Unternehmen Steinbock

Unternehmen Steinbock
Unternehmen Steinbock
Teil von: Zweiter Weltkrieg
Datum 21. Januar 1944–29. Mai 1944
Ort Vereinigtes Königreich
Ausgang Abbruch nach hohen Verlusten der Luftwaffe
Konfliktparteien
Befehlshaber
Hermann Göring
Hugo Sperrle
Dietrich Peltz
Roderic Hill
Truppenstärke
547 Flugzeuge
(Stand 20. Januar 1944)
um die 500 Nachtjäger
Flakkräfte
Verluste
329 Flugzeuge Totalverlust  ?

Das Unternehmen Steinbock (auch Operation Steinbock) war eine militärische Operation der Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg.

Inhaltsverzeichnis

Ausgangslage

Nach dem Ende der Luftschlacht um England und vor Beginn des Angriffs auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 verlegte der Großteil der Kampffliegerverbände in den Osten. Die übrig gebliebenen Kampfgeschwader im Westen, die unter der Luftflotte 3 (Generalfeldmarschall Hugo Sperrle) zusammengefasst waren, verfügten am 26. Juli 1941 noch über eine Iststärke von 223 Kampfflugzeugen. Davon waren 87 einsatzbereit.[1] Unter diesen Voraussetzungen war an eine Fortsetzung der schweren Luftangriffe des Vorjahres nicht zu denken. Die Luftwaffe konzentrierte sich auf Angriffe gegen britische Schiffe und legte Seeminen in britische Gewässer. Dazu kamen Störangriffe bei Dunkelheit mit wenigen Flugzeugen auf das Festland.

Zum 30. April 1942 war mit 139 vorhandenen und davon 70 einsatzbereiten Kampfflugzeugen noch weniger möglich.[2] Ein Jahr später am 31. März 1943 stieg die Zahl der vorhandenen Kampfflugzeuge auf 279, davon waren 155 einsatzbereit. [3]

Außer drei Nachtangriffen auf London flog die Luftwaffe 1943 nur kleinere Angriffe auf englische Hafenstädte. Dabei wurden 2298 t Bomben abgeworfen. Im Vergleich zu den alliierten Angriffen auf Deutschland eine verschwindend geringe Menge. Um dieses Missverhältnis auszugleichen unternahm die Luftwaffe Anstrengungen um die Zahl der Kampfflugzeuge zu erhöhen und die Angriffe auf England zu intensivieren.

Vorbereitung

Die Junkers Ju 188 war 1944 das modernste deutsche Kampfflugzeug.
Die viermotorigen Heinkel He 177 hatte viele technische Probleme und galt als unausgereift.
Die Dornier Do 217 stand 1944 schon drei Jahre im Dienst und galt als zuverlässig.
Obwohl schon seit Kriegsbeginn im Dienst, flog die Mehrzahl der Kampffliegerverbände immer noch die Junkers Ju 88.
In der I./KG 66, dem Zielfinderverband, flogen auch noch zwei alte Heinkel He 111.
Die einmotorige Focke Wulf Fw 190 führte als Jagdbomber (Jabo) Tagesangriffe durch.

Im Sommer 1943 wurde Generalmajor Dietrich Peltz zum Kommandierenden General des IX. Fliegerkorps ernannt. In diesem Fliegerkorps, das der Luftflotte 3 unterstellt war, wurden alle Kräfte im Kampf gegen England gebündelt und eine neue Luftoffensive vorbereitet. Dabei sah sich Peltz großen Schwierigkeiten gegenübergestellt. Durch die verbesserte britische Nachtjagd und Flak, fielen im Jahr 1943, bei einem deutschen Nachtangriff durchschnittlich nur rund 20 Prozent der Bomben in das Zielgebiet. Dabei gingen 5,6 Prozent der angreifenden Kampfflugzeuge verloren. Die einzelnen Besatzungen fielen nach nur 13 bis 18 Einsätzen aus und konnten kaum Erfahrung sammeln.[4]

Zur Vorbereitung verlegte die Luftwaffe die Kampfgeschwader 30, 54 und I./76 aus dem Mittelmeerraum und die I./KG 100 von der Ostfront nach Westen. Dazu kamen die dort bereits vorhandenen Kampfgeschwader 2, 6 und I./SKG 10. Die I./KG 66, ein neu aufgestellter Verband war speziell für die Zielfindung/Zielmarkierung (Pfadfinder-Aufgaben) ausgebildet.[5]

Vom 17. August bis 7. Oktober 1943 flog die Luftwaffe keine Angriffe auf England. In dieser Zeit bildete man die Besatzungen intensiv aus und bereitete das Unternehmen vor. Dazu arbeitete der Luftwaffenführungsstab die Zielunterlagen aus den Jahren 1940/41 auf. Bis Ende des Jahres flogen, da Verluste vermieden werden sollten, die Geschwader nur wenige Angriffe die aber hauptsächlich der Ausbildung dienten. Alles war auf den 21. Januar 1944 ausgerichtet, dem Beginn des Unternehmens Steinbock.

In einem Fernschreiben vom 30. Dezember 1943 fasste der Oberbefehlshaber der Luftwaffe Reichsmarschall Hermann Göring die Gründe und Ziele des Unternehmens zusammen.

Ich habe mich zur Vergeltung gegen die zunehmenden Terrorangriffe des Gegners entschlossen, den Luftkrieg gegen die englische Insel durch zusammengefasste Schläge gegen Städte (besonders Industrieziele und Hafenzentren) zu verstärken. Sämtliche Verbände sind unter einheitlicher Führung durch Kommandierenden General IX. Fliegerkorps und unter Ausnutzung aller in den letzten Monaten im Kampf gegen England gewonnenen Erfahrungen zusammengefasst gegen Schwerpunktziele zum Einsatz zu bringen. Bei allen Angriffen sind im allgemeinen 70 Prozent des Zuladungsgewichts für die Mitnahme von Brandbomben auszunutzen. Die Vernichtung der englischen Städte ist durch Feuer anzustreben und zwar besser eine mittlere Stadt ganz vernichten, als eine größere Stadt zum Teil.[6]

Am 20. Januar 1944 hatte das IX. Fliegerkorps folgende Verbände in seinen Reihen die für das Unternehmen Steinbock vorgesehen waren.[7]

Verbände[A 1] Flugzeuge Flugzeugtypen Liegeplatz[A 2]
Soll[A 3] Ist[A 4] EB[A 5]
Stab/KG 2 4 3 3 Do 217E Soesterberg
I./KG 2 37 35 35 Do 217E Eindhoven
II./KG 2 37 35 31 Ju 188E Münster-Handorf
III./KG 2 37 38 36 Do 217E Gilze Rijen
V./KG 2 37 27 25 Me 410A Athies
Stab/KG 6 4 3 3 Ju 88A Brüssel-Melsbroeck
I./KG 6 37 41 41 Ju 188A Chièvres
II./KG 6 37 39 39 Ju 88A Le Coulot
III./KG 6 37 41 37 Ju 88A Brüssel-Melsbroeck
Stab/KG 30 4 1 1 Ju 88A Eindhoven
I./KG 30 37 35 29 Ju 88A Eindhoven
II. KG/30 37 36 31 Ju 88A St. Trond
1./KG 40 9 9 5 He 177A Châteaudun
Stab/KG 54 4 3 3 Ju 88A Marx
I./KG 54 37 36 25 Ju 88A Marx
II./KG 54 37 33 33 Ju 88A Wittmund
I./KG 66 37 43 23 Ju 88A, He 111H, Ju 188E Montdidier
4./KG 66 12 0 0 Ju 188E Vannes
I./KG 76 37 33 31 Ju 88A Couvron
I./KG 100 21 31 27 He 177A Châteaudun
I./SKG 10 42 25 20 Fw 190G Rosières
Insgesamt 581 547 478

Anmerkungen

  1. Bedeutung der Abkürzungen, siehe Organisation der Geschwader
  2. kurz vor Angriffsbeginn verlegten einige Einheiten auf so genannte vorgeschobene Einsatzflugplätze die näher am Einsatzgebiet waren.
  3. Sollstärke nach Kriegsausrüstungsnachweis
  4. Iststärke (die tatsächlich in der Einheit vorhandenen Flugzeuge)
  5. Einsatzbereit (Iststärke abzüglich nicht einsatzbereiter Flugzeuge)
  • Im Februar 1944 wurde der Stab und die I./KG 51, die zur Auffrischung in Deutschland waren, dem IX. Fliegerkorps unterstellt. Die V./KG 2 wurde in II./KG 52 umbenannt. Die Stabskette, 1. und 2./KG 2 rüsteten auf Junkers Ju 188 um.[8]
  • Im März 1944 kam die III./KG 30 und die III./KG 54 an die Front, dafür verlegte die II./KG 54 zur Auffrischung nach Ingolstadt. Die II. und III./KG 6 sowie die III./KG 30 mussten nach Ungarn zum Luftwaffenkommando Südost abgegeben werden. Die 3./KG 2 rüstete jetzt ebenfalls auf Junkers Ju 188 um.[9]
  • Im April 1944 kamen einzelne Besatzungen der I./KG 2 mit ihren neuen Junkers Ju 188 zurück.[10]
  • Im Mai 1944 kehrten die I./KG 2 und I./KG 6 zurück. Dafür mussten die schwer angeschlagenen III./KG 6, I./KG 54 und I./KG 100 an die Heimat zur Auffrischung abgegeben werden. Die III./KG 30 wurde aufgelöst.[11]

Verlauf

In der Nacht vom 21. zum 22. Januar 1944 begann das Unternehmen Steinbock. Insgesamt 447 Flugzeuge sollten in zwei Wellen mit fünf bis sechs Stunden Abstand London angreifen. Insgesamt fielen nur ca. 32 Tonnen Bomben auf die britische Hauptstadt. Nur die Hälfte der Bomben fiel überhaupt auf das englische Festland. Hauptgrund dafür war, dass die Luftwaffe aufgrund eines nicht fehlerfreien Funknavigationsverfahrens die Angriffsziele nicht sicher fand. Außerdem waren die Pfadfinder der I./KG 66 zu schwach besetzt. Am 29. Januar 1944 flog die Luftwaffe mit nunmehr 285 Kampfflugzeugen den zweiten Angriff auf London, der ebenso zu einem Misserfolg wurde. Bei diesen zwei Angriffen gingen 57 Flugzeuge (7,8 %) verloren. Insgesamt 101 Besatzungen mussten aufgrund technischer Störungen den Feindflug vorzeitig abbrechen. Insbesondere das einzige viermotorige Flugzeug, die immer noch nicht ausgereifte Heinkel He 177, hatte eine Ausfallquote von 50 %. Die Focke Wulf Fw 190 der I./SKG 10 griffen als Jagdbomber (Jabo) tagsüber Ziele an. Insgesamt hatten sie eine höhere Treffergenauigkeit und eine geringere Verlustquote, erreichten aber aufgrund ihrer geringen Zahl wenig.[12]

Im Februar 1944 führte das IX. Fliegerkorps weitere sechs Nachtangriffe auf London durch. Die Einsatzstärken der angreifenden Flugzeuge bewegten sich dabei zwischen 230 und 170 mit abnehmender Tendenz. Die Verlustquote betrug nur noch 5,2 % (72 Flugzeuge) und rund 50 % der Bomben trafen das Stadtgebiet von London.[13]

Im März 1944 wurden weitere vier Angriffe auf London und erstmals je einer auf Hull und Bristol durchgeführt. Die Zahl der Angriffsflugzeuge nahm weiter ab und lag zwischen 187 und 75. Auch stieg die Verlustquote wieder auf 8,3 % (75 Flugzeuge). Die Trefferquote lag bei rund 50 %. Bei den Angriffen auf Hull und Bristol gelang es den Besatzungen nicht ihre Ziele zu finden, sodass diese ein völliger Fehlschlag waren.[13]

Der April brachte dann bei acht Angriffen mit 8,7 % (75 Flugzeuge) die bisher höchsten Verluste. An Angriffen auf London, Hull, Bristol, Portsmouth (4x) und Plymouth nahmen nur noch zwischen 193 und 60 Flugzeuge teil.[13]

Nach noch einmal sechs Angriffen im Mai mit einer Verlustquote von zehn Prozent (50 Flugzeuge) endete am 29. Mai 1944 das Unternehmen Steinbock.[13]

Verluste

Die Luftwaffe verlor während der 28 größeren Angriffe innerhalb von fünf Monaten 329 Flugzeuge als Totalverlust. In den angegriffenen Städten starben ungefähr 1500 Menschen.

Fazit

Die zu wenigen, schlecht ausgebildeten Flugzeugbesatzungen fanden häufig ihre Ziele nicht, mussten aufgrund von technischen Problemen vorzeitig den Angriff abbrechen oder wurden abgeschossen. Die durchschnittlichen monatlichen Verlustquoten waren exorbitant hoch, so dass eine Flugzeugbesatzung kaum Erfahrung sammeln konnte bevor sie ausfiel.

Das von den Briten im Nachhinein als Baby Blitz (in Bezug auf The Blitz) bezeichnete Unternehmen war aus militärischer Sicht ein völliger Fehlschlag.[13]

Literatur

  • Ulf Balke: Der Luftkrieg in Europa 1941–1945, Bechtermünz Verlag, ISBN 3-86047-591-6
  • Horst Boog: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Band 7, dva, ISBN 3-421-05507-6
  • Franz Kurowski: Der Luftkrieg über Deutschland, Kaiser Verlag, ISBN 3-7043-4061-8
  • Wolfgang Dierich: Die Verbände der deutschen Luftwaffe 1935–1945, Verlag Heinz Nickel, ISBN 3-925-480-15-3

Einzelnachweise

  1. Ulf Balke, S. 387
  2. Ulf Balke, S. 388
  3. Ulf Balke, S. 389
  4. Horst Boog, S. 369
  5. Wolfgang Dierich, S. 131
  6. Horst Boog, S. 375–376
  7. Ulf Balke, S. 390
  8. Ulf Balke, S. 300
  9. Ulf Balke, S. 314
  10. Ulf Balke, S. 326
  11. Ulf Balke, S. 336
  12. Horst Boog, S. 377–379.
  13. a b c d e Horst Boog, S. 379.

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