David Ricardo

David Ricardo
David Ricardo (1772–1823); unbekannter Maler

David Ricardo (* 19. April 1772 in London; † 11. September 1823 in Gatcombe Park) war ein britischer Ökonom und ein führender Vertreter der klassischen Nationalökonomie.

Inhaltsverzeichnis

Biographie

David Ricardo wurde am 19. April 1772 als drittes von 17 Kindern in eine streng gläubige jüdische Familie geboren.[1] Diese stammte ursprünglich aus Portugal und war erst kurz zuvor aus den Niederlanden nach London immigriert.[2] Ricardos Vater war als Börsenmakler tätig und galt als einer der reichsten Männer seiner Zeit. Dieser führte seinen Sohn im Alter von 14 Jahren in seinen Beruf ein, nahm ihn mit zur Londoner Börse und ließ ihn dort arbeiten. Einige Jahre später, im Alter von 21 Jahren, lernte Ricardo Priscilla Anne Wilkinson kennen, die Quäkerin war. Er heiratete sie kurze Zeit später und entsagte damit dem jüdisch-orthodoxen Glauben. Ricardos Vater enterbte seinen Sohn und brach alle Kontakte ab.[3] Ricardo erhielt von Freunden ein Darlehen und eröffnete bald ein eigenes Maklerbüro. Bereits wenige Jahre darauf war er zu Reichtum gekommen, was ihm erlaubte, sich bald aus dem Geschäftsleben zurückzuziehen.[2]

Neben seinen Geschäften befasste sich Ricardo mit Mathematik und Naturwissenschaften. Nach der Lektüre des Werkes The Wealth of Nations von Adam Smith (1723–1790) befasste er sich ab 1799 intensiv mit der Ökonomie. Zunächst fertigte er nur Studien an; 1809 veröffentlichte er erstmals kritische Zeitungsbeiträge.[2] Allerdings beschäftigte er sich erst ab 1814 ausschließlich mit seinen Studien.[3] Ricardo stand in den folgenden Jahren in engem Kontakt zu anderen führenden Ökonomen seiner Zeit, wie James Mill (1773–1836) und Thomas Robert Malthus (1766–1834), mit denen ihn Freundschaft verband, auch wenn sie fachlich unterschiedliche Auffassungen hatten. Zum Teil als Resultat dieser Dialoge, besonders mit Mill, entstanden schließlich die Hauptwerke Ricardos, Essay on the Influence of a low Price of Corn on the Profits of Stock (1815) und On the Principles of Political Economy and Taxation (1817). Ab 1819 vertrat Ricardo als Abgeordneter den irischen Bezirk Portalington im britischen Unterhaus. Dort setzte er sich für den Freihandel und die Abschaffung der Getreidezölle ein. Schließlich verstarb Ricardo am 11. September 1823 in Gatcombe Park an den Folgen einer Mittelohrentzündung.[4]

Den Zeitgenossen zufolge war Ricardo ein „freundlicher, nie rechthaberischer, überlegter und etwas zurückhaltender Mensch“.[1]

Theorie

Publikationen:

Postume Ausgaben:

  • Plan for the Establishment of a National Bank (1824)
  • The Works of David Ricardo (1826)
  • The Works and Correspondence of David Ricardo (11 Bde., 1951–1973)

David Ricardo veröffentlichte 1817 Principles of Political Economy and Taxation . Er entwickelte die Theorie der komparativen Kostenvorteile, ein Kernstück der Außenhandelstheorie, und begründete damit das ricardianische Außenhandelsmodell. Nach Ricardo lohnt sich Außenhandel für alle Volkswirtschaften, auch für jene, die gegenüber anderen Staaten bei allen Gütern Kostennachteile haben. Weil jedes Land den größtmöglichen Güterertrag erzielt, wenn es die Produkte mit den geringeren Arbeitskosten selbst herstellt und die übrigen Güter im Austausch bezieht, wobei schon die relativen Kostenvorteile die internationale Arbeitsteilung und ihre weitere Spezialisierung gewährleisten. Weitere wichtige Schriften Ricardos sind Essay über den Einfluss eines niedrigen Getreidepreises auf den Kapitalprofit (1815), worin er die freie Korneinfuhr empfahl, und die 1820 verfasste Essay on the Funding System, worin er Steuererhöhung statt Anleihen forderte.

Ricardo konnte sich gemeinsam mit Robert Torrens mit der These durchsetzen, wonach die Basisgeldmenge begrenzt werden müsse. Damit galt die gegenteilige These John Fullartons und Thomas Tookes, wonach der Geldbedarf einer Volkswirtschaft sich ganz von alleine regeln würde, als widerlegt.

Ricardos Name ist eng verknüpft mit der Theorie der Grundrente. Die Entstehung der Rente wird darauf zurückgeführt, dass von verschiedenen vorhandenen Bodenqualitäten die besseren nicht ausreichten, um den Bedarf zu decken, und deshalb der Preis der Bodenprodukte so hoch stehen müsse, dass die Kosten für Bebauung des schlechtesten noch unentbehrlichen Grundstücks gerade gedeckt würden.

Obwohl Ricardo in seiner ökonomischen Analyse sonst Says Gesetz als gültig annimmt, hat er in seinem letzten Kapitel über das Maschinenwesen eingeräumt, dass technischer Fortschritt zur Verringerung von Beschäftigung führen kann; diese Einstellung (obgleich in der Gesamttheorie inkonsistent) wurde von Marx als „wissenschaftlich objektiv“ geschätzt.[5] Mit seiner eigenen Version der Arbeitswerttheorie hat Marx an Ricardos Werk als dem ihm bekannten letzten Stand der Wissenschaft angeknüpft.

Korrektur: Mark Blaug (in Swedberg Kapitel 3) zufolge war Marx' letzter bekannter Stand der Wissenschaft NICHT Ricardo, sondern Johann von Thünens "Der isolierte Staat, Teil 2" (1850). Seine Analyse zum Entrepreneur, die nicht in Marx Theorie passt, hat er vollständig ignoriert. Ebenso ignorierte Ricardo Says Analysen zum Thema Unternehmertum (Entrepreneurship), der sich auf Cantillon bezieht, der wiederum auch von Adam Smith gelesen aber ignoriert wurde. Damit stehen Smith, Ricardo und Marx in einer theoretischen Linie. Das Ignorieren der gelesenen Analysen führte auch erst sehr spät zu einer Einführung des Begriffs "Entrepreneur" in die angelsächsische Literatur (durch John Stuart Mills 1848)- fand jedoch immer noch keine Beachtung, da sich die Wissenschaft vollends auf Makrozusammenhänge fokussierte.

Begriffe und Methode

Ricardos „Kornmodell“ gilt als ein frühes Beispiel einer Ein-Gut-Parabel.

Nach Ricardo ist auch die sogenannte Ricardianische Äquivalenz benannt.

Mit dem Begriff Ricardian Vice (dt.: "ein für Ricardo typischer Fehler") hat Joseph A. Schumpeter Ricardos Methode scharf kritisiert:[6] Ricardo gehe häufig von unrealistischen Annahmen aus. Zudem behandele er Variablen als Konstante, die dem ökonomischen Argument nach keine Konstante sein dürften. Heinz D. Kurz hingegen weist Schumpeters Kritik als ungerechtfertigt zurück, da Ricardos Methode damit fehlinterpretiert werde.[7]

Unter der Bezeichnung „Neoricardianische Schule“ werden Ökonomen wie Joan Robinson oder Piero Sraffa gefasst, die Ricardos Theorie wieder aufgegriffen und zu einer Alternative zur neoklassischen Theorie ausgebaut haben. Sraffa ist zudem als Herausgeber der Neuausgabe der Gesammelten Werke Ricardos hervorgetreten. Ricardo hat kurz vor seinem Tod einen Essay verfasst: "Absoluter Wert und Tauschwert"[8]. Der Aufsatz wurde erst kurz vor der Publikation der Gesammelten Werke bekannt und zum Anlass einer wesentlichen Revision der fast schon fertigen Ricardo-Gesamtausgabe.

Ricardo zu Ehren führte später der Lehrstuhl der politischen Ökonomie an der Londoner Universität seinen Namen.

Einzelnachweise

  1. a b Michael Hüther (Hrsg.): Klassiker der Ökonomie - Von Adam Smith bis Amartya Sen, Bonn 2006, S.62f
  2. a b c Josef Bordat: David Ricardo – Eine erste Orientierung zu Leben und Werk
  3. a b Vera Linß: Die wichtigsten Wirtschaftsdenker, Wiesbaden 2007, S. 35
  4. Vera Linß: Die wichtigsten Wirtschaftsdenker, Wiesbaden 2007, S. 38f
  5. Michio Morishima: Ricardo's Economics. A general equilibrium theory of distribution and growth. Cambridge University Press 1989. ISBN 0-521-36630-5. S. 11.
  6. Joseph A. Schumpeter: History of Economic Analysis. Ed. Elizabeth Boody Schumpeter. London. Allen and Unwin, 1954. (dt.: Joseph A. Schumpeter, (Elizabeth B. Schumpeter, Hg.): Geschichte der ökonomischen Analyse. Zwei Teilbände. Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen 1965.
  7. Heinz D. Kurz: Ricardian Vice. International Encyclopedia of the Social Sciences, 2. Aufl.
  8. David Ricardo: Absoluter Wert und Tauschwert. In: Bertram Schefold, (Hg.): Ökonomische Klassik im Umbruch. Theoretische Aufsätze von David Ricardo, Alfred Marshall, Vladimir K. Dmitriev und Piero Sraffa. suhrkamp taschenbuch wissenschaft 627. Frankfurt/Main 1986. ISBN 3-518-28227-1. S. 7-14.

Weblinks

 Commons: David Ricardo – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Werke

Literatur

  • David Ricardo: Über die Grundsätze der politischen Ökonomie und der Besteuerung. Metropolis : Marburg 2006. ISBN 3-89518-540-X. [1].On the Principles of Political Economy and Taxation. (1817) ISBN 0-486-43461-3. ** Reprint London 2006. ISBN 1-902835-15-8.
  • Edwin Cannan: Ricardo in Parliament, in: Economic Journal, Vol. 4 (1894), E-Text
  • John P. Henderson: The life and economics of David Ricardo, Kluwer Publ., Boston 1997. ISBN 0-7923-9937-4
  • Jan Hoff: Kritik der klassischen politischen Ökonomie. Zur Rezeption der werttheoretischen Ansätze ökonomischer Klassiker durch Karl Marx. PapyRossa, Köln 2004. ISBN 3-89438-314-3
  • Jacob H. Hollander: The Development of Ricardo's Theory of Value, in: Quarterly Journal of Economics, Vol. 18 (1904), S. 455–491 E-Text
  • Samuel Hollander: The economics of David Ricardo, University of Toronto Press, Toronto 1979. ISBN 0-8020-5438-2
  • Moses Ricardo / Horst Claus Recktenwald: David Ricardo. Persönlichkeit und Lebensweg, Verlag Wirtschaft und Finanzen, Düsseldorf 1988. ISBN 3-87881-027-X

Mark Blaug: Entrepreneurship before and after Schumpeter, in Richard Swedberg Entrepreneurship. The Social Science View. Oxford University Press. New York: 2000.


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