Epistolae obscurorum virorum

Epistolae obscurorum virorum

Die Dunkelmännerbriefe (Epistolae obscurorum virorum) waren eine verbreitete Satire des deutschen Humanismus. In fingierten lateinischen Briefen wurde die an den damaligen Universitäten noch weitgehend herrschende Scholastik ins Lächerliche gezogen.

Inhaltsverzeichnis

Hintergrund

Anlass war der Streit der Kölner Dominikaner mit dem Hebraisten Johannes Reuchlin um die Frage, ob jüdische Schriften, insbesondere der Talmud, verbrannt werden sollten oder nicht. Für Verbot und Verbrennung setzte sich vor allem Johannes Pfefferkorn ein, ein konvertierter Jude und dann fanatischer Christ, während Reuchlin für den Erhalt der Schriften plädierte. Pfefferkorn diente dabei den Dominikanern als eine Art Strohmann, der es ihnen erlaubte, sich selbst nicht zu sehr zu exponieren - eine Tatsache, die auch in den Dunkelmännerbriefen thematisiert wird. Der Streit zwischen Pfefferkorn und Reuchlin begann im Jahre 1511 und fand weitgehend in Form von Schriften und Gegenschriften statt; auf Pfefferkorns Handtspiegel reagierte Reuchlin mit seinem Augenspiegel. Der Streit eskalierte dadurch, dass weite Teile der damaligen Bildungselite in Deutschland und über Deutschland hinaus für eine der beiden Seiten Partei ergriffen, wobei auf Seiten Pfefferkorns die Theologen der Amtskirche standen, darunter Ortwin Gratius, der Inquisitor Jakob van Hoogstraten und die Pariser Universität; Reuchlin dagegen wurde von einigen der renommiertesten Humanisten Deutschlands unterstützt, allen voran Ulrich von Hutten, Crotus Rubeanus, Mutianus Rufus, Helius Eobanus Hessus und anderen, aus deren Mitte die Briefe stammten, die Reuchlin 1514 als Epistolae clarorum virorum (Briefe berühmter Männer) veröffentlichte. (Das lateinische Wort clarus bedeutet sowohl „hell“ als auch „hervorragend, berühmt“.)

An diesen Titel knüpften die Epistolae Obscurorum Virorum (Dunkelmännerbriefe) an, die 1514 und in einer erweiterten Fassung 1515 anonym publiziert wurden, gedruckt von Heinrich Gran in Haguenau. Sie enthielten im ersten Band 41 Briefe, denen in einem Anhang 7 weitere Briefe beigefügt wurden (2. Auflage 1516); eine zweite Sammlung mit 62 Briefen folgte 1517. Als Hauptverfasser des ersten Teils gilt der zum Erfurter Humanistenkreis um Mutianus Rufus gehörende Crotus Rubeanus. Der zweite Teil wird vor allem Ulrich von Hutten zugeschrieben, zum geringeren Teil auch Hermann von dem Busche in Leipzig.

Inhalt

Titelseite

Das Werk enthält die fingierten Briefe einer Reihe von Dominikanern, die u. a. aus Erfurt, Leipzig und anderen deutschen Städten hauptsächlich an Gratius schreiben und ihn teils um Rat fragen, teils ihm ihre Solidarität in der Angelegenheit mit Reuchlin versichern. Dabei sind die Briefe in Form und Inhalt so gestaltet, dass sie wie eine Selbstentlarvung der Beteiligten wirken. So herrscht ein fehlergespicktes Küchenlatein vor und in scholastischer Manier werden abstruse Etymologien lateinischer Begriffe bemüht. Gegenüber Reuchlin und seinen Anhängern, denen es ja an der nötigen theologischen Qualifikation fehle, gibt man sich selbstgerecht. Zugleich bespricht man sich über die Liebesabenteuer, die unter den Theologen trotz ihres Zölibats offenbar zum Alltag gehören. Ebenso zählen regelmäßige Gelage zu den Lieblingsbeschäftigungen der Geistlichen. Die Bakkalaureaten zeigen sich den Ordensoberen gegenüber besonders demütig und dienstbeflissen, zugleich verfolgt man besorgt den weiteren Verlauf der Affäre Reuchlin, die nicht so recht zur Zufriedenheit der Dominikaner voranschreitet; man tröstet sich aber damit, dass, falls selbst der Papst für Reuchlin entscheiden sollte, man dem notfalls mit einem Konzil begegnen könne.

Rezeption

Der Streit um die Judenbücher ging dann jedoch, nicht zuletzt unter dem Eindruck der 1517 ausbrechenden Reformation, weitgehend zu Gunsten der Dominikaner aus, da Papst Leo X. jeder Art von Widerspruchsgeist gegen die Amtskirche entgegenzuwirken versuchte und Reuchlin zum Schweigen verurteilte. Einige der parodierten Dominikaner erkannten den satirischen Charakter des Werkes nicht und pflichteten stattdessen den überspitzt dargestellten Positionen bei. Moderatere Humanisten wie Erasmus von Rotterdam und Thomas Morus lobten den geistreichen Witz des Werkes. Martin Luther dagegen, dem es um die Bewahrung des Ernstes der antirömischen Kritik ging, konnte der Satire wenig abgewinnen und nannte den unbekannten Verfasser einen „Hanswurst“. Als Verfasser wurden zunächst Reuchlin selbst, Erasmus und Hutten vermutet, wobei Reuchlin und Hutten die Verfasserschaft aber frühzeitig dementierten. Seit Franz Wilhelm Kampschulte (1862) und David Friedrich Strauß gilt Rubeanus als Haupturheber der Dunkelmännerbriefe. 1875 erschien eine erste Übersetzung ins Deutsche.


Siehe auch: Humanismus, Deutscher Humanismus

Weblinks

Literatur

  • Reinhard Paul Becker: A War of Fools: The Letters of Obscure Men. A Study of the Satire and the Satirized (New York University Ottersdorfer Series N.F., hrsg. v. Volkmar Sander, Bd. 12), Bern u.a. 1981.
  • Aloys Bömer (Hrsg.), Die Epistolae Obscurorum Virorum (Stachelschriften. Ältere Reihe, I), Heidelberg 1924. - Maßgebliche Edition der Dunkelmännerbriefe
  • Walther Brecht: Die Verfasser der Epistolae Obscurorum Virorum, Straßburg 1904.
  • Karl Bucholz: Ulrich von Huttens lateinische Schriften und die Dunkelmännerbriefe, Frankfurt am Main 1926.
  • Franz Wilhelm Kampschulte: De Croto Rubiano, Bonn 1862.

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужен реферат?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Epistŏlae obscurōrum virōrum — (Briefe der Dunkelmänner), Titel einer Sammlung satirischer Briefe aus dem Anfang des 16. Jahrh. Ein 1506 getaufter Kölner Jude, Johann Pfefferkorn, suchte, von seinen frühern Glaubensgenossen angefeindet, aus Rache beim Kaiser Maximilian ein… …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

  • Epistŏlae obscurōrum virōrum — (lat., Briefe unbekannter Männer, Dunkelmänner), Sammlung satyrischer Briefe aus dem 16. Jahrh., in barbarischem (Küchen ) Latein geschrieben, Hagenau 1515 u. 1519, 2 Bücher. Der Zweck dieser Briefe war die Verspottung der sogenannten Obscuranten …   Pierer's Universal-Lexikon

  • Epistolae obscurorum virorum — Epistŏlae obscurōrum virōrum (lat., »Briefe von Dunkelmännern«), Titel einer Sammlung von Briefen in barbarischem, sog. Küchenlatein, welche die Obskurantenpartei der Scholastiker wie das Treiben des damaligen Mönchs Pfaffentums mit… …   Kleines Konversations-Lexikon

  • Epistolae obscurorum virorum — (lat., Briefe dunkler Männer), Satire in fingirten Briefen, deren 1. Buch 1515 zu Hagenau, das 2. 1519 erschien, ohne daß sich ein Verfasser nannte; die Autorschaft wird indessen mit ziemlicher Gewißheit dem Wolfgang Angst, Ulrich v. Hutten u.… …   Herders Conversations-Lexikon

  • Epistolae obscurorum virorum — ◆ Epị|sto|lae obs|cu|ro|rum vi|ro|rum 〈Pl.〉 = Dunkelmännerbriefe ◆ Die Buchstabenfolge epi|st... kann in Fremdwörtern auch epis|t... getrennt werden. * * * Epịstolae obscurorum virorum   [»Dunkelmännerbriefe«], Titel einer Sammlung fingierter… …   Universal-Lexikon

  • Epistolae obscurorum virorum — см. Письма темных людей …   Энциклопедический словарь Ф.А. Брокгауза и И.А. Ефрона

  • Epistolae obscurorum virorum — Epis|to|lae* ob|scu|ro|rum* vi|ro|rum [...le ...sku... v...] die (Plur.) <lat. > Dunkelmännerbriefe (Sammlung erdichteter mittellat. Briefe ungenannter Verfasser, z. B. Ulrich v. Huttens, die zur Verteidigung des Humanisten Reuchlin das… …   Das große Fremdwörterbuch

  • Письма темных людей — (Epistolae obscurorum virorum) знаменитый памфлет начала XVI в. Ни в одном сочинении не отразилась так ярко борьба между представителями гуманизма и обскурантизма, нигде не были так зло осмеяны невежество, самомнение и бездарность главных членов… …   Энциклопедический словарь Ф.А. Брокгауза и И.А. Ефрона

  • Dunkelmännerbriefe — Die Dunkelmännerbriefe (Epistolae obscurorum virorum) waren eine mit satirischer Absicht verbreitete Reihe gefälschter lateinischer Briefe, mit der deutsche Humanisten die Scholastik ins Lächerliche zogen. Diese war an den Universitäten damals… …   Deutsch Wikipedia

  • Ulrich von Hutten — (Holzschnitt von Erhard Schön, zirka 1522) …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”