Experimentalarchäologie

Experimentalarchäologie

Die Experimentelle Archäologie ist ein Spezialgebiet der Archäologie. Sie versucht Lebensweise und Techniken der Vergangenheit zu erforschen, indem sie diese nachbildet und zur Anwendung bringt.

Inhaltsverzeichnis

Ansatz

Keramikofen nach spätbronzezeitlichem Vorbild, Experimentelle Archäologie am Tall Zira'a, Jordanien

Die klassischen archäologischen und geschichtswissenschaftlichen Methoden gewinnen ihre Erkenntnisse durch Beobachtung und Interpretation von Funden und Fundstätten. Die experimentelle Archäologie versucht diese Erkenntnisse durch Erfahrungswerte zu vertiefen.

Anhand von Fundstücken, Malereien und Texten wird versucht die Arbeitstechniken der Vergangenheit zu erschließen. Diese Erkenntnisse werden dann von Archäologen und Handwerkern angewandt, um Artefakte nachzubilden, die ihren historischen Vorgängern möglichst ähnlich sind. In der Anwendung dieser Nachbildungen wird der technische Stand vergangener Epochen erfahrbar.

Zum Beispiel wurde mit dem Nachbau mittelalterlicher Langbogen deren enorme Durchschlagskraft bewiesen. Nachbauten antiker griechischer Brennöfen verdeutlichten die Effizienz und Methodik des antiken Töpferhandwerks. Viele Versuche beschränken sich auf einen Nachbau, während komplexere Fragestellungen etwa nach Abfallprodukten oder Formationsprozessen recht selten geblieben sind.

Definition und Abgrenzung

Die Ausgangslage für experimentalarchäologische Versuche ist eine genau definierte Fragestellung. Die Ergebnisse aus den Versuchen müssen messbar und jederzeit nachvollziehbar sein sowie in allen Einzelheiten dokumentiert werden. Diese Ergebnisse müssen später unter den definierten Bedingungen jederzeit reproduzierbar sein. Aus diesen Gründen sind viele als "experimentalarchäologisch" bezeichnete Aktivitäten, wie zum Beispiel Bronzeguss, Eisenverhüttung im Rennfeuerofen, oder Stein- und Knochenbearbeitung vor Publikum, per Definition, eher der Archäotechnik zuzuordnen.

Berühmte Beispiele

Die Reisen von Thor Heyerdahl sind ein bekanntes Beispiel für experimentelle Archäologie. Heyerdahl baute unter anderem ein Floß (die Kon-Tiki) und besegelte damit den Pazifik. Mit den Schilfbooten Ra I und Ra II versuchte er von Afrika nach Amerika zu reisen. Mit diesen Unternehmungen bewies er experimentell die Haltbarkeit und Seetüchtigkeit dieser frühen Schiffstypen.

Ein bekanntes bauarchäologisches Experiment ist das Erdwerk von Overton Down in Südengland. Dort wurde ein künstlicher Erdwall angelegt, in dem verschiedene Materialien eingegraben sind. Seit der Errichtung 1960 wird beobachtet, wie die Erosion die Gestalt des Walls verändert. In Ausgrabungen wird der Verfall der eingebrachten Stoffe beobachtet. Als Langzeitprojekt soll Overton Down Erkenntnisse über Funderhalt und Erosion erbringen, die in zukünftigen Ausgrabungen angewandt werden sollen. Ein weiteres Beispiel ist die gleichfalls in Großbritannien gelegene Butser Ancient Farm.

Der Münchner Historiker Marcus Junkelmann lieferte im Jahr 1985 ein Beispiel, als er mit einigen Begleitern mit rekonstruierten Waffen und Ausrüstungsgegenständen von römischen Legionären eine Überquerung der Alpen wie vor 2000 Jahren bewältigte.

Experimentalarchäologie in der Lehre

In Deutschland bieten archäologische Institute den Studierenden gelegentlich Kurse in Bronzeguss, Töpferei, Vasenmalerei und anderen Handwerkstechniken an. So soll ein lebendigeres Bild des Studienobjekts und ein besseres Verständnis für das Leben in der Vergangenheit entstehen.

Einen Studiengang in experimenteller Archäologie bietet die Universität von Exeter an.

Experimentelle Archäologie und Museumspädagogik

Museumspädagogisch sind dagegen eher "archäotechnische" Ansätze ebenfalls im Einsatz. Ein Beispiel soll hier das Römermuseum in Haltern sein. Dort kann das Marschgepäck eines Legionärs geschultert werden, eine Erfahrung, die Respekt vor den Marschleistungen der Römer aufkommen lässt.

Allerdings ist eine experimentelle Archäologie als wissenschaftlicher Ansatz von diesen Aktivitäten - die ja in der Regel keine Fragestellungen besitzen und nicht dokumentiert werden, sondern nur Nachempfinden und Vermitteln wollen - deutlich zur Archäotechnik abzusetzen. Wissenschaftliche experimentelle Archäologie ist keine Museumspädagogik und wird auch selten öffentlich angewandt - sie dient nicht der Vermittlung, sondern dem Erkenntnisgewinn für die Forschung[1].

Wissenschaftler und Verbände

Mit der experimentelle Archäologie befassen sich unter anderem:

In der Europäischen Vereinigung zur Förderung der Experimentellen Archäologie e.V. EXAR haben sich verschiedene Arbeitsgruppen zusammengeschlossen.

Literatur

  • Experimentelle Archäologie in Deutschland. Isensee, Oldenburg 1990, ISBN 3-920557-88-3
  • Rolf Schlenker, Almut Bick: Steinzeit. Leben wie vor 5000 Jahren. Konrad Theiss-Verlag, Stuttgart 2007, ISBN 978-3-8062-2099-5
  • Erin Keefer (Hrsg.): Lebendige Vergangenheit. Vom Archäologischen Experiment zur Zeitreise (Sonderheft 6 Archäologie in Deutschland). Mit Beiträgen von Erwin Keefer, Bastian Asmus, Jörg Bofinger, Sylvia Crumbach, Guntram Gassmann, Wulf Hein, Thomas Hoppe, Jens Lüning, Gunter Schöbel, Cornelia Szelényi und Jürgen Weiner, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 2006, ISBN 3-8062-1889-7
  • James R. Mathieu: Experimental archaeology - replicating past objects, behaviors, and processes. Archaeopress, Oxford 2002, ISBN 1-84171-415-1
  • John M. Coles: Experimental archaeology. Acad. Press, London 1979, ISBN 0-12-179750-3

Einzelnachweise

  1. Martin Schmidt: Museumspädagogik ist keine experimentelle Archäologie. In: Experimentelle Archäologie und Museumspädagogik, Archäologische Mitteilungen aus Nordwestdeutschland. Beiheft 20, Isensee, Oldenburg 2000 S. 81-89

Weblinks


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