Dunkelgräfin

Dunkelgräfin
Zeichnung des Grabes der Dunkelgräfin (Die Gartenlaube, 1863)

Dunkelgraf und Dunkelgräfin ist die volkstümliche Bezeichnung für ein geheimnisvolles Paar, das von 1810 bis 1837 auf Schloss Eishausen bei Hildburghausen lebte. Die beiden Bewohner verließen während der gesamten Zeit das Schloss kaum und wenn, dann die Dame tiefverschleiert. Wegen ihres zurückgezogenen Lebens und ihrer ungeklärten Herkunft und Identität wurden sie im Volksmund „die Dunkelgrafen“ genannt, in französischer Sprache auch gleichbedeutend als Compte et Comtesse des Ténèbres (von Tenebrae).

Nach ungesicherten Spekulationen und überlieferten Gerüchten soll es sich bei der Frau um Marie Thérèse Charlotte, die Tochter des guillotinierten französischen Königs Ludwig XVI. und seiner Frau Marie Antoinette gehandelt haben. Nach einer ungewollten Schwangerschaft soll sie 1795, nach ihrer Freilassung aus der Pariser Kerkerhaft und unmittelbar vor der Hochzeit mit ihrem Cousin Louis-Antoine de Bourbon, gegen eine andere Frau ausgetauscht worden sein. Um ihr Incognito zu schützen, habe sie sich in die deutsche Provinz zurückgezogen, erst nach Ingelfingen, und dann für fast drei Jahrzehnte nach Hildburghausen. Ihr Begleiter soll der Holländer Leonardus Cornelius van der Valck alias Vavel de Versay gewesen sein. Wegen dieser vermuteten Identität wurde die Dunkelgräfin auch Madame Royale genannt.

Inhaltsverzeichnis

Vorgeschichte

Marie Thérèse Charlotte von Frankreich erblickte am 19. Dezember 1778 in Versailles als erstes Kind von König Ludwig XVI. von Frankreich und seiner Gemahlin Marie Antoinette von Österreich das Licht der Welt. Sie entwickelte sich rasch zu einem kleinen Mädchen, das an luxuriösen Kinderbällen und teuren Roben Gefallen fand. Nach dem Sturm auf die Bastille am 14. Juli 1789 brach die fürstliche Welt im Versailler Schloss zusammen und als Folge eines missglückten Fluchtversuchs wurde die königliche Familie im Temple festgesetzt. Am 21. Januar 1793 wurde ihr Vater und am 16. Oktober des gleichen Jahres ihre Mutter guillotiniert. Die überlebende Prinzessin wurde zum Spielball der Politik und sollte schließlich 1795 im Austausch für französische Kriegsgefangene der österreichischen Verwandtschaft ihrer Mutter übergeben werden.

Vertauschungstheorie

Laut der Vertauschungsthese, die von einigen Historikern vertreten wird, wurde die französische Prinzessin nach ihrer Entlassung aus dem Temple und vor dem geplanten Austausch gegen eine andere Frau ausgetauscht, die dann ihren Platz bei der Hochzeit mit dem zu dieser Zeit am Wiener Hof lebenden Cousin einnahm. Möglicher Grund ist die Vertuschung eines Skandals, vermutlich einer Schwangerschaft der Madame Royale, die während ihrer Gefangenschaft im Temple vergewaltigt worden sein soll.

Nach der Vertauschung übernahm die andere Person - vermutlich ihre Halbschwester Ernestine Lambriquet - die offizielle Rolle der Madame Royale. Am 10. Juni 1799 heiratete sie in Mitau im heutigen Lettland ihren Cousin, den Herzog von Angoulême. Die Hochzeit erfolgte wahrscheinlich auf Wunsch Ludwig XVIII., aber in jedem Fall gegen den Willen Franz II., des zukünftigen Kaisers von Österreich.

Die Zeit als Dunkelgräfin

Schloss Eishausen und Grab der Dunkelgräfin (aus einem Bericht in Die Gartenlaube, 1886)
Hofapotheke in Ingelfingen, Aufenthaltsort ab 1803

Gemäß der Austauschtheorie musste sich die echte Madame Royale nach der Vertauschung verstecken und wurde im Juni 1799 unter den Schutz des holländischen Diplomaten Leonardus Cornelius van der Valck gestellt. Mit ihm zusammen war sie mehrere Jahre auf der Flucht vor Napoleon und soll zunächst in Gotha und Jena und später in verschiedenen anderen deutschen Städten gelebt haben.

Historisch nachgewiesen ist die Ankunft des Paares, das später den Beinamen Dunkelgrafen erhielt, am 7. Februar 1807 in Hildburghausen. Dort verbrachten sie die nächsten drei Jahre, bis sie 1810 in das nahegelegene Schloss Eishausen zogen, das abgeschiedener lag und das Paar vor der Neugierde der Ortansässigen schützen sollte. Die beiden führten dort ein verborgenes und geheimnisvolles Leben, welches ihnen bald die Namen Dunkelgraf und Dunkelgräfin einbrachte. Die Dunkelgräfin starb 1837 im Alter von 59 Jahren. Der Dunkelgraf gab nach ihrem Tod an, ihr Name sei Sophia Botta gewesen. Der Dunkelgraf lebte bis zu seinem Tod im Jahre 1845 weiterhin zurückgezogen im Schloss Eishausen.

Die Austauschtheorie führt das versteckte Leben der Dunkelgrafen auf zwei Gründe zurück. Den historischen Quellen zufolge soll Marie Thérèse Charlotte ihrer Mutter sehr ähnlich gesehen haben. Ein öffentlicher Auftritt wäre nicht möglich gewesen, ohne dass die Ähnlichkeit zur hingerichteten französischen Königin Marie Antoinette aufgefallen wäre. Bis zum Zusammenbruch von Napoléons Reich 1813 hätte dieser ein mutmaßliches Interesse daran gehabt, den Austausch aufzudecken und für seine anti-royalistischen Propagandazwecke zu verwenden. Doch auch nach dem Machtverlust Napoléons sei der Austausch dennoch nicht rückgängig gemacht worden, weil dies die Heirat von Ernestine Lambriquet mit dem Herzog von Angoulême in Frage gestellt hätte.

Das Grab der Dunkelgräfin

Gründe, Vermutungen und Indizien

Als Gründe für einen Austausch werden eine mögliche Schwangerschaft und eine psychische Instabilität der Marie Thérèse Charlotte angenommen. Angeblich – so die Austauschtheorie – war die Madame Royale nach ihrer Gefangenschaft im Temple aufgrund einer Vergewaltigung schwanger. Und weiterhin besteht die Vermutung, dass die französische Prinzessin aufgrund ihrer Gefangenschaft und dem Verlust ihrer Familie psychische Schäden davontrug. Wegen dieser psychischen Verfassung sei sie nicht in der Lage gewesen, die geplante Ehe mit ihrem Cousin, dem Herzog von Angoulême, einzugehen. Da Ludwig XVIII. aber aus politischen Interessen auf der Heirat bestand, musste eine Dame gefunden werden, die sowohl Ähnlichkeit mit Marie Thérèse Charlotte hatte, als auch die Sitten am französischen Hof kannte.

Verständlicherweise musste der Austausch der beiden Mädchen so geheim wie möglich gehalten werden. Dennoch gab es eine Reihe von Eingeweihten, die von der Vertauschung wussten, da die Substitution sonst zu sehr aufgefallen wäre. So entwickelten sich schon damals nachweislich Gerüchte, die besagten, dass nicht die echte Madame Royale den Platz der Herzogin von Angoulême eingenommen hatte und die Herzogin von Angoulême sogar Schweigegelder an Mitwisser zahlte.

Außer diesen Gerüchten führen die Befürworter der Vertauschungsthese noch weitere Indizien an, die für einen Tausch sprechen. Dies ist zum einen die Tatsache, dass Bildnisse, die vor und nach dem Tausch in Hüningen, gemacht wurden, zwei völlig verschiedene Personen zeigen. Denn zeigen die Bilder vor dem Tausch eine Person mit einer zierlich wirkenden Nase, so ist auf den später entstandenen Bildern eine Dame mit großer und betonter Nase zu sehen. Ferner sind erhebliche Abweichungen in den Charakterzügen der beiden Personen zu erkennen. Während Madame Royale vor dem Austausch stets als schüchterne und liebevolle Person beschrieben wird, so ist die Herzogin von Angoulême dagegen in Augenzeugenberichten ein schroffer und anteilnahmsloser Typ.

Unter den widersprechenden Indizien findet sich ein Geburtstagsbrief der Dunkelgräfin in deutscher Sprache, deren Schriftprobe völlig von der Schrift der früheren Königstochter abweicht. Hinzu tritt, dass der mittlerweile gesichert als Leonardus Cornelius van der Valck identifizierte Dunkelgraf auf Seiten der französischen Revolution gegen die Bourbonen kämpfte. Das zurückgezogene Leben und ständige Verschleierung der Dunkelgräfin könnte so auch schlicht auf eine entstellende Lichtallergie zurückzuführen sein. Die Angaben des Dunkelgrafen zur Herkunft als Sophie Botta aus Westfalen werden jedoch in Zweifel gezogen, da es in den Archiven Westfalens keinerlei Hinweise auf eine Person dieses Namens gibt.

Ein unwiderlegbarer Beweis für den Austausch fehlt bis heute. Die aufgeführten Indizien beruhen auf reinen Spekulationen. Ein DNA-Test würde das Geheimnis der Identität der Dunkelgräfin lösen und die Übereinstimmung zwischen Marie Thérèse Charlotte und der geheimnisvollen Frau entweder beweisen oder widerlegen. Selbst wenn keine Übereinstimmung gefunden würde, bleibt die schon zeitgenössisch gut belegte Vertauschungstheorie zu Marie Thérèse Charlotte bestehen.

Schloss Eishausen, mitten im Dorf Eishausen (südlich von Hildburghausen) gelegen, wurde 1887 wegen Baufälligkeit abgerissen, so dass die langjährige Heimstätte des Paares nicht mehr besichtigt werden kann. Das Grab des Dunkelgrafen befindet sich auf dem Friedhof in Eishausen, das Grab der Dunkelgräfin auf dem Schulersberg in Hildburghausen, einem Berggarten, den das Paar um 1820 erwarb.

Künstlerische Rezeption

Das Thema wurde in zwei Romanen und einer Erzählung verarbeitet:

Eine deutsche Black-Metal-Band ließ sich von diesem Paar zu ihrem Namen Dunkelgrafen inspirieren.

Film

  • 2007 Geschichte Mitteldeutschlands – Die vertauschte Prinzessin, 45 min, Dokumentation (Buch: Leonore Brandt, Regie: Hans-Michael Marten)

Literatur

  • Richard Boehmker: Das Geheimnis um eine Königstochter. Die Lösung des mehr als 100jährigen Rätsels von Hildburghausen. Helingsche VA, Leipzig 1937
  • Helga Rühle von Lilienstern: Dunkelgraf und Dunkelgräfin im Spiegel vor Zeugen und Mitwissern. Verlag Frankenschwelle, Hildburghausen 2000, ISBN 3-86180-067-5
  • Helga Rühle von Lilienstern: Die Unbekannten von Eishausen. Dunkelgraf und Dunkelgräfin im Spiegel zeitgenössischer Veröffentlichungen. Verlag Frankenschwelle, Hildburghausen 2003, ISBN 3-86180-056-X
  • Helga Rühle von Lilienstern u. Hans-Jürgen Salier: Das große Geheimnis von Hildburghausen. Auf den Spuren der Dunkelgräfin. Salier Verlag, Leipzig u. Hildburghausen 2007, ISBN 978-3-939611-19-6
  • Mark de Lannoy: Das Geheimnis des Dunkelgrafen. Books on Demand GmbH, Norderstedt 2007, ISBN 978-3-8334-6847-6
  • Thomas Meyhöfer: Das Rätsel der Dunkelgräfin von Hildburghausen. Bilanz einer 160-jährigen Forschung. (PDF), Interessenkreis Madame Royale, Hildburghausen 2007
  • Susan Nagel: Marie-Thérèse, Child of Terror. The Fate of Marie Antoinette's Daughter. Bloomsbury, New York NY 2008, ISBN 978-1-596-91057-7
  • Friedrich Ernst Prinz von Sachsen: Das Rätsel der Madame Royale. Marie Thérèse Charlotte von Frankreich. Ein zweihundertjähriges Geheimnis im Licht neuerer Forschungen. Frankenschwelle Hans-J. Salier, Hildburghausen 1991, ISBN 3-86180-007-1, (Zuerst erschienen als: Frédéric de Saxe-Altenbourg: L'Énigme de Madame Royale. Paris 1954).

Weblinks

 Wikisource: Ein geheimnißvolles Grab – von Friedrich Hofmann, in Die Gartenlaube (1863), Heft 19 und 20, S. 300–312
 Wikisource: Zwei fürstliche Geheimnisse neuerer Zeit – von Friedrich Hofmann, in Die Gartenlaube (1866), Heft 24, S. 375–379
 Wikisource: Ein Ruck am Schleier des Geheimnisses – von Friedrich Hofmann, in Die Gartenlaube (1867), Heft 26, S. 416

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