Afrikanisches Kino

Afrikanisches Kino

Das afrikanische Kino umfasst in der Regel die Filmproduktion in den Ländern südlich der Sahara seit der Erlangung der formalen Unabhängigkeit, die für viele Staaten in den 1960ern kam. In einigen der geographisch zu Afrika gehörenden arabischen Staaten, besonders in Ägypten, hatte sich schon wesentlich früher eine funktionierende Filmindustrie entwickelt. Andererseits werden zum afrikanischen Kino auch afrikanische Regisseure gezählt, die in der Diaspora leben.

Inhaltsverzeichnis

Film in Afrika während der Kolonialzeit

Afrika war und ist der „Kontinent der Projektionen“ (iz3w, Nr. 213). Wie für die afrikanische Literatur ist auch für das afrikanische Kino die Zurückweisung der rassistischen Bilder von Afrika und den Afrikanern, die sich die Kolonisatoren gemacht hatten, ein wichtiges Motiv. In den Hollywoodfilmen, die während der Kolonialzeit entstanden, dient Afrika – wie noch später in 2001: Odyssee im Weltraum von Stanley Kubrick – nur als Kulisse. Sie beschränkt sich auf die Landschaft oder wird mit einigen „Wilden“ ausstaffiert, die stereotyp als gefährliche ‚Primitive’ oder als ‚dankbare’ Diener dargestellt werden. Diese entwürdigenden Repräsentationen setzten mit moderneren technischen Mitteln die Völkerschauen fort, in denen Nichteuropäer in europäischen Zoos wie Tiere ausgestellt wurden.

In den französischen Kolonien war Afrikanern das Drehen von Filmen ausdrücklich untersagt. Der erste afrikanische Film, L’Afrique sur Seine von Paulin Soumanou Vieyra, entstand daher 1955 in Paris. Das Thema der Afrikaner in der Diaspora blieb ein wichtiges Motiv des afrikanischen Kinos.

Vor der Unabhängigkeit entstanden einige wenige antikolonialistische Filme wie Les statues meurent aussi von Chris Marker und Alain Resnais über den Raub afrikanischer Kunst, der zehn Jahre verboten blieb, oder Afrique 50 von René Vauthier über Aufstände in der Elfenbeinküste und in Obervolta, dem heutigen Burkina Faso.

Die in dieser Zeit entstandenen ethnographischen Filme z.B. von Jean Rouch werden dagegen von vielen afrikanischen Filmemachern als die afrikanische Realität verzerrend abgelehnt.

1960er und 1970er Jahre

Der erste afrikanische Film, der eine größere internationale Aufmerksamkeit erreichen konnte, war der Film La Noire de.. von Ousmane Sembène über die Verzweiflung einer Afrikanerin, die in Frankreich als Dienstmädchen arbeitet. Der Schriftsteller Sembène hatte sich dem Kino zugewandt, um eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen. Er gilt noch heute als ‚Vater’ des afrikanischen Films. Sembènes Heimatland Senegal war lange Zeit eines der wichtigsten Produktionsländer. Sein erster Kurzfilm entstand 1963: Borrom Sarret (Der Karrenmensch) zeigt den Alltag eines Lastenträgers, dessen Pferdekarren für allerlei Dienstleistungen in Anspruch genommen wird. Der Film beschreibt parabelhaft den Aufbau des noch jungen unabhängigen Staates, nicht ohne auf die Probleme hinzuweisen. Seine klare und gleichzeitig reiche, symbolhafte Bildsprache hat Sembène bis heute erhalten.

Mit der Gründung des panafrikanischen Filmfestivals FESPACO 1969 in Burkina Faso schuf sich der afrikanische Film ein eigenes Forum. Es findet alle zwei Jahre abwechselnd mit den Filmtagen in Karthago (Tunesien) statt.

Mit O soleil O erregte Med Hondo 1970 Aufsehen. Politisch nicht weniger engagiert als Sembène, wählte er für seinen Film über die Erfahrung des Fremdseins in Frankreich eine unruhigere, experimentellere Filmsprache.

Produktions- und Rezeptionsbedingungen

Selbstverständnis und politischer Anspruch der Filmemacher

Das Selbstverständnis und der politische Anspruch der Filmemacher gehen besonders deutlich aus der Charte du cinéaste africain hervor, die beim zweiten Treffen des Verbands der afrikanischen Filmemacher FEPACI 1975 in Algiers einstimmig angenommen wurde. Dabei gehen die Filmemacher von der vom Neokolonialismus geprägten Situation Afrikas aus. "Die zeitgenössischen afrikanischen Gesellschaften leben immer noch in einer Situation, in der sie auf mehreren Ebenen beherrscht werden: politisch, ökonomisch und kulturell." In dieser Situation sahen die Filmemacher ihre gesellschaftliche Verantwortung darin, zur Bewusstwerdung der afrikanischen Menschen beizutragen, wobei sie ihre Solidarität mit progressiven Filmemachern in anderen Teilen der Welt betonten. Das afrikanische Kino wird daher häufig zum 'dritten Kino' gezählt.

Die Ziele des dritten Kinos wurden in Manifesten von Octavio Getino und Fernando Solanas (Für ein drittes Kino, 1968) und Julio Garcia Espinosa (Für ein unvollkommenes Kino) definiert. Das dritte Kino wurde in Abgrenzung vom ersten Hollywood-Kino und von einem ‘unpolitischen’ Autorenkino bestimmt.

In den Worten Souleymane Cissés‚ ist es "die erste Aufgabe der afrikanischen Cineasten, zu bejahen, dass die Leute hier menschliche Wesen sind und diejenigen ihrer Werte, die anderen nützlich sein könnten, bekannt zu machen. Die Generation, die auf uns folgen wird, mag sich anderen Aspekten des Kinos öffnen. Unsere Pflicht ist es, die Leute begreifen zu lassen, dass die Weißen mit ihren Bildern gelogen haben." (Thackway, S.39)

Der afrikanische Film hatte sich in den ersten Jahrzehnten primär das Ziel gesetzt, durch eigene Bilder von der Realität der jungen afrikanischen Staaten und Wirklichkeiten den Blick auf Afrika zu dekolonialisieren. Der Anspruch musste deshalb ein explizit politischer sein, um dieses Ziel zu erreichen: bewusst hob man sich sowohl vom kommerziellen Hollywoodkino als auch vom europäischen Kunst- und Autorenfilm ab. Das Ziel, den afrikanischen Menschen ihre Geschichte zurückgeben, wurde dramaturgisch auch dadurch umgesetzt, sich einer spezifisch afrikanischen Erzähltradition zu bedienen: der Oral Tradition oder mündlichen Überlieferung. Die Filmemacher bezogen sich auf die Griots: Erzähler, die als Historiker, Genealogen und Botschafter in Afrika unterwegs sind und waren. Dabei gilt, dass sich die Filmemacher nicht nur als moderne Griots verstanden, sondern auch als Entwicklungshelfer für einen neuen, kritischen Dialog mit der Gesellschaft.

In den letzten Jahren wendet sich das afrikanische Kino verstärkt Themen zu, die nicht mehr nur mit der Kolonialzeit bzw. dem Neokolonialismus zu tun haben. Es werden verstärkt die eigene Verantwortung in der Geschichte thematisiert, als auch Probleme, die hausgemacht sind. Korruption, AIDS, die Unterdrückung der Frauen, das Problem der Filmemacher als Eliten im eigenen Land sind als neue Themenbereiche hinzugekommen. Auch werden zunehmend unterschiedliche Genres bedient, ein "afrikanischer Film" ist nicht mehr gleichbedeutend mit einem politischen. Es gibt afrikanische Komödien und Dramen, auf dem Videomarkt finden sich Actionfilme und Soaps.

Frauen als Regisseurinnen

Die Ethnologin und Filmemacherin Safi Faye war die erste afrikanische Regisseurin, die international bekannt wurde.

1972 hatte bereits Sarah Maldoror ihren Film Sambizanga über den Befreiungskampf in Angola gedreht. Den überlebenden Frauen dieses Krieges ist der mehr als 20 Jahre später entstandene Dokumentarfilm Les oubliées von Anne-Laure Folly gewidmet. Eine jüngere afrikanische Filmemacherin ist die als Schriftstellerin bekannt gewordene Tsitsi Dangarembga. Als erste Frau in Simbabwe drehte sie mit Everyone's Child (1996) einen Film. Weitere Filme von Dangarembga sind Ivory (2002), Elephant People (2002) und Kare Kare Zvako: Mother's Day (2005). Dangarembga ist überdies als Produzentin tätig und hat 2003 ein internationales Filmfestival für Frauen in Simbabwe ins Leben gerufen. 2008 wurde Manouchka Kelly Labouba die jüngste Filmemacherin und erste Frau, die jemals einen Spielfilm in Gabun realisierte. Ihr 40-minütiger Kurzfilm Le Divorce beschreibt den Konflikt zwischen Tradition und Moderne am Beispiel eines jungen gabunesischen Paares, das versucht seine traditionell geschlossene Ehe scheiden zu lassen.[1]

Neuere Entwicklungen

  • Return to the source – Filme

Souleyman Cissé, Yeleen (Mali 1987) Cheick Omour Sissoko, Guimba (Mali 1995)

Diesen Filmen wird vorgeworfen, den exotistischen Geschmack des europäischen Publikums zu bedienen.

  • Filme, die in der globalisierten afrikanischen Stadt angesiedelt sind wie z.B. Quartier Mozart von Jean-Pierre Bekolo (Kamerun 1992).

Kino in den einzelnen Staaten

Regisseure nach Ländern und Herkunft

Festivals und Bezugsquellen

Einzelnachweise

  1. IMDb

Literatur

Aufsätze

  • Fernando E. Solanas, Octavio Getino, "Für ein drittes Kino" in: Peter B. Schumann, Kino und Kampf in Lateinamerika. Zur Theorie und Praxis des politischen Kinos, München und Wien: Carl Hanser 176, S. 9–19

Bücher

  • Roy Armes: Dictionary of African Filmmakers, Indiana University Press, 2008, ISBN 0-253-35116-2
  • Roy Armes and L. Malkmus: Arab and African Film Making. Zed Books 1991
  • I. Bakari and M. B. Cham: African Experiences of Cinema. BFI Publishing 1996
  • Olivier Barlet: Afrikanische Kinowelten. Die Dekolonisierung des Blicks. Horlemann Verlag 2001
  • Manthia Diawara: African Cinema – Politics and Culture. Indiana University Press 1992
  • Manthia Diawara: Neues afrikanisches Kino: Ästhetik und Politik, München: Prestel, 2010, ISBN 3-7913-4343-2
  • Marie H. Gutberlet und Hans-Peter Metzler: Afrikanisches Kino. Arte Edition 1997
  • Marie H. Gutberlet: Auf Reisen: Afrikanisches Kino. Stroemfeld 2002
  • Francoise Pfaff: Twenty-Five Black African Filmmakers: A Critical Study. Greenwood Press 1988
  • Francoise Pfaff: Focus on African Films. Indiana Univ Press 2004
  • K. W. Harrow [et. all]: African Cinema – Postcolonial and Feminist Readings Africa World Press Inc. 1999
  • Nwachukwu Frank Ukadike: Black African Cinema. University of California Press 1994
  • Nwachukwu Frank Ukadike: Questioning African Cinema: Conversations with Filmmakers. University of Minnesota Press 2002, ISBN 0-8166-4005-X
  • Johannes Rosenstein: Die schwarze Leinwand. Afrikanisches Kino der Gegenwart. Stuttgart 2003
  • Melissa Thackway: Africa Shoots Back: Alternative Perspectives in Sub-Saharan Francophone African Film. Indiana University Press 2003

Mit ausführlicher Bibliographie und Auswahlfilmografie

Zeitschriften

  • Africultures, www.africultures.com
  • CinémAction N° 106 premier trimestre 2003: Cinémas africains, une oasis dans le désert ?
  • Écrans d’Afriques (1992–1998)
  • CICIM – Revue pour de le cinéma français (Zeitschrift des Institut Français in München) Nr. 27/28, 1989 – enthält u.a. ein Interview mit Sembène (auf deutsch) und die Charte du cinéaste français – im französischen Original

Filme über den afrikanischen Film

  • Caméra d’Afrique, Regie: Férid Boughedir, Tunesien/Frankreich 1983
  • Les Fespakistes, Regie: François Kotlarski, Eric Münch, Burkina Faso/Frankreich 2001
  • Sud – les diseurs d′histoires, Regie: Mohammed Soudani, Schweiz/Algerien 1998

Weblinks



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