Deutschstämmige

Deutschstämmige

Als Deutschstämmige werden im traditionellen Sprachgebrauch Personen bezeichnet, deren Vorfahren Deutsche sind oder waren und die keine deutsche Staatsbürgerschaft besitzen beziehungsweise diese aufgegeben oder verloren haben. Das Attribut deutschstämmig wird meistens auf Personen angewendet, die nicht mehr im geschlossenen deutschen Raum leben[1] beziehungsweise gelebt haben. Gelegentlich wird allerdings auch von deutschstämmigen Deutschen gesprochen, um diese Personengruppe von deutschen Staatsbürgern mit Migrationshintergrund abzugrenzen.

Inhaltsverzeichnis

Aktueller Wortgebrauch

Deutschstämmige und Deutsche im Ausland

Viele Deutschstämmige gibt es in den USA[2], Russland[3], Kanada[4], Australien[5] und Südamerika.[6] Es handelt sich bei diesen um Deutsche erster Generation, die in einen anderen Staat emigrierten, aber auch um deren Kinder und Kindeskinder. Viele von ihnen sprechen nicht mehr Deutsch (als Muttersprache). Häufig sind Deutschstämmige auch Menschen, die oder deren Vorfahren aus Deutschland über einen Staat der deutschsprachigen Regionen Europas weiter emigriert sind (→ Auswanderung, Abschnitt „Geschichte der Auswanderung in Deutschland und im Europa der Neuzeit“).

Im Hinblick auf die Unterscheidung deutscher Staatsangehöriger von Deutschstämmigen in den Vereinigten Staaten gibt es Richtlinien der deutschen Vertretungen.[1] In den meisten westlichen Staaten spielt die Kategorie „deutsche Volkszugehörigkeit“ heute offiziell keine Rolle. Eine Ausnahme bildet Dänemark. Im Deutsch-dänischen Abkommen vom 29. März 1955 heißt es in der „Erklärung der Dänischen Regierung“ (Abschnitt II/1): „Das Bekenntnis zum deutschen Volkstum und zur deutschen Kultur ist frei und darf von Amts wegen nicht bestritten oder nachgeprüft werden.“[7]

Nicht als Deutschstämmige, sondern als Deutsche gelten deutsche Volkszugehörige im Sinne des Art. 116 GG (siehe unten) sowie die Angehörigen der deutschen Minderheiten in den Ländern, in denen solche Minderheiten anerkannt sind. Deutsche Staatsbürger, die dauerhaft im Ausland leben, werden Auslandsdeutsche genannt.

Häufig kennzeichnet das nicht substantivierte Attribut deutschstämmig einen Zustand der nicht vollständigen Zugehörigkeit zu einem Volk. So enthält die Formulierung „deutschstämmiger Pole“ die Konnotation, dass der so Bezeichnete kein „richtiger“ Pole (da nicht von Polen abstammend), aber auch kein Deutscher (da nicht in Deutschland geboren und aufgewachsen) sei.[8]

Historischer Wortgebrauch

Weimarer Republik

Während dem deutschen Staatangehörigkeitsrecht der Zeit des Kaiserreichs (1871–1918) der Begriff der „Volkszugehörigkeit“ noch fremd gewesen war, gewann er in der Praxis der Einbürgerung von Ausländern nach dem Ersten Weltkrieg eine erhebliche Bedeutung: Es wurden Behörden eingerichtet, die „Deutschstämmigkeitsbescheinigungen“ ausstellten,[9] und in geheim gehaltenen Einbürgerungsrichtlinien wurden Einbürgerungswillige gemäß den Kriterien „deutschstämmig“ und „fremdstämmig“ eingeteilt, wobei bereits vor 1933 „Deutschstämmige“ privilegiert wurden.[10] Durch die Hinzufügung des Attributs „kulturfremd“ sollten vor allem Juden vom Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit ausgeschlossen werden.

Nationalsozialismus

In einem Runderlass des Reichsinnenministeriums vom 23. Mai 1944 wurde der Begriff Deutschstämmige folgendermaßen definiert:

„Deutschstämmig sind Personen mit mindestens zwei deutschen Großeltern; Personen mit artfremdem Bluteinschlag sind nicht deutschstämmig.“[11]

Für die Nationalsozialisten waren die Begriffe deutsche Volkszugehörige und Deutschstämmige keine Synonyme: Einerseits konnten unter bestimmten Bedingungen Nicht-Deutschstämmige im Sinne der obigen Definition, aber als „eindeutschungsfähig“ Eingestufte durch ein „Bekenntnis zum deutschen Volkstum“ (d. h. durch die Bereitschaft, mit Dienststellen „Großdeutschlands“ zu kollaborieren) zu „deutschen Volkszugehörigen“ werden, andererseits konnten sogar „ganz Deutschstämmige“ (also Personen mit vier deutschen Großeltern) diese Eigenschaft verlieren, wenn sie „ganz in einem fremden Volk aufgegangen sind“.[12]

Gesetzliche Regelung in der Bundesrepublik Deutschland

Der Begriff „Deutschstämmiger“ ist heute kein Begriff der juristischen Fachsprache. Im deutschen Recht gibt es nur den Begriff deutscher Volkszugehöriger, der allerdings auch heute nicht mit dem Begriff Deutschstämmiger synonym ist. Die amtliche Regelung im Grundgesetz, Art. 116, Absatz 1 der Bundesrepublik Deutschland lautet „deutsche Volkszugehörigkeit“: „Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes ist vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat.“ Auch im Bundesvertriebenengesetz ist von „deutschen Volkszugehörigen“ die Rede (§ 1 ff. BVFG).

Bei Menschen, die in einem Staat des ehemaligen Ostblocks oder der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten leben und von Volksdeutschen abstammen, denen aber die deutsche Sprache von ihren Vorfahren nicht so vermittelt wurde, dass sie ein einfaches Gespräch auf Deutsch führen können, neigen die für eine Aufnahme in Deutschland zuständigen Behörden und Gerichte dazu, ihnen zu attestieren, sie seien „nur“ Deutschstämmige, nicht aber deutsche Volkszugehörige im Sinne von Art. 116 GG.[13]

Nach § 14 Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) besteht die Möglichkeit zu einer „Kann-Einbürgerung“ bei „ausländische[n] Staatsbürger[n], die im Ausland leben und besondere Bindungen an die Bundesrepublik Deutschland haben“. Diese Regelung verschafft deutschen Behörden einen Ermessensspielraum, deutschstämmigen Antragstellern aber keinen Rechtsanspruch auf Einbürgerung.

Siehe auch

Begriffe ähnlicher Bedeutung

Unterkategorien

Literatur

  • Karl-Markus Gauß: Die versprengten Deutschen. Unterwegs in Litauen, durch die Zips und am Schwarzen Meer. Zsolnay 2005, ISBN 3-552-05354-9.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b Deutsche Vertretungen in den USA: Verlust durch Annahme einer fremden Staatsangehörigkeit: „… Für in den USA wohnhafte Deutschstämmige, die auf eigenen Antrag die US-Staatsangehörigkeit erworben haben, bedeutet dies: Mit dem Erwerb der US-Staatsangehörigkeit bei Einschwörung geht die deutsche Staatsangehörigkeit regelmäßig verloren. …“
  2. US demographic census. Abgerufen am 15. April 2007..
  3. Deutsche in Russland und anderen GUS-Staaten.
  4. Im Blickpunkt: Deutsche in Kanada. In: Globus 2/2006.
  5. Deutschsprachige in Australien.
  6. Ulrike Ziebur: Die soziolinguistische Situation von Chilenen deutscher Abstammung. In: Linguistik online Ausgabe 7 (3/2000).
  7. Deutsch-dänisches Abkommen vom 29. März 1955 (PDF)
  8. Verena Wecker: Sprache und Identität im Kontext der Migration schlesischer Aussiedler nach Deutschland. SASI Heft 15, 2009, S. 62. Anmerkung 32
  9. Oliver Trevisiol: Die Einbürgerungspraxis im Deutschen Reich 1871–1945. Dissertation. 2004, S. 126
  10. Oliver Trevisiol: Die Einbürgerungspraxis im Deutschen Reich 1871–1945. Dissertation. 2004, S. 242
  11. Zitiert nach: Günter Hinken: Die Rolle der Staatsangehörigkeit bei der Konzeption des Grundgesetzes. In: Dietrich Thränhardt (Hrsg.): Einwanderung und Einbürgerung in Deutschland. LIT-Verlag, 1997, S. 187.
  12. Dieter Gosewinkel: Staatsangehörigkeit, Inklusion und Exklusion Zur NS-Bevölkerungspolitik in Europa, S. 13, Fußnote 26
  13. z. B. in einem Urteil des Verwaltungsgerichts Minden vom 19. Mai 2004

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