Das Erdbeben in Chili

Das Erdbeben in Chili

Die Novelle Das Erdbeben in Chili wurde im Jahre 1807 von Heinrich von Kleist verfasst und in CottasMorgenblatt für gebildete Stände“ zunächst unter dem Titel Jeronimo und Josephe veröffentlicht. Im Jahr 1810 folgte dann das Buch.

Inhaltsverzeichnis

Hintergrund

Historisch gesehen wurde das Werk vor dem Hintergrund der Französischen Revolution verfasst, so dass zur Interpretation historische Hintergründe hinzugezogen werden sollten. Kleist selbst durchlebte in dieser Zeit seine „Kant-Krise“. Diese Krise wurde durch die Lektüre von Kants Kritik der Urteilskraft ausgelöst. Dabei wurde Kleists rein vernunftbasierter Lebensplan über Nacht zerstört. Bisher mit dem Ziel vor Augen, dass die „Vervollkommnung“ der Zweck der Schöpfung sei und diese Vervollkommnung im Sammeln von Wahrheit liege, stellte Kant in seinem Werk die Wahrheit fest, dass sie nur ein subjektiver Eindruck sei, also nur ein Schein, der für den Menschen die Wahrheit darstelle. Kleist war von dem Gedanken so erfasst, dass sein Menschenbild eines „mündigen, frei denkenden Menschen“ sich in ein Bild wandelte, bei dem der Mensch dem Schicksal ausgeliefert ist. Dieser Konflikt lässt sich auch im Erdbeben in Chili in der Verkörperung durch den Zufall wiederfinden.

Kleist hat wohl bei der Auseinandersetzung mit seinem Zeitereignis das Thema Erdbeben nicht zufällig gewählt. So könnte das Lissabonner Erdbeben von 1755 für Kleist Anlass gewesen sein. Eine andere Auslegung für Kleists Ausgangssituation in der Novelle das Erdbeben in Chili vermutet, dass er ein großes Erdbeben von 1647 im heutigen Chile in der Hauptstadt Santiago als Ideenquelle nutzte.[1][2] Auch andere zeitgenössische Philosophen und Dichter, wie Leibniz, Poe, Voltaire, Rousseau und Kant, verwendeten dieses Thema, um unter anderem das Theodizeeproblem zu diskutieren. Zudem liegt dem Werk der viel verwertete Cora-Alonzo-Stoff zu Grunde, der im Laufe der Theater- und Literaturgeschichte große Bekanntheit erlangte.

Protagonisten

  • Don Henrico Asteron, Vater von Donna Josephe
  • Donna Josephe Asteron, Tochter des adligen und reichen Don Asteron
  • Jeronimo Rugera, bürgerlicher Hauslehrer und Geliebter der Donna Josephe
  • Don Fernando Ormez, Sohn des Kommandanten von St. Jago, Freund von Josephe und Jeronimo
  • Donna Elvire, Frau des Don Fernando und Mutter des Sohnes Juan
  • Meister Pedrillo, Schuhmacher, welcher Josephe und Jeronimo tötet
  • Juan, Sohn von Don Fernando Ormez und Donna Elvire
  • Donna Constanze, gehört zur Gemeinschaft um Don Fernando, wird für Josephe gehalten und ermordet

Inhalt

Neben den Folgen des Erdbebens für die Bevölkerung wird von Kleist auch die Leidensgeschichte der Hauptpersonen Jeronimo und Josephe erzählt. Zum Inhalt sind als Beleg im Folgenden auch die entsprechenden Textbeispiele hinzugefügt.

Der Hauslehrer Jeronimo verliebt sich in seine Schülerin Josephe. Diese erwidert seine Liebe und beide befinden sich in einem „zärtlichen Einverständnis“ (Seite 49, Z. 12). Die Warnungen des Vaters beachten die beiden nicht, und Jeronimo wird daraufhin entlassen und die Tochter in ein Kloster gesteckt. Obwohl Jeronimo ohne Beschäftigung und Einkommen ist, bricht er den Kontakt zu Josephe nicht ab, und es kommt im Klostergarten zur körperlichen Vereinigung, die Kleist mit „vollen Glückes“ (Seite 49, Z. 22) umschreibt. Das hierbei gezeugte Kind wird am Fronleichnamsfest geboren. Josephe wird ins Gefängnis eingeliefert und ihr trotz „sonst untadelhaften Betragens“ (Seite 50, Z. 2) auf Befehl des Erzbischofs der Prozess gemacht. Durch den Machtspruch des Vizekönigs wird sie zum Tode durch Enthaupten verurteilt. Auch Jeronimo wird ins Gefängnis gesteckt; die Nachricht über das Todesurteil für seine Geliebte läßt ihn fast „die Besinnung verlieren“ (Seite 50, Z. 16). Sein folgender Fluchtversuch bleibt erfolglos. Gottesgläubig bittet er die heilige Mutter Gottes um Rettung für die zur Todesstrafe Verurteilte. In der „völligen Hoffnungslosigkeit seiner Lage“ (Seite 50, Z. 26, 27) beschließt er verzweifelt, am Hinrichtungstag der Geliebten sein Leben durch Erhängen zu beenden. Hierbei wird er jedoch durch das Erdbeben überrascht und ist „starr vor Entsetzen“ (Seite 51, Z. 1). Die Mauern des Gefängnisses stürzten ein, und er kann flüchten. Er läuft durch die zerstörte Stadt, und überall begegnen ihm Zerstörung und Tod. Außerhalb der Stadt hält er an und bricht ohnmächtig aufgrund des Leides und der Anstrengung zusammen. Als er wieder erwacht, fühlt er sich zufrieden und dankt „Gott für seine wunderbare Errettung“ (Seite 52, Z. 11, 12). Erst danach fällt ihm wieder Josephe ein, und er geht zurück in die Stadt, um sie zu suchen. Dort fragt er die Leute, ob die Hinrichtung vollzogen wurde. Nachdem er die Antwort erhält, dass dies der Fall sei, „überließ (er) sich seinem vollen Schmerz“ (vgl. S. 52, Z. 35) und begreift nicht, warum gerade er gerettet wurde. Er wünscht, „dass die zerstörende Gewalt der Natur“ (Seite 52, Z. 36) von neuem über ihn einbrechen möchte. Da dies aber nicht geschieht, setzt er seine Suche fort und findet außerhalb der Stadt in einem lieblichen Tal Josephe und ihr gemeinsames Kind an einer Quelle. Selig umarmen sich die Liebenden und danken Maria für das Wunder der Errettung.

Josepha erzählt Jeronimo, dass auch ihr durch den Einsturz der Gebäude die Flucht gelang und sie danach zum Kloster ging, wo ihr Knabe war, und dort rettete sie „unverschrocken durch den Dampf“ (Seite 54, Z. 2, 3) das Kind aus dem zusammenfallenden Gebäude. Mit diesem lief sie dann zum Gefängnis, doch auch dieses war zerstört und Jeronimo nicht zu finden. So hetzte sie weiter durch die Stadt. Dort sah sie die Leiche des Erzbischofs und dass der Palast des Vizekönigs und das Gerichtsgebäude in Flammen standen. Sie ging weiter, bis sie in das Tal außerhalb der Stadt kam und dort nun wieder mit ihrem Geliebten zusammentraf.

Die beiden fühlten sich an diesem Orte „als ob es das Tal von Eden …“ (Seite 55, Z. 8) wäre. „Wieviel Elend mußte über die Welt kommen,“ (vgl. S. 55, Z. 35, 36) damit sie endlich glücklich wurden? Unter vielen Küssen schlafen sie ein. Am nächsten Morgen tritt ein junger Mann, Don Fernando, mit einem Kleinkind zu ihnen und bittet Josephe, ob sie dem Kind nicht kurz die Brust geben könne, da die Mutter schwer verletzt sei. Josephe erfüllt den Wunsch, und als Gegenleistung werden sie von der Familie des jungen Mannes zum Frühstück eingeladen. Von allen werden sie „mit so vieler Vertraulichkeit und Güte behandelt“ (Seite 56, Z. 4), dass sie nicht mehr wissen, ob sie von der schrecklichen Vergangenheit nur geträumt haben. Es wird von den schlimmen Zuständen in der Stadt erzählt, und dass durch das große Unglück die Standesunterschiede verschwunden wären, da alle das Gleiche durchgemacht hätten. Jeronimo und Josephe entschließen sich, beim Vizekönig um ihr Leben zu bitten.

Als sich die Nachricht verbreitet, dass in der einzig erhaltenen Kirche eine Dankmesse gefeiert werden soll, entschließen sich auch Josephe und Jeronimo, daran teilzunehmen. In der Kirche predigt der älteste der Chorherren und sieht das Erdbeben als Strafe Gottes für „das Sittenverderbnis der Stadt“ (Seite 62, Z. 4, 5). Auch erwähnt er den Frevel, der im Klostergarten stattgefunden hat. Weiterhin übergibt er die Seelen der Täter „allen Fürsten der Hölle“ (Seite 62, Z. 16). Die Kirchenbesucher erkennen die Schuldigen und fordern ihre Bestrafung. Hierbei kommt es zu einem Tumult, und Don Fernando wird mit Jeronimo verwechselt; sein Tod wird gefordert. Daraufhin gibt sich Jeronimo mutig zu erkennen. Es gelingt ihm und Josephe sowie der Familie Don Fernandos, die Kirche mit den Kindern wieder zu verlassen. Doch davor wartet bereits der Mob, und Jeronimo wird von seinem eigenen Vater mit einer Keule erschlagen. Auch die Schwägerin von Don Fernando, Donna Constanze, wird ein Opfer der Masse. Josephe stürzt sich mit den Worten: hier mordet mich, ihr blutdürstenden Tiger! (Seite 64, Z. 37 und S. 65, Z. 1) in die Menge. Don Fernando verteidigt sich mit einem Schwert und tötet einige Angreifer. Doch es gelingt dem Anführer, Meister Pedrillo, den kleinen Sohn von Don Fernando an sich zu reißen und ihn „an eines Kirchpfeilers Ecke“ (Seite 65, Z. 15) zu schmettern. Daraufhin ziehen sich alle zurück und entfernen sich. Die Leichen werden fortgeschafft; Don Fernando und seine Frau Donna Elvira nehmen, da ihr Sohn getötet wurde, den Sohn von Josephe und Jeronimo als Pflegesohn an.

Opern-Bearbeitungen

Kleists Novelle wurde mehrfach für das Musiktheater bearbeitet, aber sehr erfolgreich war keine dieser Opern.

  • Rozsudok (Das Verdikt nach Heinrich von Kleists Das Erdbeben in Chili 1976-78), Oper von Ján Cikker, slowakischer Komponist (1911 - 1989). Die Deutsche Erstaufführung fand 1981 am Staatstheater Braunschweig in Anwesenheit des Komponisten statt; sie wurde zur „Inszenierung des Monats“ von der Opernzeitschrift Orpheus International gewählt, musikalische Leitung: Heribert Esser, Inszenierung: Michael Leinert.

Literatur

  • Suzan Bacher, Wolfgang Pütz: Heinrich von Kleist: 'Die Marquise von O.'/'Das Erdbeben in Chili'. Lektürehilfen inklusive Abitur-Fragen mit Lösungen. Klett Lerntraining, Stuttgart 2009, ISBN 978-3-12-923055-8.
  • Wolfgang Pütz: Heinrich von Kleist: ‚Texte und Materialien‘. (Themenhefte Zentralabitur). Klett, Stuttgart 2009, ISBN 978-3-12-347494-1.
  • Hans-Georg Schede: Heinrich von Kleist: Das Erdbeben in Chili. C. Bange, Hollfeld 2004, ISBN 3-8044-1811-2. (Königs Erläuterungen und Materialien, Bd. 425)
  • Norbert Oellers: Das Erdbeben in Chili. In: Walter Hinderer (Hrsg.): Kleists Erzählungen. Reclam, Stuttgart.
  • David E. Wellbery (Hrsg.): Positionen der Literaturwissenschaft. Acht Modellanalysen am Beispiel von Kleists Das Erdbeben in Chili. Beck, München 1985. (enthält acht Interpretationen aus unterschiedlichen methodischen Perspektiven)

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Interpretation zu Kleist
  2. Erdbeben in Chili Werke: Das Erdbeben in Chili



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