Deutsches Notstandsgesetz

Deutsches Notstandsgesetz
Demonstrationsaufruf

Die Notstandsgesetze wurden am 30. Mai 1968, in der Zeit der ersten Großen Koalition, vom Deutschen Bundestag verabschiedet. Dies wurde von massiven Protesten der so genannten außerparlamentarischen Opposition begleitet. Die Notstandsgesetze änderten das Grundgesetz zum 17. Mal und fügten eine Notstandsverfassung ein, welche die Handlungsfähigkeit des Staates in Krisensituationen (Naturkatastrophe, Aufstand, Krieg) sichern soll.

Inhaltsverzeichnis

Entstehung

Die Notstandsgesetze waren nach dem Zweiten Weltkrieg eine Bedingung der West-Alliierten vor der Übergabe der vollständigen Souveränität an die Bundesrepublik, da sie ihre in Deutschland stationierten Truppen geschützt wissen wollten. Ursprünglich enthielt das Grundgesetz auf Grund der Erfahrungen mit Artikel 48 der Weimarer Verfassung keine Regelungen für Krisensituation wie einen Angriff oder einen Putschversuch. 1955 wurde mit der Wehrverfassung der Schutz gegen einen militärischen Angriff ermöglicht.

Die ersten Pläne für Notstandsgesetze wurden bereits 1958 vom Bundesinnenministerium vorgelegt, weitere gab es 1960 und 1963. Diese Entwürfe sahen eine Ausweitung der Macht der Exekutive vor und fanden nicht die notwendige Mehrheit.

Die Große Koalition von 1966 bis 1969 verfügte über die notwendige Zweidrittelmehrheit und sah die Schaffung der Notstandsgesetze als notwendige Regelung an. Ein wichtiges Ziel war es, einen Missbrauch der Regelungen, wie es aus Sicht der Großen Koalition in der Weimarer Republik mit den Notverordnungen geschehen war, zu verhindern.

Dennoch breitete sich zunehmend in der Bevölkerung die Sorge aus, die Notstandsgesetze bedeuteten ein neues Ermächtigungsgesetz. Gewerkschaften, FDP, das Kuratorium „Notstand der Demokratie“ und besonders die Deutsche Studentenbewegung der 1960er Jahre mit SDS und LSD opponierten gegen die auf parlamentarische Weise nicht verhinderbaren Pläne.

Doch gerade die festgestellte Unruhe in der Jugend, über die am 9. Februar 1968 der Bundestag debattierte, führte auch dazu, dass das Parlament mit großer Mehrheit seine Absicht bekundete, die rechtsstaatliche Ordnung zu schützen und noch vor der Sommerpause die Notstandsverfassung zu verabschieden. Mit den Kaufhaus-Brandstiftungen am 2. April 1968 und den teilweise massiven Ausschreitungen nach dem Attentat auf Rudi Dutschke am 11. April 1968 spitzte sich die Situation zu. In einem Sternmarsch nach Bonn demonstrierten am 11. Mai 1968 Zehntausende weitgehend friedlich gegen die Notstandsgesetze, die sie als nicht hinnehmbare Eingriffsmöglichkeit der Staatsorgane in die Grundrechte ansahen und von ihnen abgelehnt wurden.

Am 27. Mai 1968 erklärten die Westmächte, bei einer Verabschiedung der Notstandsgesetze auf ihre Vorbehaltsrechte zu verzichten. Bei der Abstimmung im Bundestag am 30. Mai votierten neben den Abgeordneten der FDP, der einzigen Partei, die sich geschlossen gegen die Grundrechtseinschränkungen wandte, auch 53 Abgeordnete der SPD gegen die Gesetze. Die Sonderrechte der Westmächte aus dem Deutschlandvertrag endeten allerdings erst mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag, der wegen der Wiedervereinigung nötig wurde.

Inhalt

Das Siebzehnte Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes ist auf den 24. Juni 1968 datiert und trat am 27. Juni in Kraft. Von den damals 145 Grundgesetzartikeln wurden damit 28 geändert, aufgehoben oder eingefügt.[1]

Die Gesetze enthalten Regelungen für den Verteidigungsfall, den Spannungsfall, den inneren Notstand und den Katastrophenfall. In diesen Fällen werden die Grundrechte eingeschränkt.

Notstandsgesetzgebung

Falls im Verteidigungsfall der Bundestag nicht zusammentreten kann, wird seine Funktion und die Funktion des Bundesrates vom Gemeinsamen Ausschuss übernommen. Der Gemeinsame Ausschuss besteht zu zwei Dritteln aus Mitgliedern des Bundestages und zu einem Drittel aus Mitgliedern des Bundesrates. Der Gemeinsame Ausschuss kann das Grundgesetz nicht ändern.

Einschränkung von Grundrechten

Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG) dürfen durch ein Gesetz zum Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung in der Weise beschränkt werden, dass dagegen kein Rechtsweg gegeben ist (wie ihn Art. 19 Abs. 4 GG sonst vorschreibt), sondern eine allein parlamentarische Kontrolle stattfindet (sog. G-10-Gesetz).

Die Freizügigkeit (Art. 11 GG) darf auf Grundlage eines Gesetzes nun auch unter Notstandsbedingungen eingeschränkt werden.

Naturkatastrophen, besonders schwere Unglücksfälle

Bei Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen können nach Art. 35 GG neben der Polizei auch die Bundespolizei und die Bundeswehr eingesetzt werden. Bei länderübergreifenden Katastrophen kann die Bundesregierung den Ländern Weisungen erteilen.

Widerstandsrecht und Verfassungsbeschwerde

Auch um die Kritiker zu besänftigen, wurde in Artikel 20 GG ein vierter Absatz eingefügt, der als Ultima ratio, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist, jedem Deutschen das Recht gibt, gegen jeden, der es unternimmt, diese (verfassungsmäßige) Ordnung zu beseitigen, Widerstand zu leisten[2]. Außerdem wurde die Verfassungsbeschwerde, bislang nur einfachrechtlich normiert (§§ 90 ff. BVerfGG), nun auch verfassungsrechtlich garantiert (in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG).

Siehe auch

Literatur

  • Boris Spernol: Notstand der Demokratie. Der Protest gegen die Notstandsgesetze und die Frage der NS-Vergangenheit. Klartext, Essen 2008, ISBN 978-3-89861-962-2

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Der verwaltete Mensch, Jungle World 32/2008, S. 6
  2. genauer Wortlaut
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