Eugen Richter

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Eugen Richter (* 30. Juli 1838 in Düsseldorf; † 10. März 1906 in Berlin-Lichterfelde) war ein deutscher Politiker und Publizist.

Leben

Der Sohn eines Militärarztes studierte von 1856 bis 1859 in Bonn, Heidelberg und Berlin Jura und Volkswirtschaft. Geprägt von Robert von Mohl und Karl Heinrich Rau, war er davon überzeugt, dass es die primäre Aufgabe der Politik sei, durch die Prinzipien des Rechtsstaats und des freien Marktes das Funktionieren der bürgerlichen Gesellschaft zu gewährleisten. Krisen des Kapitalismus sollten nicht durch staatliche Intervention, sondern durch Selbsthilfe überwunden werden. Richter nahm 1859 am „Kongreß deutscher Volkswirte“ teil, wurde zum Anhänger der Genossenschaftsidee von Hermann Schulze-Delitzsch und verfasste ein Buch über Konsumvereine. Die Erfahrungen, die er 1859 bis 1864 in verschiedenen Justizbehörden machte, bestimmten sein negatives Bild der Bürokratie. Richters satirische Schriften über die Behinderung der Gewerbefreiheit und den politischen Alltag der Reaktion wie die Magdeburger Spukgeschichte (1862) führten zu Disziplinarmaßnahmen; 1864 lehnte es die preußische Regierung ab, seine Wahl zum Bürgermeister von Neuwied zu bestätigen. Richter gehörte 1869 bis 1906 als Mitglied zunächst der Fortschrittspartei, später der Freisinnigen und der Freisinnigen Volkspartei dem preußischen Abgeordnetenhaus und bereits seit 1867 dem Reichstag des Norddeutschen Bundes und ab 1871 dem Reichstag des Kaiserreiches an, wo er von 1874 bis 1906 mit Hagen-Schwelm den einzigen Wahlkreis vertrat, den der Linksliberalismus außerhalb Berlins bis 1912 behaupten konnte.

Der in einer Wohnung voller Karteikästen und Vogelkäfige lebende Einzelgänger war prädestiniert für die Rolle des unbeugsamen Gegenspielers Bismarcks. Sein ständiger Widerspruch reizte den Kanzler einmal bis zu der Drohung, den Raum zu verlassen, sobald Richter das Wort ergreife, „weil der oppositionelle Duft, welcher die ganze Person umgibt, meine Nerven affiziert“. Richters Hauptwaffe wurde das Budgetrecht; er war bekannt für die akribische Überprüfung jedes einzelnen Haushaltstitels und die Entdeckung getarnter Etatposten wie des „ausgestopften Hauptmanns“. In Preußen ließ er seine Fraktion als einzige gegen Johannes von Miquels Steuerreformen stimmen, die dem Staat zu hohe Einnahmen garantierten. Den Erwerb von Kolonien kritisierte er nur dann, wenn er ihm wie „das Sandloch Angra-Pequena“ (Südwestafrika) unrentabel erschien. Richter störte es nicht, wegen der ständigen Rede vom „Pfennig des Steuerzahlers“ als Buchhalter und „Zahlenknecht“ von Franz Mehring verspottet zu werden. Er lehnte die Ausnahmegesetze gegen die katholische Kirche und die SPD ab, da ihnen eine Verfolgung langfristig eher nützen werde. Ebenso taktisch argumentierend, sorgte er jedoch 1884 dafür, dass eine mögliche Mehrheit gegen die Verlängerung des Sozialistengesetzes nicht zustande kam.

Als einer der Führer der Deutschen Freisinnigen Partei, die von manchen die „Kronprinzenpartei“ genannt wurde, hatten Richter und seine liberalen Freunde darauf vertraut, dass mit Kaiser Friedrich III. der Übergang zur parlamentarischen Verfassungsordnung gelingen werde. Der frühe Tod des Kaisers 1888 zerstörte diese Hoffnung. Die Anfang 1884 mit von Stauffenberg vereinbarte Fraktionsgemeinschaft mit der von der Nationalliberalen Partei abgespaltenen Liberalen Vereinigung deren Mitglieder auch die Sezessionisten genannt wurden, führte wenige Monate später zur Fusion und damit zur Entstehung der Deutschen Freisinnigen Partei. Die DFP mit ihren bei der Fusion im März 1884 100 Abgeordneten sollte dem Kronprinzen bei einem Thronwechsel eine solide parlamentarische Plattform bieten um eine liberale Regierung berufen zu können. Als Richter 1893 jeden Kompromiss mit dem rechten Flügel seiner Partei bei der Militärvorlage Leo von Caprivis verweigerte spaltete sich die DFP in ihren rechten und linken Flügel. Selbstbewusst lehnte er sowohl ein Wahlbündnis mit der Süddeutschen Volkspartei Leopold Sonnemanns als auch die Fusion mit den Nationalsozialen Friedrich Naumanns ab. Um seine Eigenständigkeit zu wahren, nahm er die Stagnation des Liberalismus in Kauf, dessen fehlende Massenbasis Richter durch Organisationstalent und ein intensives journalistisches Engagement zu ersetzen suchte. Den nötigen finanziellen Spielraum sicherten Spenden von Parteifreunden, die ihm zum 50. und 60. Geburtstag jeweils 100.000 Mark überreichten, und eine Erbschaft über eine halbe Million Mark. Richter gab die Freisinnige Zeitung heraus, schrieb regelmäßig Leitartikel für Provinzblätter und zahlreiche Broschüren, die sich oft schon im Titel polemisch gegen bestimmte Gesetzesvorlagen richteten. Seine ABC-Bücher „für den liberalen Urwähler“ erschienen zwischen 1877 und 1903 in immer wieder aktualisierten Ausgaben.

Soziale Reformen wie die Versicherungsgesetze lehnte Richter mit der Begründung ab, damit verwöhne man den Arbeiter, statt ihn auf den freien Wettbewerb der Kräfte vorzubereiten. Zielsicher attackierte der Individualist auch die utopische Dimension der sozialistischen Konkurrenz. Sein auf den Optimismus in Edward Bellamys Looking Backward 2000–1887 (1888) antwortender Roman Sozialdemokratische Zukunftsbilder. Frei nach Bebel (1891) wurde in Massenauflage gedruckt und von Arbeitgebern an ihre Belegschaften verschenkt. Darin beschrieb Richter den Zerfall der europäischen Gesellschaft nach einer Revolution, die gleiche Arbeits- und Lebensbedingungen versprochen, tatsächlich aber eine Erziehungsdiktatur, allgegenwärtige staatliche Kontrollen und die Apathie der Bürger bewirkt habe. Dabei hat er die unmenschlichen Entwicklungen wie die Bespitzelung durch die Stasi und den Mauerbau schon lange vor der DDR als Folge der sozialistischen Ideologie vorhergesagt. Schonungslos bekämpfte Richter das persönliche Regiment Kaiser Wilhelm II., dessen Minister er als „Handlanger, aber im gewöhnlichen Sinn des Wortes“ charakterisierte, was den Rücktritt Heinrich von Böttichers auslöste. Ohne Chance, ein Regierungsamt zu erhalten, hat er den Zeitgenossen vorgelebt, was es bedeutete, Parlamentarier im Kaiserreich zu sein.

Sein Grab befindet sich in seinem ehemaligen Wahlkreis, auf dem Delsterner Friedhof in Hagen.

Literatur

  • Leopold Ullstein: Eugen Richter als Publizist und Herausgeber. Leipzig 1930.
  • Ina Susanne Lorenz: Eugen Richter - Der entschiedene Liberalismus in wilhelminischer Zeit 1871 bis 1906. Matthiesen, Husum 1981, ISBN 3-7868-1433-3.
  • Gustav Seeber: Eugen Richter – Liberalismus im Niedergang. In: Gestalten der Bismarckzeit. Band 2, Akademie-Verlag, Berlin 1986, S. 302–324.
  • Detmar Doering: Eugen Richters Bedeutung für die Gegenwart. In: Jahrbuch zur Liberalismus-Forschung. Band 19, 2007, S. 211–223.
  • Jürgen Frölich: Der linksliberale Freisinn – die Partei Eugen Richters? In: Jahrbuch zur Liberalismus-Forschung. Band 19, 2007, S. 31–46.

Weblinks


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