Universitätsreitstall (Göttingen)

Universitätsreitstall (Göttingen)
Ehemaliges Portal des Universitätsreitstalls von 1736, seit 1974 auf dem Campus der Universität
Studentisches Komitat vor der Reithalle (linkes Gebäude) in einem Stammbuch von 1765
Die Reitbahn in Göttingen, 18. Jahrhundert
Bauzeichnung von Reithalle, Stall und Freiluft-Reitbahn

Der Universitätsreitstall der Georg-August-Universität Göttingen war ein Gebäudekomplex mit Außengelände am Nordwestende der Weender Straße in Göttingen und bestand aus einer Reithalle, einer Freiluft-Reitbahn, Stallungen und einem Wohnhaus für den Stallmeister. Der Komplex wurde zwischen 1734 und 1736 auf dem damals so genannten Freudenberg fertiggestellt und war eines der ersten Gebäude, die für die im Jahre 1734 eröffnete und im Jahre 1737 feierlich eingeweihte Universität neu errichtet wurden. Architekt war Klosterbaumeister Joseph Schädeler (1692–1763), der auch für den Bau des Kollegien- und Bibliotheksgebäudes der Universität und der Londonschänke, dem späteren Michaelishaus, verantwortlich war.

Der hannöversche Minister und erste Kurator der neuen Göttinger Universität, Gerlach Adolph von Münchhausen, plante diese für Georg II. explizit als eine Reichen-Universität. Zielgruppe waren aus seiner Sicht insbesondere adlige Studenten, nach Möglichkeit mit eigenem Gefolge. Dies setzte seitens der Neugründung nicht nur ein personell qualifiziertes Angebot an angesehenen Gelehrten der vier klassischen Fakultäten voraus, sondern auch die Förderung von damals in diesen Gesellschaftskreisen als selbstverständlich vorausgesetzten Soft-Skills. Dazu gehörten bei der avisierten Zielgruppe das Tanzen, das Reiten, das Fechten und die Jagd, selbst das fachgerechte Tranchieren von Wild wurde den Studenten vermittelt.

Das von den Nachwirkungen des 30jährigen Krieges noch gezeichnete Göttingen bot in dieser Hinsicht weniger Voraussetzungen als beispielsweise Residenzstädte deutscher Kleinststaaten. Auf Münchhausens Initiative wurde daher als eines der neuen Gebäude die Reithalle der neuen Universität errichtet. Es handelte sich um einen sechsachsigen Baukörper mit einem großen Mittelportal mit klassizistischem Giebel unter einem Walmdach. Der barocke Baukörper war aus Bruchstein gemauert und an den Ecken mit Haustein eingefasst. Auch die Fensterlaibungen waren aus Haustein. Der Universitätsreitstall in Göttingen war insbesondere in der Zeit des Rokoko für die hier geübte Hohe Schule des Reitens in Deutschland sehr angesehen und bedeutete so im Vergleich zu anderen deutschen Universitätsstädten ein deutliches Alleinstellungsmerkmal.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts trat unter den Studenten die Dressurreiterei gegenüber der Jagdreiterei modebedingt in den Hintergrund. Auch der Anschluss Göttingens an das Eisenbahnnetz im Jahr 1854 führte dazu, das weniger Studenten in Göttingen Pferde hielten. Gleichzeitig nahm die Bedeutung des studentischen Fechtens um die Mitte des 19. Jahrhunderts mit der Abkehr vom reinen Duell hin zur Bestimmungsmensur zu und die Nachfrage nach Paukböden zur Abhaltung von Fechtstunden stieg rapide an. So wurde die Umwandlung der Reithalle in eine Fechthalle erwogen, aber schließlich doch nicht umgesetzt. Vielmehr eröffnete die Universität 1903 eine eigens errichtete Fechthalle in der Geiststraße 6, in der die Fechtmeister der Universität fortan ihre Stunden gaben.

Im Ersten Weltkrieg kam die Universität fast vollständig zum Erliegen, mit den Studenten schwand der Bedarf für diese Einrichtung. Das Areal des Reitstallviertels geriet schon vor dem Zweiten Weltkrieg in den Fokus der Göttinger Stadtplanung. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Reitstall zum Voltigieren genutzt, das erstmals 1950 hier wieder aufgenommen wurde. Es wurde eine Schautruppe aufgestellt, die die gleiche Funktion wie die der „Seideltruppe“ hatte. Die Voltigierer organisierten sich zunehmend in Vereinen und veranstalteten eigene Turniere. Das erste wurde 1953 in Göttingen bei einem Reitturnier ausgerichtet. 1966 erwarb die Stadt das Grundstück mit dem denkmalgeschützten Reitstallgebäude und brach es 1968 ab.

Das gewaltige Naturstein-Portal wurde eingelagert und das Grundstück diente zunächst als Parkplatz am Rand der Göttinger Innenstadt. 1974 erbaute Hertie auf dem Grundstück ein Warenhaus, gab aber die Nutzung bereits 1986 wieder auf. Nach einigen Jahren des Leerstands wurde das Kaufhausgebäude zu einer Passage für kleinere Einzelhandelsgeschäfte umgebaut und seither in dieser Form genutzt.

Das eingelagerte Portal des ehemaligen Universitätsreitstalls wurde 1974 auf dem dann neuen Campus des Geisteswissenschaftlichen Zentrums isoliert wieder aufgebaut.

Literatur

  • Katharina Klocke: 200 Jahre altes Reitinstitut weicht Kaufhaus in: Göttinger Tageblatt vom 4. Februar 2011, S. 11
  • Johann Friedrich Penther: Ausführliche Anweisung zur Bürgerlichen Bau-Kunst ... (dritter und vierter Teil), Augsburg 1746

Weblinks

 Commons: Riding arena of Göttingen University – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
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