Doggerland

Doggerland
Paläogeografische Darstellung der heutigen Nordsee vor etwa 9000 Jahren, bevor Doggerland vom Festland getrennt wurde.

Doggerland bildete bis zum Meeresanstieg nach der Weichseleiszeit eine zusammenhängende Landmasse zwischen den Britischen Inseln und Kontinentaleuropa, die für einige Jahrtausende von mittelsteinzeitlichen Jägern und Sammlern besiedelt war.

Inhaltsverzeichnis

Name

Benannt wurde das versunkene Land nach der Doggerbank, einer ausgedehnten Untiefe in der Nordsee, rund 100 Kilometer vor der britischen Ostküste und 125 bis 150 Kilometer von der dänischen Westküste.

Satellitenaufnahme der Nordsee, die Doggerbank rot umrandet

Topographie

Das Doggerland genannte, ungefähr 23.000 Quadratkilometer große Gebiet lag in der südlichen Nordsee und verband das damalige Kontinentaleuropa – die Niederlande, Deutschland und Dänemark – mit der Ostküste Großbritanniens.

Zu Beginn des Pleistozäns und vor der Weichseleiszeit mündete der Rhein nördlich der Doggerbank in den Atlantik, wie rund 65 Mio. Jahre alte Ablagerungen (Schluff) aus dem Känozoikum in East Anglia vermuten lassen. Daher nimmt man an, dass die Europäische Hauptwasserscheide die Themse, die Seine, die Maas und den Rhein in einem gemeinsamen Bett im damals trockenen Ärmelkanal in den Atlantik münden ließ.[1]

Während der Weichseleiszeit waren enorme Wassermengen im Eis der Gletscher gebunden: Der Meeresspiegel lag regressionsbedingt bis zu 120 Meter tiefer und die Küstenlinien verliefen vor etwa 12.000 Jahren rund 600 Kilometer nördlicher als heute. Weite Teile der Nordsee lagen trocken. Am Ende der Weichseleiszeit lag der Meeresspiegel etwa 60 Meter unter dem heutigen Normalnull. Die Küste verlief immer noch nördlich der Doggerbank. Die südliche Nordsee war Festland, die Britischen Inseln und das europäische Festland bildeten eine zusammenhängende Landmasse.

In den folgenden Jahrtausenden stieg das Wasser, wobei dieser Anstieg im Laufe der Zeit an Geschwindigkeit abnahm. Vor etwa 9.850 bis 7.100 Jahren wurden Teile des Elbe-Urstromtals überflutet. Der südliche Teil der Nordsee – zwischen der Doggerbank und dem Ärmelkanal – war ein Binnensee, in den die Flüsse und nordeuropäischen Gletscher entwässerten. Als in der Mittelsteinzeit um etwa 6500 v. Chr. die Kreidefelsverbindung zwischen Dover (Weald) und Calais (Pas-de-Calais) erodierte, floss das Wasser dieses Süßwassersees durch den Ärmelkanal in den Atlantik ab. Der Meeresspiegel stieg weiter an, so dass Britannien etwa 5000 v. Chr. zur Insel wurde.[2] Das Wattenmeer entstand ungefähr im selben Zeitraum, und in der darauf folgenden Zeit wechselten Phasen stärkeren Wasseranstiegs (Transgression) mit Wassersenkung (Regression).[3]

Ausgelöst hat diese Veränderungen der Zusammenbruch des Nordamerikanischen Inlandeises, des damals ausgedehntesten Eisschilds auf der Nordhalbkugel. Dies trug zu Anfang des Mittelholozäns zu einem raschen Anstieg des Meeresspiegels um etwa 120 Meter (im Vergleich zum Minimalstand der Eiszeit) bei. Damit ging zum einen die Überflutung weiter Küstenräume einher und letztlich bildeten sich die heutigen Küstenlinien aus, (Flandrische Transgression, Dünkirchener Transgression). Zum anderen wurden einige Nebenbecken des Atlantiks überspült und so zu Nebenmeeren. Um 5000 v. Chr. (womöglich auch früher) wurden die dänischen Inseln und Großbritannien vom europäischen Festland getrennt; ein Vorgang, der durch eine Serie von verheerenden Sturmfluten vonstatten ging.

Die University of Birmingham hat im Rahmen des Forschungsprojekts Mapping Doggerland von Vince Gaffney[4] und seinen Kollegen des Visual and Spatial Technology Centre (VISTA) eine flache Landmasse von rund 23.000 Quadratkilometern in einem Computermodell nachgebildet, mit einem weitverzweigten Netz von Flussläufen, einer Vielzahl kleiner Seen und einem zentralen Süßwasser-Binnenmeer. Die Daten für das Projekt lieferte die norwegische Firma Petroleum Geo-Services ASA (PGS); ihr Kerngeschäft ist die geophysikalische Untersuchung von Meeresböden[5][6] Unter den zahlreichen Flüssen markierte sich 10 m unter dem Schlick der Doggerbank der nach Fred Shotton (1906–1990) benannte Shotton River, sowie der große Binnensee Outer Silver Pit, der später zu einem riesigen Delta-System mehrerer Flüsse mutierte und sich noch heute als Tal auf dem Grund der Nordsee abzeichnet.[7]

Archäologie

Seit die Nordsee systematisch mit Schleppnetzen befischt wird, haben sich wiederholt Knochen von Landtieren verfangen. Der britische Paläobotaniker Clement Reid (1853–1916) begann Ende des 19. Jahrhunderts die ungewöhnlichen Funde systematisch zu untersuchen.[8] Auch früher schon hatten Berichte für Aufmerksamkeit gesorgt, dass bei einer Springtide bis nah an die Küste Englands alte Baumstümpfe im Schlick der Ebbe zum Vorschein kamen. Sie wurden noch bis ins 20. Jahrhundert bei den Briten „Noahs Wälder“ genannt und gaben zu allerlei Spekulationen Anlass.[7] Im September 1931 fanden Fischer in ihren Schleppnetzen ein großes Stück Torf, das eine 21,6 cm lange prähistorische Harpune aus Knochen mit kunstvollen Verzierungen preisgab, deren Entstehung nach C14-Datierung auf ca. 11740 v. Chr. geschätzt wird.[9]

1998 veröffentlichte Bryony J. Coles, Privatdozent an der Archäologischen Fakultät der University of Exeter,[10] die ersten Ergebnisse seiner Forschungen und initiierte das Doggerland Project. Dieses fördert die weitere interdisziplinäre Erforschung des versunkenen Landteils: Schwerpunkte sind die Auswertung der geologischen Untersuchungen in der Nordsee und weiterer Daten und deren Interpretierung im Hinblick auf die kulturgeschichtliche Entwicklung der nordeuropäischen Bevölkerung der späten Altsteinzeit bis in die Jungsteinzeit. Ein erstes Ergebnis ist das erwähnte Computermodell von Doggerland, der nächste Schritt ist die Vorbereitung einer gezielten archäologischen Untersuchung möglicher Wohnplätze respektive Fundstellen.[6]

Im August 2011 erteilte die Deutsche Bundesregierung einen Auftrag zur systematischen archäologischen Prospektion der Nordsee, auch außerhalb der 12-Seemeilen-Zone, an das Deutsche Schiffahrtsmuseum in Bremerhaven, da zahlreiche archäologische Fundplätze durch geplante Bauvorhaben bedroht sind.[11]

Kulturgeschichtliche Bedeutung

Harpunenformen aus der Steinzeit, hier dem Magdalénien; (1: Mas d’Azil, 2: Bruniquel, 3, 4, 5: La Madeleine; 6, 7: Lortet), teilweise mit eingesetzten Mikrolithen.

Für die Menschen der Mittelsteinzeit bildete die Doggerbank eine gerade 90 m hohe langgezogene Erhebung; das europäische Festland erholte sich noch weitgehend von den sich zurückziehenden Eispanzern, so dass die Landfläche für die menschliche Besiedlung im Mesolithikum bis vor 8.000 Jahren optimale Bedingungen geboten haben könnte. Im wärmer werdenden Klima des Holozäns wich die Tundrenvegetation der Eiszeit zunehmend einer Bewaldung durch Birken und Kiefern. Die Tundra verlegte ihren Vegetationsgürtel nach Norden.[12] Die bisherige Forschung lässt auf eine Landmasse schließen, welche bis vor rund 8.000 Jahren gemäß vereinzelten archäologischen Funden von mittelsteinzeitlichen Jägern und Sammlern bewohnt war.[6][13]

Die taiga–ähnliche Landschaft bot in der Mittelsteinzeit optimale Lebensbedingungen für Tiere und Pflanzen, mit einem reichhaltigen Nahrungsangebot, insbesondere in und entlang den zahlreichen Flüssen und dem großen Binnensee wohl auch intensiver Fischfang. Die Menschen in Mitteleuropa lebten während des Mesolithikums weitgehend von der Jagd auf einzelne Beutetiere anstatt auf Herden wie in der Altsteinzeit, sowie von pflanzlicher Nahrung. Das Wohnverhalten zeichnete sich wohl bereits durch reduzierte Mobilität bei zunehmender Konzentration von saisonalen Wohnplätzen an Gewässerküsten und entlang von Wasserläufen sowie durch komplexere und stärker hierarchisch gegliederte Sozialstrukturen aus. Doggerland verschwand vor rund 8.000 Jahren: Zunächst versalzten die Uferwiesen, wurden immer feuchter, bis sie ganz unter Wasser lagen und die mittelsteinzeitlichen Bewohner sich neue Lebensräume suchen mussten. Mit dem Rückzug der eiszeitlichen Gletscher stiegen die Meeresspiegel, das Land hob sich an, das bewohnbare Gebiet schrumpfte einerseits, andererseits gaben die Eisschilde neues Land frei.

Rezeption

Ein Mammut-Unternehmen, Teil fünf der BBC-Dokumentation Die Erben der Saurier, ist teilweise auf der trocken liegenden Nordsee angesiedelt, ebenso die Folge Britain’s Drowned World der Archäologie-Dokumentation Time Team von Channel 4.[14]

Einzelnachweise

  1. Berliner Morgenpost (16. September 2006): Ärmelkanal war vor 20.000 Jahren ein Fluss
  2. B. J. Coles: Doggerland. A speculative survey. in: Proceedings of the Prehistoric Society. Department of Archaeology (Hrsg.), School of Geography and Archaeology, University of Exeter. Exeter 64.1998, S.45–81. ISSN 079-497X (englisch)
  3. Karl Heinz Behre: Die Schwankungen des mittleren Tidehochwassers an der deutschen Nordseeküste in den letzten 3000 Jahren nach archäologischen Daten. In: Coastline Reports. Leiden 2004,1. ISSN 0928-2734
  4. Website VISTA, Vincent Gaffney (englisch)
  5. Petroleum Geo-Services (englisch)
  6. a b c The University of Exeter, Department of Archaeology: Doggerland Project (englisch)
  7. a b Angelika Franz: Atlantis in der Nordsee. in: Epoc. Spektrum, Heidelberg 2009,2, 86f. ISSN 1865-5718
  8. Western Kentucky University: Chrono–Biographical Sketch Clement Reid (englisch)
  9. The lost world: Doggerland
  10. University of Exter, Department of Archaeology: Prof Bryony Coles BA MPhil FSA
  11. Suche nach versunkenen Kulturen in der Nordsee Radio Bremen (Abgerufen am 12. August 2011)
  12. Hubert H. Lamb: The Course of Postglacial Climate. in: Anthony F. Harding (Hrsg.): Climate Change in the Later Prehistory. Edinburgh 1982, 11–33. ISBN 0-85224-425-8
  13. W. Patterson: Coastal Catastrophe. University of Saskatchewan (paleoclimate research document) (PDF–Datei, englisch)
  14. Channel 4: Britain’s Drowned World, Time Team, Erstausstrahlung am 24. April 2007 (englisch)

Literatur

  • V. Gaffney, K. Thomson, S. Fitch (Hrsg.): Mapping Doggerland. The Mesolithic Landscapes of the Southern North Sea. Archaeopress, Oxford 2007. ISBN 978-190-573-5
  • B.J. Coles: Doggerland, the cultural dynamics of a shifting coastline. In: K. Pye, S.R.L. Allen (Hrsg.): Coastal and Estuarine Environments. Sedimentology, Geomorphology and Geoarchaeology. Geological Society Special Publication No. 175. The Geological Society, London 2000, S.393–401. ISBN 1-86239-070-3
  • B.J. Coles: Doggerland’s loss and the Neolithic. In: B. Coles, J. Coles, M. Schon Jorgensen (Hrsg.): Bog Bodies, Sacred Sites and Wetland Archaeology. WARP Occasional Paper 12. Exeter 1999, S.51–57. ISBN 0-9519117-5-9
  • B.J. Coles: Doggerland, a speculative survey. in: Proceedings of the Prehistoric Society. Awarded Baguley Prize, London 64.1998, S.45–81. ISSN 0079-497X
  • Laura Spinney: Archaeology. The lost world. In: Nature. 2008,454(July), 151–153. doi:10.1038/454151a ISSN 0028-0836

Weblinks

 Commons: Doggerland – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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