Endspiel (Beckett)

Endspiel (Beckett)

Endspiel (frz. Fin de partie, engl. Endgame) ist ein absurdes Theaterstück von Samuel Beckett aus dem Jahr 1956. Das französische Original wurde anschließend vom Autor selbst ins Englische übertragen. Die Uraufführung des Einakters fand am 3. April 1957 im Royal Court Theatre in London statt, da sich in Paris zunächst kein Theater an das Stück heranwagte, obwohl Beckett nach dem Erfolg seines ersten Bühnenwerks Warten auf Godot als Dramatiker bereits etabliert war.
Die deutsche Premiere unter der Regie von Hans Bauer am 30. September 1957 im Schlossparktheater, Berlin, stieß dann auf so großes Unverständnis, dass das Stück bereits nach acht Vorstellungen abgesetzt wurde. Erst Becketts eigene Inszenierung, zehn Jahre später in der Werkstatt des Schiller-Theaters in Berlin, brachte es auf 150 Vorstellungen und wurde von der Kritik gefeiert.

Inhaltsverzeichnis

Handlung

Becketts Endspiel ist ein Drama in einem Akt. In einem leeren und düsteren Raum – lediglich zwei kleine Fenster eröffnen weit oben im Hintergrund den Blick nach draußen – befinden sich Hamm, ein blinder und gelähmter Alter, der auf einem mit Röllchen versehenen Sessel sitzt, weil er nicht stehen kann. Neben ihm steht auf steifen Beinen sein Diener, Clov, der ebenfalls nur noch mühsam gehen, aber auf keinen Fall sitzen kann. Hamms Eltern, Nagg und Nell, sind beinlose, senile Krüppel, die in zwei Mülltonnen dahinvegetieren. Die Welt außerhalb des Raumes ist „tot“, die vier Personen könnten die einzigen Überlebenden einer globalen Katastrophe sein.

Die Beziehung zwischen Diener und Herr, zwischen Clov und Hamm, ist von gegenseitiger Abneigung geprägt.[1] Clov hasst Hamm und möchte ihn verlassen, trotzdem gehorcht er seinen Anweisungen ("Tu dies, tu das, und ich tu's. Ich weigere mich nie. Warum?") und bringt nicht die Kraft auf, seinen Tyrannen zu verlassen. Denn wenn er Hamm verlässt, muss dieser sterben, da Clov der einzige Überlebende ist, der ihn betreuen kann. Aber – und darin besteht die dramatische Spannung dieser Tragödie – auch Clov würde dann sterben, da Hamm die restlichen Lebensmittel gehören und nur er weiß, „wie der Speiseschrank aufgeht“. Clov quält sich mit diesem Dilemma. Hamm dagegen wird von Schuldgefühlen heimgesucht. Er hätte vielen Menschen Nahrung geben können. Nun gehen die Vorräte, die er beizeiten auf die Seite geschafft hat, zu Ende, so wie die Welt oder das, was davon übriggeblieben ist, dem Ende entgegengeht: „Etwas nimmt seinen Lauf“.

Hamm wirkt konfus und verwahrlost. Blind und trotzig besteht er darauf, dass Clov seinen Rollstuhl akribisch genau in den Mittelpunkt des Zimmers schiebt. Ihm wird die Welt nur durch die Augen Clovs vermittelt. Der blickt mit dem Fernrohr durch die beiden Fenster links und rechts in die Außenwelt und referiert, was er wahrnimmt: auf der einen Seite Land, auf der anderen Seite Meer – „alles ist aus“.

Hamms Eltern haben ihre Beine bei einem Fahrradunfall verloren. Der Sohn verachtet seine „verfluchten Erzeuger“, so wie auch sie ihn verachten. Nell, die Mutter, ermutigt Clov immer wieder, heimlich wegzugehen, wohl wissend, dass dies auch ihren Tod bedeuten würde. Die Worte Naggs, des Vaters, verraten sein Verhältnis zu Hamm: „Wen riefst Du, als du noch klein warst und Angst hattest, in der Nacht? Deine Mutter? Nein. Mich! Wir ließen dich schreien. Dann stellten wir dich weit weg, um schlafen zu können ... Ich hoffe, so lange zu leben, dass ich dich mich rufen höre, wie einst, als du noch klein warst und Angst hattest, in der Nacht, und als ich deine einzige Hoffnung war.“

Schließlich ergibt sich Hamm in sein Schicksal und akzeptiert das Unvermeidliche: „Es ist zu Ende, Clov, wir sind am Ende. Ich brauche dich nicht mehr.“ In einem finalen Monolog gibt er sich seinen Erinnerungen und seinem Selbstmitleid hin. Clov wartet, bereit zu gehen. Der Vorhang fällt, doch Clov rührt sich nicht von der Stelle.

Interpretation

„Die menschliche Existenz als Grenzsituation zwischen Leben und Tod, Gestalten, die auf der ewig enttäuschten Illusion des Wartens beharren oder in tragikomischer Hilflosigkeit die Gewissheit ihres Verfalls überspielen – darum geht es in allen Stücken Becketts.“[2] Im Zyklus solch apokalyptischer Szenarien zeigt Endspiel das menschliche Leben als vergebliche Suche nach einem Ausweg.

Interpreten haben darauf hingewiesen, dass der Name „Hamm“ die abgekürzte Form des Wortes „hammer“ sei und die drei anderen Namen für das Wort „Nagel“ stünden: „Nagg“ für die deutsche, „Nell“ („nail“) für die englische und „Clov“ („clou“) für die französische Version. Das Endspiel sei also „ein Spiel für einen Hammer und drei Nägel“. 1967 stellte Ernst Schröder, der Darsteller Hamms, Samuel Beckett während der Generalprobe zum Endspiel die Frage, ob diese Interpretation zutreffend sei. Der Autor soll geantwortet haben: „Wenn Sie so wollen.“[3]

Inszenierungen

"Endspiel" wurde von den Schauspielern Jean Martin und Roger Blin in Auftrag gegeben. Seine Weltpremiere erlebte das Stück am 3. April 1957 am Royal Court Theatre in London in der ersten, französischen Fassung. Die deutsche Erstaufführung war am 30. September 1957 im Schlosspark-Theater in Berlin.

Musik

Zu "Endspiel" schrieb Philip Glass eine Ouvertüre für Kontrabass und Pauken (1984).

Ausgabe

  • Samuel Beckett: Endspiel / Fin de partie / Endgame. Suhrkamp: Frankfurt am Main (1974), ISBN 3-518-36671-8

Literatur

  • Theodor W. Adorno: Versuch, das Endspiel zu verstehen in Noten zur Literatur, S. 188-236. Suhrkamp. Frankfurt am Main 1961.
  • Materialien zu Becketts Endspiel. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1968.
  • Fränzi Maierhöfer: Samuel Beckett, Endspiel. Interpretation. Oldenbourg, München 1977. ISBN 3-486-08311-2
  • Hans Dieter König: Neue Versuche, Becketts Endspiel zu verstehen - Sozialwissenschaftliches Interpretieren nach Adorno. Suhrkamp 1996. ISBN 3-518-28859-8

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Der permanente Kleinkrieg zwischen den beiden wurde von Beckett selbst als "Kern des Stücks" bezeichnet.
  2. KNLL, Seite 380.
  3. Volker Canaris: Samuel Beckett als Regisseur seiner eigenen Theaterstücke. In: Peter Seibert (Hrsg.): Samuel Beckett und die Medien. Neue Perspektiven auf einen Medienkünstler des 20. Jahrhunderts. Bielefeld. transscript Verlag. 2008. S. 33

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