Ernährungspsychologie

Ernährungspsychologie

Die Ernährungspsychologie ist ein wissenschaftliches Fachgebiet, das Ernährungswissenschaft und Psychologie verbindet. Es ist in den 1970er Jahren entstanden. Ein Vertreter in Deutschland ist der Ernährungswissenschaftler Volker Pudel. Im Mittelpunkt der Forschung stehen die biologischen und psychischen Mechanismen, die Hunger, Durst und Appetit auslösen und das Essverhalten von Menschen beeinflussen. Einige Ernährungspsychologen legen den Schwerpunkt auf die Erforschung von Genuss und Ekel.

Nach Pudel soll die Ernährungspsycholgie zum Verständnis menschlichen Essverhaltens und gesundheitsschädlicher Varianten beitragen, die Wirkungen von Lebensmittelinhaltsstoffen auf die Psyche erforschen, aber auch Modelle entwickeln, die das Ernährungsverhalten der Bevölkerung im Sinne von „gesunder Ernährung“ beeinflussen.

Inhaltsverzeichnis

Forschung

Essverhalten

Die Ernährungspsychologie baut auf die Erkenntnisse der Biologie zu den Grundbedürfnissen des Körpers und der Entstehung von Hunger und Durst sowie dem Effekt der Sättigung auf. Es wird jedoch davon ausgegangen, dass das Essverhalten nicht nur von diesen so genannten Primärbedürfnissen gesteuert wird, sondern ebenso von sekundären Bedürfnissen. Erforscht werden auch die Geschmacksvorlieben, wobei die Bevorzugung von Süßem bereits bei Neugeborenen als Instinkt vorhanden ist; Bitteres und Saueres werden zunächst abgelehnt. Im Laufe der Sozialisation wird der individuelle Geschmack jedoch beeinflusst, verändert und geprägt, wobei der jeweilige Kulturkreis eine wichtige Rolle spielt.

Pudel hat zur Erklärung des Essverhaltens ein Drei-Komponenten-Modell entwickelt, wobei sich die Komponenten gegenseitig beeinflussen und nach Lebensalter eine unterschiedliche Rolle spielen. Bei den beeinflussenden Faktoren handelt es sich um innere Signale (Innensteuerung) wie Hunger und Sättigung, um äußere Reize (Außensteuerung) und um rationale oder pseudo-rationale Einstellungen (kognitive Steuerung), die die Auswahl der Lebensmittel und das Essverhalten insgesamt bestimmen. Zu den äußeren Reizen wird auch die Erziehung gerechnet.

Ernährungspsychologisch werden verschiedene Esstypen unterschieden:

  • der Genussmensch, dessen Essverhalten emotional bestimmt ist
  • der Feinschmecker, der auf Qualität Wert legt
  • der Fast Food-Liebhaber, der vor allem schnell seinen Hunger stillen will
  • der Gesundheitsapostel, der sehr rational und bewusst seine Nahrung auswählt

Essstörungen

Zunehmend an Bedeutung gewonnen hat in den letzten Jahren die psychologische Erforschung von Essstörungen wie Anorexia nervosa und Bulimie. Bei gestörtem Essverhalten spielen primäre Motive wie Hunger und Sättigung für die Nahrungsaufnahme eine völlig untergeordnete Rolle. Welche Faktoren dazu führen, dass innere Regelungsmechanismen außer Kraft gesetzt werden, ist in der Forschung umstritten.

Ernährungspsychologen kennen außerdem den Begriff des „gezügelten Essverhaltens“, das gewissermaßen in einer Zwischenzone zwischen „normalem Essverhalten“ und einer Essstörung liegt. Auch bei diesem Essverhalten überwiegt die kognitive Steuerung und somit die rationale Kontrolle. Zu diesem Esstyp zählen sowohl sehr gesundheitsbewusste Esser als auch Menschen, die wiederholt eine Reduktionsdiät machen. Untersuchungen zufolge neigt er dazu, vor allem bei Stress und schlechter Stimmung mehr zu essen als sonst, so dass er dann zu „ungezügeltem Essverhalten“ und Anfällen von Heißhunger neigt. Auch bei ihm spielen äußere Reize und rationale Motive eine größere Rolle als die innere Steuerung. Gezügelte Esser finden sich sowohl unter Normalgewichtigen als auch unter Übergewichtigen; es gibt Hinweise darauf, dass ein gewisser Anteil irgendwann eine Essstörung entwickelt.

Nahrungspräferenzen

Die Geschmackspräferenz für Süßes ist angeboren, ab dem vierten Lebensmonat können Säuglinge Salz schmecken; die Geschmacksrichtungen bitter und sauer werden von Kleinkindern noch abgelehnt. Die meisten Ernährungspsychologen gehen davon aus, dass individuelle Geschmackspräferenzen durch Gewohnheit entstehen und bevorzugt das gegessen wird, was bereits bekannt und vertraut ist. Entscheidend sind demnach die Sozialisation durch die Familie und die Essgewohnheiten des jeweiligen Kulturkreises. Bei sehr eintöniger Kost kann jedoch auch der gegenteilige Effekt durch psychische Übersättigung eintreten. Das Gewohnte wird dann nicht mehr bevorzugt, sondern abgelehnt.

Als wesentliche Motive für die Lebensmittelauswahl gelten in der Ernährungspsychologie:

  • Geschmack
  • Hunger
  • ökonomische Bedingungen (Sonderangebote)
  • kulturelle Einflüsse (Landesküche)
  • Tradition (zum Beispiel Weihnachtsessen)
  • habituelle Bedingungen (Gewohnheit)
  • emotionale Wirkung
  • soziale Gründe (zum Beispiel Kaffeekränzchen)
  • Angebotslage (zum Beispiel in der Kantine)
  • Gesundheitsgründe
  • Schönheitsideale (Diät)
  • Verträglichkeit
  • Angst vor Schaden (Meidung von Schadstoffen)
  • magische Zuweisungen (zum Beispiel Aphrodisiaka)

Essen und Emotionen

Es gibt eine Reihe von wissenschaftlichen Untersuchungen, die einen Einfluss von Emotionen auf die Wahrnehmung von Hungergefühlen und das Essverhalten belegen, wobei Emotionen sowohl hemmend als auch fördernd wirken können. Die Erfahrung, dass die Nahrungsaufnahme mit affektiven Reizen verbunden ist und Gefühle auslöst, entsteht bereits bei Säuglingen, sowohl beim Stillen als auch beim Füttern mit der Flasche. Einige Psychologen gehen daher davon aus, dass sich das Essverhalten von Erwachsenen ohne Berücksichtigung der damit verbundenen Gefühle nicht dauerhaft verändern lässt.

Wesentliche Erkenntnisse und Theorien der Emotionsforschung sind: Intensive Emotionen wirken hemmend auf die Esslust, sowohl Angst als auch Ärger und Traurigkeit. Bei so genannten „gezügelten Essern“ können Emotionen jedoch zu vermehrter Nahrungsaufnahme führen, weil sie die innere Kontrolle vorübergehend außer Kraft setzen. Das zeigte sich bei experimentellen Versuchen. Negative Emotionen reduzieren den Genuss beim Essen, während Freude ihn erhöht, da sie die Aufnahmebereitschaft für äußere Reize steigert.

So genannte „Frustesser“ versuchen, ihre Emotionen mit Hilfe von Nahrung zu regulieren, vorzugsweise mit fettreichen oder süßen Nahrungsmitteln. Generell wird in der Fachliteratur ein Zusammenhang zwischen einem fehlgeleiteten Umgang mit negativen Emotionen und Stress und der Entstehung von Essstörungen angenommen. Es gibt dafür den Begriff emotional eating (emotionales Essen).[1]

Emotionen haben aktuellen Erkenntnissen zufolge nicht nur einen Einfluss auf das Essverhalten, sondern umgekehrt beeinflusst das Essverhalten auch die Emotionen. Die dahinter stehenden Mechanismen sind noch nicht vollständig erforscht. Ein Faktor sind Geruchs- und Geschmacksempfindungen, ein anderer Assoziationen, die mit bestimmten Lebensmitteln verknüpft sind und beispielsweise Kindheitserinnerungen wecken. Auch verschiedene Inhaltsstoffe in Nahrungsmitteln werden erforscht, zum Beispiel auf ihre Wirkung auf den Serotoninspiegel im Gehirn. Eine hohe Serotoninkonzentration wirkt stimmungsaufhellend.

Einzelnachweise

  1. vgl. Ulrich Kuntz/Andreas Hillert, Essstörungen, 2008, S. 38

Literatur

  • Susanne Fehrmann: Die Psyche isst mit, Foitzick Verlag 2002, ISBN 3-929338-16-5
  • Susanne C. Grunert: Essen und Emotionen. Die Selbstregulierung von Emotionen durch das Eßverhalten, Beltz Verlag 1993, ISBN 3-621-27188-0
  • Alexandra W. Logue: Die Psychologie des Essens und Trinkens, Spektrum Verlag 1998, ISBN 3-827-40393-6
  • Volker Pudel/Joachim Westenhöfer: Ernährungspsychologie. Eine Einführung, Hogrefe-Verlag, 3. Aufl. 2003, ISBN 3-801-70912-4

Weblinks


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