Familie Lykow

Familie Lykow

Lykow (russisch Лыков) ist der Nachname einer sechsköpfigen Familie, deren Mitglieder nach einer selbstgewählten, religiös motivierten und über vierzigjährigen Isolation 1978 durch ein Geologenteam per Zufall in der sibirischen Taiga „entdeckt“ wurden.

Inhaltsverzeichnis

Geschichtlicher Hintergrund

Ausgelöst durch die Kirchenreform des Patriarchen Nikon im Jahre 1653 entzündeten sich in Russland Religionsstreitigkeiten, wobei es in den Jahren 1666–1667 zu einer Spaltung innerhalb der russischen Kirche kam. So entstanden die sogenannten Altgläubigen. Innerhalb dieser Bewegung bildete sich die religiöse Gruppierung der „Priesterlosen“, die vom baldigen Eintreffen des Jüngsten Gerichts überzeugt waren. Insbesondere in den radikalen Reformen Peters des Großen erkannten sie das Wirken des Antichristen. Viele dieser „wahren Gläubigen“ wichen in unbewohnte Regionen Russlands aus, um der hohen Steuerlast und anderen Pflichten des als gottlos betrachteten Staates zu entgehen. Im Verlauf der Jahrhunderte wurden Mitglieder dieser Gemeinschaft immer weiter in die unzugänglichsten Urwälder getrieben. Bedingt durch staatliche Nachstellungen zog sich die Familie Lykow in den 1930er Jahren bis zum Oberlauf des Abakan zurück und geriet dort - 250 Kilometer von der nächsten menschlichen Siedlung entfernt - in Vergessenheit. Im Jahre 1978 wurde die Familie durch ein Geologenteam wiederentdeckt. Bekannt wurde das Schicksal der Familie durch Berichte in der Komsomolskaja Prawda.

Die Familie und ihre Lebensumstände

Hausrat der Lykows, ausgestellt im Krasnojarsker Literaturmuseum

Zur Zeit ihrer Entdeckung bestand die Familie aus dem Vater, Karp Ossipowitsch Lykow, den Söhnen Sawwin (45) und Dimitri (36) und den Töchtern Natalja (42) und Agafja (34). Die Mutter, Akulina Karpowna geb. Daibowa, war bereits 1961, vermutlich durch Hunger, gestorben. Der Heimatkundler Nikolai Ustinowitsch Schurawljow beschrieb die Lebensumstände folgendermaßen:

„Feuer machen sie mit dem Wetzstahl, Licht erzeugen sie durch Kienspäne… Sie leben wie in der Zeit vor Peter dem Ersten, vermengt mit ein paar Spritzern Steinzeit. Im Sommer laufen sie barfuß, im Winter tragen sie Schuhwerk aus Birkenrinde. Sie benutzen kein Salz, Brot kennen sie nicht. Die Sprache haben sie bewahrt.“

Wassili Peskow: Die Vergessenen der Taiga

Die Familie lehnte moderne Erzeugnisse ab. Bereits kurz nach ihrer Entdeckung verstarben die drei ältesten Kinder (1981). 1988 starb der Vater im 87. Lebensjahr. Agafja heiratete einen Glaubensbruder aus einer entfernten Siedlung, das Zusammenleben scheiterte jedoch. Nachdem 15 Kilometer flussabwärts der Hütte die Geologensiedlung aufgegeben wurde und infolge der politischen Wende Hubschrauberflüge immer teurer wurden, ließ auch der Kontakt zu Agafja nach.

In den letzten Jahren wurden mehrere Filme und Reportagen über Agafja produziert. Im November 2003 gab sie im russischen Fernsehsender ORT ein Interview. Sie steht außerdem im regelmäßigen Briefkontakt mit dem Gouverneur von Kemerowo, der sie mit Utensilien, wie Werkzeugen, Fischernetzen und Decken sowie Lebensmitteln und Medikamenten unterstützt.

Im Februar 2009 ließ sie über die Zeitung Krasnojarski Rabotschi einen Brief an die Gouverneure der angrenzenden Gebiete weiterleiten, in dem sie sie um einen Helfer im Haushalt bittet.

Literatur

  • Wassili Peskow: Die Vergessenen der Taiga : die unglaubliche Geschichte einer sibirischen Familie jenseits der Zivilisation. Goldmann, München 1996, ISBN 3-442-12637-1.

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