Exzentriker

Exzentriker

Ein Exzentriker (lateinisch ex centro, „außerhalb der Mitte“) oder auch Sonderling ist eine Person, die deutlich von der sozialen Norm abweicht. John Stuart Mill betont in seinem Werk „On liberty“ (Über die Freiheit) die Bedeutung von Exzentrikern für die Fortentwicklung jeder Gesellschaft. Die Andersartigkeit von Exzentrikern wurde früher in der europäischen Medizin durch die Lehre von den Körpersäften auf eine Fehlfunktion der Milz, griechisch splen, zurückgeführt, daher das Wort Spleen.

Inhaltsverzeichnis

Definition

Eine allgemein anerkannte Definition für Exzentrik gibt es nicht; Abgrenzungsschwierigkeiten ergeben sich insbesondere auch im Hinblick auf das Maß der Abweichung, ab dem von Exzentrik gesprochen werden kann. Zu berücksichtigen ist einerseits, dass es aufgrund der menschlichen Individualität vollkommene Konformität ohnehin nicht geben kann. Außerdem ist festzustellen, dass die Erwartungen, die verschiedene Gesellschaftsordnungen an die Konformität ihrer Mitglieder stellen, erheblich differieren. Während etwa die konfuzianisch geprägten Milieus Ostasiens vom Individuum im Allgemeinen eine starke Anpassung an tradierte Werte verlangen, bestehen insofern etwa im angloamerikanischen Bereich weitere Freiräume.

Teilweise wird über den bloßen Tatbestand der Abweichung von sozialen Normen auch verlangt, dass diese auf freiwilligem Entschluss beruhen muss. Hiermit soll insbesondere eine Abgrenzung der Exzentriker gegenüber Menschen mit pathogenen Störungen wie Psychosen, Neurosen oder Schizophrenie gewährleistet werden. Auch dürfte sich stets die Frage der Authentizität der Abweichung stellen, da diese bisweilen nur zur Erreichung vielfältiger Zwecke vorgegeben wird, etwa von Scharlatanen oder Simulanten.

Wissenschaftliche Untersuchungen

Der schottische Arzt David Joseph Weeks (* 1944)[1] untersuchte in den 1980er Jahren exzentrische Personen in einem Forschungsprojekt, dessen Ergebnisse er sowohl in einem wissenschaftlichen[2] als auch in einem populärwissenschaftlichen Werk [3] veröffentlichte. Mit Hilfe der britischen und amerikanischen Massenmedien, u. a. BBC, New York Times, Wall Street Journal, suchte er Probanden für seine Untersuchungen, von denen über 1000 in eine nähere Auswahl kamen. Jeder Proband wurde neben einem 90-minütigen Gespräch standardisierten Persönlichkeitstest, einem Intelligenztest, sowie Tests zur Untersuchung psychischer Erkrankungen unterzogen. Als Ergebnis der Untersuchung formulierte Weeks folgende Eigenschaften eines Exzentrikers:

  • unangepasst
  • kreativ
  • stark durch Neugier motiviert
  • idealistisch: mit dem Anspruch, die Welt zu verbessern und die Menschen in ihr glücklicher zu machen
  • betreibt beglückt ein oder mehrere Steckenpferde
  • ist sich von klein auf des Andersseins bewusst
  • intelligent
  • eigensinnig und freimütig; überzeugt, selbst richtig zu liegen und dass der Rest der Welt aus dem Tritt geraten ist
  • ohne Konkurrenzstreben, ohne Verlangen nach Anerkennung oder Bestätigung durch die Gesellschaft
  • ungewöhnliche Essgewohnheiten und Lebensführung
  • nicht sonderlich interessiert an den Ansichten oder der Gesellschaft anderer, ausgenommen zu dem Zweck, diese vom eigenen - richtigen - Standpunkt zu überzeugen
  • ausgestattet mit einem schelmischen Sinn für Humor
  • alleinstehend
  • gewöhnlich das älteste oder einzige Kind
  • fehlerhafte Rechtschreibung[4]

Die ersten fünf Merkmale seien nahezu jedem Exzentriker zu eigen. Herausragendes Merkmal sei der Nonkonformismus. Das Vorkommen von Exzentrikern schätzt Weeks auf etwa 1:10.000. Die Standard-Intelligenztests ergaben bei den Probanden einen durchschnittlichen IQ zwischen 115 und 120.[5] Der gesundheitliche Zustand der Probanden sei weit überdurchschnittlich gewesen. Auch die Lebenszeit von verstorbenen Menschen mit exzentrischer Persönlichkeit sei deutlich erhöht. Viele Probanden sähen jünger aus. Weeks führt das auf einen geringeren sozialen Stress zurück, der das Immunsystem begünstige. Nach seiner eigenen subjektiven Einschätzung wären Exzentriker meist glücklichere und fröhlichere Menschen.[6]

Zur Illustration der populärwissenschaftlichen Ausgabe führt Weeks Personen an, die er als Exzentriker einschätzt: Joshua Abraham Norton, Patch Adams, Robert Coates, Glenn Gould, Erik Satie und Henry Cavendish.

Der irische Arzt für Kinder und Jugendpsychiatrie Michael Fitzgerald sieht in seiner Veröffentlichung Autism and creativity einen engen Zusammenhang zwischen Exzentrik und dem Asperger-Syndrom. Die Verbindung von Autismus, Exzentrik und Kreativität solle in der Gesellschaft nicht unterschätzt werden.[7] Auch der Psychologe Tony Attwood sieht einen Zusammenhang zwischen Exzentrik und Asperger-Syndrom. Besondere Akzeptanz und Bewunderung hätten diese Menschen in der britischen Kultur.[8]

Erscheinungsformen

Exzentrik kann sich auf vielfältige Weise, wie etwa im Erscheinungsbild, in Ansichten, Zielen oder Verhaltensweisen äußern. Zu den bekanntesten Formen gehören:

Exzentrische Wissenschaftler

„Perpetuum Mobile“

Auch in den eher rational geprägten Gefilden der Wissenschaft gab und gibt es Exzentriker. Zu ihnen gehören etwa Personen, die sich über allgemein anerkannte Erkenntnisse und Theorien in einer für die Fachkollegen geradezu lächerlich anmutenden Art und Weise hinwegsetzen. Zu denken wäre etwa an jene Physiker, die nach dem Perpetuum Mobile streben, also einer jener sich durch ihre Eigenbewegung unablässig in Gang haltende Maschine, die es nach den Sätzen der Thermodynamik nicht geben kann.

Auch die Entwicklung wissenschaftlicher Theorien ohne jegliche empirisch-methodologische Grundlage gehört hierher: So wurde etwa wiederholt versucht, entgegen der archäologisch-geologischen Erkenntnislage die Existenz versunkener Kontinente wie etwa Platons Atlantis (Paul Schliemann) oder die Besiedlung der Erde durch Außerirdische in grauer Vorzeit nachzuweisen (Erich von Däniken). Es gibt Historiker, die Teile der mittelalterlichen Geschichte als bloße Fiktion abtun (Heribert Illig), oder Linguisten, die aufgrund zufälliger Koinzidenzen eine Verwandtschaft zwischen mexikanischen Indianerdialekten und dem Aramäischen der Zeit Jesu erkennen wollen (Augustus Le Plongeon). Als exzentrisch dürften auch zahlreiche Arten von Verschwörungstheoretikern einzustufen sein.

Gleichwohl ist gerade im Bereich der Wissenschaft die Abgrenzung zur Genialität mitunter schwierig, würden doch zahlreiche bahnbrechende Forscher, Erfinder und Entdecker, deren zunächst abwegig erscheinende Modelle teils erst von der Geschichte bestätigt wurden (Albert Einstein, Charles Darwin, Heinrich Schliemann u. a.), nach den oben genannten Maßstäben als Exzentriker gelten.

Exzentrische Künstler

Suzanne Valadon: Erik Satie, 1893

Da die für künstlerische Betätigung in aller Regel erforderliche Kreativität und Imagination schon selbst per definitionem ein Abweichen von Normen[9] voraussetzt, befinden sich Künstler schon von vornherein in einer gewissen natürlichen Nähe zur Exzentrik. Insbesondere die Koryphäen ihres jeweiligen Metiers, etwa Picasso, Morrissey, Strawinsky, James Joyce, Michael Jackson, Thelonious Monk oder Bobby Fischer wurden von ihrer Umwelt meist als eigenwillig, radikal und bizarr wahrgenommen bzw. abgelehnt.

Viele transzendierten den allgemein anerkannten Werte- und Verhaltenskodex aber auch jenseits des eigentlichen Schaffensprozesses im täglichen Leben. Genannt sei etwa der französische Komponist Erik Satie, der aktiv an den Ritualen der Rosenkreuzer teilnahm, andererseits aber seinen Tagesablauf absurd-akribisch mit bis auf die Minute festgelegten Uhrzeiten strukturierte („inspiriert werden von 10.23 Uhr bis 11.47 Uhr“) und auch schon mal Werkaufträge mit dem Argument ablehnte, dass das angebotene Honorar zu hoch sei.[10]

Religiöse Exzentriker

Da sich Glaubensinhalte von vornherein der Rationalität weitgehend entziehen und gerade in weltanschaulichen Dingen ein erheblicher Pluralismus herrscht, fällt die Definition anerkannter Normen und demzufolge auch der hiervon divergierenden Exzentrik im Bereich der Religion naturgemäß besonders schwer. Anders als wissenschaftliche Theorien können Offenbarungen nicht als wahr oder falsch klassifiziert werden, sondern genießen zumindest in liberal geprägten Gesellschaften gleichermaßen Toleranz. Problematisch erscheint insbesondere, auf die bloße zahlenmäßige Stärke einer Glaubensgemeinschaft als Kriterium abzustellen.

Als exzentrisch gelten dürfen aber zumindest jene Religionsstifter, die an ihren – wenn auch angeblich offenbarten – Thesen auch nach deren stringenter empirischer oder theoretisch-wissenschaftlicher Widerlegung festhalten. Genannt seien etwa Weltuntergangsprediger, deren prognostizierte Termine mehrfach folgenlos verstrichen sind, wie dies etwa bei der Gruppe um die schottische Mystikerin Elspeth Buchan im 18. Jahrhundert der Fall war. Auch die mit Blick auf neuere geologische Erkenntnisse nicht haltbare Annahme mancher christlicher Gruppen, die Welt sei erst einige tausend Jahre alt (Junge-Erde-Kreationismus), trägt exzentrische Züge. Gleiches gilt für die bis heute nicht einmal ansatzweise belegte Behauptung der Mormonen, Amerika sei in biblischer Zeit von seefahrenden Israeliten besiedelt worden ("Jared und Lehi").

Siehe auch

Literatur

Einzelnachweise

  1. Australische Nationalbibliothek, abgerufen am 14. Dezember 2009
  2. David Joseph Weeks: Eccentrics, the scientific investigation. The Proceeding of the Royal College of Physicians of Edinburgh. 1989
  3. David Weeks und Jamie James:Exzentriker. Über das Vergnügen, anders zu sein. Rowohlt 1989
  4. David Weeks und Jamie James: Exzentriker, S. 34
  5. David Weeks und Jamie James: Exzentriker, S. 44
  6. David Weeks und Jamie James: Exzentriker, S. 269
  7. Michael Fitzgerald:Autism and Creativity S. 7
  8. Tony Attwood: Ein ganzes Leben mit dem Asperger-Syndrom S. 250
  9. David Weeks und Jamie James: Exzentriker, S. 74
  10. David Weeks und Jamie James: Exzentriker, S. 92

Weblinks


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