Expressionismus (Literatur)

Expressionismus (Literatur)

Der Begriff Expressionismus wird aus den beiden lateinischen Wörtern „ex“ und „premere“ zusammengesetzt, die zunächst „ausdrücken“ bedeuten. Wenn man daher vom Expressionismus spricht, meint man eine „Ausdruckskunst“. Es werden also innerlich gesehene Wahrheiten und Erlebnisse dargestellt, nicht die Lichtreize, wie sie auf das Auge fallen.

Als Begriff wurde der Expressionismus 1911 von Kurt Hiller geprägt, der damit die Epoche von etwa 1905 bis etwa 1925 beschreibt, obwohl auch nach dem Zweiten Weltkrieg bedeutende Werke entstanden sind, die inhaltlich dem Expressionismus zuzuordnen sind. Die Epoche ist geprägt vom antibürgerlichen und antinationalistischen Denken vieler Intellektueller in der wilhelminischen Zeit und wendet sich stark subjektiven, existentiellen und gesellschaftsrelevanten Themen zu. Beispiele dafür sind politische Repressionen, die Großstadtproblematik während der sich noch entwickelnden Industrialisierung,[1] gesellschaftliche Machtmechanismen (familiäres und gesellschaftliches Patriarchat, sexuelle Besessenheit).

Texte großer Autoren späterer Zeit wie Heinrich Bölls Die verlorene Ehre der Katharina Blum, Carl Zuckmayers Hauptmann von Köpenick oder Günter GrassDie Blechtrommel lassen noch immer Einwirkungen der expressionistischen Kunst erkennen.

Stilistisch sind expressionistische Schriften vielfältig, deshalb ist der Expressionismus als Epochenbegriff umstritten. Teilweise werden einige Werke von Heinrich Mann, Franz Kafka oder Arnolt Bronnen dem Expressionismus zugerechnet, obwohl gerade Kafka ein Kritiker der Bewegung war.[2] Es bleibt aber als verbindendes Element ein ausgesprochenes „Wir-Gefühl“ in einem meist sozialkritischen Kontext.

Inhaltsverzeichnis

Hintergrund

Expressionistische Autoren lehnen sich auf gegen eine „Enthumanisierung“ durch die Industrialisierung und warnen vor einer Gesellschaft, die keine Rücksicht und Moral besitzt. Sie fühlen sich von der Anonymität der Großstadt und von Maschinen, die durch die sprunghaft wachsende Industrie allgegenwärtig sind sowie durch die diktatorische Autorität der Großunternehmer bedroht und selbst zur Maschine degradiert. Dazu kommen die verstärkte Militarisierung und die turbulente Außenpolitik nach dem Ersten Weltkrieg sowie dem Vertrag von Versailles (1919) mit immensen Forderungen an die Weimarer Republik, den damit verbundenen wirtschaftlichen Problemen und einer politischen Destabilisierung.

Eine Antwort darauf suchen Geisteswissenschaftler wie Henri Bergson (1859–1941), der zu beweisen suchte, nur die Intuition (die innere Anschauung, nicht der „zergliederte“ Verstand) könne das Wesentliche erfassen, oder als Nachfolger Oswald Spengler mit seinem Essay „Der Untergang des Abendlandes“. Friedrich Nietzsche fordert den neuen Menschen (den „Übermenschen“), der dem Neuen ungeachtet der Gefahren entgegengehen solle (Seiltänzer im Werk „Zarathustra“).

Die junge Generation kritisierte die sozialen Missstände. Sie hatte, ähnlich dem Sturm und Drang, den festen Willen zur Erneuerung und kämpfte für geistige und schöpferische Freiheit. Die jungen Expressionisten hingegen versuchten neben diesen Zielen vor allem die Welt vor einem bevorstehenden Chaos zu retten. So entstanden düstere Visionen vom Weltende. Diese Gemütslage lässt sich unschwer im Gedicht „Aufbruch der Jugend“ von Ernst Wilhelm Lotz erkennen.

Der Frühexpressionismus (bis 1914)

Die meisten kritischen Autoren sind Vertreter bürgerlich-gebildeter Schichten. Der Hintergrund dieses scheinbaren Paradoxons ist die erstarrte Bildung, d. h., es wurden Ideale gelehrt, die schon lange nicht mehr mit der Wirklichkeit übereinstimmten. Diese Widersprüche fielen der Jugend auf und verunsicherten ihre persönlichen Wertvorstellungen. So kam es, dass die Karriere verdrängt wurde und sich die neuen Künstler entweder als Verkünder einer neuen Zeit verstanden oder sie sich einfach nur von Konventionen befreien wollten.

Als erste Vertreter des Expressionismus gelten u. a. die Zeitschrift Der Sturm (1910–1932) von Herwarth Walden (darunter Beiträge von Walter Serner), Der Brenner (1910-1954) von Ludwig von Ficker, Die Aktion (1911–1932) von Franz Pfemfert oder Jakob van Hoddis, der im Gedicht Weltende (1911) durch eine Sukzession (Abfolge) von Bildern die Dynamik und Zerrissenheit des Großstadtlebens beschreibt.

Der Expressionismus als experimentell orientierte Strömung kann als Reaktion einer jungen Generation auf die Wirren der Zeit, die Folgen der Industrialisierung und Urbanisierung zu Beginn des 20. Jahrhunderts gelesen werden. Die rasante Entwicklung der Verkehrs- und Kommunikationstechnologien, die zunehmende Verstädterung, das Leben in der Stadt, die von ihr ausgehende Reizüberflutung, deren Kurzlebigkeit und Fluktuation verursachen in der jungen Intelligenz ein Gefühl der Orientierungslosigkeit, der Ohnmacht, Isolation und Entfremdung. Gleichzeitig wird der Trott der Menschen, ihr alltägliches Leben im Rahmen einer konservativ-bürgerlichen Gesellschaft als bedrückend und einengend wahrgenommen. Diese Gefühle werden zum Ausgangspunkt einer neuen künstlerisch-literarischen Bewegung, die radikal mit der Wertorientierung der Väterwelt bricht, um in ihrem literarischen Schaffen das konservative Bürgertum zu provozieren und gegen es aufzubegehren.

Ein zentrales Thema expressionistischer Literatur ist deswegen der Aufbruch, der sich im Verkündigungspathos der Expressionisten widerspiegelt. Das Bewusstsein, sich von politischen, sozialen und ästhetischen Fesseln der Vergangenheit befreien zu müssen, war allen Vertretern dieser literarischen Strömung gemeinsam und äußerte sich in neuartigen Formen und Inhalten.

Auf den mit dem Leben in einer zunehmend urbanisierten und industrialisierten Gesellschaft verbundenen Empfindungen des Verlorenseins, des Ekels vor dem zur Bedeutungslosigkeit verkommenen Trott der Menschen, und der Angst vor der Abhängigkeit von einer fremden übermächtigen Welt, beruht das Verlangen expressionistischer Lyriker, den Untergang dieser inhumanen Welt heraufzubeschwören (siehe Georg Heym: Der Gott der Stadt). Das Bewusstsein, am Ende einer Epoche zu stehen, ist als zentraler Aspekt der neuen Wirklichkeitswahrnehmung einzuordnen, und in einigen Fällen konkretisiert sich dieses allgemeine apokalyptische Bewusstsein in der Vorahnung eines kommenden Krieges (s. Heym: Der Krieg), der als Weg zum Umsturz der Verhältnisse, als Ausweg aus der Öde der Zeit gedeutet und entsprechend herbeigesehnt wurde. Damit ist auch die kollektive Euphorie der Expressionisten zu Beginn des Ersten Weltkriegs zu erklären, man hatte nun die Hoffnung, dass das Ende dieser als krank, öde und banal empfundenen Welt gekommen sei. Angesichts der verheerenden Entwicklung des in einem nie dagewesenen Grade technisierten Krieges wurde die anfängliche Euphorie jedoch bald von Ernüchterung, Grauen und Schrecken abgelöst (s. Trakl: Grodek)

Ein weiteres zentrales Motiv ist das der Großstadt, die als zentraler Wirkungsraum der expressionistischen Literaten gilt. Besonders Berlin rückt in den Fokus des Interesses und kann als Zentrum der expressionistischen Bewegung gedeutet werden. Die massiven, verwirrenden und fluktuierenden Reize der Großstadt, das als eng und bedrückend empfundene Leben in ihr und die Anonymität und Entfremdung als zentraler Aspekt zwischenmenschlicher Beziehungen werden verschieden verarbeitet, die Empfindungen der Angst, Nervosität und Hektik artikulieren sich in Bildern der Verdinglichung (s. Wolfenstein: Städter), mythologischer Projektion des Bedrohlichen (s. Heym: Der Gott der Stadt) oder einer sukzessiven Aneinanderreihung von Eindrücken im parataktischen Sprachmuster (s. Boldt: Auf der Terrasse des Café Josty).

Eng verbunden mit dem Motiv der Großstadt stellt sich der in vielen Gedichten zum Ausdruck kommende Wirklichkeitsverlust der Protagonisten dar. Durch die Vielzahl an Eindrücken, das Tempo der industriellen und urbanen Entwicklung und das dadurch vermittelte Gefühl der Entfremdung kommt es zu einer Dissoziation von Ich und Welt, das Wahrnehmungsganze zerfällt in eine Vielzahl von bedeutungslosen Einzelheiten, die das Lyrische Ich zu einem Ganzen nicht zusammenfügen, sondern nur bruchstückweise wiedergeben kann. Daraus ergeben sich disparate, zusammenhanglose Einzelbilder, parataktische Reihungen von Sätzen, assoziative Strukturen, die zum völligen Verlust des grammatischen Zusammenhalts führen können. Besonders bei August Stramm, dessen Gedichte oftmals wie eine sinn- und zusammenhangslose Aneinanderreihung von jeweils einzeln umgebrochenen Wörtern wirken, wird der sich daraus ergebende Bruch mit den traditionellen Formen der Lyrik der vorangegangenen Jahrhunderte deutlich.

Dieser Bruch ist sicher Ausdruck des gesamten Bewusstseins, man wollte sich schon formal von den traditionellen, vorangegangenen Regeln und Gesetzen distanzieren. So gesehen ist das oftmals zu beobachtende parataktische Sprachmuster auch Ausdruck eines Bewusstseins des Sich-Lösens, des Bruchs mit der Väterwelt. Eine Ausnahme machen hier die Gedichte Heyms, der immer die formale Strenge in seinen Gedichten wahrt und viele als Sonett, der strengsten Form lyrischer Ästhetik, verfasste. Um so heftiger kontrastiert der Inhalt des Gedichts mit seiner äußerlichen Form. Mit seinen apokalyptischen, messianisch wirkenden Texten kann Heym als Prototyp des expressionistischen Dichters gelten.

Den wohl radikalsten Bruch mit den Wert- und Moralvorstellungen der vorherigen Generation hat Gottfried Benn vollzogen. In seinen Morgue-Gedichten (z. B.: Mann und Frau gehen durch die Krebsbaracke) thematisiert er das Kranke, Hässliche und Abstoßende mit einer sprachlichen Präzision, die eine provozierende Wende gegen die bürgerlichen Geschmacksnormen darstellt. Der damit induzierte Schock und die Verfremdung sollen konventionelle Ästhetik- und Moralvorstellungen aufbrechen, genügen aber auch dem Anspruch, die ganze Wirklichkeit darzustellen. Die damit geschaffene „Ästhetik des Hässlichen“ stellt auch die Brücke zur Beschäftigung mit Tod und Zerfall dar. Der Zerfall ist ein weiteres zentrales Motiv, er ist auch die literarische Reaktion auf eine als erstarrt und todkrank eingeschätzte Gesellschaft, die dem expressionistischen Lyriker als zerfallend erscheint. (s. Benn: Morgue-Gedichte, Heym: Ophelia).

Wie in den bisher genannten Motiven das Moment der Gesellschafts- und Zivilisationskritik immer eine Rolle spielt, so stellt auch die Beschäftigung der Expressionisten mit dem Wahnsinn, mit der Figur des Irren eine Wunschfantasie mit gesellschaftskritischer Komponente dar. Der Wahnsinnige wurde so als Kontrastfigur zum verachteten Bürger in seiner Saturiertheit und Normalität interpretiert, im Ausleben seiner Affekte zerschlägt der Irre die Normen und Werte des Bürgertums und nimmt so den Druck von den unter diesen Normen leidenden Menschen. So ist die Darstellung des Wahnsinns sicher Ausdruck einer Wunschphantasie, gleichzeitig ist sie jedoch realer Hinweis auf die leidende und bedrängte Figur des modernen Ichs in einer herzlosen, konservativ-bürgerlichen Welt. (s. Heym: Die Irren; Huelsenbeck: Der Idiot)

Weitere Einflüsse kommen aus Barock, Romantik oder lyrisch z. B. durch Arthur Rimbaud hinzu. Poetische Werke waren durch Allegorie, Bildverdichtung und Typisierung gekennzeichnet.

Die Brücke zum Film schlägt Georg Kaiser mit dem ersten deutschen Großstadtdrama Von Morgens bis Mitternachts (1920, Verfilmung als kinematographischer Expressionismus 1920). Nach der Erzählung (in Prosa) kommen mit Bühne und Film zunehmend Einakter (z. B. von Oskar Kokoschka) und filmisch umgesetzte Dramaturgie im Stil der 20er und 30er Jahre zum Zug.

Der Expressionismus zwischen dem Ersten Weltkrieg und 1925

Der Erste Weltkrieg verändert den Expressionismus. Vor Kriegsausbruch wird der Krieg in der Lyrik häufig als Motiv herangezogen, um die Überwindung des Bestehenden (zum Beispiel in Der Krieg von Georg Heym) und den Aufbruch zu Neuem (zum Beispiel in Der Aufbruch von Ernst Stadler) zu thematisieren. Nach Kriegsausbruch hingegen entstehen in Bezug auf das Kriegsmotiv fast ausschließlich Gedichte, die die Fronterfahrungen der Autoren widerspiegeln. Die Perspektive auf vertraute Umgebungen ändert sich radikal (zum Beispiel in Patrouille von August Stramm) und subjektive Erfahrungen werden nicht nur verarbeitet, sondern auch datiert (zum Beispiel in Grodek von Georg Trakl). Eine große Zahl von Autoren des Expressionismus stirbt im Ersten Weltkrieg.

Erst durch Fronterfahrungen und Elendszeit nach dem Krieg entstanden ein zunehmender Pazifismus und die Verfluchung der technischen Massenvernichtung im Rahmen einer radikalpazifistischen Stoßrichtung. Somit standen nicht mehr (wie im Frühexpressionismus) Fantasien düster-morbider Visionen im Vordergrund, sondern politisch linksradikale Modelle einer (alternativen) neuen Gesellschaft, wobei oft die eigentliche soziale Botschaft hinter vagen, nicht näher bezeichneten Erlösungsutopien in den Hintergrund tritt.

Vertreter aus der Dramatik sind Ernst Toller oder Ernst Barlach mit politisch motivierten Texten (viele davon auch als Bühnenstücke umgesetzt). Unter den Expressionisten herrschte noch immer ein großes Zusammengehörigkeitsgefühl, so dass sich Vereinigungen wie „Der Charon“ bildeten. Diese gaben Zeitschriften wie „Der Sturm“, „Der Brenner“, „Die Aktion“, „Das neue Pathos“ oder die berühmte Zeitschrift „Die Brücke“ heraus. Letztere wurde von Karl Röttger (1877–1942) herausgegeben, um die Ideen der „Charontiker“ bekanntzumachen.

Diese Publikationen versuchten die Programme dieser Bewegung öffentlich zu kommunizieren, darunter der revolutionär-marxistische Aktivismus in den Ziel-Jahrbüchern Kurt Hillers. Der Gedanke der Menschheitserneuerung durch das Dichterwort zeigt die Naivität der Expressionisten nach dem Zusammenbruch der Räterepublik nach dem Krieg. Autoren wie Bertolt Brecht wandten sich deshalb von den eigenen Idealen ab und sahen mit Frank Thiess das „Ende der Republik“ gekommen. Antworten darauf finden sich im Dadaismus und in der Neuen Sachlichkeit (eigentlich die Resignation auf die Ideale des Expressionismus). In den 30er Jahren äußerte Georg Lukács den umstrittenen Vorwurf, der Expressionismus habe eine „Affinität zum Faschismus“. Das Erbe des Expressionismus ist eher im Surrealismus zu suchen und der Beeinflussung jüngerer Autoren wie Friedrich Dürrenmatt.

Weitere Vertreter des Expressionismus und das Ende der Epoche

In den Zeitschriften wurden politische Thesen und sozialistische Forderungen veröffentlicht. Vielfach handelten Texte von Themen wie Frieden, Weltverbrüderung von zahlreichen heute nicht mehr bekannten Autoren und Journalisten.

Nicht wenige Expressionisten fühlten sich zum Sozialismus als einem neuen Ideal hingezogen. Sie verurteilten den aufkommenden Nationalismus, in dem sie eine Bedrohung sahen. Einige, wie Nolde, waren NSDAP-Mitglied und Maximilian Rosenberg empfahl den Expressionismus als „Deutsche Kunst“. Mit der Bücherverbrennung 1933 in Deutschland setzte eine Behinderung und ab 1937 eine Verfolgung expressionistischer Künstler ein. Ob der Nationalsozialismus das Ende der Epoche herbeigeführt bzw. beschleunigt hat, ist spekulativ, da nach 1925 nur noch wenige bedeutende Werke erschienen, die expressionistisch geprägt sind und die gesellschaftlichen Umstände, in denen der Expressionismus eingebettet war, sich grundlegend gewandelt hatten.

Bedeutende Autoren der Epoche

Dramatiker

Lyriker und Romanciers

Vertreter anderer literarischer Richtungen

(Die zunächst unter dem Einfluss des Expressionismus standen, sich dann abwandten oder ihm nicht eindeutig zuzuordnen sind)

Ausprägungen des Expressionismus

Dadaismus

(siehe auch: Dadaismus)

Die Namensgebung: Der Legende nach wurde einmal ein Federmesser in ein deutsch-französisches Lexikon gesteckt, das den Blick auf „dada = kindliche Bezeichnung für Holzpferdchen“ lenkte. Doch selbst die Dadaisten waren sich nicht einig, was „Dada“ bedeutet. Zum 50. Jubiläum des Dadaismus schrieb Hans Arp folgende Verse zur Titelfrage:

„Vor 50 Jahren war dada da,
da dada da war,
eh dada da war,
war dada da
als dada da war.“

So „unvernünftig“, wie dieser Titel also ist, so „ohne Vernunft“ war auch das Denken der Dadaisten. Man war der Meinung, dass die menschliche „Vernunft“ es so weit gebracht hatte, dass sich beispielsweise die Völker in Kriegen vernichteten. Deshalb verlangten die Schriftsteller eine „Rückkehr der menschlichen Naivität“ und einen „Verzicht auf jede Logik“. Ohne Zweifel sind diese Forderungen auch im Schreibstil der Dadaisten erkennbar. Oft wurden Worte oder Sätze ohne logischen und grammatischen Zusammenhang aneinandergereiht oder das Ergebnis eines Werkes war absurd und aussagelos.

Kurt Schwitters Titelgedicht zu „An Anna Blume“ (1919) gipfelte beispielsweise einmalig und völlig unerwartet in der erschütternden Feststellung:

„Man kann dich auch von hinten lesen, und du, du Herrlichste von allen, du bist von hinten wie von vorne: »a-n-n-a«...“

Äußerst interessant sind auch Kurt Schwitters so genannte „visuelle Gedichte“, die nicht durch ihren Inhalt, sondern durch den Einfall und das Arrangement glänzen.

Arbeiterdichtung

(siehe auch: Arbeiterliteratur)

Auch Arbeiter wollten an der Zeit des Frühexpressionismus teilhaben. Sie betonten in ihrer Dichtung ihren Stolz und ihr Selbstbewusstsein und bekannten sich zu ihrer Arbeit.

Sie dachten sozialdemokratisch und ordneten sich in die Gesamtheit des Volkes ein.

Arbeiterdichter waren u. a. Heinrich Lersch, Gerrit Engelke, Karl Bröger, Paul Zech und Max Barthel.

Gattungsspezifika des Expressionismus

Lyrik

Am besten waren die Gedanken der „Epoche des Ausdrucks“ in der Lyrik auszudrücken. In ihr konnten die Probleme besonders klar schon von der Wurzel angesprochen werden. Ausdrucksfülle sollte die unmittelbaren, nicht selten anklagenden Gefühle mitteilen.

Bedeutend für die expressionistischen Dichter war nicht die eigene Situation und persönliche Schwierigkeiten, also nicht die eigene Persönlichkeit, sondern die Beziehungen aller Menschen untereinander. Fortlaufend wurde an Humanität, Menschenliebe (so u. a. in Gottfried Benns „Der Weltfreund“) und Frieden appelliert; Krieg, (Völker-) Hass und Tod waren dagegen, insbesondere für die kriegsteilnehmenden Dichter, „Horrorvision“ und Angriffspunkt (Gedichte wie „Der Krieg“ von Georg Heym, „Grodek“ von Georg Trakl, „Der Aufbruch“ von Ernst Stadler).

Kennzeichen expressionistischer Lyrik sind:

Epik

Die Erzählkunst des Expressionismus ist von eher geringer Bedeutung. Denn die wohlüberlegte Struktur eines epischen Werkes stand der Ausdruckskunst gegensätzlich gegenüber und es fiel schwer, das eigene Fühlen zum Ausdruck zu bringen. So gewannen kleine Formen hierbei an Bedeutung. Autoren wie Klabund (eigentlich Alfred Henschke) und Kasimir Edschmid versuchten sich zwar in der expressionistischen Epik, doch hatten sie nur mit wenigen dieser Werke Erfolg. Bekannt sind lediglich Klabunds „Kreidekreis“, zudem „Moreau“ und sein „Mohammed“, Leonhard Frank schrieb „Die Räuberbande“. Der wichtigste Erzähler der Zeit, Alfred Döblin (1878–1957), erlangte durch den Roman „Berlin Alexanderplatz“ Weltruhm. Gottfried Benn schrieb zahlreiche Essays und blieb mit „Gehirne“ als essayistischer Erzähler dem Expressionismus verhaftet. Heinrich Mann schrieb wichtige Romane wie „Professor Unrat“ (1904) sowie „Der Untertan“ (1915); nicht zuletzt gelang es Franz Kafka in leiseren Erzählungen expressionistische Formen zu gestalten.

Dramatik

Im Drama konnten expressionistische Schriftsteller ihre Ideen der Wandlung wirkungsvoll demonstrieren. Daher übernahm es damals neben der beherrschenden Lyrik eine wichtige Rolle. Die Geburt des neuen, gewandelten Menschen wurde gezeigt und als Beispiel dargestellt (z. B. „Die Wandlung“ von Ernst Toller). Die äußere Form folgte dabei oft einem Stationendrama.

Unterstützt wird das Drama durch Musik, Tanz, Pantomime, Bühnenbild und Lichteffekte. Die Personen werden nicht als individuelle Wesen, sondern typisiert dargestellt („Mann“, „Frau“, „Tochter“, …). Die Charaktere werden oft übersteigert oder grotesk verzerrt, um die Seele aufzudecken; oftmals fehlt die Ausgestaltung der individuellen Wesenszüge. Meist wurde als Hauptfigur ein junger Mensch ins Zentrum gesetzt, der Konflikte mit den Schicksalsgewalten, mit der engstirnigen Gesellschaft oder mit dem eigenen Vater austrug.

Fußnoten

  1. beschrieben z. B. von Hermann Bahr (1914): „Die Maschine hat ihm die Seele weggenommen. […] Alles, was wir erleben, ist nur dieser ungeheure Kampf um den Menschen, Kampf der Seele mit der Maschine. […] Niemals war eine Zeit von solchem Entsetzen geschüttelt, von solchem Todesgrauen. Niemals war die Welt so grabesstumm. […] Da schreit die Not jetzt auf: der Mensch schreit nach seiner Seele, die ganze Zeit wird ein einziger Notschrei. Auch die Kunst schreit mit, in die tiefe Finsternis hinein, sie schreit um Hilfe, sie schreit nach dem Geist: das ist der Expressionismus.“ Hermann Bahr: Expressionismus und Goethe" in: Die neue Rundschau, 25 (1914) #2, 913-926, hier 913. Buchausgabe: Expressionismus, 122-123.
  2. In einem Gespräch mit Gustav Janouch sagte er, in den Gedichten Johannes R. Bechers herrsche „so ein Lärm und Wortgewimmel, daß man von sich selber gar nicht loskommen kann. Die Worte werden nicht zur Brücke sondern zur hohen, unübersteigbaren Mauer. Man stößt sich fortwährend an der Form, so daß man überhaupt nicht zum Inhalt vordringen kann. Die Worte verdichten sich hier nicht zur Sprache. Es ist ein Schreien. Das ist alles.“ Vgl. Janouch, Gustav: Gespräche mit Kafka. Frankfurt a. M., 1981. S. 110, zudem S. 84, 158.

Literatur

  • Thomas Anz: Literatur des Expressionismus. Metzler, Stuttgart 2002, ISBN 3-476-10329-3.
  • Hermann Bahr: Expressionismus. Delphin, München 1916. Neuausgabe: VDG Weimar, 2011, hier als kostenloses [1] E-Book]
  • Ralf Georg Bogner: Einführung in die Literatur des Expressionismus. Wiss. Buchges., [Abt. Verl.], Darmstadt 2005, ISBN 3-534-16901-8.
  • Kasimir Edschmid: Lebendiger Expressionismus : Auseinandersetzungen, Gestalten, Erinnerungen. Mit 31 Dichterporträts von Künstlern d. Zeit. Desch, München ; Wien ; Basel 1961, DNB 451047230.
  • Ernst Fischer, Wilhelm Haefs (Hrsg.): Hirnwelten funkeln. Literatur des Expressionismus in Wien. Müller, Salzburg 1988, ISBN 3-7013-0745-8.
  • Heinrich Eduard Jacob (Hrsg.): Verse der Lebenden. Deutsche Lyrik seit 1910. 3. durchges. u. erg. Aufl. Auflage. Propyläen-Verl., Berlin 1932, DNB 57406365X.
  • Heinrich Eduard Jacob: Berlin, Vorkriegsdichtung und Lebensgefühl. In: „Imprimatur – Jahrbuch für Bücherfreunde“, Band III. Gesellschaft der Bibliophilen, Frankfurt 1961/62, S. 186–189; ern. in: Paul Raabe (Hg.): Expressionismus. Aufzeichnungen und Erinnerungen der Zeitgenossen. Freiburg 1965, S. 15–19.
  • Armin A. Wallas: Zeitschriften und Anthologien des Expressionismus in Österreich. Band 1 u. 2, Saur, München 1995, ISBN 3-598-11222-X.
  • Nicole Leonhardt: Die Farbmetaphorik in der Lyrik des Expressionismus. Ubooks, Augsburg 2004, ISBN 3-937536-17-5.
  • Ursula Peters (Hrsg.): Moderne Zeiten. Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg 2000, ISBN 3-926982-61-6, S. 11–120.
  • Kurt Pinthus: Menschheitsdämmerung : Ein Dokument d. Expressionismus. Mit Biogr. u. Bibliogr. neu hrsg.. Rowohlt, Hamburg 1959, DNB 453782191.
  • Paul Raabe: Die Autoren und Bücher des literarischen Expressionismus. Ein bibliographisches Handbuch. 2., verb. und um Erg. und Nachtr. 1985 - 1990 erw. Auflage. Metzler, Stuttgart 1992, ISBN 3-476-00756-1.
  • Paul Raabe, Heinz Ludwig Greve: Expressionismus. Literatur u. Kunst. 1910 - 1923. Eine Ausstellung d. Dt. Literaturarchivs im Schiller-Nationalmuseum Marbach a.N. Vom 8. Mai bis 31. Oktober 1960. [Ausstellungskatalog]. Schiller-Nationalmuseum, Marbach a.N. 1960, DNB 453890725.
  • Paul Raabe: Die Zeitschriften und Sammlungen des literarischen Expressionismus. Repertorium d. Zeitschriften, Jahrbücher, Anthologien, Sammelwerke, Schriftenreihen u. Almanache 1910 - 1921. Metzler, Stuttgart 1964, DNB 453890768.
  • Theodor Sapper: Alle Glocken der Erde. Expressionistische Dichtung aus dem Donauraum. Europaverlag, Wien 1974, ISBN 3-203-50494-4.
  • Silvio Vietta, Hans-Georg Kemper: Expressionismus. 5., verb. Aufl. Auflage. Fink, München 1994, ISBN 3-8252-0362-X.

Weblinks


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