Naturwissenschaft etablierte. Dadurch fanden die auf René Descartes folgenden Versuche, eine mechanische Gravitationserklärung mit Hilfe eines Äthers zu erstellen, kaum noch Gehör. Auch der Philosoph Immanuel Kant fasste die Anziehung als Fernwirkung auf. Er schreibt (1786): "Die aller Materie wesentliche Anziehung ist eine unmittelbare Wirkung derselben auf andere durch den leeren Raum."[1]

Elektrizität

Vom Erfolg von Newtons Fernwirkungstheorie beeinflusst, waren im 18. und 19. Jahrhundert auch die Anziehungs- und Abstoßungsgesetze für Körper mit ungleichnamigen bzw. gleichnamigen elektrischen Ladungen als Fernwirkungskräfte aufgefasst worden – bis Michael Faraday 1838 entdeckte, dass die Wechselwirkung zwischen zwei elektrisch geladenen Körpern von der Natur des Zwischenstoffs abhängt. Weiterentwickelt durch die Arbeiten von James Clerk Maxwell über den Elektromagnetismus führte diese bahnbrechende Entdeckung zur Akzeptanz der Nahwirkungstheorie: Jede Ladung wirkt zunächst auf ihre unmittelbare Umgebung und erst durch diese mittelbar auf entfernte Ladungen. Dem elektrischen Feld kommt damit eine reale physikalische Bedeutung zu. Die maxwellsche Hypothese der Verschiebungsströme macht es erforderlich, diese Nahwirkungstheorie auch auf das Vakuum auszudehnen. Der experimentelle Durchbruch erfolgte schließlich 1887 durch den Nachweis von elektromagnetischen Wellen durch Heinrich Hertz.

Gravitation

Hauptartikel: Aberration (Gravitation)

Parallel zu den Entwicklungen zur Elektrodynamik versuchten verschiedene Physiker zwischen 1870 und 1910, auch die Gravitation als Nahwirkung zu beschreiben. Schließlich gelang Albert Einstein mit der Allgemeinen Relativitätstheorie die Formulierung einer solchen Theorie, welche die Lichtgeschwindigkeit als Ausbreitungsgeschwindigkeit beinhaltet. Im hypothetischen Beispiel mit der verschobenen Sonne würde sich also die Gravitationswirkung auf die Erde erst nach ca. 8 Minuten ändern – also nach der Zeit, die das Licht von der Sonne zur Erde benötigt. Wir würden daher insbesondere nichts von der Verschiebung spüren, bevor wir sie nicht auch sehen.

Die Berechnung von Planetenbahnen um die Sonne mit diesem „retardierten Potential“, wie es in der Physik genannt wird, ergibt allerdings keine exakte Ellipse, sondern eine Spirale, die nach vielen Umläufen in der Sonne endet. Der größte Anteil dieses Effekts wird in der Allgemeinen Relativitätstheorie durch den gravitomagnetischen Effekt kompensiert.

Der verbleibende Energieverlust des Planeten wird mit einer Aussendung von Gravitationswellen erklärt. Für Planeten wäre die Abweichung von der Ellipsenbahn zu klein, um beobachtet zu werden. Bei hinreichend massereichen Objekten sollten sie jedoch zu beobachten sein. Ein direkter experimenteller Nachweis von Gravitationswellen fehlt bislang jedoch. Ein indirekter, rechnerischer Nachweis der Gravitationswellen durch Russell Hulse und Joseph Taylor zeigt genau diesen Effekt: Die Pulsare des Doppelpulsars PSR 1913+16 kreisen in einer Spiralbahn umeinander, was zu einer messbar zunehmenden Umlauffrequenz führt.

Siehe auch

Literatur

  • Caspar Isenkrahe: Über die Fernkraft und das durch Paul du Bois-Reymond aufgestellte dritte Ignorabimus. Leipzig 1889.
  • Paul Drude: Ueber Fernewirkungen. In: Beilage zu den Annalen der Physik und Chemie. 62, Nr. 1, Neue Folge, 1897, S. I–XLIX (Referat für die 69. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Braunschweig, 1897; Sektion Physik).; Berichtigung der S. XXXIX: Annalen der Physik und Chemie. 62, Nr. 12, 1897, S. 693.
  • Jonathan Zenneck: Gravitation. In: Encyklopädie der mathematischen Wissenschaften mit Einschluss ihrer Anwendungen. V. 1, Leipzig 1903, S. 25–67.

Einzelnachweise

  1. Immanuel Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, Riga 1786, 2. Hauptstück Dynamik, Lehrsatz 7.

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