Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege
Das dem Roman vorangestellte Gedicht auf einer Tafel am Fuß der Strudlhofstiege in Wien

Die Strudlhofstiege oder Melzer und die Tiefe der Jahre ist ein Gesellschaftsroman (erschienen 1951) und das Hauptwerk des österreichischen Schriftstellers Heimito von Doderer. Das in der breiten Öffentlichkeit meist nur als Strudlhofstiege bekannte Werk gilt als eines der großen Werke der österreichischen Literatur des 20. Jahrhunderts und wird oft in einem Atemzug mit Der Mann ohne Eigenschaften von Robert Musil genannt. Zu den Parallelen zwischen diesen Werken gehört ein genau sezierender Schreibstil, der dem Leser zwar gelegentlich ein Lächeln, aber nur wenige Emotionen abnötigt.

Das Werk beschreibt ohne eigentliche Haupthandlung Begegnungen und Gespräche zwischen den handelnden Personen innerhalb einer Zeitspanne von etwa 15 Jahren. Es würde sicher zu kurz greifen, den Roman nur als Entwicklungsroman des Titel„helden“ zu sehen.

Auf herkömmliche ‚dramatische‘ Elemente wie Liebe, Erotik oder Verbrechen verzichtet der Autor weitgehend. Wo er sie aber einsetzt, nützt er sie kaum zur Spannungssteigerung, sondern beschränkt sich darauf, sie lediglich andeutend und kaum dramatischer einzusetzen als etwa die Beschreibung von Wetterzuständen.

Die vielleicht spannendste Szene des Buches beschreibt auf weniger als zwei Seiten einen Besuch von René bei Editha, anlässlich dessen sich eine sexuelle Begegnung ereignet, die Doderer zwar klar und zweifelsfrei ausspricht, die den Leser aber dennoch kaum zu fesseln vermag - möglicherweise aus Sicht des Autors auch nicht soll.

Die ersten Szenen des Buches spielen etwa im Jahr 1911 konkret an der Strudlhofstiege im Ortsteil Lichtental des 9. Wiener Bezirks Alsergrund. Spätere Szenen konzentrieren sich zeitlich etwa auf das Jahr 1925, sind aber geografisch nicht mehr so stark auf den 9. Wiener Bezirk konzentriert.

Den Großteil von öffentlich bekannten Bezeichnungen und Örtlichkeiten bezeichnet Doderer im Buch völlig korrekt und kodiert diese nicht. Der unweit der Strudlhofstiege liegende und auch heutzutage noch so bezeichnete Franz-Josefs-Bahnhof wird im Buch allerdings konsequent und in Wien absolut unüblich als „Böhmischer Bahnhof“ benannt.

Obwohl Doderer einerseits Parteimitglied der NSDAP, aber auch gläubiger Katholik war, sind im Werk weder deutschnationale noch katholische Anklänge ortbar. Die handelnden Personen sind nach damaligen Begriffen durchaus polyglott und multinational, auch fehlen jedwede moralische Wertungen zu außerehelicher Sexualität oder Verbrechen. Krieg wird immer wieder thematisiert, allerdings weder verherrlichend noch wie in der österreichischen Literatur gelegentlich auch weinerlich (verlorenes Reich ...), sondern eher aus persönlicher, menschlicher Sicht (verlorener Freund), wenngleich ohne rechten Tiefgang.

In Stil und Personenkreis weist der Roman enge Verknüpfungen zu Doderers späterem Werk Die Dämonen auf. Das Buch ist gekennzeichnet von einer Sichtweise der bürgerlichen, ehemals kleinadligen Gesellschaft mit starkem Bezug zum Bildungsbürgertum. Personen aus anderen sozialen Schichten werden allerdings mit Ausnahme von Thea Rokitzer – und anders als im Roman Die Dämonen – nur als Nebenpersonen eingebunden.

1989 wurde ein Fernseh-Mehrteiler über diesen Stoff gedreht und ausgestrahlt. 2007 produzieren ORF und NDR Kultur eine dreiteilige Rundfunkfassung von Helmut Peschina (Bearbeitung) und Robert Matejka (Regie).

Handelnde Personen

  • Rittmeister Eulenfeld, Bonvivant deutscher Herkunft
  • Robby Fraunholzer, Kollege von Stefan Grauermann; Geliebter von Etelka Grauermann, geb. Stangeler
  • Sektionsrat Geyrenhoff, kommt auch in anderen literarischen Werken Doderers vor
  • Mary K.
  • Melzer, ursprünglich Leutnant, später Major, nach dem Weltkrieg Amtsrat in der Tabakregie. Auffällig ist, dass Melzer (obwohl aufgrund im Buch früh erwähnten Bordellbesuches als heterosexuell orientiert ausgewiesen), den Großteil des Buches Kontakte zu Frauen ausschließlich, dafür aber intensiv, auf menschlicher Ebene sucht, ohne dass Doderer dem Leser dafür Erklärung gibt. Erst im letzten Viertel des Buches wird klar, dass Melzers Interesse an Frauen nicht bloß platonisch ist. Hier findet dann auch die in der Mitte des Romans erzählte Bärenjagd ihre Pointe.
  • Doktor Negria
  • Editha Pastré, später Editha Schlinger
  • Mimi Pastré
  • Thea Rokitzer
  • von Semski
  • Asta von Stangeler
  • Etelka von Stangeler, Schwester der Asta und des René von Stangeler, spätere verehel. Grauermann
  • René von Stangeler, ursprünglich Gymnasiast, später Doktor der Philosophie. Zahlreiche Parallelen sind zwischen Stangeler und Doderer feststellbar: Adel, Studium der Geschichtswissenschaften, Kriegsdienst, russische Kriegsgefangenschaft sowie ähnlicher Klang der beiden letzten Silben im Familiennamen (-eler, -erer). Doderer verwendete „René Stangeler“ zeitweise auch als Pseudonym
  • Julius Zihal, Amtsrat
  • Paula Schachl
  • Ingrid Schmeller
  • Stephan "Pista" Grauermann

Literatur

  • Heimito von Doderer: Die Strudlhofstiege oder Melzer und die Tiefe der Jahre. Roman. Beck, München 2003, ISBN 3-406-39896-0
  • Franz Hubmann: Auf den Spuren von Heimito von Doderer. Eine photographisch-literarische Reise rund um die „Strudlhofstiege“ in Wien. Brandstätter 1996, ISBN 3-85447-649-3
  • Gerald Sommer: Vom „Sinn aller Metaphorie“. Zur Funktion komplexer Bildgestaltungen in Heimito von Doderers Roman „Die Strudlhofstiege“, dargestellt anhand einer Interpretation der Entwicklung der Figuren Mary K. und Melzer. Lang, Frankfurt/M. 1994, ISBN 3-631-46506-8

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