Ethikkommission

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Ethikkommissionen gehen hauptsächlich zurück auf die revidierte Deklaration von Helsinki des Weltärztebundes von 1975. Übergreifendes Ziel ist die Beurteilung von Forschungsvorhaben, die an Lebewesen durchgeführt werden, aus ethischer, rechtlicher und sozialer Sicht sowie der Schutz des Individuums vor den Folgen der (klinischen) Forschung am Lebewesen.

Mitglieder sind in der Regel Mediziner, Naturwissenschaftler, Juristen und Theologen. So setzte sich 2006 die Zentrale Ethikkommission bei der Bundesärztekammer aus 12 Medizinern und Naturwissenschaftlern sowie 6 Mitgliedern anderer Fakultäten zusammen. Die Ethikkommissionen erstellen ein schriftliches Votum für oder gegen das beantragte Forschungsvorhaben. Dieses Verfahren ist in Deutschland zum Beispiel für jede Klinische Prüfung (die für die Zulassung von Arzneimitteln durchgeführt werden muss) gesetzlich vorgeschrieben (siehe unten).

Inhaltsverzeichnis

Medizinische Ethikkommissionen

Rechtliche Grundlagen

a) Gesetzliche Grundlage von Ethikkommissionen sind in Deutschland das § 40 Abs. 1 Arzneimittelgesetz (AMG) und § 20 Abs. 1 Medizinproduktegesetz (MPG). Das Stammzellgesetz (StZG) sieht für den Import embryonaler Stammzellen ebenfalls eine Prüfung und Bewertung durch eine eigens dafür gebildete Ethikkommission vor (§ 8, § 9 StZG). Die konkrete Bildung der Kommissionen richtet sich nach dem jeweiligen Recht des Bundeslandes, ebenso ihr Verfahren. Sie sind zumeist mehrheitlich mit Medizinern besetzt, hinzu kommen Theologen, Juristen und Geisteswissenschaftler. Manche Ethikkommissionen verzeichnen auch Studenten oder Angehörige der Gesundheitsfachberufe als Mitglieder.

b) Standesrechtlich sind Ethikkommissionen nach § 15 der Musterberufsordnung für Ärzte[1] bei den Landesärztekammern und den medizinischen Fakultäten bzw. Hochschulen zu errichten. Die Landesgesetze überlassen die Einzelregelung typischerweise den Ärztekammern und Universitäten durch Satzungsrecht. So ist es zum Beispiel nach § 17 Abs. 1 Nr. 15 Sächsisches Heilberufekammergesetz Aufgabe der Ärztekammer, in einer Berufsordnung die Beratung der Mitglieder ... vor der Forschung mit vitalen menschlichen Gameten und Embryonen ... in berufsethischen und berufsrechtlichen Fragen zu regeln. Die Berufsordnung der Sächsischen Landesärztekammer verpflichtet sodann in § 15 die Ärzte, sich vor entsprechenden Forschungsvorhaben an die zuständige Ethikkommission zu wenden.

c) Außerhalb der Forschung, also bei der medizinischen Behandlung, ist die Hinzuziehung von Ethikkommissionen im Bereich der Gentechnik am Menschen nicht gesetzlich, sondern nur berufsrechtlich, zum Beispiel durch Richtlinien der Bundesärztekammer (siehe „Richtlinien zum Gentransfer in menschliche Körperzellen“) und durch die Berufsordnungen der Landesärztekammern geregelt. Sie verpflichten den Arzt, sich vor Anwendung bestimmter Behandlungsmethoden durch die jeweilige Ethik-Kommission beraten zu lassen.

d) Gutachterlich Stellung nehmen müssen eigens dafür gebildete Ethikkommissionen auch nach dem Transplantationsgesetz (§ 8 TPG), wenn eine Organspende unter Lebenden erfolgt.

Es gibt Stimmen, die der Meinung sind, Ethikkommissionen verstießen gegen die Forschungsfreiheit, da die Entscheidung über ethische Fragen gegen das Verbot staatlichen „Wissenschaftsrichtertums“ verstieße. Dem wird jedoch entgegengehalten, dass Ethikkommissionen wissenschaftsintern seien, ein Votum einer Ethikkommission ein milderes Mittel gegenüber einem Verbot oder Kontrolle von Forschung durch eine Behörde sei und sie lediglich einen gesetzlichen Beurteilungsspielraum wahrnehmen würden, der zum Beispiel auch bei Prüfungsentscheidungen existiere.

Entscheidungen

Ob die Voten bzw. Empfehlungen der Ethikkommissionen Verwaltungsaktqualität haben (das ist wichtig für die Frage, ob gegen Entscheidungen einer Ethikkommission der verwaltungsprozessuale Rechtsweg gegeben ist), ist zu bejahen, soweit ein positives Votum einer Ethikkommission nach § 40 Abs. 1 Satz 2 AMG dazu führt, dass eine klinische Prüfung beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) nur anzeige-, nicht aber genehmigungspflichtig ist. Das Votum ist wesentlicher Teil des Verfahrens. Handelt es sich dagegen um berufsrechtliche Empfehlungen, fehlt es an der Regelungs- und Außenwirkung nach § 35 Satz 1 VwVfG. Einige Ethikkommissionen sind auch nur beratend tätig.

Leistungsfähigkeit

Es heißt, dass die Ethikkommissionen ihrer Aufgabe, den Schutz des (einzelnen) Menschen in der Forschung sicherzustellen, insgesamt gerecht werden, wobei aufgrund EU-rechtlicher Vorgaben ihr Einfluss zurückgedrängt wird. Sie dienen aber auch dem Schutz des Forschers vor sich selbst, vor blindem Ehrgeiz und Maßlosigkeit. Skepsis hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit ist aber angebracht, wo Technik- und Wissenschaftssteuerung von ihnen verlangt werden. Denn es sind bei weitem mehr rechtliche als ethische Gesichtspunkte, die ihre Arbeit kennzeichnen. Umstrittene Forschung und Medizin, vor allem deren gesellschaftliche Auswirkungen, könnten so leicht mit einem Deckmantel des „ethisch Unbedenklichen“ umhüllt werden. Keinesfalls kann man davon ausgehen, dass gesellschaftlich umstrittene Forschung durch Ethikkommissionen einem Konsens zugeführt werden könnte. In der Wissenschaft wird gefordert, dass der Begriff der „Unabhängigkeit“ konkretisiert und präzisiert wird; die Ehrenamtlichkeit der Kommissions-Tätigkeit bringt auch Nachteile mit sich.[2]

Ethikkommissionen bei Tierversuchen

Zur Wahrung des Tierschutzes bei Tierversuchen gibt es Ethikkommissionen, die die Genehmigungsbehörden bei der Entscheidung über die Genehmigung von Tierversuchen unterstützen (Tierschutzgesetz, vgl. § 15 Abs. 1 TierSchG]). Diese Kommissionen sind zu einem Drittel aus Vorschlagslisten von Tierschutzorganisationen, zu zwei Dritteln mit fachkundigen Veterinären, Ärzten und Naturwissenschaftlern zu besetzen.

Sonstige Ethikkommissionen

Soweit Forschung außerhalb des medizinischen Bereichs oder den oben geschilderten Anwendungsgebieten stattfindet (zum Beispiel grüne Gentechnik), ist die Hinzuziehung von Ethikkommissionen weder gesetzlich noch standesrechtlich erforderlich. Dennoch haben Unternehmen zum Teil rein beratende Ethikkommissionen eingerichtet, die zum einen erneute Selbstkontrolle der Forschung sind, zum anderen jedoch auch vorrangig zur Außendarstellung dienen sollen. Es gibt auch private, nicht öffentlich-rechtlich organisierte, Ethikkommissionen, die ihre Dienste anbieten. Rein beratende Tätigkeit hat auch die Zentrale Ethikkommission bei der Bundesärztekammer.

Außerhalb des Bereichs der Forschung wird neuerdings die Einrichtung von Ethikkommissionen auch im Rahmen von Verwaltungsethik diskutiert.

Die Ethikkommission für sichere Energieversorgung wurde während der Nuklearkatastrophe von Fukushima eingesetzt, um innerhalb von drei Monaten über Risiken und „gesellschaftliche“ Bewertungen der Kernenergie und anderer Energie-Formen zu beraten.

Kritik an der Zusammensetzung von Ethikkommissionen

Humanistische Verbände und Vertreter des Atheismus kritisieren seit langem, dass in staatlichen Ethikkommissionen sehr häufig Vertreter von Katholiken und Protestanten vorkommen, Nichtchristen jedoch nicht in gleichem Maße, obwohl Konfessionslose mittlerweile fast 40 % der Bevölkerung stellen.[3] Aufgrund von theologischen Argumenten würden demnach ethische Entscheidungen getroffen, die sich von Entscheidungen unterscheiden, die auf den Werten der Aufklärung beruhen. Um der Trennung von Staat und Religion Ausdruck zu verleihen, wird daher gefordert, dass staatliche Ethikkommissionen gänzlich auf Vertreter von Religionen verzichten und lediglich mit Wissenschaftlern besetzt werden. Religion bliebe damit Privatsache und der Gläubige könne etwa im Beispiel auf Basis seiner Religion auf eine Präimplationsdiagnostik freiwillig verzichten.

Siehe auch

Weiterführende Links

Einzelnachweise

  1. Musterberufsordnung bei der Bundesärztekammer (Stand 2006)
  2. Humboldt Forum Recht (HFR) - Prof. Dr. Christian Pestalozza: Ethik-Kommissionen und die klinische Prüfung von Arzneimitteln am Menschen aus deutscher Sicht
  3. http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-51714185.html
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