Emder Revolution

Emder Revolution
Emden um 1575

Die Emder Revolution vom 18. März 1595 markiert den Beginn des Status von Emden als quasi-autonome Stadtrepublik.

Im Jahr 1595, nach mehreren der Bevölkerung gegenüber ziemlich rücksichtslosen Steuererhöhungen und Gesetzen, setzten die Emder Bürger im Zuge der „Emder Revolution“ den von dem Grafen Edzard II. eingesetzten Rat der Stadt ab und nahmen die gräfliche Burg ein. Edzard II. sah sich gezwungen, seine Residenz nach Aurich zu verlegen. Mit dem Vertrag von Delfzijl vom 15. Juli 1595 musste sich der Graf verpflichten, auf den Großteil seiner Rechte in Emden zu verzichten.

Inhaltsverzeichnis

Vorgeschichte

Durch die Aufnahme von calvinistisch-reformierten Glaubensflüchtlingen aus den spanischen Niederlanden entwickelte sich Emden Mitte des 16. Jahrhunderts zu einem Großhafen von europäischer Bedeutung, was vor allem durch die Blockade niederländischer Häfen durch die Spanier begründet ist. Emden entwickelte sich dadurch zu einem Hauptumschlagplatz für Getreideexporte nach Westfalen. Gleichzeitig wurde Ostfriesland, insbesondere aber Emden durch die Aufnahme der Glaubensflüchtlinge politisch, wirtschaftlich, vor allem aber religiös geprägt.

Nach dem Waffenstillstand zwischen Spanien und den aufständischen Niederlanden am Ende des 16. Jahrhunderts und der dadurch ausgelösten Rückwanderung der Flüchtlinge sowie dem Ende der Hafenblockaden setze in Emden eine ökonomische Depression ein.

Gleichzeitig verschärften sich die Spannungen zwischen der Stadt Emden und dem ostfriesischen Grafen Edzard II.. Der eigentliche Grund war die willkürliche Steuerpolitik des Grafen. Wie so oft in der Geschichte entluden sich die Spannungen aber in einem veritablen religiösen Konflikt. Edzards Mutter Anna hatte im Jahre 1558 die Primogenitur abgeschafft und festgelegt, dass die Regierung über das Herrschaftsterritorium nach ihrer Regentschaft von ihren drei Söhnen Edzard, Christoph und Johann gemeinsam ausgeführt werden sollte. Mit diesem Schachzug wollte sie vermutlich vor allem den sich anbahnenden Einfluss des Hauses Wasa in der Grafschaft eindämmen, der durch die Ehe ihres ältesten Sohnes Edzard mit Katharina, der ältesten Tochter des schwedischen Königs Gustav I. Wasa, begründet worden war. Sie nahm aber damit Edzard sein Recht auf die alleinige Herrschaft über die Grafschaft, was de facto eine Teilung Ostfrieslands zur Folge hatte, denn Johann vertrat wie seine Mutter und die Stadt Emden die calvinistische, Edzard II. die lutherische Glaubensrichtung.

Graf Johann war in der Stadt sehr beliebt, denn in ihm hatte die reformierte Kirche einen prominenten Fürsprecher im Grafenhaus. Dies änderte sich nach seinem Tod 1591. In der Folgezeit entwickelte sich der reformierte Prediger in der Großen Kirche in Emden, Menso Alting, zum größten Widersacher der Machtbestrebungen des Grafen. Alting beeinflusste maßgeblich die Durchsetzung des Calvinismus in Emden. Zur Abwehr der Gegenreformation erstrebte er eine protestantische Union im Geiste des kämpferischen Calvinismus. Das wiederum verwickelte ihn in die Auseinandersetzungen der Niederlande mit Spanien wie auch der ostfriesischen Stände mit den absolutistischen Neigungen der lutherischen Grafen Edzard II. und Enno III. von Ostfriesland. Geschickt nutzte er Steuererhöhungen, um die Emder Bevölkerung aufzuwiegeln, so dass Edzard II. beim Kaiser um Hilfe ersuchte. Dieser erließ am 21. Januar 1594 ein Dekret gegen die ostfriesischen Stände und gegen einige Bürger der Stadt Emden, in dem diese aufgefordert wurden:

  • den Grafen als ihren Landesherren anzuerkennen
  • die Stadt zu befrieden
  • das Rathaus an das Grafenhaus zu übergeben
  • auf Versammlungen zu verzichten
  • das Vierziger Kollegium abzuschaffen

Die Anrufung des Kaisers bestärkte die Bürger Emdens in ihrer Ablehnung des Grafenhauses. Der Autoritätsverlust des Grafen war offensichtlich, und es kam zur Emder Revolution.

Verlauf

„Große Kirche“ in Emden, heute Johannes a Lasco Bibliothek

Am 18. März 1595 versammeln sich viele Menschen in der Großen Kirche. Zunächst heizt Menso Alting das Volk mit einer Predigt ein. Daraufhin hält Gerhard Bolardus, ein Mitglied der Vierziger eine leidenschaftliche Rede, in der er zum Umsturz aufruft. Waffen werden ausgeteilt, und die Menge zieht zum Rathaus. Danach werden die Wälle und alle wichtigen Orte in der Stadt besetzt. Nach dem Beispiel anderer Städte wurden 21 Bürgerkompanien (später 23) aufgestellt. Jede Kompanie wurde von einem Hauptmann, einem Leutnant und einem Fähnrich angeführt. Diese 21 Hauptleute mit den 4 Quartiermeistern der Emder Stadtviertel bildeten die „Bürgerliche Kriegskammer“. Dies ist die Geburtsstunde der Emder Bürgerwehr.

Beunruhigt durch die Nachrichten aus Emden, schickt Edzard II. seinen Sekretär in die Stadt, um die Lage zu sondieren. Ermutigt durch die offensichtliche Machtlosigkeit des Grafen setzen Bürger Emdens am 24. März 1595 den gräflichen Bürgermeister ab. Das von Emder Bürgern gewählte Vierziger-Kollegium übernimmt die Macht und wählt vier neue Bürgermeister und acht Ratsherren. Edzard II. schickt daraufhin seinen Kanzler nach Den Haag, um die niederländische Position in diesem Konflikt zu erfragen. Diese bieten am 2. April die Vermittlung in diesem Konflikt an. Auf der Ostfriesischen Halbinsel eskaliert der Konflikt. So wird am 19. April die gräfliche Burg gestürmt und anschließend auf der stadtwärtigen Seite geschleift. Die gräfliche Residenz wird daraufhin gezwungenermaßen nach Aurich verlegt. Emder Schiffe erhalten den Auftrag, nach gräflichen Truppentransportern Ausschau zu halten und diese gegebenenfalls zu kapern. Edzards II. Reaktion macht seine Machtlosigkeit offenbar. Er bietet den Generalstaaten als Gegenleistung für die Unterstützung seiner Position Ostfriesland als achte niederländische Provinz an und lässt an der Knock Truppen aufziehen, welche den Auftrag erhalten, vorbeifahrende Emder Schiffe zu beschießen.

Die Emder bitten darauf ihrerseits die Generalstaaten um Hilfe. Diese kommen dem Ersuchen nach und entsenden 1000 Mann Verstärkung in die Stadt. Dem Grafen bleibt kein Ausweg mehr übrig, und er muss mit den Emdern in Verhandlungen treten. Am 7. November 1595 wurde in Delfzijl ein Vertrag zwischen dem Grafen, den Ostfriesischen Ständen und der Stadt Emden geschlossen, welcher den Frieden jedoch nur kurzzeitig wiederherstellen konnte. Die Spannungen spitzten sich zu und mündeten ab 1600 in einen offenen Bürgerkrieg zwischen der Stadt Emden auf der einen Seite sowie Enno III. und dessen gräflichen Landesteilen auf der anderen Seite. Wiederum wurden die Emder von den Generalstaaten unterstützt, und es kam am 4. Oktober 1602 an der von Enno angelegten Logumer Schanze zu einem größeren Gefecht, das bis zum 14. Oktober andauerte. Aus diesem gingen die Emder als Sieger hervor, und der Graf tauchte bis zum Februar 1603 ab, nachdem seine Niederlage die wahren Machtverhältnisse in Ostfriesland offengelegt hatte. Während der gräflichen Abwesenheit übte die Stadt Emden die Souveränität über Ostfriesland aus und zog Steuern ein.

Im Februar 1603 erschien Enno III. dann in Den Haag, woraufhin die Stadt Emden ihrerseits Vertreter in die Generalstaaten entsandte, um die Verhandlungen zum Haager Vergleich zu führen. Im Vertrag wird der Stadt Emden die Eingliederung ihrer Vorstädte bestätigt. Des Weiteren erhält die Stadt die Steuerhoheit innerhalb ihrer Grenzen. Auch die militärische Oberhoheit ging auf den Magistrat über, was Emden de facto zu einer freien Reichsstadt machte. So wurde verfügt, dass Emden eine von den ostfriesischen Ständen finanzierte ständige Garnison von 600 bis 700 Mann Stärke erhalten sollte. Auch der Einfluss der Generalstaaten auf Emden wurde festgeschrieben, denn der Kommandant der städtischen Garnison durfte zuvor weder in gräflichen noch in emdischen Diensten gestanden haben, was bedeutete, dass er ein Niederländer sein musste.

Es waren ungleiche Verhandlungen, an deren Ende der Graf unter der Androhung von Krieg (durch die Generalstaaten) zur Unterschrift unter einen diktierten Vertrag genötigt wurde. Nur widerstrebend unterschrieb Enno III. den Vertrag dann am 8. April 1603, nachdem er zuvor noch gezögert hatte. Die Worte des Vermittlers der Generalstaaten „Ihr sollet willigen, was wir wollen oder Kriegh haben“, hatten ihre Wirkung nicht verfehlt.

Auswirkungen

Emden befreite sich durch die Revolution von der Herrschaft der Cirksena und erreichte als „Satellit“ der Niederlande de facto die Stellung einer freien Reichsstadt. Stolz werden alle Verträge und öffentlichen Publikationen nach Römischen Vorbild mit „S.P.Q.E.“ (Emdischer Senat und Bürgerschaft) unterzeichnet. Mit dem reformierten Südwesten Ostfrieslands schloss es sich immer enger an die calvinistische Kirche der Niederlande an. Dadurch wurde im Laufe des 17. Jahrhunderts Niederländisch zur Standardsprache des gehobenen Bürgertums in Emden. Dennoch beginnt mit der Emder Revolution der Niedergang von Emden. Im Vertrag von Greetsiel wurde festgeschrieben, dass in Emden nur noch die reformierte Religion gelehrt werden durfte. Die Toleranz der Stadt in Glaubensfragen ist vorüber, und erst um 1800 wurde mit ca. 600 Schiffen ein Umschlag im Hafen erreicht, der sich mit dem der 70er Jahre des 16. Jahrhunderts vergleichen lässt.

Literatur

  • Hajo van Lengen (Hg.): Die „Emder Revolution“ von 1595, Kolloquium der Ostfriesland-Stiftung am 17. März 1995

Weblinks


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