Derek Bentley

Derek Bentley

Derek William Bentley (* 30. Juni 1933; † 28. Januar 1953) war ein junger Brite, der im Alter von 19 Jahren für einen Mord an einem Polizisten hingerichtet wurde, den ein Komplize von ihm begangen hatte. Der Fall beschäftigte die britische Justiz mehr als 45 Jahre und gilt neben der Hinrichtung von Timothy Evans als einer der größten Justizirrtümer der britischen Kriminalgeschichte. Am 29. Juli 1993 wurde er posthum begnadigt, am 30. Juli 1998 hob das Appellationsgericht das Urteil auf.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Jugendjahre

Bentley wuchs in schwierigen Verhältnissen im Londoner Eastend auf und wurde während des Zweiten Weltkriegs nach einem Angriff durch eine deutsche V1 in den Trümmern eines Hauses verschüttet. Anschließend bekam er Epilepsie und blieb in seiner Entwicklung weit zurück. Seine geistigen Fähigkeiten entsprachen denen eines 11-Jährigen, er konnte weder lesen noch schreiben und hatte einen IQ von 66.

Der Einbruch

Zusammen mit einem 16-Jährigen Kleinkriminellen namens Christopher Craig brach er am 2. November 1952 in das Barlow & Parker Kaufhaus im Südlondoner Stadtbezirk Croydon ein. Während Bentley selbst nur mit einem Messer und einem Schlagring bewaffnet war, hatte Craig einen Revolver bei sich. Während des Einbruchs wurden beide beobachtet und die Polizei benachrichtigt.

Als die Polizei am Ort des Geschehens eintraf, versteckten sich die beiden Einbrecher auf dem Dach des Hauses. Ein zunächst unbewaffneter Kriminalbeamter namens Frederick Fairfax kletterte auf das Dach und bekam Bentley zu fassen. Dieser befreite sich jedoch und rief nach Aussage mehrerer Polizisten „Gib's ihm, Chris![1]. Craig eröffnete das Feuer und verwundete Fairfax an der Schulter. Dieser konnte Bentley jedoch trotzdem erneut überwältigen und erfuhr von ihm, dass Craig einen Colt Kaliber .45 und eine nicht näher bestimmte Menge von Munition mit sich führte.

Nachdem weitere bewaffnete Polizisten zum Haus beordert worden waren, erklommen mehrere von ihnen das Dach. Einer der ersten von ihnen war Police Constable Sidney Miles. Er versuchte das Dach zu überqueren, wurde aber dabei von Craig mit einem Kopfschuss getötet. Nachdem Craig seine Munition verschossen hatte, sprang er vom Dach 10 Meter in die Tiefe, wobei er sich mehrere Brüche zuzog. Anschließend wurde er verhaftet.

Der Prozess

Im Londoner zentralen Strafgerichtshof Old Bailey wurde der Fall des Derek Bentley verhandelt.

Craig musste kein Todesurteil befürchten, da er noch minderjährig war. Bentley war zwar volljährig, jedoch aufgrund seiner psychischen Verfassung offensichtlich schuldunfähig. Allerdings war er bereits früher wegen kleinerer Diebstähle polizeilich erfasst worden, was ihm im Prozess negativ ausgelegt wurde.

Craigs und Bentleys Fall wurde unter dem Lord Chief Justice of England and Wales, Richter Rayner Goddard am Old Bailey in London verhandelt. Die Verteidigung berief sich auf den Umstand, dass sich Bentley zum Zeitpunkt der Tötung von Police Constable Miles bereits in Polizeigewahrsam befand. Zu seinen Ungunsten sprach jedoch, dass er sich der Verhaftung entzogen hatte, wobei ein Polizist verletzt wurde, und im Anschluss seinen Komplizen Craig zum Schießen aufgefordert hatte. Ob er die kompromittierenden Worte „Let him have it, Chris!“ wirklich rief, ist umstritten. Drei der vier Polizisten vor Ort bezeugten, dass die Worte fielen. Bentley selbst und Craig sowie der vierte Polizist vor Ort bestanden jedoch darauf, dass diese Worte niemals gerufen wurden.

Während des Prozesses musste die Jury verschiedene Fakten berücksichtigen. Es war unklar, wie viele Schüsse abgefeuert worden waren und von wem. Der Ballistiker konnte nicht beweisen, dass der tödliche Schuss aus Craigs Waffe stammte. In den 1970er Jahren wurden sogar Gerüchte laut, dass Miles eventuell durch die Kugel eines Kollegen getötet wurde.

Weiterhin war unklar, was Bentley mit seinem Ausruf „Let him have it“ gemeint hatte, falls dieser Satz überhaupt gefallen war. Obwohl er durchaus als „Gib's ihm, Chris!“ interpretiert werden konnte, war es auch möglich, dass Bentley seinen Komplizen überzeugen wollte, dem Polizisten („him“) die Waffe zu überlassen und sich zu ergeben.

Die medizinischen Untersuchungen zeigten, dass Bentley Analphabet war und nur über eine unterdurchschnittliche Intelligenz verfügte. Jedoch bezeugte der untersuchende Arzt Dr. Matheson, dass Bentley nicht wahnsinnig und somit schuldfähig sei.

Die Jury fällte ihr Urteil nach nur 75 Minuten und erklärte sowohl Bentley als auch Craig für schuldig des Mordes an PC Miles. Im Falle Bentleys empfahl die die Jury allerdings eine Begnadigung. Bentley wurde zum Tod durch den Strang verurteilt, während Craig aufgrund seiner Minderjährigkeit zu einer geringeren Strafe verurteilt wurde und nach 10 Jahren aus dem Gefängnis entlassen wurde.

Die Zweifel an den ballistischen Untersuchungen, Bentleys psychische Defizite und die Tatsache, dass er selbst nicht am Mord beteiligt gewesen war, führten zu scharfen Protesten gegen das Urteil. Dennoch lehnte der Lordkanzler von Großbritannien, David Maxwell Fyfe, es trotz einer Petition, die von PC Miles' Witwe und über 200 Mitgliedern des britischen Parlaments unterzeichnet worden war, ab, sich an die junge, noch ungekrönte Königin Elisabeth II. zu wenden. Die Königin hätte unter Berufung auf das Gnadenrecht die Todesstrafe in ein milderes Urteil umwandeln können. Der Labour-Abgeordnete des Bezirks Northampton, Reginald Paget, drückte seine Bestürzung wie folgt aus, wobei er einen Vergleich zu Nazi-Deutschland zog:

Das große Verhängnis des deutschen Volkes war es, dass es beiseite stand und nichts tat, als schreckliche Dinge geschahen. Jetzt soll ein nur zu drei Vierteln denkfähiger Junge von 19 Jahren für einen Mord gehängt werden, den er nicht begangen hat und der 15 Minuten nach seiner Verhaftung begangen wurde. Können wir zum Schweigen gebracht werden, wenn etwas derart Schreckliches und Schockierendes geschehen soll?[2]

Trotz scharfer Proteste der britischen Öffentlichkeit wurde Derek Bentley am 28. Januar 1953 durch Englands Scharfrichter Albert Pierrepoint im Londoner Gefängnis von Wandsworth hingerichtet. In der Nacht seiner Hinrichtung versammelten sich mehr als 5000 Menschen vor den Toren des Gefängnisses und protestierten gegen die Hinrichtung. Sie riefen „Mord!“ und verbrannten schließlich den Zettel, der als Ankündigung der Hinrichtung am Tor angepinnt worden war.

Nachgeschichte

Nach der Hinrichtung organisierte Bentleys Schwester Iris eine Kampagne mit dem Ziel der posthumen Begnadigung Bentleys, die sie 1993 auch erreichte. Eine offizielle Überprüfung des Urteils jedoch begann erst, nachdem die konservative britische Regierung, die noch 1992 abgelehnt hatte, den Fall neu aufzurollen, 1997 durch die Labour-Regierung Tony Blairs abgelöst worden war. Am 30. Juli 1998 wurde das Urteil gegen Derek Bentley revidiert und er wurde von Richter Bingham freigesprochen. Seine Schwester Iris erlebte die Aufhebung des Urteils nicht mehr. Sie starb am 22. Januar 1997 an den Folgen einer Krebserkrankung im Alter von 64 Jahren.

Der Fall führte weiterhin zu einer scharf geführten Debatte um die Abschaffung der Todesstrafe in Großbritannien. Weiterhin wurde nach dem Bentley-Fall wie zuvor schon 1911 nach der Belagerung der Sidney Street und nach anderen Fällen, in denen britische Polizisten in Ausübung ihres Dienstes getötet oder verletzt wurden, die Bewaffnung der Polizei neu diskutiert. Die „Bobbies“ genannten Polizisten üben ihre Tätigkeit traditionell ohne Schusswaffen aus.

Der Fall in der Populärkultur

Regisseur Peter Medak verfilmte Derek Bentleys Geschichte im Jahr 1991 unter dem Titel Let Him Have It. Die Hauptrolle besetzte er mit dem bis dahin unbekannten Christopher Eccleston. Die deutsche Version erschien 2006 auf DVD unter dem Titel Gib's ihm, Chris!.

Der Fall wurde weiterhin von mehreren Musikern verarbeitet, unter anderem von Elvis Costello in seinem Song Let Him Dangle. Weiterhin wurde der Fall in den Songs Let Him Have It von The Bureau sowie Bentley and Craig von June Tabor verarbeitet. Auch der britische Folkmusiker Ralph McTell, dessen Eltern die Bentleys persönlich kannten, verarbeitete die Ungerechtigkeit des Urteils in seinem Song Bentley and Craig. McTell erinnerte sich später:

Sogar als Achtjähriger konnte ich den Horror und die Ungerechtigkeit erkennen, einen Teenager für einen Mord hinzurichten, den er nicht begangen hatte.[3]

Literatur

Fußnoten

  1. Original: „Let him have it, Chris!
  2. Original: „The great condemnation of the German people was that they stood aside and did nothing when dreadful things happened. Now, a three-quarter witted boy of nineteen is to be hanged for a murder he did not commit and which was committed fifteen minutes after he was arrested. Can we be made to keep silent when a thing as horrible and as shocking as this is to happen?
  3. Original „Even as an eight-year-old, I could see the horror and unfairness of executing a teenager for a murder he didn't commit.

Weblinks


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