Der Reigen

Der Reigen
Erstdruck (Privatdruck Schnitzlers)

Reigen ist ein Bühnenstück von Arthur Schnitzler. In zehn Dialogen versucht Schnitzler ein moralisches Bild der Gesellschaft des ausgehenden 19. Jahrhundert zu zeichnen. In dem Stück werden zehn Begegnungen sexueller Natur geschildert. Es gilt bis heute als emblematisches modernes Drama.

Bei der geschilderten Erotik geht es immer auch um das Spiel mit der Macht, ohne Rücksicht auf soziale Herkunft oder Lebensalter. Er selbst schrieb darüber: Geschrieben hab ich den ganzen Winter über nichts als eine Szenenreihe, die vollkommen undruckbar ist, literarisch auch nicht viel heißt, aber nach ein paar hundert Jahren ausgegraben, einen Teil unserer Kultur eigentümlich beleuchten würde.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Begegnungen im Reigen

Die zehn Hauptfiguren treten jeweils paarweise auf, beginnend mit der Dirne und dem Soldaten. Danach wird immer einer der Handelnden ausgewechselt, langsam der gesellschaftlichen Rangordnung folgend. So ergeben sich folgende Konstellationen:

  • Dirne - Soldat
  • Soldat - Stubenmädchen
  • Stubenmädchen - junger Herr
  • junger Herr - junge Dame
  • junge Dame - Ehemann
  • Ehemann - süßes Mädel
  • süßes Mädel - Dichter
  • Dichter - Schauspielerin
  • Schauspielerin - Graf
  • Graf - Dirne

Ablauf

Durch die letzte Beziehung schließt sich der Reigen, er kann theoretisch endlos fortgesetzt werden. Die Szenen beschreiben die Handlungen vor und nach dem Liebesakt, der Koitus selbst wird durch Gedankenstriche ausgespart. Verbunden mit dem gesellschaftlichen Aufstieg ist auch eine Steigerung der Komplexität der Affären. Die Dirne und der Soldat kommen relativ schnell zur Sache, während etwa bei junger Mann-junge Frau romantische Verführungsversuche zu erkennen sind. Dementsprechend werden die Szenen auch von Mal zu Mal länger.

„Der Reigen“ ist keine Liebesgeschichte, die Paare finden nur durch Verführung oder Machtausübung zueinander. Die Handelnden befürchten meist, dass ihre Affären ans Licht kommen, nur der Graf kann es sich erlauben, relativ offen zur Dirne zu gehen. Schnitzler kritisiert jedoch nicht nur den Unterschied zwischen den Handlungen der Einzelnen, und der öffentlichen Moralvorstellung. In der Szene Stubenmädchen-junger Herr erkennt man etwa, dass der bessergestellte Herr das Stubenmädchen nur aus Langeweile an einem ereignislosen Nachmittag verführt. Dazu passt auch, dass die Personen nicht durch Namen bezeichnet werden.

Geschichte des Dramas

Titelblatt des ersten Druckes für den Buchhandel

Arthur Schnitzler schrieb „Reigen“ 1896/97 und ließ 1900 auf eigene Kosten 200 Exemplare für Freunde drucken. 1903 erschien die erste Auflage beim Wiener Verlag von Fritz Freund, da Schnitzlers Stamm-Verleger S. Fischer eine Veröffentlichung in Deutschland aus politischen Gründen für unangebracht hielt. In kurzer Zeit wurden 40.000 Stück verkauft.

Aufführungen und Verbot

Das Stück wurde am 23. Dezember 1920 am Kleinen Schauspielhaus in Berlin uraufgeführt. Wenige Stunden vor der Premiere wurde die Vorstellung vom preußischen Kultusministerium verboten, die Vorstellung fand trotzdem statt. Der Skandal um das Verbot fand mehr Aufmerksamkeit als das Stück. Am 6. Januar 1921 hob ein Gericht das Verbot auf, nachdem sich die Richter eine Vorstellung selbst angesehen hatten. Am 1. Februar 1921 hatte das Stück auch in Wien in den Kammerspielen Premiere, es war ein Erfolg. Verschiedene Zeitungen, besonders die Reichspost, begannen eine antisemitische Hetzkampagne. Bei der Vorstellung am 7. Februar gab es erste Störungen. Der spätere Bundeskanzler Ignaz Seipel sprach vom Stück als einem „Schmutzstück aus der Feder eines jüdischen Autors“. Am 16. Februar stürmten rund 200 Personen das Theater, warfen Stinkbomben und verwüsteten die Einrichtung. Daraufhin verbot das Innenministerium zum „Schutz der öffentlichen Ordnung“ jede weitere Aufführung. Nach Streitigkeiten zwischen dem Innenminister und dem Wiener Bürgermeister, die erst vom Verfassungsgerichtshof entschieden wurden, konnte der „Reigen“ im März 1922 wieder gespielt werden. Nach Wien kam es auch in Berlin zu Ausschreitungen. Unterdessen wurden in Berlin Regisseur und Darsteller des „Reigen“ wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses angeklagt, nach fünftägiger Verhandlung jedoch freigesprochen.

Es folgten Aufführungen in etlichen deutschen Städten, meist ohne Probleme. In Budapest, Teplitz und den USA wurden jedoch Aufführungen untersagt . Nach dem Tod Schnitzlers wurden von seinen Erben auf seinen ausdrücklichen, wenn auch nicht im Testament erwähnten Wunsch weitere Aufführungen untersagt.

Verfilmung und Schallplatte

1950 wurde „Der Reigen“ von Max Ophüls (mit Daniel Gélin, Simone Signoret) verfilmt und bei der Biennale in Venedig erstmals international vorgestellt. Eine weitere filmische Umsetzung entstand 1973 unter der Regie von Otto Schenk, u.a mit Michael Heltau, Helmut Berger, Senta Berger, Sydne Rome, Helmuth Lohner, Maria Schneider, Peter Weck. 1966 erschien bei Preiser Records eine Schallplatten-Aufnahme: Arthur Schnitzler: Reigen. Zehn Dialoge. Regie: Gustav Manker; mit Hilde Sochor, Helmut Qualtinger, Elfriede Ott, Peter Weck, Christiane Hörbiger, Helmuth Lohner u.a. (CD: Preiser Records 93124, 1988).

2006/2007 wurde das Bühnenstück unter dem Titel „Berliner Reigen“ vom Regisseur Dieter Berner verfilmt, die - genau wie bei Schnitzler - episodisch erzaehlte Handlung wurde in das heutige Berlin verlegt; mit u.a. Jana Klinge (süßes Maedel), Robert Gwisdek (junger Herr), Johanna Geißler (Schauspielerin).

Zuletzt wurde der Reigen 2007 unter dem Titel Unschuld vom Regisseur Andreas Morell verfilmt. Mit der von Kai Hafemeister geschriebenen Adaption holte der Film die Parabel vom Reigen in das 21. Jahrhundert. Mit dabei waren u.a. die Schauspieler Nadeshda Brennicke, Kai Wiesinger und Leslie Malton.

Quellen

Die Quellen für die Aufführungsgeschichte sind:

  • Giuseppe Farese: Arthur Schnitzler. Ein Leben in Wien. C. H. Beck, München 1999;
  • Hans Weigel: Reigen, Preiser Records 93124, 1988.

Literatur

  • Franz-Josef Deiters: Drama im Augenblick seines Sturzes. Zur Allegoriesierung des Dramas in der Moderne. Versuche zu einer Konstitutionstheorie. Erich Schmidt Verlag, Berlin 1999, S. 83-117 ("Arthur Schnitzler: 'Reigen'. Die allegorische Stillstellung des Augenblicks").
  • Alfred Pfoser, Kristina Pfoser-Schweig, Gerhard Renner: Schnitzlers Reigen. Zehn Dialoge und ihre Skandalgeschichte. Analysen und Dokumente. 2 Bde. Fischer, Frankfurt a. M. 1993
  • Gerd K. Schneider: Die Rezeption von Arthur Schnitzlers Reigen 1897-1994. Ariadne Press, Riverside 1995
  • Gerd K. Schneider, Peter Michael Braunwarth (Hg.): Ringel-Ringel Reigen. Parodien zu Arthur Schnitzlers "Reigen". Sonderzahl, Wien 2005; ISBN 3-85449-239-1
  • Gerd K. Schneider: "Ich will jeden Tag einen Haufen Sternschnuppen auf Dich niederregnen sehen", Zur künstlerischen Rezeption von Arthur Schnitzlers "Reigen" in Österreich, Deutschland und den USA. Praesens. Wien 2008; ISBN 978-3-7069-0463-6

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