Dunkle Jahrhunderte (Mittelalter)

Dunkle Jahrhunderte (Mittelalter)

Als dunkle Jahrhunderte (bzw. dunkles Zeitalter) werden Zeitabschnitte bezeichnet, für die nur wenige Quellen zur Verfügung stehen. Der Mangel an schriftlichen Nachrichten, numismatischen und bedingt auch archäologischen Funden erschwert die historische Erforschung und Bewertung dieser Zeiten.

Je nach Region werden verschiedene Zeitabschnitte als „dunkel“ bezeichnet. In Europa gilt dies für Teilabschnitte des Frühmittelalter, wie in der Völkerwanderungszeit auf Britannien bezogen die Zeit nach dem Abzug der Römer.

Allerdings ist der Begriff „dunkle Jahrhunderte“ bzw. „dunkles Zeitalter“ sehr problematisch, da er etwa in Bezug auf das kulturelle Niveau falsche Assoziationen weckt. Die Bezeichnung diente in der älteren Forschung mitunter auch zur Abqualifizierung bestimmter Zeitabschnitte, beispielsweise bezüglich des Übergangs von der Spätantike zum Frühmittelalter bzw. für die nachfolgende Zeit, da diese Zeit vom Standpunkt der klassizistisch geprägten älteren Forschung oft ausschließlich als Verfallszeit bewertet wurde.[1] Diese Auffassung ist heute nicht mehr haltbar. Die neuere Forschung argumentiert ausgewogener und bewertet die Epoche der Spätantike eher als Transformationszeit, zumal auch für die Zeit vom Ende des Westreiches bis zum Untergang des Karolingerreiches durchaus Quellen vorhanden sind, die in ihrer Deutung aber oft problematisch sind.[2]

Im englischsprachigen Raum wurde der Begriff Dark Ages teils auch auf das gesamte Mittelalter negativ wertend angewandt. Aaron Jakowlewitsch Gurewitsch schreibt dazu:

Das „Mittelalter“ gilt fast als synonym für alles Dunkle und Reaktionäre. Seine frühe Periode bezeichnet man als „düstere Jahrhunderte“. Das Oxforder Wörterbuch der englischen Sprache dehnt den Ausdruck Dark Ages sogar auf das gesamte Mittelalter aus. Ein solches Verhältnis zum Mittelalter, das im 17. und 18. Jahrhundert in bestimmtem Maße erklärlich ist, [...], hat längst jegliche Legitimation verloren.[3]

Nicht zu bestreiten ist, dass, für bestimmte Zeitabschnitte und regional unterschiedlich ausgeprägt, die Quellenbasis variiert und teils äußerst ungünstig oder vage sein kann (z.B. bezogen auf das frühmittelalterliche England oder Skandinavien). Ebenso kam es, auch im Zuge der Christianisierung, in der ausgehenden Spätantike bzw. dem Frühmittelalter zum Verlust des Großteils der antiken Literatur. Im ehemaligen Westen des Imperiums lag die Schriftproduktion lange Zeit unterhalb des antiken Niveaus und auch das kulturelle Niveau nahm, jedenfalls verglichen mit der römischen Zeit, ab. Doch entstanden auch neue Kunst- und Literaturformen, wie sich auch die Gesellschaft stark veränderte. Währenddessen wurde im Osten (Byzanz) mehr vom antiken Erbe bewahrt.

Selbst dort, wo die Quellenlage schlecht ist und nur wenige schriftliche Zeugnisse vorhanden sind, versiegen die Quellen nie vollkommen - dies gilt besonders für Byzanz ab der Mitte des 7. Jahrhunderts, wo für die anschließende Zeit bis zum frühen 9. Jahrhundert hauptsächlich nur die Chronik des Theophanes als erzählende Quelle zur Verfügung stehen, allenfalls daneben noch die Chronik des Nikephoros.[4] Geht man für eine engere Fassung von dunklen Perioden mit einem Tiefpunkt an schriftlichem Werkschaffen aus, so ist die Datierung von lateinsprachigen Werken in der Sammlung der Patrologia Latina hilfreich.

Werke der Patrologia Latina nach Jahrhunderten[5]
Jahrhundert Migne Nr. Werke
7. Jh. 80-88 8
8. Jh. 89-96 7
9. Jh. 97-130 33
10. Jh. 131-138 7
11. Jh. 139-151 12
12. Jh. 162-191 39
13. Jh. 192-217 25

Man sieht hier für die Zeit nach der Spätantike nur eine geringe Schaffensliste von nur mehr 8 und 7 Werken im späten Frühmittelalter des 7. und 8. Jahrhunderts vorliegen, die als wahrhaft dunkle Jahrhunderte gelten können. Zwar gab es in Byzanz noch eine Geschichtsschreibung, im westlichen Europa war jedoch das Schulwesen weitgehend zum Erliegen gekommen, sodass aus dieser Periode kaum Profanwerke zur Verfügung stehen, die über das Leben der Menschen Auskunft geben könnten. Dieser Zeit folgte dann die Karolingische Renovation des 9. Jahrhunderts, in der es zu einem deutlichen Anstieg im Werkschaffen kam, so wie auch die karolingischen Bibliotheksgründungen einem weiteren Verlust antiker Werke entgegenwirkten. Doch schon im 10. und 11. Jahrhundert sinkt das lateinischsprachige Werkschaffen wieder deutlich ab. Die Wiederbelebung des intellektuellen Europas in der sogenannten hochmittelalterlichen „Renaissance“ des 12. Jahrhunderts bringt eine Erhöhung des Werkschaffens, die im 13. Jahrhundert teilweise wieder abfällt, aber wichtige Grundlagen für die eigentliche Epoche der Renaissance ab dem 14. Jahrhundert lieferte. Mit der Ausbreitung des Buchdrucks ab dem 15. Jahrhunderts ist der Mangel an schriftlichen Werken in der Geschichtsforschung dann weitläufig beendet.

Literatur

  • Orsolya Heinrich-Tamaska / Niklot Krohn / Sebastian Ristow (Hrsg.): Dunkle Jahrhunderte in Mitteleuropa? Tagungsbeiträge der Arbeitsgemeinschaft Spätantike und Frühmittelalter 1. Rituale und Moden (Xanten, 8. Juni 2006) 2. Möglichkeiten und Probleme archäologisch-naturwissenschaftlicher Zusammenarbeit (Schleswig, 9.-10. Oktober 2007). Kovac, Hamburg 2009, ISBN 978-3-8300-4175-7, (Studien zu Spätantike und Frühmittelalter 1, ISSN 1867-5425).
  • Chris Wickham: The Inheritance of Rome. Allen Lane, London 2009, ISBN 978-0-71399-429-2, (The Penguin history of Europe 2).

Anmerkungen

  1. Knapper Überblick bei Franz Georg Maier: Die Verwandlung der Mittelmeerwelt. Fischer Weltgeschichte. Frankfurt a.M. 1968, S. 10ff. (Die Legende der „Dark Ages“), besonders S. 14f.
  2. Dazu vgl. Wickham, Inheritance of Rome; siehe auch die betreffenden Bände der Cambridge Ancient History (Bd. 13 und 14) sowie der New Cambridge Medieval History (Bd. 1 bis 3).
  3. Aaron Gurewitsch: Das Weltbild des mittelalterlichen Menschen, übersetzt von Gabriele Loßack, VEB Verlag der Kunst Dresden, 1978, S. 6 und 7.
  4. Vgl. für eine differenzierte Analyse John Haldon: Byzantium in the Seventh Century. 2. Aufl. Cambridge 1997.
  5. Schaff, Philip (1882). History of the Christian Church, Vol. IV: Mediaeval Christianity, A.D. 570-1073, Ch. XIII, §138. "Prevailing Ignorance in the Western Church"

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