Europaviertel (Wiesbaden)

Europaviertel (Wiesbaden)
Karte der US Air Force aus den 1970er Jahren

Das Europaviertel in Wiesbaden ist ein ehemaliges Kasernengelände am Rande der Innenstadt der hessischen Landeshauptstadt. Verwaltungstechnisch gehört es zum Stadtbezirk Rheingauviertel. Seit 1993 wird das Gelände zivil, hauptsächlich für Wohnungen und öffentliche Einrichtungen, genutzt.

Inhaltsverzeichnis

Kasernen (1868–1945)

Die Oranienkaserne zu Anfang des vorigen Jahrhunderts. Im Vordergrund ist der Exerzierplatz gut zu erkennen.

Zwischen 1868 und 1945 gab es im heutigen Europaviertel drei verschiedene Kasernen: [1]

1868 wurde auf dem Areal zwischen der Schiersteiner Straße, der Waldstraße, der Homburger Straße und der Hochheimer Straße (heute Konrad-Adenauer-Ring) ein über 30 ha großer Exerzierplatz angelegt. An der südlichen Ecke, an der Kreuzung Schiersteiner Straße mit der Waldstraße, entstand 1896 bis 1897 eine Infanteriekaserne. Die sprunghaft ansteigende Einwohnerzahl Wiesbadens erforderte, das II. Bataillon des Füsilier-Regiments von Gersdorff Nr. 80 aus der Innenstadt von der Schwalbacher Straße hier her zu verlegen. Das 3,2 ha große Gelände war 210 m lang und reichte 150 m tief in die Waldstraße hinein. Die Kaserne wurde nach Hermann Konstantin von Gersdorff benannt. Sie bestand zunächst aus acht Hauptgebäuden, darunter vier Mannschaftsgebäude und weitere Nebengebäude.[2] Ein Stabsgebäude, das sich auf der Mittelachse der symmetrisch angeordneten Gebäudegruppe an der Schiersteiner Straße befand, wurde bei einer der zahlreichen Umbaumaßnahmen des Kasernengeländes niedergelegt. Heute befindet sich dort das Gefallenen-Denkmal von 1874, das nach dem Deutsch-Französischen Krieg ursprünglich ca. 100 m näher in Richtung Innenstadt aufgestellt worden war. Wegen der Bebauung des Exerzierplatzes entlang der Schiersteiner Straße zog es 1896/97 auf den neu angelegten Gersdorffplatz und wurde 1936 auf den heutigen Platz versetzt.[3]

1908 bis 1911 kam im Bogen der Homburger Straße und der Waldstraße eine Artilleriekaserne, die Oranien-Kaserne hinzu, in welche die II. Abteilung des Feldartillerie-Regiments Nr. 27 einzog, da die Kaserne an der Rheinstraße ebenfalls geräumt wurde (heute befindet sich dort u. a. die Hessische Landesbibliothek und das Luisenforum). Die Fläche war ca. 3 ha groß, so dass der zwischen den beiden Kasernen verbliebene Exerzierplatz nur noch ungefähr 270 m lang und bis zu 200 m breit war.

1908/09 wurde als neue Hauptachse parallel zur Waldstraße die Westerwaldstraße angelegt, die heutige Willy-Brandt-Allee. In ihrer Mitte lag der Gersdorffplatz mit dem repräsentativen Eingang der Kaserne und dem Gefallenen-Denkmal. An deren Südseite entstand die Erweiterung der Infanteriekaserne für das I. Bataillon des Füsilier-Regiments von Gersdorff Nr. 80 (s. o.) auf einer Fläche von ca. 37 ha (heute u.a. Ordnungsamt und Volkshochschule) und außerdem ein Lazarett, eine Wäscherei und eine "Offizier-Speiseanstalt".

Das Areal nordöstlich der Westerwaldstraße (später Gersdorffstraße) war um 1910 für den Wohnungsbau vorgesehen. Zwischen dieser und der Hochheimer Straße (heute Konrad-Adenauer-Ring) wurden Querverbindungen angelegt: die Weilburger Straße, Dillenburger Straße, Diezer Straße und die Usinger Straße. Parallel verlief die Königsteiner Straße und Hadamarer Straße. Ab 1936 wurde das Gelände räumlich neu geordnet und es kam wieder zum Militärgelände hinzu - die Straßen verschwanden.

Nach dem Ersten Weltkrieg zogen französische Besatzungssoldaten in die nun Foch-Kaserne genannten Gebäude ein. 1925 wurden diese von der britischen Rheinarmee abgelöst seit dem hießen sie Saint Andrews Barracks, Pétain-Kaserne und Ypres Barracks. Im Dezember 1929 übernahmen die Franzosen für ein halbes Jahr wieder das Gelände. Diese erwogen die Militärgebäude komplett abzureißen, man entschloss sich jedoch für eine zivile Nutzung. Die Kasernen wurden zu Wohnungen umgebaut und der Exerzierplatz diente nun als Marktplatz für den Obst- und Gemüseverkauf.

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde das Gelände 1936 wieder der militärischen Nutzung zugeführt. Die Kasernen wurden renoviert, Gebäude umgebaut, abgerissen und neue gebaut. Der neue Kasernenteil zwischen der Hochheimer Straße und der Gersdorffstraße für das Infanterie-Regiment Nr. 87 erhielt den Namen Ochamps-Kaserne, nach dem gleichnamigen Ort in Belgien, wo eine hier stationierte Einheit im Ersten Weltkrieg erfolgreich gekämpft hatte.

Lindsey Air Base/Lindsey Air Station (1945–1993)

Diese Schilder waren rund um die „Lindsey Air Station“ angebracht

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Gelände von der US-Armee übernommen und in Lindsey Air Base, später in Lindsey Air Station (nach Hauptmann Darrell R. Lindsey), umbenannt. Umgangssprachlich war aber meist vom Camp Lindsey bei den Anwohnern die Rede.

1954 bis 1973 war die Lindsey Air Station unter anderem Sitz der 17th Air Force der 65th Air Division sowie zeitweise auch Hauptquartier der US Air Force für Europa (USAFE).

Von hier aus wurde auch der Militärflugplatz Erbenheim verwaltungstechnisch betreut.

Europaviertel (seit 1993)

rot: BKA, blau: PTLV, grün: Sporthalle mit Baseballfeld, gelb: VHS, ehemaliges Einwohnermeldeamt sowie Ordnungsamt, orange: sonstige erhaltene Gebäude, weiße Flächen heute so nicht mehr erhalten.

1993 wurde das Camp Lindsey an die Bundesrepublik Deutschland zurückgegeben und in Europaviertel umbenannt. Im Rahmen eines Rüstungskonversionsplanes wurde seitdem das Gebiet mit modernen Eigentumsneubauten städtebaulich verdichtet. Die alten unter Denkmalschutz stehenden Kasernengebäude aus wilhelminischer Zeit wurden renoviert und weitgehend einer öffentlichen Nutzung zugeführt. Heute ist hier eine Liegenschaft des Bundeskriminalamtes in Wiesbaden untergebracht sowie die Volkshochschule und einige städtische Behörden wie das Einwohnermeldeamt (bis 2008), die Ausländerbehörde, das Ordnungsamt sowie das „Präsidium für Technik, Logistik und Verwaltung“ (PTLV) der hessischen Polizei.

Mit der Umbenennung bekamen auch die Straßen neue Namen, diese tragen jetzt hauptsächlich die Namen europäischer aber auch amerikanischer Persönlichkeiten, dazu zählen: Alcide de Gasperi, Charles de Gaulle, Dwight D. Eisenhower, Franklin Roosevelt, George Marshall, Harry Truman, Jean Monnet, Simone Veil und Willy Brandt.

Das Europaviertel ist im Norden von der Homburger Straße, im Osten vom Konrad-Adenauer-Ring (ehem. Hochheimer Straße), im Süden von der Schiersteiner Straße (B 262) sowie im Westen von der Waldstraße eingeschlossen. Ausnahme hiervon bildet ein Teilstück zwischen der Waldstraße, Steinstraße und dem Kreisel Richtung Künstlerviertel. Hier befindet sich auch ein Neubaugebiet das früher zum Militärgelände gehörte. Die dortigen Straßennamen tragen ebenfalls Namen von europäischen Persönlichkeiten: Carlo Schmid, Heinrich von Brentano sowie Olof Palme.

Am 30. Mai 2009 hat zum ersten Mal ein Kulturfest im Stadtviertel stattgefunden[4]. Bereits am 7. Mai 2009 wurde hierzu die Ausstellung „Von der Kaserne zum Wohnquartier: Die Geschichte des Europaviertels“ eröffnet, welche bis zum 19. Juni 2009 gezeigt wurde[5].

Literatur

  • Militärstandort Wiesbaden: Camp Lindsey, Amerikanisches Hospital, Camp Schierstein, Camp Pieri, Air Base Erbenheim, Storage Station Kastel, Bundeswehrverwaltung, Military Community, Liaison Office State of Hesse. Hrsg.: Stadtverordnetenversammlung der Landeshauptstadt Wiesbaden, 1990
  • Christina Bodler: Die Camp Lindsey Library (1945–1993) als Beispiel einer Standortbibliothek der US Air Force. Mainz, 1997

Einzelnachweise

  1. Die Neubauten der Heeresverwaltung in Wiesbaden in: Zentralblatt der Bauverwaltung Nr. 4/1915
  2. Historischer Atlas der Stadt Wiesbaden. Christian Spielmann, Julius Krake. Zwölf digitalisierte Stadtkarten von Wiesbaden 1799-1910, Verlag: Stadt Wiesbaden, ISBN 3-9802906-8-9
  3. Sigrid Russ, Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland. Hrsg. Landesamt für Denkmalpflege Hessen, Verlag Theiss, Wiesbaden 2005, ISBN 3-8062-2010-7, Seite 702.
  4. http://www.rhein-main-seite.de/feste_maerkte.htm
  5. Stadtarchiv Wiesbaden

Weblinks

50.0711788.223572

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