Donauzivilisation

Donauzivilisation
Sitzende Vinča-Figur, British Museum, London

Die Vinča-Kultur (vɪnt͡ʃa) ist eine Kultur, die zwischen 5400 v. Chr. und 4500 v. Chr. in Serbien, West-Rumänien, Süd-Ungarn und im östlichen Bosnien verbreitet war, und die Zeit des Mittel- und Spätneolithikums sowie des frühen Äneolithikums einnimmt. Sie wurde von Friedrich Holste in die Phasen Vinča A–D eingeteilt.

Inhaltsverzeichnis

Forschungsgeschichte

Die Kultur erhielt ihren Namen von dem Fundort Vinča Belo Brdo am rechten Steilufer der Donau bei Belgrad, nahe der Mündung des Flusses Bolecica.

In dem 12 m hohen Tell wurde von 1908 bis 1918 von Miloje Vasić (Vassits) kleinere Ausgrabungen durchgeführt. Vasić publizierte seine ersten Ergebnisse bereits 1908.

V. Milojčić (1949) wollte Vinča aus der ägäischen Frühbronzezeit herleiten und argumentierte mit den scharf profilierten Gefäßformen und der kannelierten Verzierung, die für ihn Vorbilder aus Metall verrieten. Er datierte Vinča auf 2700 bis 2000 v. Chr. In der Folge besuchten zahlreiche Forscher die Ausgrabungen. Vere Gordon Childe (1957) sah in der Vinča-Keramik deutliche Parallelen zu Funden aus Troja und datierte Vinča daher auf ca. 2700 v. Chr.; er unterschied die Phasen Vinča-Tordos (Turdas) und Vinča-Plocnik.

Später konnten 1924 bis 1936 mit finanzieller Unterstützung durch Sir Charles Hyde insgesamt 3,5 ha ausgegraben werden. Durch die übereinanderfolgenden Siedlungsschichten war es möglich, eine Chronologie der keramischen Entwicklung zu erstellen, allerdings wurde nicht nach archäologischen Schichten, sondern nach 10 bis 20 cm dicken künstlichen Straten gegraben. Da die Oberfläche des Siedlungshügels sicher selten vollständig eben und gleichförmig besiedelt war und zu allen Zeiten Gruben in tiefere Bodenschichten gegraben wurden, fand so eine gewisse Vermischung von Fundmaterial unterschiedlichen Alters statt.

Die folgenden Schichten werden beschrieben:

  • 9,3 m bis 8 m: Keramiken aus der Starčevo-Kultur; (Zusammenfunde von Starčevo- und Vinča-Keramik beschränken sich auf wenige Gruben).
  • 9 m bis 8 m: Stufe A
  • 8 m bis 6 m (darüber Brandschicht): Stufe B, manchmal noch in B1 und B2 unterteilt
  • 6 m bis 4,5 m: Stufe C
  • 4,5 m bis 3 m: Stufe D
Summenkalibration Radiokarbondaten Vinča, mit Oxcal

1978 wurden die Grabungen von Nikola Tasić und Gordana Vujović wieder aufgenommen. Seit 1982 graben Milutin Garasanin und Dragoslav Srejović die neolithischen Schichten aus.

Nun liegen einige Radiokarbondaten vor (s. Abbildung), die eine genauere Datierung ermöglichen.

Kultur

Keramik

Typisch ist eine sehr qualitätvolle, überwiegend unbemalte Keramik. Die Oberfläche ist meist geglättet und glänzend poliert, teilweise mit Riefen oder Kanneluren verziert. Daneben kommen rechtwinklige Ritzmuster vor. Scharf profilierte bikonische Formen sind häufig. Oft sitzen 2 bis 4 Knubben am Umbruch.

Die Stufen von Holste zeichnen sich durch folgende keramischen Merkmale aus:

  • Vinča A: bikonische Schalen und Schüsseln, Becher mit Kragenrand, hohe Fußschalen, oft mit rotem Überzug, doppelkonische Gefäße mit Zylinderhals, eiförmige Töpfe. Verzierung durch Kannelurmuster, geradlinige Ritzmuster
  • Vinča B: Die meisten Formen aus A setzen sich fort. Bei den Verzierungen tauchen nun auch gerundete Ritzmuster auf, sowie mit Stichen gefüllte Bänder.
  • Vinča C: Töpfe mit Spiralriefenverzierung und Mäandermuster mit stichgefüllten Bändern. Erstmals Knopfhenkel und Gefäße mit Ausguss.
  • Vinča D: Gefäßformen ähneln C, nun aber pastose weiße und rote Bemalung mit rektilinearen Mustern.

Tonfiguren zeigen meist stehende Frauen mit großen und vortretenden Augen und einem dreieckigen Gesicht, das von manchen Forschern als Maske gedeutet wird. Diese Gesichtsform findet sich auch bei theriomorphen (tierförmigen) Figuren, wir hätten es also mit maskierten Rindern zu tun. Eine 20 cm lange Maske aus schwach gebranntem Ton wurde 2001 in Uivar gefunden. Menschen- und Tierköpfe aus Ton werden als Giebelzier der Häuser gedeutet. Im jüngeren Vinča kommen auch sitzende Figuren vor. Ferner finden sich menschen- und tiergestaltige Gefäßdeckel, die meist mit Ritzlinien verziert sind und dieselben hervorquellenden Augen wie die Idole zeigen.

Auf einigen der Idole finden sich einzelne Ritzlinien, die als Töpfer- oder Besitzermarken gedeutet werden. Einige Forscher wollten daraus eine Frühform der Schrift ableiten. Bereits 1903 hatte Hubert Schmidt versucht, 'Zeichen' aus Tordos über Funde aus Troja aus den ägyptischen Hieroglyphen abzuleiten. Vasić glaubte an einen griechischen Ursprung. Vor der allgemeinen Verwendung der Radiokarbondatierung wurde von Vladimir Milojčić für eine Ableitung dieser angeblichen Schrift (Tontafeln von Tartaria) aus den archaischen Schriftzeichen von Uruk plädiert, inzwischen weiß man, dass diese fast ein Jahrtausend jünger sind. Besonders Vladimir Popović machte die These einer frühen (serbischen) Hochkultur mit eigener Schrift populär. Da Schrift gewöhnlich auftaucht, wenn größere Verwaltungsaufgaben zu bewältigen sind (Lagerhaltung und Steuereinziehung), ist es sehr unwahrscheinlich, dass diese einfache Bauernkultur dafür Verwendung besaß. Zur kontroversen Diskussion siehe auch den separaten Artikel Vinča-Schrift.

Stein- und Knochengeräte

Typisch für die Vinča-Kultur sind lange, regelmäßige Klingen. Obsidian aus Zemplen wurde gerne zur Gerätherstellung verwendet, daneben wurde qualitätvoller „balkanischer“ honiggelber Silex importiert. Gegen Ende der Vinča-Kultur nehmen Importe deutlich ab. Beile sind insgesamt selten und oft sehr klein. Aus der Vinča-Kultur sind auch Knochenidole und oft stark abgenutzte Löffelchen (spatulae) aus Rindermetapodien bekannt. Aus diesen werden bandkeramische Knochenidole, wie sie etwa in Niedermörlen gefunden wurden, abgeleitet. Aus der Schale der Spondylus-Muschel wurden Schmuckstücke gefertigt.

Siedlungen

Die Siedlungen liegen meist auf Tells (Siedlungshügel), die zwischen 3 m und 12 m hoch sein können und manchmal durch Grabenwerke befestigt sind (Uivar). Daneben sind aber auch Flachsiedlungen bekannt, wenn auch kaum erforscht. Die rechteckigen, teilweise mehrräumigen Häuser hatten Fußböden aus dünnen Baumstämmen, die mit Estrich bedeckt sind, die Wände bestehen aus lehmverschmiertem Flechtwerk, das vielleicht manchmal plastische Verzierungen trug. In Rumänien werden teilweise Schwellbauten angenommen, da Pfostenlöcher fehlen.

In den Häusern befanden sich Herdstellen und Backöfen, die häufig erneuert wurden. Wie das Dach aussah, ist unbekannt. Da tragende Pfosten im Hausinneren fehlen, muss es recht leicht gewesen sein und bestand vielleicht aus Holzschindeln oder Rinde. Die Häuser waren entlang von Straßen recht regelmäßig angeordnet. Sehr häufig finden sich durch Brand zerstörte Häuser, was Ruth Tringham veranlasste, von einem chronologischen Horizont der "verbrannten Häuser" zu sprechen. Vielleicht wurden die Gebäude beim Tod eines Familienmitgliedes absichtlich in Brand gesetzt.[1]

Bestattungen

Gräberfelder sind bisher nicht bekannt.

Wirtschaft

An Haustieren waren neben dem Hund Rinder, Schafe, Ziegen und Schweine bekannt. In Liubcova wie in Uivar dominierte das Rind. Auch der Hund wurde anscheinend gegessen, aus Liubcova liegen zahlreiche Knochen mit Schlachtspuren vor. Daneben wurden Rothirsch, Wildesel, Reh, Ur, Biber und einige andere Wildtierarten gejagt, womit ist unklar, Pfeilspitzen aus Silex sind unbekannt. Wichtigste Kulturpflanze war Einkorn, eine primitive Weizenart, daneben wurden auch Emmer, Nacktweizen, Spelzgerste, Erbsen, Linsen und Flachs angebaut. Auch Sammelpflanzen wie Haselnüsse, Schlehen, Kornelkirsche und Weißer Gänsefuß wurden genutzt.

Die Zinnober-Mine von Šuplja Stena am Avalaberg wird gerne der Vinča-Kultur zugeordnet, da alle Schichten von Vinča Zinnober enthalten, der vermutlich als Farbstoff verwendet wurde. Funde aus dem Bergwerk selber stammen allerdings erst aus der spätkupferzeitlichen Badener Kultur und dem Mittelalter.

Interpretation

Die litauische Archäologin Marija Gimbutas rechnete die Vinča-Kultur zu den Alteuropäischen Kulturen, welche durch eine – von ihr mit den Proto-Indoeuropäern verbundene – Invasion patriarchalischer „Kurgan-Völker“ aus dem Osten zerstört oder assimiliert wurden.

Heute sehen Archäologen eher soziale Veränderungen (Chapman) oder einen Klimaumschwung als Grund für das Ende der Vinča-Kultur.

Wichtige Fundorte

  • Anza-Begovo
  • Divostin bei Kragujevac, Serbien
  • Grivac bei Kragujevac, Serbien
  • Opovo bei Belgrad, Serbien. Ausgrabungen durch Ruth Tringham 1983–1987.
  • Potporanj bei Vršac, Serbien
  • Selevac bei Kragujevac, Serbien. Ausgrabungen durch Ruth Tringham
  • Uivar, Banat, Rumänien, Ausgrabungen durch die Universität Würzburg (W. Schier) seit 1998
  • Vinča, Serbien
  • Tartaria, Rumänien

Literatur

  • Florin Draşovean: The Vinča culture, its role and cultural connections. International Symposium on the Vinča Culture, its Role and Cultural Connections. Museum Banaticum Temesiense, Timişoara 1995 (=Bibliotheca historica et archaeologica banatica. 2)
  • M. Garašanin: Hronologia vinčanske grupe. Beograd 1951.
  • F. Holste: Zur chronologischen Stellung der Vinča Keramik. In: Wiener Prähistorische Zeitschrift. 27, 1939, 1–21.
  • Vladimir Milojčić: Das vorgeschichtliche Bergwerk "Šuplja Stena" am Avalaberg bei Belgrad (Serbien). In: Wiener Prähistorische Zeitschrift. 1937, 41–54.
  • J. Rodden: The Spondylus-shell trade and the beginnings of the Vinča culture. In: Actes du VIIe Congrés International des Sciences Pré- et Protohistoriques. Prag, 1970, S. 411–413.
  • W. Schier: Masken, Menschen, Rituale. Würzburg 2005 (Katalog).
  • Nikola Tasi, Dragoslav Srejović, Bratislav Stojanović: Vinča, Centre of the Neolithic culture of the Danubian region. Belgrad 1990.
  • Ruth Tringham, B. Brukner, T. Kaiser, I. C. Borojevic, L. Bukvic, P. Steli, N. Russell, M. Stevanovic, B. Voytek: Excavations at Opovo, 1985–1987. Socioeconomic Change in the Balkan Neolithic. In: Journal of Field Archaeology. 19, Nr. 3, 1992, S. 351–386.
  • M. M. Vasić: Preistorijska Vinča II–IV. Beograd 1936.

Einzelnachweise

  1. M. Stevanović: The Age of Clay. The Social Dynamics of House Destruction. In: Journal of anthropological Archaeology. 16, 1997, S. 334–395 (doi:10.1006/jaar.1997.0310 ).

Weblinks


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