Akkommodationsstörung

Akkommodationsstörung

Akkommodation (accommodare, lat.: „anpassen, anlegen“) ist eine dynamische Anpassung der Brechkraft des Auges.[1] Sie führt dazu, dass ein Objekt, das sich in einer beliebigen Entfernung zwischen dem individuell unterschiedlichen optischen Nah- und Fernpunkt befindet, scharf auf der Netzhautebene abgebildet wird; somit ist eine wesentliche Voraussetzung für deutliches Sehen erfüllt. Der Nahpunkt gibt hierbei die kürzeste und der Fernpunkt die weiteste Distanz zum Auge an, in der dies möglich ist. Die Vorgänge beim Wechsel von Fern- auf Naheinstellung werden als Nahakkommodation bezeichnet, diejenigen bei Änderung von Nah- auf Ferneinstellung als Fernakkommodation. Im engeren Sinne wird unter „Akkommodation“ jedoch häufig nur die Nahanpassung verstanden. Nicht alle ihre Mechanismen und Steuerungsprozesse sind bislang vollständig geklärt. Die Fähigkeit zur Nahakkommodation geht mit zunehmendem Lebensalter allmählich verloren (Presbyopie).

Schematische Darstellung der Fernsicht ohne Akkommodation (links) und Fixation eines nahen Objekts mittels Akkommodation (rechts) bei einem emmetropen Auge.

Inhaltsverzeichnis

Mechanismen

Die Akkommodation ähnelt einem Reflex, ist aber auch willensabhängig. Um die Brechkraft zu variieren, verändern Säugetiere, Vögel und Reptilien bei der Akkommodation die Form der elastischen Linse. Im Strahlenkörper des Auges stellen sich dadurch optisch-geometrische Veränderungen und somit Anpassungen der Gesamtbrechkraft des Auges ein (beim Menschen je nach Lebensalter um bis zu 15 Dioptrien). Bei Fischen und Amphibien wird zur Akkommodation der Abstand zwischen der starren Linse und der Netzhaut durch Muskeln verändert.[2]

Es gibt verschiedene, sich teilweise widersprechende Theorien zum Mechanismus der Brechkraftveränderung. Die heute größtenteils akzeptierte[3] und im Wesentlichen experimentell bestätigte so genannte von Helmholtzsche Theorie basiert auf dem 1855 von Hermann Helmholtz veröffentlichten Artikel „Ueber die Accommodation des Auges[4] in Albrecht von Graefes Archiv für klinische und experimentelle Ophthalmologie. Sie geht bei der Akkommodation von einer Linsenverformung aus. Die Akkommodation wird durch den Ziliarmuskel gesteuert, an dem die Augenlinse durch die Zonulafasern aufgehängt ist. Die elastische Augenlinse wird bei Fernblick durch den Zug der Zonulafasern an der Linsenkapsel in eine Ellipsenform ausgespannt. Der Zug auf die Fasern wird dabei durch den entspannten Ziliarmuskel erzeugt (großer Durchmesser). Bei Nahakkommodation wird der Ziliarmuskel angespannt, der Durchmesser des Muskels verkleinert sich. Dadurch werden die Zonulafasern entlastet und der Strahlenkörper konzentrisch verengt. Die Linse verformt sich dabei durch die elastischen Kräfte der Linsenkapsel in ihre kugelförmigere Ruheform, was eine Zunahme der Brechkraft verursacht. Die Veränderung des Krümmungsradius der Linse nennt man auch äußere Akkommodation. Es sind zudem Mechanismen bekannt, die zu einer Umschichtung der Mikrostrukturen und einer Formänderung der Linsenfasern im Linseninneren führen, und die ebenfalls akkommodationswirksam sind. Diese Vorgänge nennt man innere Akkommodation.

Die Nahakkommodation ist ein aktiver Prozess, der durch Kontraktion der ringförmigen Muskelfasern des Ziliarmuskels ausgelöst wird. In Ermangelung einer antagonistischen Muskelkraft nahm man lange Zeit an, dass die Fernakkommodation demgegenüber ein rein passiver Vorgang sei, ausgelöst durch das Erlahmen eben dieser Muskelkontraktionen und Innervationsimpulse. Neuere Forschungsergebnisse erweitern die Helmholtzsche Theorie dahingehend, dass es zur Nahakkommodation antagonistische Mechanismen gibt, die aktiv eine Ferneinstellung des Auges durch die Kontraktion von meridional gerichteten Muskelfasern des Ziliarmuskels unterstützen, wenngleich die Anteile der passiven Vorgänge (Desakkommodation) deutlich überwiegen.

Eine im Gegensatz zu Helmholtz stehende, kontrovers diskutierte Theorie wurde von dem US-amerikanischen Wissenschaftler Ronald A. Schachar formuliert.[5]

Neuroanatomische Grundlagen

Die Reaktion entsteht zunächst im primären visuellen Kortex (Area 17 nach Brodmann), wobei Fasern zur Area pretectalis (dort zum Nucleus pretectalis) ziehen. Von dort verlaufen die Fasern zum Nucleus accessorius nervi oculomotorii (Edinger-Westphal-Kern), wobei ein Teil der Fasern über die Commissura epithalamica zur Gegenseite verläuft – es kommt dadurch also immer zu einer beidseitigen Reaktion, auch bei Blindheit eines Auges. Über parasympatische Fasern des Nervus oculomotorius wird der Musculus ciliaris (Ziliarmuskel) innerviert. Seine Fasern sind in zwei unterschiedlichen Verlaufsrichtungen angeordnet, die durch den Müllerschen Muskel und den Brückschen Muskel repräsentiert werden. Der Müllersche Muskel wird parasympathisch innerviert und bewirkt die Nahakkommodation, während der sympathisch versorgte Brücksche Muskel zumindest einen geringen aktiven Beitrag zur Ferneinstellung des Auges leistet (Doppelinnervation). Wird der Ziliarmuskel in keiner Weise mehr aktiv innerviert, so spricht man von der Akkommodationsruhelage (auch Sehgleichgewicht), wobei sich der Entspannungstonus irgendwo zwischen Fern- und Nahpunkt befindet. Die hierbei nach wie vor wirkenden Kräfte und Elastizitätselemente von Zonula, Linse und Grundtonus des Ziliarmuskels führen zu einer Myopie, deren Ausmaß zwischen 0,5 und 4,0 dpt beträgt. Eine solche Ruhelage tritt ein, wenn das Gesichtsfeld reizarm oder reizleer ist, zum Beispiel bei Piloten in großer Höhe (Raummyopie) oder beim Sehen in der Nacht (Nachtmyopie).

Die Akkommodationsdauer bei der Umstellung von Ferne auf Nähe beträgt etwa 0,5-1,5 Sek., die von Nah- auf Fernsicht etwa 0,8-1,3 Sek. Sie kann sich bei Ermüdung, Elastizitätsverlust der Linse oder erhöhtem Ziliarmuskeltonus (tonische A., Pupillotonie) verlängern.

Physiologie und Pathophysiologie beim Menschen

Naheinstellungstrias

Bei Betrachtung eines Gegenstandes in der Nähe kommt es zu einer gleichzeitigen Konvergenzbewegung der Augen, sowie zu einer Pupillenverengung (Miosis). Diese beiden Mechanismen gehören zusammen mit der Nahakkommodation zu einem neurophysiologischen Regelkreis, der Naheinstellungstrias genannt wird. Die aufgebrachte Akkommodationsleistung steht in einem direkten Verhältnis zur notwendigen Konvergenzbewegung. Dieses Verhältnis wird im sogenannten AC/A-Quotienten ausgedrückt. Ist dieses Verhältnis gestört, kann es zu einem Schielen kommen.

Akkommodationsbreite

Akkommodationsbreite und minimale Sehweite in Abhängigkeit vom Alter.

Die maximal mögliche Brechkraftänderung wird als Akkommodationsbreite oder auch Akkommodationsamplitude bezeichnet. Bei Kleinkindern beträgt sie im Mittel ca. 14 dpt. Bezogen auf die Gesamtbrechkraft des Auges von etwa 58 dpt entspricht dies einer Variation von rund 25%. Im hohen Alter fällt die Akkommodationsbreite auf Werte unter 0,5 dpt bzw. 1% ab. Dadurch vergrößert sich der geringste Abstand (Akkommodationsnahpunkt), in dem Gegenstände ohne Nahkorrektur noch scharf gesehen werden können, von ca. 7 cm auf mehr als 150 cm. Die Schwankungsbreite in der Bevölkerung beträgt im Kindesalter etwa ± 2,0 dpt, wobei dieser Wert mit zunehmendem Alter auf etwa ± 1 dpt abnimmt. Ursache für die Verringerung der Akkommodationsbreite ist ein fortschreitender altersbedingter Elastizitätsverlust der Linsenkapsel bzw. eine Linsenverdickung durch lebenslanges Wachstum der Linsenschale (Helmholtz-Theorie).

Das Diagramm zeigt die Altersabhängigkeit der durchschnittlichen Akkommodationsbreite. Die altersabhängige minimale Gegenstandsweite („minimale Sehweite“ = Lage des Akkommodationsnahpunktes) für Normalsichtige und Fehlsichtige mit optimaler Fernkorrektur ist in der unteren Grafik dargestellt.

Messung

Prinzipiell ist es immer unerlässlich, vor den Messungen eine eventuell bestehende Ametropie vollständig zu korrigieren. Es gibt verschiedene apparative Verfahren, die Akkommodationsbreite zu messen. Die Geräte, mit denen dies durchgeführt wird, nennt man Akkommodometer. Ansonsten ist es auch möglich, mittels einfacher, kleiner Fixierobjekte den Akkommodationsnahpunkt zu bestimmen. Man führt hierbei diese Objekte so nah an das Auge heran, bis ihre Konturen für den Probanden nicht mehr scharf erkennbar sind. Anhand des Akkommodationsnahpunktes lässt sich dann die Akkommodationsbreite nach der Formel errechnen:

Akkommodationsbreite in dpt = 1/Nahpunkt in m (entspricht: 100/Nahpunkt in cm).

Eine weitere Berechnungsmöglichkeit der minimalen Gegenstandsweite ergibt sich aus nachfolgender Formel.

Mit

  • b: = Bildweite bei entspanntem Auge ohne Brille (in Metern)
  • f: = Bildweite des betrachteten Objekts (in Metern)
  • A: = Akkommodationsaufwand (in Dioptrien = 1/Meter)

gilt idealisiert die Linsengleichung: A + 1/b = 1/f

Bei Ausnutzung der vollen Akkommodationsbreite, also maximalem Akkommodationsaufwand (Amax) ergibt sich die minimale Gegenstandsweite („minimale Sehweite“) ohne Brille (fmin)

(1) Amax + 1/b = 1/fmin

oder

(2) fmin = 1/(Amax + 1/b)

Bei Emmetropie (Normalsichtigkeit) ist definitionsgemäß b unendlich und die minimale Gegenstandsweite der Kehrwert der Akkommodationsbreite. Entsprechend lässt sich für einen Brillenträger fmin berechnen, indem man für 1/b den negativen Brillenwert für die Ferne (in Dioptrien) einsetzt – vorausgesetzt das Auge ist beim Tragen der Brille und Blick in die Ferne entspannt und sieht scharf.

Eine weitere Möglichkeit besteht darin, unter maximalen Visusanforderungen bei Blick in die Ferne Minusgläser vorzuhalten und diese solange zu erhöhen, bis die Sehzeichen nicht mehr scharf erkannt werden können. Der Wert des Minusglases, bei dem die Optotypen gerade noch scharf gesehen werden konnten, stellt die Akkommodationsbreite dar.

Gebrauchsakkommodationsbreite

Während die Akkommodationsbreite den maximalen Wert angibt, um den eine Brechkraftsänderung möglich ist, so macht die Gebrauchsakkommodationsbreite nur etwa zwei Drittel dieses Maximums aus. Sie wird nicht monokular für das jeweils rechte und linke Auge ermittelt, sondern bei binokularer Fixation eines nahen Gegenstandes und geringer Blicksenkung. Dabei wird auch nur der Nahpunkt berücksichtigt, der mühelos und ohne große Anstrengung nach einer Ferneinstellung betrachtet werden kann.

Äusserer Akkommodationserfolg

Bei einem bestehenden axialen Brechungsfehler (A) bilden eine Korrektionslinse (Brillenglas) und eine Fehlerlinse (Auge) zusammen ein sogenanntes Holländisches Fernrohr. Dadurch entsteht bei einer korrigierten Hyperopie eine Vergrößerung (V) des Bildes, bei einer Myopie eine Verkleinerung (V). Mit dem Abstand (e) des Brillenglases vom Auge und einer Zunahme der Fehlsichtigkeit nimmt die Bildgrößenveränderung zu. Dieser Fernrohrefekt nun beeinflusst den äußeren Akkommodationserfolg. Es besteht zwischen äußerem Akkommodationserfolg (AE) und Akkommodationsaufwand (A0) folgende Beziehung:

A0 = V2 * AE.

Die Vergrößerung/Verkleinerung ergibt sich dabei aus der Formel: V = 1 + e * A. Dies bedeutet in der Praxis, dass ein mit Brille korrigierter Hyperoper mehr Akkommodationsaufwand leisten muss, als ein Emmetroper, ein mit Brille korrigierter Myoper weniger. Beispiel:

Hyperopie bzw. axiale Refraktion A = 5,0 dpt
Abstand der Brille zum Auge e = 20 mm = 0,02 m
V = 1 + 0,02 * 5 = 1,1

Wird eine Akkommodation für eine Entfernung von 25 cm gewünscht (äusserer Akkommodationserfolg AE = 4,0 dpt), so beträgt der tatsächliche Akkommodationsaufwand:

A0 = 1,12 * 4 = 1,21 * 4 = 4,84 dpt.

Akkommodationsstörungen

Klassifikation nach ICD-10
H52.4 Presbyobie
ICD-10 online (WHO-Version 2006)
Klassifikation nach ICD-10
H52.5 Akkommodationsstörungen
ICD-10 online (WHO-Version 2006)

Presbyopie

Hauptartikel: Presbyopie

Mit Presbyopie oder Alterssichtigkeit bezeichnet man den fortschreitenden altersbedingten Verlust der Nahanpassungsfähigkeit des Auges.

Akkommodationslähmung

Bei einer Akkommodationslähmung, auch Zykloplegie genannt, liegt ein Funktionsverlust des Musculus ciliaris vor. Dieser kann pathologische Ursachen haben (zum Beispiel bei Schädigung der parasympatischen Nervenfasern des Nervus oculomotorius) oder zu diagnostischen Zwecken (zum Beispiel Refraktometrie) durch entsprechende pharmakologische Wirkstoffe (Zykloplegika) herbeigeführt werden. In letztem Falle sollte darauf geachtet werden, dass die Funktionseinschränkung für die Dauer der medikamentösen Wirkung möglichst vollständig ist. Für Emmetrope und Hyperope ist in diesem Zustand ein scharfes Sehen in der Nähe für eine gewisse Zeitspanne nicht mehr möglich.

Hypoakkommodation

Unter Hypoakkommodation versteht man eine deutlich eingeschränkte Akkommodationsbreite, die nicht neurologisch bedingt ist und in aller Regel einen Konvergenzexzess auslöst. Der Akkommodationserfolg entspricht hierbei nicht dem aufgewendeten Innervationsimpuls. Sie ist äußerst selten und tritt in der Regel im Kindesalter auf. Therapie der Wahl ist die Verordnung einer Bifokalbrille. Die Durchführung einer Schieloperation ist definitiv kontraindiziert.

Akkommodationskrampf

Bei hyperopen Augen ist bereits zum Scharfsehen in der Ferne ein entsprechender Akkommodationsaufwand erforderlich. Der Akkommodationsnahpunkt rückt deshalb um den Anteil an Akkommodationsleistung vom Auge weg, der zur Kompensation der Hyperopie benötigt wird. Bei erheblich unterkorrigierter Hyperopie oder bei einer überkorrigierten Kurzsichtigkeit kann sich nach längerer Zeit ein Akkommodationsspasmus einstellen. Dieser Zustand äußert sich in Kopfschmerzen und Verschwommensehen. In solchen Fällen hilft eine optimal angepasste Brille Übersichtigen, die zwar auch ohne Brille in Ferne und Nähe scharf sehen können, dies aber auf Dauer mit entsprechenden Beschwerden einhergeht. In manchen Fällen kann sich auch eine krampflösende medikamentöse Behandlung anbieten.

Sonstiges

Negative Akkommodation

Die physikalische Optik kennt zudem den Begriff der negativen Akkommodation. Hiermit wird eine Fernakkommodation über den Fernpunkt hinaus beschrieben. Physiologisch gesehen wird jedoch bezweifelt, dass es einen solchen Mechanismus überhaupt gibt.

Pseudoakkommodation

Als Pseudoakkommodation wird die Fähigkeit bezeichnet, sowohl Gegenstände in der Ferne als auch in der Nähe ohne aktive Brechkraftänderung des Auges hinreichend scharf erkennen zu können.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Akkommodation und Presbyopie - aus Der Ophthalmologe, Zeitschrift der DOG (Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft), Springer-Verlag
  2. http://www.bio.vobs.at/physiologie/a-augen.htm
  3. M. Baumeister, T. Kohnen: Akkommodation und Presbyopie: Teil 1: Physiologie der Akkommodation und Entwicklung der Presbyopie
  4. Hermann Helmholtz: Ueber die Accommodation des Auges
  5. Ronald A. Schachar: Presbyopia: Cause and Treatment

Weblinks

Literatur

  • Herbert Kaufmann: Strabismus. Unter Mitarbeit von W. de Decker u. a., Stuttgart: Enke, 1986, ISBN 3-432-95391-7
  • Axenfeld/Pau: Lehrbuch und Atlas der Augenheilkunde. Unter Mitarbeit von R. Sachsenweger u. a., Stuttgart: Gustav Fischer Verlag, 1980, ISBN 3-437-00255-4
  • Karl Mütze: Die Akkommodation des menschlichen Auges. Berlin: Akademie-Verlag 1956. (mit umfangreichem Literaturverzeichnis)
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