Eugen Herrigel

Eugen Herrigel

Eugen Victor Herrigel (* 20. März 1884 in Lichtenau (Baden); † 18. April 1955 in Partenkirchen) war ein deutscher Philosoph, der maßgeblich zur Bekanntheit des Zen in Europa beitrug. Sein bekanntestes Werk ist Zen in der Kunst des Bogenschießens (1948).

Inhaltsverzeichnis

Leben

Herrigel studierte von 1907 bis 1908 an der Universität Heidelberg evangelische Theologie und von 1908 bis 1913 Philosophie (der neukantianischen Richtung. Er promovierte 1913 bei Wilhelm Windelband mit einer Arbeit über Die Logik der Zahl. Er hatte eine gute Beziehung zu Emil Lask, der früh im Weltkrieg fiel. Herrigel überlebte den Kriegsdienst, er widmete sich nach dem Krieg, beauftragt von Heinrich Rickert, der Herausgabe der Schriften und des Nachlasses von Lasks. 1922 habilitierte sich Eugen Herrigel mit Urstoff und Urform, einer Arbeit ganz in der Tradition des Neukantianismus. Herrigel sah sich nach Aussagen von Schülern als Nachfolger Lasks, seinen ersten Interpreten. In dieser Zeit lernte er, wohl durch japanische Gaststudenten, den Zen-Buddhismus kennen. Herrigel half bei der Fahnenkorrektur der Anthologie Zen: der lebendige Buddhismus in Japan (1925) von Shuej Ohasama [Ohazama Shuei], einem der vielen japanischen Studenten in Heidelberg, und August Faust.

Von 1924 bis 1929 lehrte Herrigel an der Kaiserlichen Tôhoku-Universität im japanischen Sendai Philosophie. Seine ihn begleitende schwangere Frau verstarb bald nach der Totgeburt einer Tochter. Er heiratete ein gutes Jahr später erneut. Vom Frühjahr 1926 an nahm er mit seiner Frau Auguste (Gusty) und Sozo Komachiya, der als Dolmetscher fungierte, Unterricht im Bogenschießen bei Meister Awa Kenzo (阿波 研造; 1880–1939), einem Shadō-Lehrer. Awa hatte einen neuen und sehr eigenwilligen Stil des Kyūjutsu entwickelt, den daishadõkyõ, eine esoterisch-mystische Lehrtradition. Es war diese „Große Lehre vom Weg des Schießens“ auf die sich Herrigel berief, wenn er Zen meinte – obwohl Awa Zeit seines Lebens nie Zen praktizierte. Dennoch glaubte Herrigel, in der von ihm gelernten Wegkunst die spirituelle Wurzel japanischer Kultur entdeckt zu haben, was nach seinem Verständnis der Schriften D. T. Suzukis nahezu gleichbedeutend mit Zen sein musste.

Nach seiner Rückkehr nach Deutschland im Juli 1929 wurde Herrigel Professor für Philosophie an der Universität Erlangen. Ende des Jahres reichte er aber seine Arbeit Die metaphysische Form. Eine Auseinandersetzung mit Kant bei der Tôhoku-Universität ein und deren juristisch-philosophische Doppelfakultät verlieh ihm am 12. März 1930 den ersten Doktortitel (Bungaku hakushi) überhaupt, eine Ehrenauszeichnung.

Am 1. Mai 1937 trat Herrigel in die NSDAP ein und machte Karriere. [1] In verschiedenen Schriften der folgenden Jahren stellte er u.a. vermeintliche Gemeinsamkeiten in deutschen und japanischen Tugenden dar, darunter die Opferbereitschaft für das Vaterland und die Furchtlosigkeit vor dem Tode. Herrigel schrieb 1944 über das Ethos des Samurai: so verstehen wir unseren tapferen Bundesgenossen im fernen Osten doch in allem Wesentlichen, wie es für uns wie für ihn heiligste Überzeugung ist, daß, nach einem tiefen Wort Hölderlins, für das Vaterland noch keiner zu viel gefallen ist. [2]Er pries den unbedingten soldatischen Gehorsam zum Wohle des eigenen Volkes. 1938 wurde er Prorektor und 1944/45 Rektor der Universität Erlangen.

Herrigel einzige philosophisch bedeutsame Schrift nach seiner Rückkehr nach Deutschland war Zen in der Kunst des Bogenschießens, das er allerdings ohne wirkliche Kenntnis der japanischen Sprache verfasste.[3] Das Werk erschien nach der Niederlage des Dritten Reiches und ist eine um offensichtlich „völkische“ Elemente bereinigte Version eines 1936 gehaltenen Vortrags. Das Buch wurde äußerst erfolgreich, 1953 erfolgte eine Übersetzung ins Englische und 1956 sogar ins Japanische, und trug zum populären Bild des Zen in der westlichen Welt mit bei. Herrigels Veröffentlichung weist einige typische europäische Missverständnisse auf und blendet auch die Instrumentalisierung des Zen im japanischen Militarismus und Nationalismus aus.[4]

Privatleben

Herrigels erste Ehefrau war eine geborene Baronin Paula von Beulwitz (1893–1924). Sie kam mit ihm im Mai 1924 nach Japan und starb dort am 13. August. Seine zweite Frau, Auguste L. Seefried, reiste nach Japan und das Paar heiratete am 16. September 1925. Gusty Herrigel beschäftigte sich in Japan mit Ikebana, sie veröffentlichte 1958 das Buch Der Blumenweg im Otto Wilhelm Barth Verlag, München. Meister Awa verlieh ihr den 2. Dan, ihrem Mann den 5. Dan in Kyūdō. Gusty Herrigel hielt Kontakt mit den japanischen Freunden. Sie überlebte ihren Mann um neunzehn Jahre und starb siebenundachtzigjährig, im Februar 1974. [5]

Herrigels Grab liegt auf dem Friedhof von Partenkirchen.[6]

Veröffentlichungen

  • Zur Logik der Zahl. Dissertation. Bühl 1921
  • Vorwort des Herausgebers GS, Band I, 1923, S. V–XVI (5–16)
  • Emil Lasks Wertsystem. Versuch einer Darstellung aus seinem Nachlaß. In: Ratio, Band 12, 1923/24, S. 100–122
  • Ansätze zur Metaphysik in der gegenwärtigen deutschen Philosophie. Vortrag, 1925 (nicht erhalten).
  • Über Kants Lehre vom Primat der praktischen Vernunft. In: Shisou (Das Denken), Tokyo, 1925.
  • Urstoff und Urform. Ein Beitrag zur philosophischen Strukturlehre. J. C. B. Mohr, Tübingen 1926. [Heidelberger Habilitationsschrift, 1922]
  • Gelten, Wert, Sollen, Norm. In: Shisou (Das Denken), Tokyo, 1928.
  • Die metaphysische Form. Eine Auseinandersetzung mit Kant. Halbband 1: Der Mundus sensibilis. J. C. B. Mohr, Tübingen 1929.
  • Die Aufgabe der Philosophie im neuen Reich. in: Pfälzische Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, 1934, S. 26–32.
  • Nationalsozialismus und Philosophie. 1935. Unveröffentlichtes Typoskript, aufbewahrt in der Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg. In: Zanshin. Das Kyudo-Magazin, Sonderausgabe, 2004, S. 50–55.
  • Die Ritterliche Kunst des Bogenschießens. In: Nippon. Zeitschrift für Japanologie. Band 2, Nr. 4, Oktober 1936, S. 193–212. englische Übersetzung von Lutgard Cunningham & Charles Harper.
  • Die Tradition im Japanischen Volks- und Kulturleben. In: Kulturmacht Japan. Richard Foester (Hrsg.), Die Pause, Wien, 1942, S. 14–15.
  • Das Ethos des Samurai. In: Feldpostbriefe der Philosophischen Fakultät, Band 3 (1944), S. 2–14.
  • Zen in der Kunst des Bogenschießens. Weller, Konstanz 1948; 2. vom Verfasser durchgesehene Auflage: Otto Wilhelm Barth, München-Planegg 1951; 43. Auflage ebd. 2003, ISBN 3-502-61115-7;
  • Der Zen-Weg. Aufzeichnungen aus dem Nachlass. Zusammengestellt und herausgegeben von Hermann Tausend. Mit einem Anhang bearbeitet von Gusty Herrigel. Otto Wilhelm Barth, München-Planegg 1958; 11. Auflage ebd. 1990, ISBN 3-502-64281-8
Herausgeberschaft
  • Emil Lask: Gesammelte Schriften. 3 Bände. Mohr, Tübingen 1923 (Band I, II), 1924 (Band III).

Literatur

  • Gershom Scholem: Zen-Nazism?. In: Encounter, Band 16, Nr. 2, 1961, S. 96.
  • Herman Glockner: Mein Heidelberger Bilderbuch. Bouvier, Bonn 1969
  • Niels Gülberg: Eugen Herrigels Wirken als philosophischer Lehrer in Japan [1]. In: Waseda-Blätter. No. 4, 1997, S. 41-66 und No. 5, 1998, S. 44-60. In Nr. 5, S. 46–52, Angaben über die beiden nur in Japan erschienenen Autsätze.
  • Rodney Needham: Exemplars. University of California Press, Berkeley 1985
  • Yamada Shōji: The Myth of Zen in the Art of Archery. In: Japanese Journal of Religious Studies. No. 28/1–2, 2001 (PDF; 258 KB)
  • Matthias Obereisenbuchner: Eugen Herrigel und der westliche Blick auf die fernöstliche Kultur. Vortrag, Garmisch-Partenkirchen, 22./23.April 2005.
  • Shoji Yamada und Earl Hartman (Übersetzer, Herausgeber): Shots in the Dark: Japan, Zen, and the West. University of Chicago Press 2009.

Weblinks

Quellen

  1. Er hatte die Mitgliedsnummer 5499332). After becoming a party member, Herrigel rapidely rose through the ranks at the university. Shouji Yamada, Earl Hartman: Shots in the Dark, S. 81.
  2. Herrigel 1944, S. 14. Nach Matthis Obereisenbuchner: Eugen Herrigel und der westliche Blick auf die fernöstliche Kultur, S. 8.
  3. Shouji Yamada, Earl Hartman: Shots in the Dark, S. 82, Anmerkung 14, Brief Herrigels vom 15. September 1943 An den Herrn Bereichsleiter des Gauschulungsamtes, Nürnberg-O.
  4. Dazu sehr pointiert Brian (Daizen) A. Victoria. Zen, Nationalismus und Krieg. Eine unheimliche Allianz. Aus dem Englischen von Theo Kierhof und Hildegard Höhr. Theseus Verlag, Berlin 1999, 399 Seiten.
  5. Matthias Obereisenbuchner: Eugen Herrigel und der westliche Blick auf die fernöstliche Kultur (pdf)
  6. Gerd Otto-Rieke: Gräber in Bayern. München 2000. S.26.

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем решить контрольную работу

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Eugen Herrigel — (20 March 1884, near Heidelberg 1955) was a German philosopher who taught philosophy at Tohoku Imperial University in Sendai, Japan, from 1924 1929 and introduced Zen to large parts of Europe through his writings.WritingsWhile living in Japan… …   Wikipedia

  • Eugen Victor Herrigel — (* 20. März 1884 in Lichtenau (Baden); † 18. April 1955 in Partenkirchen) war ein deutscher Philosoph, der maßgeblich zur Bekanntheit des Zen in Europa beitrug. Sein bekanntestes Werk ist Zen in der Kunst des Bogenschießens (1948). Leben Herrigel …   Deutsch Wikipedia

  • Herrigel — ist der Name folgender Personen: Eugen Herrigel (1884–1955), Philosoph Hermann Herrigel (1888–1973), Redakteur der Frankfurter Zeitung Diese Seite ist eine Begriffsklärung zur Unterscheidung mehrerer mit demselben Wort bez …   Deutsch Wikipedia

  • Eugen Rosenstock-Huessy — Eugen Moritz Friedrich Rosenstock Huessy (* 6. Juli 1888 als E. M. F. Rosenstock in Berlin Steglitz; † 24. Februar 1973 in Norwich, Vermont, USA) war ein deutscher und amerikanischer Rechtshistoriker und Soziologe, dessen …   Deutsch Wikipedia

  • Eugen Rosenstock-Huessy Gesellschaft — Eugen Moritz Friedrich Rosenstock Huessy (* 6. Juli 1888 als E. M. F. Rosenstock in Berlin Steglitz; † 24. Februar 1973 in Norwich, Vermont, USA) war ein deutscher und amerikanischer Rechtshistoriker und Soziologe, dessen lebenslanges Forschen… …   Deutsch Wikipedia

  • Hermann Herrigel — (* 2. Juni 1888 in Monakam/Bad Liebenzell; † 19. Oktober 1973 in Schorndorf) war bis 1935 Redakteur bei der Frankfurter Zeitung. Die Eltern waren pietistisch orientierte Protestanten, die Mutter: Pauline, geb. Schairer; der Vater, Friedrich war… …   Deutsch Wikipedia

  • Le Zen dans l'art chevaleresque du tir à l'arc — est un petit livre écrit par Eugen Herrigel (de) (1884–1955), professeur de philosophie allemand qui s intéressait au mysticisme. Son contenu a une grande influence dans la vogue du Zen en Occident et a répandu l idée que le tir à l arc… …   Wikipédia en Français

  • Le Zen Dans L'art Chevaleresque Du Tir À L'arc — est un petit livre écrit par Eugen Herrigel (1884–1955), professeur de philosophie allemand qui s intéressait au mysticisme. De 1924 à 1929, il a enseigné la philosophie au Japon, où il a étudié le kyūdō (l art japonais du tir à l arc) sous la… …   Wikipédia en Français

  • Le Zen dans l'art chevaleresque du tir a l'arc — Le Zen dans l art chevaleresque du tir à l arc Le Zen dans l art chevaleresque du tir à l arc est un petit livre écrit par Eugen Herrigel (1884–1955), professeur de philosophie allemand qui s intéressait au mysticisme. De 1924 à 1929, il a… …   Wikipédia en Français

  • Le zen dans l'art chevaleresque du tir à l'arc — est un petit livre écrit par Eugen Herrigel (1884–1955), professeur de philosophie allemand qui s intéressait au mysticisme. De 1924 à 1929, il a enseigné la philosophie au Japon, où il a étudié le kyūdō (l art japonais du tir à l arc) sous la… …   Wikipédia en Français

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”