Code de l'indigénat

Code de l'indigénat

Der Code de l’indigénat war ein 1881 zunächst für Algerien eingeführtes und später auf alle französischen Kolonien ausgeweitetes Gesetzeswerk, das die „Eingeborenen“ besonderen Gesetzen und einer besonderen Gerichtsbarkeit unterwarf, so dass sie in einem permanenten Ausnahmezustand zu leben hatten. Es war bis 1946 gültig, wurde aber für die Algerier erst 1962 mit dem Ende des Algerienkrieges außer Kraft gesetzt.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Im „Zweiten Kaiserreich“ wurde der rechtliche Unterschied zwischen den Europäern und der algerischen Bevölkerung kodifiziert und blieb bis zum 7. Mai 1946 in Kraft. Nach dem Senatsbeschluss von 1865 war nach Artikel 1 der muslimische Algerier Franzose, blieb aber dem islamischen Gesetz unterworfen. Er konnte in der Armee oder in der Marine zum Militärdienst zugelassen werden und in Algerien zivile Ämter bekleiden. Auf Antrag konnte er die französische Staatsbürgerschaft erhalten. Zwischen 1865 und 1962 sind nur 7 000 Algerier französische Staatsbürger geworden.

1870 wurden mit dem „Crémieux“-Dekret (vgl. Adolphe Crémieux) in den drei zum Mutterland gehörigen algerischen Départements die dortigen Juden in die französische Staatsangehörigkeit aufgenommen, während für die Muslime weiter der alte Senatsbeschluss galt.

1881 bestätigte und präzisierte der „Code de l’indigénat“ den Senatsbeschluss von 1865, indem er besondere Strafen und die Enteignung des Bodens für die einheimische Bevölkerung festlegte. Folgende Übertretungen wurden bestraft: Versammlungen ohne Erlaubnis, Verlassen der Gemeinde ohne Reiseerlaubnis, Unehrerbietigkeit, Beleidigung einer Autoritätsperson auch außerhalb ihrer Funktionen. Die lokale Bevölkerung konnte mit Geldstrafe oder Internierung bestraft werden, was zusätzliche Kollektivhaftung nicht ausschloss. Das Wahrnehmen öffentlicher Freiheiten war mit zwischenzeitlichen Erleichterungen unter Strafe gestellt. 1903 wurde erklärt, dass als „Muslim“ zu gelten habe, wer muslimischen Ursprungs sei, egal welche Religion er ausüben mochte. Das zeigt den ethno-politischen Charakter des Umgangs mit den Einheimischen, der nur durch die Zuerkennung der französischen Staatsbürgerschaft abgelöst werden konnte.

Ab 1887 wurde mit verschiedenen Abweichungen der Geltungsbereich des „Code de l’indigénat“ auf alle französischen Kolonien ausgeweitet. Im Allgemeinen unterwarf der „Code“ die Bevölkerung der Zwangsarbeit, dem Verbot, sich nachts frei zu bewegen, jederzeit möglichen Haussuchungen und einer besonderen Kopfsteuer (vgl. Capitation). Die Vorschriften galten der Aufrechterhaltung der „guten Kolonialordnung“. Sie wurden beständig „verbessert“, damit sie den Interessen der europäischen Siedler jederzeit entsprachen.

Der „Code de l’indigénat“ unterschied zwischen französischen Staatsbürgern europäischen Ursprungs und französischen Untertanen, nämlich Schwarzafrikanern, Madegassen, Algeriern, Antillenbewohnern, Melanesiern usw. Sie behielten nur den ihrer Religion und ihren Sitten entsprechenden Persönlichkeitsstatus.

Insgesamt kann der so kodifizierte Kolonialismus als eine Fortsetzung der Sklaverei betrachtet werden, was ein Vergleich mit dem bis 1848 gültigen „Code noir“ zeigt.[1]

Aufarbeitung des kolonialen Erbes

Im Vorfeld der Vorbereitung des 200. Jahrestages der Französischen Revolution brachte 1987 der politische Philosoph Louis Sala-Molins zum ersten Mal den „Code Noir“ wieder ans Tageslicht. Dieses Gesetzeswerk hatte ab 1685 für 163 Jahre bis 1848 das Los der Sklaven in den französischen Kolonien bestimmt. Er überstand unbeschadet das Zeitalter der Aufklärung, und das in der Revolution 1794 verfügte Abschaffungsdekret wurde nie umgesetzt, so dass es Napoleon Bonaparte 1802 wieder aufhob und die Geltung des „Code noir“ ausdrücklich bestätigte. Ein 2001 verabschiedetes Gesetz trägt diesem Erbe Rechnung, indem im Nachhinein Menschenhandel und Sklaverei als Verbrechen gegen die Menschlichkeit erklärt werden.

Bezeichnet Sala-Molins den „Code Noir“ als monströsesten juristischen Text, den die Moderne hervorgebracht habe,[2] so wurde der „Code de l’indigénat“ schon von den ihn rechtfertigenden Zeitgenossen selbst im Vergleich mit allem, was den Franzosen des 19. Jahrhunderts zustand, als „juristische Monstrosität“ bezeichnet.[3] Olivier Le Cour Grandmaison hebt vor allem hervor, dass es die Dritte Französische Republik mit Jules Ferry und anderen linken Republikanern war, die die republikanischen Prinzipien von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit wissentlich und willentlich gegen bald verstummenden Widerstand in der Nationalversammlung zunächst in Algerien und dann im gesamten Kolonialreich für die „Eingeborenen“ außer Kraft setzte und einem rassistischen Regime unterwarf.[4]
Alle über den „Code de l’indigénat“ umgesetzten Ausnahmezustandsmaßnahmen, von denen die administrative Internierung die gravierendste war, hatten nach Le Cour Grandmaison schließlich auch ihre Auswirkungen auf die Republik im Mutterland selbst, was sich Ende der 1930 Jahre gezeigt habe, als der „öffentlichen Ordnung“ halber Maßnahmen gegen „unerwünschte“ Ausländer (zum Beispiel mit dem Ende des Spanischen Bürgerkriegs 1939 aus Spanien geflohene Anhänger der Republik), gegen Oppositionelle und „Rassefremde“ verhängt wurden, was Unterbringung in Internierungslagern bedeutete. 1940 sei das „Crémieux“-Dekret aufgehoben worden, so dass die Juden wieder rechtlose „Eingeborene“ wurden, was dann im Vichy-Regime ab 2. Juni 1941 auf alle Juden des Mutterlandes übertragen wurde. 1961 habe der Polizeiprefekt von Paris, Maurice Papon, auf der Grundlage auch seiner algerischen Erfahrungen den Ausnahmezustand über die in Frankreich lebenden „französischen Muslime aus Algerien“ („FMA“) verhängt, um Demonstrationen zu verhindern (vgl. Massaker vom 17. Oktober 1961 (fr.) Vgl. auch Caché (Film) von Michael Haneke).[5]

Siehe auch

Anmerkungen

  1. Der Text entspricht weitestgehend der Internetpräsentation der Sektion Toulon der Französischen Liga für Menschenrechte
  2. Louis Sala-Molins, Le Code Noir ou le calvaire de Canaan, PUF: Paris 2007, S. VIII.
  3. Olivier Le Cour Grandmaison, Coloniser. Exterminer. Sur la guerre et l’État colonial, Fayard: Paris 2005, S. 249 f.
  4. Olivier Le Cour Grandmaison, La République impériale. Politique et racisme d’État, Fayard: Paris 2009, S. 7-21.
  5. Olivier Le Cour Grandmasison (2005), S. 247-275.

Literatur

  • Olivier Le Cour Grandmaison, Coloniser. Exterminer. Sur la guerre et l’État colonial, Fayard: Paris 2005; ISBN 2-213-62316-3.
  • Olivier Le Cour Grandmaison, La République impériale. Politique et racisme d’État, Fayard: Paris 2009; ISBN 2-213-62515-8.

Weblinks

Patrick Weil: Le statut des musulmans en Algérie coloniale


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