Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels

Die Entdeckung des Himmels (ndl. „De ontdekking van de hemel“) ist der Titel eines 1992 entstandenen Romans des niederländischen Schriftstellers Harry Mulisch. Er beschreibt die intensive Freundschaft zweier Männer, deren biographische Verzahnungen durch zwei Engel beeinflusst werden, um die beiden Tafeln der Zehn Gebote in den Himmel zurückzubringen und dadurch den biblischen Bund zwischen Gott und den Menschen aufzuheben. Mit dem für den Autor typischen Humor zeigt Harry Mulisch sein enzyklopädisch anmutendes Wissen, seine Denk- und Sichtweisen und zeichnet gleichzeitig ein Gesellschaftsbild der Niederlande der 1960er bis 1980er Jahre.

Inhaltsverzeichnis

Gliederung und Inhalt

Der Roman kennt zwei Erzählebenen: Zwei Engel steuern und kommentieren zugleich das Leben der beiden niederländischen Freunde Max Delius und Onno Quist. Dieser Rahmen zeigt, welchen Zweck Leben und Handeln dieser Protagonisten besitzt: Die Auflösung des Bundes zwischen Gott und den Menschen, der durch die Übergabe der beiden Tafeln der Zehn Gebote auf dem Berg Sinai an Mose geschlossen wurde. Harry Mulisch gliedert den Vorgang zur Auflösung in vier Abschnitte: Der Anfang vom Anfang, Das Ende vom Anfang sowie Der Anfang vom Ende und Das Ende vom Ende. Diese werden jeweils durch dialogische Szenen im Himmel eingerahmt, welche sich zu Beginn und Ende der Abschnitte mit der irdischen Handlung überlappen (nur an diesen Stellen kommt ein Ich-Erzähler vor).

Hauptsächlich erzählt der Roman aus dem Leben von vier Personen, die auf unterschiedlichste Weise miteinander in Beziehung stehen:

Max Delius
Der Astronom und Frauenheld, als Sohn einer jüdischen Mutter und eines NS-Offiziers am 27. November 1933 geboren, ringt mit dem nationalsozialistischen Erbe seiner Familie; sein Vater hat seine Frau und deren Familie an die Nationalsozialisten verraten und war für ihren Transport ins Konzentrationslager verantwortlich. Max verliebt sich in die Cellistin Ada Brons, die ein wenig Ordnung in sein Leben bringt. Da er am selben Tag wie Onno Quist gezeugt worden ist, ist er mit diesem grundverschiedenen Mann „wesensverwandt“ − und schließt eine tiefe Freundschaft mit ihm. In den 1980er Jahren wird er schließlich von einem Meteoriten erschlagen, so dass er seine größte wissenschaftliche Entdeckung, die Entdeckung des (göttlichen) Himmels, nicht mehr kundtun kann.
Onno Quist
Der aus konservativem Hause stammende Linguist ist stolz auf seine Herkunft und Wissenschaftler durch und durch. Die Begegnung mit Max Delius ändert sein Leben grundlegend: Die Beziehung zu seiner Freundin Helga zerbricht, er diskutiert mit Max Delius insbesondere über Wissenschaftliches, Religion, Philosophie und Politik. Durch Max Delius lernt er die linken studentischen Strömungen kennen, wird politisch aktiv. Auch lernt er durch Max Ada Brons kennen, die er später heiraten wird. Als letzter lebender Protagonist sieht er sich vor den Trümmern seines Lebens: Seine politische Karriere endet jäh durch Indiskretionen, sein wissenschaftliches Hauptwerk, die Entschlüsselung des Etruskischen, wird widerlegt; Max sowie Ada sterben durch Unfall, auch verliert er durch Raubmord Helga, mit der er, während Ada im Koma liegt, wieder eine Beziehung geführt hat. Schließlich erfährt er, dass sein Sohn Quinten nicht von ihm stammt.
Ada Brons
Die Cellistin und Tochter eines Buchhändlers ist die verbindende Figur zwischen Max und Onno, mit denen sie eine komplizierte Dreiecksbeziehung führt. Sie ordnet Max Delius' Leben und stabilisiert als Onnos Ehefrau das umtriebige Leben des Linguisten. In der Nacht auf Kuba, in der ihr Sohn Quinten gezeugt wurde, hatte Ada sowohl mit Max als auch mit Onno Geschlechtsverkehr. Kurz darauf wird sie bei einem Autounfall, an dem auch Max und Onno beteiligt sind, schwer verletzt und fällt ins Koma. Das Kind überlebt den Unfall und wird einige Monate später per Kaiserschnitt geboren. Adas Mutter Sophia spritzt ihrer Tochter nach 17 Jahren Koma eine Überdosis Insulin, wodurch Ada stirbt.
Quinten Quist
Quinten wächst nach Adas Unfall bei seiner Großmutter mütterlicherseits und Max Delius auf, die beide eine Art Wohngemeinschaft mit sexuellen Begegnungen führen. Bald zeigt sich seine Intelligenz sowie seine soziale Verantwortung, die Menschen beeindruckt, welche ihn dann im Fortkommen unterstützen. Als Abiturient beschließt er, die Schule zu verlassen und sich auf die Suche nach seinem untergetauchten Vater zu machen, den er schließlich in Rom findet. Dort erfüllt er dann den Auftrag, für den die Lebensfäden der drei Protagonisten verflochten und beeinflusst worden sind: Er holt die Tafeln der Zehn Gebote, bringt sie auf den Jerusalemer Tempelberg und zerstört sie; die Trümmer werden schließlich von der Müllabfuhr entsorgt. Die Verbindung zwischen Himmel und Erde ist gelöst, Quintens Auftrag und der der Engel ist erfüllt.

Die Charaktere erfahren erst gegen Ende des Buches, dass Quinten Max' Sohn ist, was die Leser auf Grund der Rahmenhandlung seit dem Prolog wissen.

Interpretation

Harry Mulisch verflicht verschiedene Themen und Handlungskomplexe:

  • Aus seiner eigenen Biographie sind Themen wie Schuld, Umgang mit der NS-Vergangenheit insbesondere in der Figur des Max Delius zu finden.
  • Das Koma Ada Brons' thematisiert die Aktive Sterbehilfe, die zum Zeitpunkt des Erscheinens in den Niederlanden engagiert diskutiert wurde.
  • Ursache und Wirkung der Studentenrevolution in den Niederlanden sind insbesondere in der politischen Karriere Onno Quist thematisiert.
  • Dem Gegensatz von Kommunismus und Kapitalismus widmet Mulisch etwa einen literarischen Exkurs nach Kuba, der zu erheblichen Verwicklungen zwischen den Weltanschauungen in Gestalt unterschiedlicher Personengruppen führt.
  • Die amourösen Verbindungen und Begegnungen erinnern sehr an die oft unterstellte Toleranz der Niederländer und lassen die Frage nach Tiefe und Grundlagen familiärer Strukturen dies- und jenseits der traditionellen Ehe stellen.
  • In die Figur des Max Delius soll Mulisch vor allem Parallelen aus seiner eigenen Biographie eingearbeitet haben, in die Figur des Onno Quist solche seines Freundes Hein Donner.

Das Werk liefert vielerlei Assoziationen aus der abendländischen Mystik, reflektiert insbesondere auch kabbalistische Traditionen. Diese religiösen Themen bilden einen unübersehbaren Gegensatz zur Welt der empirischen Wissenschaften. Überhaupt lebt das Werk vor allem aus der Begegnung von Gegensätzen.

Auszeichnungen

Am 11. März 2007 wurde Die Entdeckung des Himmels im Rahmen einer Aktion der niederländischen Tageszeitung NRC Handelsblad zum besten niederländischsprachigen Buch aller Zeiten gewählt.

Verfilmung

Der niederländische Regisseur Jeroen Krabbé verfilmte 2001 das Buch mit Stephen Fry als Onno, Flora Montgomery als Ada und Greg Wise als Max, Neil Newbon als Quinten, 16 Jahre alt sowie in weiteren Rollen Gillian Barge als Onnos Mutter und Diana Quick. „The Discovery of Heaven“, so der Originaltitel der niederländisch-britischen Co-Produktion, gilt als teuerste niederländische Filmproduktion aller Zeiten und gewann den Golden und Platin Film Award beim niederländischen Gold and Platin Filmfestival. 2002 wurde er für das Goldene Kalb beim Nederlands Film Festival nominiert. Das Goldene Kalb für das beste Drehbuch ging an Edwin de Vries.

Buchausgaben

  • Die Entdeckung des Himmels. Übersetzt aus dem Niederländischen von Martina den Hertog-Vogt. Carl Hanser, München 1993, ISBN 978-3-446-17377-4
  • Die Entdeckung des Himmels. 22. Auflage, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2005, ISBN 3-499-13476-4 (Taschenbuchausgabe)

Hörspieladaption

Weblinks


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