Clovis-Kultur

Clovis-Kultur
Speerspitze der Clovis-Kultur

Die Clovis-Kultur war die erste flächig verbreitete prähistorische Kultur auf dem amerikanischen Kontinent. Archäologisch ist sie definiert durch ihre charakteristischen Projektilspitzen aus Feuerstein mit doppelseitigen Schneiden und beidseitigen Flächenretuschen. Die Kultur ist nach dem eponymen Fundort Clovis im US-Bundesstaat New Mexico benannt, wo die ersten Spitzen im Jahr 1937 ausgegraben wurden.

Die Kultur wurde mit Hilfe der 14C-Datierung auf etwa 11.000 bis 10.800 Before Present (~9050 bis 8850 v. Chr.) datiert.[1] Einzelne Funde weichen geringfügig ab. Dies entspricht dem Ende der letzten Eiszeit (in Nordamerika als Wisconsin glaciation bezeichnet) und damit dem Übergang von der erdgeschichtlichen Epoche des Pleistozäns zum bis heute anhaltenden Holozän.

Inhaltsverzeichnis

Vorgänger

Bis in die 1980er Jahre wurde angenommen, dass der Clovis-Kultur angehörige Paläo-Indianer den Beginn der Besiedlung Amerikas markieren. Seitdem wurden überwiegend in Nordamerika, aber mit Monte Verde in Chile auch vereinzelt in Südamerika, Funde menschlicher Überreste oder Artefakte gemacht, die zeitlich um bis zu einige Jahrtausende vor Clovis (engl. pre Clovis) liegen. Darunter sind insbesondere Meadowcroft, Pennsylvania, der Nenana complex in Alaska, Monte Verde, Chile und im 21. Jahrhundert die Paisley-Höhlen, Oregon, der Buttermilk Creek Complex in Texas und eine aus Knochen gefertigte Projektilspitze im Bundesstaat Washington.[2]

Diese Funde verlegen damit die Besiedelung Amerikas vor Clovis, zumal im Buttermilk Creek Complex in Texas auch erstmals Steinwerkzeug eines Typs vor Clovis gefunden wurde. Sie können mit der zeitlichen und geographischen Verteilung der Fundorte jedoch die durch die Ausbreitung der Clovis-Kultur gewonnenen Annahmen über die Besiedelung am Ende der Eiszeit über die damals noch bestehende Landbrücke Beringia zwischen Sibirien und Alaska bestätigen.

Lebensweise

Die Clovis-Kultur breitete sich in nur rund 500 Jahren über den gesamten Nordamerikanischen Kontinent und bis Mittelamerika aus. Sie lag am Ende der Eiszeit, der hohe Norden des Kontinents war noch mit dem Laurentidischen Eisschild beziehungsweise den Gletschern der Rocky Mountains und der Küstengebirge bedeckt. In den Steppen- und Waldlandschaften südlich davon lebte die von der Eiszeit geprägte Megafauna aus Mammuts, Riesenfaultieren, Hirschelch, Mastodon und Amerikanischem Bison. Die eingewanderten Menschen lebten in Kleingruppen und Familienverbänden als nomadische Jäger und Sammler von der Großwildjagd insbesondere auf Mammuts und Bisons. Daneben stand die Jagd auf kleineres Wild wie Weißwedelhirsch, Gabelbock, Dickhornschaf und Kleintiere wie Kaninchen, aber auch Reptilien und Vögel, sowie das Sammeln von Früchten und Samen wildwachsender Pflanzen.

Dieses Bild von der hauptsächlichen Jagd auf Großwild ist möglicherweise verzerrt, weil die Fundorte größtenteils Jagdplätze (engl. Kill sites) auf Großwild waren. Sie lagen meist auf Niederterrassen an Flüssen wohin das Wild zum Trinken kam. Andere lagen an ganzjährigen Quellen und Wasserlöchern. Auf Hügeln an Flussläufen wurden große Mengen an Steinabschlägen gefunden. Diese Orte wurden als „Werkstätten“ identifiziert, an denen die Clovis-Menschen auf die jährliche Wanderung von Tierherden warteten und die Zeit zum Anfertigen von Waffen und Werkzeugen nutzten. Sicher ist, dass das Großwild eine bedeutende Rolle spielte, da es die Menschen mit Fellen, Werkstoffen aus den Stoßzähnen der Mammuts und massiven Knochen sowie Tierhaaren für Textilien versorgten.

Über die Wohnplätze der Clovis-Menschen ist nicht viel bekannt, es wird jedoch angenommen, dass sie sich im Winter in Felsnischen und Höhlen zurückzogen. Je ein Fundort von Pfostenlöchern beziehungsweise einer ovalen Grube werden der Clovis-Kultur zugeordnet, was auf einfache Hütten und Vorläufer von Grubenhäusern deutet. Aus dem texanischen Gault Site ist bekannt, dass die Clovis-Menschen Steinritzungen mit künstlerischen Motiven anlegten. In Kieselsteine ritzten sie mit einem spitzen Stein Linien, geometrische Muster und je ein vermutetes stilisiertes Tier und eine Blumendarstellung.[3]

Die Annahmen über die Ausbreitung der Clovis-Kultur sind im Detail spekulativ. Die Funde reichen von 11.000 B.P. bis etwa 10.800 B.P. Daraus wurde eine Verbreitung durch den ganzen nordamerikanischen Kontinent innerhalb weniger hundert Jahre abgeleitet. Die Clovis-Kultur war im Süden bis Panama verbreitet. In Südamerika wurden ähnliche Projektilspitzen gefunden, die durch einen eingezogenen und am Ende wieder verbreiternden Schaft gekennzeichnet sind und wegen der Ähnlichkeit mit einem Fischschwanz als Fish tail points bezeichnet werden. Sie gelten als die ältesten flächig verbreiteten Artefakte Südamerikas und damit als äquivalent zu den Clovis points. Ihre Datierung ist aber bisher nicht eindeutig. Als gut untersuchter Fundort gilt die Fell’s Höhle in Chile.

Clovis points aus Iowa (teilweise beschädigt), mit „flutes“ = basalen Schäftungsrinnen
Verschiedene Clovis points

Werkzeuge

Die Clovis-Spitzen sind die Leitartefakte der Kultur. Sie sind bis zu 20 cm lang und bestehen aus Feuerstein oder anderen hochwertigen Hornsteinen und wurden aus Aufschlüssen gewonnen, die zum Teil noch mehrere tausend Jahre später als Steinbrüche dienten. Die Clovis-Menschen bezogen bereits als Alibates bezeichneten, besonders hochwertigen Feuerstein aus den Alibates Flint Quarries am Canadian River im Norden des heutigen Texas, den am längsten genutzten Steinbrüchen Amerikas. Chalcedon stammte vom Ohio River und vom Knife River im heutigen Grenzgebiet zwischen den Vereinigten Staaten und Kanada. Einzelne Funde von Obsidian werden ebenfalls der Clovis-Kultur zugerechnet. Sie stammen überwiegend aus den Rocky Mountains sowie dem Südwesten zwischen Arizona und Texas. Bekannt ist das Obsidian Cliff im heutigen Yellowstone-Nationalpark. Insbesondere in den steinarmen Regionen des östlichen Nordamerikas legten die Clovis-Menschen große Entfernungen zurück, um hochwertiges Gestein zu gewinnen. Spitzen wurden mehrere hundert bis deutlich über tausend Kilometer von den Steinbrüchen gefunden, aus denen das Material stammt.

Die Projektilspitzen waren beidseitig zu Klingen geschlagen und waren so nicht nur als Spitze von Wurfspeeren zu gebrauchen, sondern konnten auch mit der Hand geführt werden, um die Körper des erlegten Wildes zu öffnen und zu zerteilen. Außer den Spitzen verwendeten die Paläo-Indianer größere Faustkeile für grobe Arbeiten und flache Abschläge als Klingen für feinere Aufgaben. Die größeren Werkzeuge wurden bei Abnutzung neu behauen, um wertvolles Material zu sparen. Die großen Faustkeile dienten dabei auch als Werkstoffreserve, da aus ihnen jederzeit kleinere Werkzeuge gefertigt werden konnten.

Aussterben der eiszeitlichen Megafauna

Etwa gleichzeitig mit der Clovis-Kultur starb die eiszeitlich geprägte Megafauna Nordamerikas aus. Mammuts, Hirschelche, Riesenfaultiere und der Canis dirus, ein Verwandter des Wolfs, verschwanden, vom Großwild der Zeit blieb nur der Bison erhalten. Ein Zusammenhang mit dem Vordringen der Clovis-Menschen ist vielfach diskutiert worden. Als Alternative zur Ausrottung durch Jagd kommt aber auch der Klimawandel des Jüngeren Dryas in Frage, ein scharfer Kälterückfall (Stadial) am Ende der Eiszeit und dem Beginn des Holozäns.

2007 wurden Thesen veröffentlicht, nach denen sowohl das Aussterben der Megafauna, wie das Ende der Clovis-Kultur kurz nach 11.000 B.P. durch einen Meteoriteneinschlag oder dessen Explosion in tieferen Schichten der Atmosphäre verursacht worden seien. Die Annahme geht auf Funde von großflächigen Brandspuren durch Nordamerika in gleichalten Schichten zurück, sowie Funde von Kohlenstoff in Form von winzigen Diamanten, die durch den Druck bei einer derartigen Explosion erklärt werden. Die Funde wurden auf unkalibriert 13.000 Jahre datiert, was etwa einem kalibrierten Alter von 11.000 B.P. entspricht.[4][5][6][7] Dem stehen Untersuchungen entgegen, nach denen nur die Tierarten von den Veränderungen betroffen waren. Ein bei einem Meteroiteneinschlag anzunehmender Rückgang auch der menschlichen Populationsdichte wurde nicht gefunden.[8] Jüngere Forschungsergebnisse lassen vermuten, dass inzwischen mit Elektronenbeugungsuntersuchungen identifiziertes Graphen in den früheren Untersuchungen fälschlich als Nanodiamanten angesehen worden war.[9] Eine systematische Auswertung von Bohrkernen aus Feuchtgebieten in Nordamerika kam weiterhin zum Ergebnis, dass die Isotopenzusammensetzung keine Hinweise auf einen Meteoriteneinschlag bietet.[10]

Um 11.000 B.P. endet die Clovis-Kultur und die Folsom-Kultur, ebenfalls benannt nach einem Fundort in New Mexico, beginnt. Ihre charakteristischen Projektilspitzen sind kleiner und die Retuschen reichen weiter Richtung Spitze. Die Menschen stellten die Jagd nach dem Aussterben der Megafauna auf kleineres Wild um, das weitgehende Ende des klimatischen Einflusses der Eiszeit sorgte auch für die Verbreitung weiterer Nahrungspflanzen.

Literatur

  • Gary Haynes: The early settlement of North America: The Clovis Era. Cambridge University Press, 2002 ISBN 9780521819008
  • Kenneth B. Tankersley: Clovis Cultural Complex. In: Guy Gibbon: Archaeology of Prehistoric Native America. Garland Publishing, New York 1998, S.161ff. ISBN 0-8153-0725-X
  • Brian M. Fagan: Ancient North America. London and New York, Thames and Hudson Ltd, 1991, ISBN 0-500-27606-4 (auch deutsch: Das frühe Nordamerika – Archäologie eines Kontinents, übersetzt von Wolfgang Müller, Verlag C. H. Beck München 1993, ISBN 3-406-37245-7)3-406-37245-7
  • B. A. Bradley, M. B. Collins, A. Hemmings: Clovis Technology. International Monographs in Prehistory 17. Ann Arbor, MI, 2010

Weblinks

 Commons: Clovis culture – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. M. Thomas P. Gilbert, Dennis L. Jenkins et al.: DNA from Pre-Clovis Human Coprolites in Oregon, North America. In: Science, Vol. 320. no. 5877, Seiten 786–789 – doi:10.1126/science.1154116
  2. Michael R. Waters, Thomas W. Stafford Jr., et al.: Pre-Clovis Mastodon Hunting 13.800 Years ago at the Manis Site, Washington. In: Science, Volume 334, Issue 6054 (21. Oktober 2011), Seiten 351–353 – doi:10.1126/science.1207663
  3. Michael B. Collins, Thomas R. Hester, et al: Engraved Cobbles from Early Archaeological Contexts in Central Texas. In: Current Research in the Pleistocene, Volume 8, 1991, Seiten 13–15
  4. Rex Dalton: Blast in the past? in: Nature, Volume 447, Nr. 7142 (17. Mai 2007), Seiten 256-257 – doi:10.1038/447256a
  5. The entire continent was on fire. In: Did a comet wipe out prehistoric Americans? New Scientist, online, 22. Mai 2007.
  6. Exploding asteroid theory strengthened by new evidence. In: Space Daily, online, 7. Juli 2008.
  7. Kälteeinbruch vor 13.000 Jahren - Diamantenfunde stützen Meteoriten-These In: SPIEGEL Online, 2. Januar 2009.
  8. Briggs Buchanan, Mark Collard, Kevan Edinborough: Paleoindian demography and the extraterrestrial impact hypothesis. In: Proceedings of the National Academy of Sciences, Volume 105, No. 33 (19. August 2008), Seiten: 11651–11654
  9. Tyrone L. Daultona, Nicholas Pinter, Andrew C. Scott: No evidence of nanodiamonds in Younger–Dryas sediments to support an impact event. In: Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, Onlinevorabveröffentlichung vom 31. August 2010
  10. François S. Paquaya, Steven Goderis et al.: Absence of geochemical evidence for an impact event at the Bølling–Allerød/Younger Dryas transition. In: Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, Vol. 106 No. 51 (22. Dezember 2009), Seiten: 21505–21510

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