Endlager für radioaktive Abfälle Morsleben

Endlager für radioaktive Abfälle Morsleben
Eingang des Endlagers für radioaktive Abfälle Morsleben

Das Endlager für radioaktive Abfälle Morsleben (ERAM) wurde zu DDR-Zeiten im ehemaligen Kali- und Steinsalzbergwerk Bartensleben (Landkreis Börde, Sachsen-Anhalt) eingerichtet. Heute wird die Schachtanlage von der Deutschen Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern für Abfallstoffe mbH (DBE) im Auftrag des Bundesamtes für Strahlenschutz betrieben.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Kalibergbau

Der Salzbergbau in dieser Region blickt auf eine über hundertjährige Tradition zurück. Das Abteufen des ersten Kalischachts – Schacht Marie – begann 1897. Der Schacht Bartensleben wurde von 1910–1912 abgeteuft. Das Grubengebäude der Schachtanlage Bartensleben ist mit der ehemals selbständigen Schachtanlage Marie an mehreren Stellen untertägig verbunden.

Waffenproduktion und KZ

Während des Dritten Reiches mussten vom Februar 1944 bis zum April 1945 im Morslebener Salzsstock Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge (ab August 1944: 2.500 deutsche, sowjetische, polnische und französische weibliche KZ-Häftlinge des KZ Ravensbrück) aus dem KZ Beendorf, einem Außenlager des KZ Neuengamme, arbeiten. Sie wurden in den unterirdischen Stollen in mehr als 400 Metern Tiefe zur Produktion von Bauteilen für das Strahlflugzeug Me 262 sowie der Raketen V1 und V2 gezwungen. Die unterirdischen Schächte „Marie“ bei Beendorf und „Bartensleben“ bei Morsleben erhielten damals die Decknamen „Bulldogge“ und „Iltis“[1].

Geplantes Endlager für radioaktive Abfälle

Nach Einstellung der Salzförderung wurde das Salzbergwerk Bartensleben von der damaligen DDR-Regierung als Endlager für radioaktive Abfälle ausgewählt.

Ferner wurden in der Schachtanlage Marie zu DDR-Zeiten unter Tage Hühner gehalten (den Tieren konnte durch geschicktes An- und Abschalten des Lichtes ein um etwa eine Stunde kürzerer Tag vorgetäuscht werden, wodurch diese schneller wuchsen) und Härtereialtsalze zwischengelagert, die Mitte der 90er Jahre des letzten Jahrtausend wieder ausgelagert wurden.

Historische Lore im Salzstock Morsleben in ca. 375 m Teufe

Genehmigungen in der DDR

1965 begann die Staatliche Zentrale für Strahlenschutz (SZS) der DDR (später: Staatliches Amt für Atomsicherheit und Strahlenschutz (SAAS)) mit der Suche nach einem zentralen Endlagerstandort für alle Arten radioaktiver Abfälle der Republik. Im Verlauf des Auswahlverfahrens wurden zehn Standorte berücksichtigt. Drei davon kamen in die nähere Auswahl, darunter die Schächte „Bartensleben“ (Morsleben) und „Marie“ (Beendorf). Die Entscheidung für Morsleben als Standort des späteren „Zentralen Endlager Grube Bartensleben“ (ZEGB) fiel 1965. Wichtige Kriterien waren neben dem Endlagermedium Salz die Größe der verfügbaren Hohlräume und die baldige Nutzbarkeit des Bergwerks. Die Standort-Genehmigung wurde 1972/73 erteilt.

Die erste Teilgenehmigung für die rückholbare Einlagerung von 500 Kubikmetern radioaktiver Abfälle aus dem überfüllten zentralen Zwischenlager der DDR in Lohmen bei Dresden wurde 1971/72 ausgesprochen. Diese Einlagerungen erfolgten aufgrund ökonomischer Abwägungen noch vor den Umbau-Maßnahmen (Errichtungs-Genehmigung 1974) des Salzbergwerks zum Endlager. In den Folgejahren wurden kleinere Mengen radioaktiver Stoffe eingelagert, obwohl erst 1978/79 die Inbetriebnahme-Genehmigung erteilt wurde.

Die befristete Zustimmung zum Dauerbetrieb wurde am 20. Juni 1981 erteilt und am 22. April 1986 unbefristet ausgesprochen. Eine Stilllegungs-Genehmigung, in deren Rahmen erst der Nachweis der Langzeitsicherheit zu erbringen war, wurde nicht mehr erteilt. Ende der 1980er Jahre liefen die Vorbereitungen für eine weitere Genehmigungsphase, die auch die Einlagerung hochradioaktiver Stoffe ermöglichen sollte. Auch diese Genehmigung kam im Zuge der Vereinigung von DDR und BRD nicht mehr zustande.

Betrieb im vereinigten Deutschland

Die damalige Bundesumweltministerin Angela Merkel (CDU) hat in den 90er Jahren Expertenwarnungen in Zusammenhang mit dem unsicheren Atommülllager Morsleben in Sachsen-Anhalt ignoriert. Schon vor der Wiedervereinigung haben mehrere Gutachter die Standsicherheit der früheren Salzgrube bezweifelt[2]. Auch Mitarbeiter des Bundesamtes für Strahlenschutz und die Regierung von Sachsen-Anhalt hielten die Anlage schon in den 1990er Jahren nicht für geeignet, Atommüll zu entsorgen.

Merkel habe aber in einem Schreiben vom 8. Juni 1995 an das Landesumweltministerium versichert, es gebe "kein Sicherheitsdefizit" und sich eine weitere Einmischung von Landesseite verbeten. Laut "Spiegel" soll Merkel am 9. September 1997 trotz Bedenken des Landes angeordnet haben, dass Atommüll-Fässer mit bis zu 1100 Kilogramm Gewicht in die Grube eingebracht werden durften. Dem Bericht zufolge ließ Merkel erklären, sie habe sich "bei der Bewertung auf die Erkenntnisse der fachlich zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesumweltministeriums und des Bundesamtes für Strahlenschutz gestützt".

Situation heute

Seit dem Stopp der Atommülllagerung in Morsleben 1998 wird das Lager aufwendig stabilisiert, weil es inzwischen als stark einsturzgefährdet gilt. Die Kosten für die Schließung der Grube werden auf 2,2 Milliarden Euro geschätzt.[3]

Einlagerungen

In der ersten Einlagerungsperiode von 1971 bis Februar 1991 wurden ca. 14.432 Kubikmeter schwach- bzw. mittelradioaktiver Abfall und 6.227 umschlossene Strahlenquellen mit einer Gesamtaktivität von etwa 0,29 PBq eingelagert. Der Müll stammte vorwiegend aus den Kernkraftwerken Greifswald und Rheinsberg sowie aus dem Rossendorfer Forschungsreaktor. Den Rest stellten vor allem Strahlenquellen und radioaktive Präparate aus der Radionuklid-Anwendung in Forschung, Medizin und Industrie dar. Die Abfälle setzten sich zu 40 % aus festen Abfällen, insbesondere Mischabfälle und verfestigte Verdampferkonzentrate, und zu fast 60 % aus flüssigen Stoffen, im Wesentlichen auch Verdampferkonzentrate, zusammen.

Rechtliches

Im Zusammenhang mit der deutschen Wiedervereinigung wurde das Endlager von der Bundesrepublik Deutschland übernommen. Die Zuständigkeit für den Weiterbetrieb wurde auf das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) übertragen. Die bis zu diesem Zeitpunkt unbefristete Genehmigung wurde im Einigungsvertrag auf den 30. Juni 2000 befristet. Im Zeitraum von 1994 bis 1998 wurden ungefähr 22.320 m³ radioaktiver Abfälle mit einer Gesamtaktivität von 0,08 TBq in Alphastrahlern und 91 TBq in Beta- und Gammastrahlern in Morsleben eingelagert. Der Müll stammte nun aus dem gesamten Bundesgebiet. Rund 88% machten hierbei die Betriebsabfälle aus Atomkraftwerken der alten Bundesländer und der stillgelegten DDR-AKW in Rheinsberg und Lubmin aus. 3% des Abfalls stammt aus den Landessammelstellen und weitere 9% von Forschungseinrichtungen und sonstigen ablieferungspflichtigen Stellen. Auch hier handelte es sich vor allem um Mischabfälle, Verdampferkonzentrate, Harze, hochdruckverpresste Abfälle und umschlossene Strahlenquellen.

Insgesamt wurden bis zur Beendigung des Einlagerungsbetriebs im Jahr 1998 (einschließlich des Zeitraums vor der Wiedervereinigung) mindestens 36.753 m³ niedrig- und mittelradioaktiver Abfälle in Morsleben eingelagert. Dazu kommen mindestens 6.621 (andere Quellen sprechen von 6.892) umschlossene Strahlenquellen. Die Gesamt-Strahlungsaktivität wird mit etwa 0,38 PBq angegeben.

Füllort im Schacht Morsleben in ca. 375 m Teufe

Verzögerte Stilllegung

Der am 13. Oktober 1992 beim Umweltministerium des Landes Sachsen-Anhalt eingereichte Antrag auf Einleitung eines Planfeststellungsverfahrens nach § 9 b AtG für den Weiterbetrieb über den 30. Juni 2000 hinaus wurde am 9. Mai 1997 auf die Stilllegung des Endlagers Morsleben beschränkt.

Am 17. April 2001 hat das BfS der Planfeststellungsbehörde mitgeteilt, dass es unwiderruflich auf die Ausnutzung derjenigen Regelungen der Dauerbetriebsgenehmigung verzichtet, die eine Annahme weiterer radioaktiver Abfälle und deren Einlagerung im Endlager Morsleben gestatten. Das Planfeststellungsverfahren für die Stilllegung soll nun beschleunigt durchgeführt werden.

Ob es gelingt, das Bergwerk zu stabilisieren und langzeitsicher zu machen, ist bis heute unklar. Die Kosten für die Sanierungsmaßnahmen werden auf rund 2 Milliarden Euro geschätzt.

Kritik

Morsleben-Kritiker werfen dem Bundesamt für Strahlenschutz eine Verzögerungstaktik vor, da die Stilllegung seit Jahren nicht voran kommt. Anfang 2004 forderten die im Morsleben-Netzwerk zusammengeschlossenen Umweltschutzorganisationen die Veröffentlichung von Zwischenstandsberichten zu den aktuellen Stilllegungskonzepten des Bundesamtes. Dieses lehnte jedoch ab. Im Mai 2005 bestätigte die erneute Ablehnung von Auskünften zum ERAM und von Befahrungsanträgen für ein kritisches Forschungsprojekt die fragwürdige Morsleben-Politik des BfS.

Literatur

  • Falk Beyer: Die (DDR-)Geschichte des Atommüll-Endlagers Morsleben. Landesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR in Sachsen-Anhalt, Magdeburg 2005. Erschienen als Nummer 36 der Publikations-Reihe "Sachbeiträge". (Gelistet im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek)
  • Der Spiegel 43/2008 vom 20. Oktober 2008 "Merkels Altlast" [1]

Einzelnachweise

  1. www.kz-gedenkstaette-neuengamme.de
  2. Der Spiegel: Atom. Merkels Altlast, Druckausgabe vom 20. Oktober 2008, S. 46-48
  3. Der Spiegel: Atom. Merkels Altlast, Druckausgabe vom 20. Oktober 2008, S. 46-48

Weblinks


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