Emmanuel Todd

Emmanuel Todd
Emmanuel Todd (2008)

Emmanuel Todd (* 16. Mai 1951 in Saint-Germain-en-Laye, im Großraum Paris) ist ein französischer Autor.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Todd studierte Geschichte und Anthropologie und machte sein Diplom am Institut d’études politiques in Paris. An der Universität Cambridge promovierte er in Geschichtswissenschaften. Von 1977 bis 1984 war er Literaturkritiker für die französische Zeitung Le Monde. Seit 1984 arbeitet er am INED, dem Institut national d’études démographiques („Nationales Institut der Bevölkerungsstudien“). Er war einflussreicher Wahlkampfhelfer sowohl für Jacques Chirac als auch für die Kommunisten. 1995 fand der Gaullist Jacques Chirac in Todds Schriften die Inspiration für seine Wahlkampagne zum Thema der „fracture sociale“ (soziale Ungleichheit).

Todd ist Autor zahlreicher Bücher. Er wagte es, den Zusammenbruch der Sowjetunion in seinem Buch La chute finale von 1976[1] aufgrund von Faktoren wie der zunehmenden Kindersterblichkeit voraus zu sagen. Durch seine Arbeit am Nationalen Institut für Bevölkerungsstudien in Frankreich entstanden die Werke La troisième planete (1983), La nouvelle France (1990), L'enfance du monde (1984), L'invention de l'Europe (1994).

Anfang der neunziger Jahre wurde in Frankreich die Einwanderung zu einem wichtigen Thema. Emmanuel Todd beteiligte sich an der Diskussion, indem er die Ergebnisse früherer Forschungsarbeiten in Le destin des immigrés (dt. Das Schicksal der Immigranten) (1994) veröffentlichte. In diesem Buch, für das er vom französischen Parlament eine Auszeichnung erhielt, zeigt er anhand von demographischem und historischem Material, wie die Familienstruktur (insbesondere die Erbfolge) Gesellschaft und Ökonomie beeinflussen. „Weltmacht USA: Ein Nachruf“ (franz.: Après l'empire., 2002) ist wohl sein bekanntestes Werk, in dem er den Machtverlust der USA beschreibt und bereits Überlegungen zu zukünftigen internationalen politischen Konstellationen anstellt.

In Herbst 2007 erschien sein Werk „Le Rendez-vous des civilisations“ in Zusammenarbeit mit Youssef Courbage[2]. Darin geht es um den Entwicklungsrückstand der muslimischen Gesellschaft.

Bedeutende Veröffentlichungen

„Die neoliberale Illusion - Über die Stagnation der entwickelten Gesellschaften“

In seinem Buch „Die neoliberale Illusion“[3] beschreibt Todd die möglichen Gefahren einer europäischen Gesellschaft, die sich zu einer Oligarchie oder Plutokratie der transnationalen Konzerne und der Vermögensoberschicht entwickeln könnten. Bei fortschreitendem, unbegrenztem Freihandel und neoliberaler Wirtschaftspolitik könnte sich ein verhärteter Kampf zwischen Finanzelite und verarmter Restbevölkerung in größerem Maße einstellen.

Emmanuel Todd vertritt in seinem Buch die These, dass „das Wirtschaftssystem […] keineswegs Motor der Geschichte oder deren primäre Ursache“ sei, sondern „Es ist selbst nur eine Folge der Kräfte und Bewegungen, die auf tieferen Ebenen der gesellschaftlichen und geistigen Strukturen wirken“. Laut Emmanuel Todd müsse man jedoch auch die kulturellen, wirtschaftlichen und anthropologischen Ebenen mit einbeziehen und untersuchen, um die Krise der industrialisierten Welt genauer analysieren zu können.

Für Todd ist die Krise des Neoliberalismus „das Ergebnis eines langfristigen Wandels des Bildungsniveaus verschiedener Bevölkerungen“. Dies sieht er in den USA, die als „am höchsten entwickelte Gesellschaft, die bis vor kurzem eine führende Rolle in der Menschheitsentwicklung einnahm“; jedoch diese in den 70ern ihr „kulturelles Limit“ erreichte.

Die „intellektuelle Abnützung der mächtigsten Nation“ verbirgt sich nur hinter der „universalisierend-arroganten Fassade des Ultraliberalismus“ der USA. Seiner Meinung nach existieren zwei unterschiedliche anthropologische Systeme verschiedener Gesellschaften, die miteinander korrelieren. Zum einen die der individualistischen „Kernfamilie der angelsächsischen Welt und die der integrativen Stammfamilie wie in Deutschland oder Japan.“ Todds Argumentation zielt im Endeffekt darauf ab, die Ideologie und Illusion des Neoliberalismus zu widerlegen.

„Das Schicksal der Immigranten“

Dieses Buch[4] wurde mit dem Preis der französischen Nationalversammlung ausgezeichnet. Emmanuel Todd beschäftigte sich mit der Anpassung und Angleichung oder Nichtangleichung der Immigranten in den vier großen (westlichen) Einwanderungsländern: USA, Großbritannien, Deutschland und Frankreich (andere werden kurz analysiert). Das „Schicksal der Immigranten“ in den verschiedenen Aufnahmeländern lasse sich anhand politischer und ideologischer Indikatoren nur unzureichend bestimmen. Eine realistische Analyse der Einwanderung müsse anhand von Familienstrukturen, Erbmechanismen und Glaubenssystemen untersucht werden.

Er unterscheidet zwei Familienstrukturen: Die symmetrische geht von der Gleichheit durch das Erbgut der Brüder (seltener auch der Schwestern) aus, das heißt alle Menschen (zumindest alle Männer) sind gleich. Entsprechende universalistische Einstellungen würden in Europa durch die egalitäre Kernfamilie der romanischen Länder weitertransportiert. Eine starke Asymmetrie der familiären Ordnung kennzeichne hingegen die deutsche und die japanische Stammfamilie mit ihrer Bevorzugung des Erstgeborenen. Dadurch entstehe unbewusst die Nicht-Gleichheit der Menschen. Er beschreibt die Problematik zwischen den Einwanderern und den Gastgebern.

„Weltmacht USA - Ein Nachruf“

In „Weltmacht USA: Ein Nachruf[5] skizziert Todd die Entwicklung Amerikas von der stabilisierenden Supermacht zum Unruhestifter in der Welt. Er bezieht sich in dem Buch auf unterschiedliche Theorien mehrerer Politologen (zum Beispiel Brzezinski, Huntington, Fukuyama, Kissinger, Kennedy, Gilpin und Andere), wobei er deren Theorien in seine eigene teilweise mit einfließen lässt und sie miteinander verknüpft.

Nach Todd war die besondere Stärke der USA deren wirtschaftliche und ideologische Dominanz über den nicht-kommunistischen Teil der Welt zu Zeiten des Kalten Krieges. Die wirtschaftliche Dominanz hätten sie besonders durch ihre Zurückhaltung in den beiden Weltkriegen und der daraus resultierenden Überlegenheit gegenüber den geschwächten europäischen Mächten und Japan erlangt. Die ideologische Dominanz wiederum sei ein Resultat der Bipolarität, welche die USA als Verkörperung der freiheitlich-demokratischen Werte legitimiert hätte. Diese Legitimation schwinde seit dem Zerfall der Sowjetunion aber nach und nach und werde durch die unberechenbare und destabilisierende Außenpolitik der USA noch mehr schwinden.

Zudem beschreibt Todd in seinem Buch eine Umkehrung der wirtschaftlichen Abhängigkeit. Früher sei die Welt von den USA abhängig gewesen, jetzt seien die USA vom Rest der Welt abhängig. Ein Grund dafür sei das amerikanische Problem, mehr zu konsumieren als zu produzieren und das daraus resultierende Handelsdefizit, welches sich seit den 70er Jahren stetig vergrößert.

Des Weiteren zeigt Todd anhand empirischer Daten, dass die Transaktionen zwischen Russland, Europa und Japan zunehmen, wohingegen die Investitionen in die USA abnehmen. Europa, Russland und Japan sieht Todd als die wichtigsten Mächte im zukünftigen globalen System des Gleichgewichts, das er umreißt.

Todd spricht in seinem Buch eine weitere Umkehrung der Verhältnisse an. Seine These ist, dass es eine Entwicklung der heutigen Demokratien hin zu Oligarchien gebe, während die Entwicklungsländer durch steigenden Alphabetisierungsgrad und ein höheres Bildungsniveau immer demokratischer würden.

„Die unaufhaltsame Revolution“

Zusammen mit Youssef Courbage, dem aus Syrien stammenden Forschungsdirektor am Institut National d'Études Démographiques in Paris und damit seinem Vorgesetzten, veröffentlichte Immanuel Todd „Die unaufhaltsame Revolution: Wie die Werte der Moderne die islamische Welt verändern“.[6] In dem Buch konzentrieren sich die Autoren wieder stärker auf ihre Theorie, dass Alphabetisierung der Frauen - und Männer - einer Gesellschaft deren Geburtenrate entscheidend bestimmt, und dass der Eintritt einer Gesellschaft in die Moderne durch den tendenziellen Fall der Geburtenrate eingeleitet wird. Die Art, wie die demografische Revolution ablaufe, werde dabei am stärksten durch die vorherrschenden Familienstrukturen eines Landes bestimmt, nicht jedoch durch die Religion. Allerdings scheine eine vorausgehende religiöse Krise zur Standardentwicklung zu gehören.

Die beiden verlieren sich in einer Vielzahl von Beispielen, die bis hinunter zu einzelnen Stämmen gehen, und zeigen eine große Anzahl an Statistiken und Schaubildern. Eine umfassende quantitative Analyse wird allerdings nicht geliefert.

Forschungsschwerpunkte

Emmanuel Todd spricht demographischen und bildungspolitischen Faktoren sehr viel Gewicht in der Entwicklung einzelner Gesellschaften, aber auch in der Entwicklung des globalen politischen Systems zu. Eine seiner Thesen besagt zum Beispiel, dass viele sozio-politische Phänomene anhand der jeweils vorherrschenden Familienstruktur in der Gesellschaft zu erklären seien. Er entwickelte ein Klassifizierungsmuster von Gesellschaften, mit dem, unter Berücksichtigung der globalen Wechselwirkungen von Gesellschaftsformen, die zukünftige Entwicklung dieser Gesellschaften absehbar sei.

Emmanuel Todd bezeichnete sich selbst als „empirischen Hegelianer“ (Feuilleton der SZ, Samstag, 14. Februar 1998, Seite 23).

Weblinks

 Commons: Emmanuel Todd – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Quellen

  1. Todd, Emmanuel: Vor dem Sturz : Das Ende der Sowjetherrschaft. 14. Aufl. München: Piper, 2003. - ISBN 978-3-492-04535-3.
  2. Courbage, Youssef; Todd, Emmanuel: Die unaufhaltsame Revolution : Wie die Werte der Moderne die islamische Welt verändern. München: Piper, 2008. - ISBN 978-3-492-05131-6.
  3. Todd, Emmanuel: Die neoliberale Illusion : über die Stagnation der entwickelten Gesellschaften. Zürich: Rotpunktverlag, 1999. - ISBN 3-85869-177-1.
  4. Todd, Emmanuel: Das Schicksal der Immigranten : Deutschland - USA - Frankreich - Großbritannien. Hildesheim: Claassen, 1998. - ISBN 3-546-00135-4.
  5. Todd, Emmanuel: Weltmacht USA : Ein Nachruf. 6. Aufl. München: Piper, 2003. - ISBN 3-492-04535-9.
  6. Courbage, Youssef; Todd, Emmanuel; Heinemann, Enrico (Übers.): Die unaufhaltsame Revolution : Wie die Werte der Moderne die islamische Welt verändern. München: Piper, 2008. - ISBN 978-3-492-05131-6.

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужно сделать НИР?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Emmanuel Todd — Saltar a navegación, búsqueda Emmanuel Todd Nacimiento 16 de mayo de 1951 Saint Germain en Laye …   Wikipedia Español

  • Emmanuel Todd — (16 May 1951) is a French historian, demographist, sociologist and political scientist at the National Institute of Demographic Studies (INED), in Paris. His research examines the different types of families worldwide and how there are matching… …   Wikipedia

  • Emmanuel Todd — Pour les articles homonymes, voir Todd. Emmanuel Todd Emmanuel Todd, lors d une conférence à Montpellier. Naissance …   Wikipédia en Français

  • Systeme familial selon Emmanuel Todd — Système familial selon Emmanuel Todd Les systèmes familiaux sont les différentes formes de familles identifiées par Emmanuel Todd dans le cadre de ses recherches en sciences humaines. Emmanuel Todd a réalisé des travaux portant sur les systèmes… …   Wikipédia en Français

  • Système familial selon emmanuel todd — Les systèmes familiaux sont les différentes formes de familles identifiées par Emmanuel Todd dans le cadre de ses recherches en sciences humaines. Emmanuel Todd a réalisé des travaux portant sur les systèmes familiaux, ainsi que leur influence… …   Wikipédia en Français

  • Système familial selon Emmanuel Todd — Les systèmes familiaux sont les différentes formes de familles identifiées par Emmanuel Todd dans le cadre de ses recherches en sciences humaines, dans la ligne des travaux de Frédéric Le Play. Emmanuel Todd a réalisé des travaux portant sur les… …   Wikipédia en Français

  • Todd (surname) — Todd is a surname meaning Fox in Gaelic, and may refer to*Albert E. Todd, Canadian mayor *Albert M. Todd, US Representative from the state of Michigan *Alexander R. Todd, Baron Todd, Nobel laureate in chemistry *Andy Todd, English football player …   Wikipedia

  • Todd — ist der Familienname folgender Personen: Albert M. Todd (1850–1931), US amerikanischer Politiker Alexander Robertus Todd (1907–1997), britischer Chemiker und Nobelpreisträger Ann Todd (1909–1993), britische Schauspielerin Barbara Euphan Todd… …   Deutsch Wikipedia

  • Todd — Cette page d’homonymie répertorie les différents sujets et articles partageant un même nom. Pour les articles homonymes, voir Comté de Todd. Todd est un nom propre qui peut désigner : Sommaire …   Wikipédia en Français

  • Emmanuel Curtil — Données clés Naissance 7 février 1971 (1971 02 07) (40 ans) Charenton, Val de Marne Nationalité …   Wikipédia en Français

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”