Eberhard von Thadden

Eberhard von Thadden

Eberhard von Thadden (* 1909 in Berlin-Charlottenburg; † 11. November 1964) war Referatsleiter „Inland II“ und Judenreferent im Auswärtigen Amt unter Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Der Sohn des Hauptmanns und späteren Obersten Arnold von Thadden erwarb 1928 das Abitur am Realgymnasium in Weimar und absolvierte dann eine Kaufmannslehre bei einer Hamburger Exportfirma, ehe er an den Universitäten Hamburg und Freiburg/Breisgau Rechtswissenschaften studierte und schließlich 1933 in Göttingen zum Doktor der Jurisprudenz promoviert wurde. Neben dem juristischen Vorbereitungsdienst studierte von Thadden an der Berliner Hochschule für Politik. Nach seinem juristischen Assessorexamen wurde er am 1. November 1937 als Attaché im Auswärtigen Amt eingestellt und im Februar 1940 zum Legationssekretär ernannt.

Von Thadden, mit Antrag vom 27. April 1933 unter der Mitgliedsnummer 2.634.543 noch kurz vor dem zeitweiligen Aufnahmestopp vom 1. Mai 1933 NSDAP-Mitglied geworden und im September 1936 in die SS aufgenommen, bei der er mit Datum vom 30. Januar 1945 zum SS-Sturmbannführer avancierte, arbeitete ab 1943 unter seinem direkten Vorgesetzten Horst Wagner, dem Verbindungsmann von Ribbentrop und Reichsführer SS Heinrich Himmler, als Stellvertreter Wagners und Referatsleiter der Gruppe „Inland II“, die laut Geschäftsverteilungsplan des Auswärtigen Amtes für die „Durchführung von Judenmaßnahmen“ verantwortlich war. Als Judenreferent Ribbentrops wirkte von Thadden insbesondere an der Deportation der Juden in Südosteuropa mit. Der Historiker Götz Aly benennt ihn in seinem ZEIT-Artikel 2002 als einen der Hauptverantwortlichen für die Deportation der nordgriechischen Juden, vor allem der mehr als 50.000 jüdischen Bürger von Saloniki. Aly erwähnt, dass von Thadden in seinen Reisekostenabrechnungen als Grund seiner Athen-Flüge angab: „Sonderauftrag des Führers betr. Stabilisierung der wirtschaftlichen Verhältnisse in Griechenland“.

Am 15. Mai 1943 schrieb Eberhard von Thadden, zu diesem Zeitpunkt „Judenreferent“ des Auswärtigen Amtes, an seinen Vorgesetzten Franz Rademacher, dass Gauleiter Wilhelm Kube „den Italienern eine Gaskammer gezeigt“ habe, „in der angeblich die Tötung der Juden durchgeführt würde. Die [italienischen] Faschisten sollen auf das Tiefste erschüttert gewesen sein. Herr Rademacher hat diesen Vorfall durch …, Adjutant von Reichsleiter Rosenberg, erfahren …“[1]

Als der Schweizer Gesandte Peter Anton Feldscher am 12. Mai 1943 im Auftrag der britischen Regierung beim Auswärtigen Amt anfragte, ob Bereitschaft bestünde, 5000 jüdische Kinder aus dem deutschen Herrschaftsbereich nach Palästina ausreisen zu lassen, erarbeitete Eberhard von Thadden für das Referat Inland II eine von Horst Wagner unterstützte und von verschiedenen Abteilungsleitern des AA gebilligte propagandistische Zurückweisung dieses, im Amtsjargon als Feldscher-Aktion bezeichneten Rettungsversuches, die dazu führte, dass eine Rettung der Kinder vereitelt wurde.[2]

Seine Verantwortung für die Deportationen geht auch aus einem Schreiben an Adolf Eichmann vom 24. April 1944 hervor: „Es wird beabsichtigt, am 15. Mai mit dem Transport von täglich 3000 Juden vorwiegend aus dem Karpathenraum zu beginnen ... Als Aufnahmeort ist Auschwitz vorgesehen“.[3] Nach einem Besuch bei Eichmann in Budapest schrieb er in einem Bericht vom 25. Mai 1944: „Weitere rund 200 000 [Juden] sind konzentriert und warten auf den Abtransport“.[3]

Thadden referierte auf der Tagung "Antijüdische Auslandsaktion" der Judenreferenten und "Arisierungsberater" unter Horst Wagner aus 12 deutschen Gesandtschaften in Europa Anfang April 1944 in Krummhübel über die judenpolitische Lage in Europa und den Stand der antijüdischen Exekutivmaßnahmen. Er umriss den Stand der antijüdischen Maßnahmen in sämtlichen europäischen Ländern und warb bei den Diplomaten dafür, an ihren Dienstorten aktiv Verständnis für diese Maßnahmen zu wecken.[4]. Von ihm berichtete Details sollten wegen ihrer Brisanz ausdrücklich, ebenso wie die des Franz Alfred Six, nicht ins Protokoll genommen werden; so rutschte nur der Satz von den "Exekutivmaßnahmen" hinein.

Ursprünglich sollte im Wilhelmstraßen-Prozess Anklage gegen v. Thadden erhoben werden. Als die Liste der Angeklagten um Mitglieder anderer Dienststellen mit Sitz in der Wilhelmstraße erweitert wurde, strich man Thaddens Namen.[5]

Im Zusammenhang mit dem Nürnberger Prozess wurde Thadden zur "Antijüdischen Auslandsaktion" (AAA) befragt, die auch "Inf. XIV"[6] hieß. Er erzählte, die AAA habe mit eigenem und von anderen Dienststellen zugeteiltem Personal die antijüdische Propaganda im Auswärtigen Amt zusammengefasst und sie mit anderen Ämtern koordiniert. Das habe oft zu einem Kampf mit anderen Dienststellen (sc. um Kompetenzen) geführt. Daher habe die AAA an Praxis auf längere Sicht überhaupt nichts leisten können[7]

Eberhard von Thadden, der Stellvertreter Wagners und Judenreferent des Auswärtigen Amtes, gegen den – ähnlich wie bei seinem Vorgesetzten – beim Landgericht Essen ein Verfahren wegen Beihilfe zum Judenmord anhängig war, verstarb am 11. November 1964 an den Folgen eines Verkehrsunfalls.

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Reinhard Bollmus: Das Amt Rosenberg und seine Gegner. München 1970, S. 292. (Angegeben Quelle: Eichmann-Prozess, Dokument 203, Ph. im IfZ; Sendung „Das unheilvolle Staatsgeheimnis“, Südd. Rundfunk, 2. Programm, 11. November 1968.) (Warum Bollmus hier den Namen des Adjutanten nicht zitierte, ist unklar. Höchstwahrscheinlich handelte es sich um Werner Koeppen.)
  2. Sebastian Weitkamp: Braune Diplomaten. Horst Wagner und Eberhard von Thadden als Funktionäre der „Endlösung“ . Bonn 2008, S. 209-230.
  3. a b Zitat bei Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Fischer Taschenbuch Verlag, Zweite aktualisierte Auflage, Frankfurt am Main 2005, ISBN 978-3-596-16048-8, S. 620.
  4. Das Protokoll (Online oder Print/Lit.-Hinweis) im Lemma Krummhübel. Zit. nach Print, Steinkühler S. 269
  5. Dirk Pöppmann: Robert Kempner und Ernst von Weizsäcker im Wilhelmstraßenprozess. Zur Diskussion über die Beteiligung der deutschen Funktionselite an den NS-Verbrechen. S. 173. In: Irmtrud Wojak, Susanne Meinl: Im Labyrinth der Schuld. Frankfurt 2003, ISBN 3-593-37373-4.
  6. für Informationsstelle (des AA) 14
  7. 21. Juni 1946. Longerich macht darauf aufmerksam, dass er die Aussage evtl. für sich entlastend schöngefärbt hat. Peter Longerich: Propagandisten im Krieg, S. 68

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