Tuol-Sleng-Genozid-Museum

Tuol-Sleng-Genozid-Museum
„Landkarte“ Kambodschas im Tuol-Sleng-Genozid-Museum, zusammengesetzt aus Schädeln und Knochen dort Ermordeter (aufgenommen 1997; mittlerweile wieder entfernt).

Das Tuol-Sleng-Genozid-Museum (sâră-môntir brălây-puchéasah tuŏl-slêng សារមន្ទីរ ប្រល័យពូជសាសន៍ ទួលស្លែង [saːraʔmʊəntiː prɑlajpuːcɔːsah tuːəlslaːeŋ]) ist das ehemalige Gefängnis „S-21“ der Roten Khmer und dient der Erinnerung an die dort begangenen Verbrechen. Es befindet sich in Phnom Penh, Kambodscha.

Inhaltsverzeichnis

Eine ehemalige Schule als Folterzentrum

Südflügel des Tuol-Sleng-Genozid-Museums (April 2006).

Bei dem Gebäudeensemble handelt es sich um eine ehemalige Schule der Stadt, namentlich das Gymnasium Tuol Svay Prey in der 103. Straße, das von den Roten Khmer nach der Eroberung Phnom Penhs als Gefängnis mit systematischer Folterung der Insassen genutzt wurde. Dazu wurden die vier Gebäude der Schule in unter Strom stehenden Stacheldraht eingefasst und die Klassenräume in Gefängniszellen und Folterkammern umgewandelt. Stacheldraht-Geflecht vor den Außengängen der einzelnen Gebäudeteile sollte verzweifelte Gefangene daran hindern, Selbstmord zu begehen. Zwischen 1975 und 1979 waren zwischen 14.000 und 20.000 Menschen aus allen Teilen Kambodschas dort inhaftiert, unter anderem auch solche Mitglieder der Roten Khmer, die in den Augen der Führung der Roten Khmer als Verräter galten. Ungefähr 1.720 Personen waren für das Folterzentrum tätig.

Foltermethoden und Geschichte

Mini-Zelle mit Toilettenbox.
Großer Saal mit einer Ausstellung über Einzelschicksale unter dem Khmer-Rouge-Regime. Früher genutzt als Massenzelle für Gefangene
Folter- und Mordinstrumente sowie Fußfesseln, ausgestellt im Tuol-Sleng-Genozid-Museum.
Galgen im Innenhof des Tuol-Sleng-Genozid-Museums.

Die Anlieferung neuer Gefangener im S-21 erfolgte meist in Gruppen, da immer auch Ehepartner und alle Kinder gefangen wurden, um niemanden zu hinterlassen, der später Rache üben könnte. Diese wurden bei Ankunft zunächst in einem großen Raum untergebracht. Dabei kettete man viele Gefangene in Reihen an Eisenstangen zusammen, um sie dann einzeln zu entnehmen, zu fotografieren und sie zu zwingen, alle Informationen über sich preiszugeben. Anschließend mussten sie sich ausziehen und all ihr Hab und Gut wurde beschlagnahmt. Dann wurden sie zu ihren Zellen gebracht.

Die „Bessergestellten“, das heißt wichtige Mitglieder der Gesellschaft, wurden in Einzelzellen gefangengehalten und an ein Gitterbett gekettet. Deren Familienangehörige und alle anderen Insassen, von denen keine Bedeutsamkeit erwartet wurde, wurden in Minizellen von etwa 2 Quadratmeter untergebracht und an die Wand gekettet. Diese Minizellen entstanden durch weitere Unterteilung der ehemaligen Schulklassenräume. Als Toilette stand den Gefangenen eine etwa schuhkartongroße Box zur Verfügung.

Jeder Gefangene musste sich strengen Vorschriften unterwerfen; so waren lachen, weinen, reden und sonstige Kommunikation verboten. Zuwiderhandlungen wurden mit Prügelstrafe oder Elektroschocks geahndet, wobei die Opfer nicht schreien durften. Jede Handlung bedurfte der Erlaubnis des Wachpersonals. Die schlechten hygienischen Zustände führten zu Läusebefall und Krankheit.

Als Foltermethoden kamen im S-21 Elektroschocks, das Untertauchen in Wasserbottichen, Waterboarding, das Aufhängen an einem Galgen bis zum Eintreten der Bewusstlosigkeit, wobei die Hände hinter dem Rücken mit einem Seil zusammengebunden wurden und das Opfer daran aufgehängt wurde, Daumenschrauben und das Einführen von Säure oder Alkohol in die Nase zum Einsatz. Obwohl viele Menschen daran starben, war es verpönt, sie absichtlich dabei zu töten, weil die Roten Khmer Geständnisse haben wollten. Wer die Folter überlebte, wurde auf den Killing Fields des Ortes Choeung Ek vor den Toren der Stadt mit Schaufeln erschlagen und bekam die Kehle aufgeschnitten, um Munition zu sparen.

Neben der Folter kam es vereinzelt zu chirurgischen Eingriffen an Insassen, um die anatomischen Kenntnisse des medizinischen Personals zu verbessern. Zudem wurde Insassen Blut entnommen, um Transfusionen für verwundete Rote-Khmer-Kämpfer bereitzustellen. Bei etwa 100 Opfern führte diese Behandlung aufgrund des Blutverlusts zum Tod.[1]

Als das Gefängnis befreit wurde, waren noch 14 Insassen am Leben, wovon noch weitere starben, da sie zu schwach, ausgehungert und zu krank waren.[2] Nach einer Woche waren es dann nur noch sieben von insgesamt mindestens 14.000 Gefangenen, die S-21 überlebten. Namentlich bekannt und noch am Leben sind die Mechaniker Bou Meng und Chum Mey sowie der Bauer und ehemalige Rote Khmer Nhem Sal, der Künstler und Überlebende Vann Nath verstarb am 5. September 2011. Einige Überlebende waren Maler oder Bildhauer, die Porträts oder Zementbüsten Pol Pots, des „Bruders Nr. 1“, anfertigen sollten.

Der ehemalige Leiter des Folterzentrums, Kaing Guek Eav, bekannt unter dem Pseudonym Duch, wurde ab 2007 im Rahmen des so genannten Rote-Khmer-Tribunals vernommen und hat dabei zahlreiche Verbrechen gestanden. Duch wurde für schuldig befunden, an der Tötung von mindestens 14.000 Menschen beteiligt gewesen zu sein. Am 26. Juli 2010 wurde er zu 35 Jahren Haft verurteilt, die umgehend wegen seiner nicht rechtmäßigen Inhaftierung um fünf Jahre auf 30 Jahre gekürzt wurden .[3] Elf Jahre hatte er zum Zeitpunkt des Urteils bereits abgesessen.

Tuol Sleng als Museum

Eingerichtet wurde das Museum nach dem Einmarsch der Vietnamesen im Jahre 1979. Duch selbst konnte fliehen, nachdem er die Liquidierung aller Insassen angeordnet hatte. Genügend Zeit, die umfassende Dokumentation der dort begangenen Gräueltaten vernichten zu lassen, hatte er allerdings nicht mehr. Die Vietnamesen verließen das Land 1989, Duch wandte sich dem Christentum zu und arbeitete ab 1997 unerkannt für das American Refugee Committee (ARC) unter dem Decknamen Hang Pin, bis er im Jahre 1999 verhaftet wurde.

Das Cambodia Genocide Program der Yale University bezieht seine Unterlagen zu einem großen Teil aus den dort vorgefundenen Fotos, Namenslisten, Verhörprotokollen und Anordnungen der Partei.

Gemälde eines der wenigen Überlebenden, des Malers Vann Nath, sind dort ebenso zu sehen wie Stellwände mit Tausenden von Fotos der Opfer, die vom Personal des Gefängnisses angefertigt wurden. Das Bild einer aus Totenschädeln zusammengesetzten Landkarte von Kambodscha war bis 2002 ausgestellt. Inzwischen ist die Landkarte im Kambodschanischen Königspalast in Phnom Penh zu sehen. Die Schädel sind mittlerweile teils beigesetzt worden bzw. werden immer noch in einer Vitrine ausgestellt.

Mangels finanzieller Mittel verfallen die Gebäude des Museums zusehends.

Ende Juli 2009 wurde das Archiv des Tuol-Sleng-Genozid-Museums – bestehend unter anderem aus 4.186 schriftlichen Geständnissen, 6.226 Biografien und 6.147 Fotografien[4] – von der UNESCO als Memory of the World registriert.[5]

Literatur

  • David P. Chandler: Voices from S-21. Terror and History in Pol Pot's Secret Prison. University of California Press, Berkeley CA 1999, ISBN 0-520-22005-6.
  • Vann Nath: A Cambodian Prison Diary. One Year in the Khmer Rouge's S-21. White Lotus, Bangkok 1998, ISBN 974-8434-48-6.
  • Nic Dunlop: The Lost Executioner – A Story of the Khmer Rouge. Bloomsbury, London 2005, ISBN 0-7475-6671-2.
  • Alexander Goeb: Kambodscha - Reisen in einem traumatisierten Land. Brandes & Apsel, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-86099-724-6.

Film und Kunst

  • Roland Joffé: The Killing Fields – Schreiendes Land; 1984.
  • Rithy Panh: S21 – Die Todesmaschine der Roten Khmer; 2003.
  • Nate Thayer: Todesspiralen Saloth Sar alias Pol Pot; Dokumentation 2000.
  • Herbert Müller (* 1953), deutscher Maler, hat einen Bilderzyklus zum Gefängnis Tuol Sleng angefertigt.[6]
  • Alexander Goeb, Vann Nath, Heng Sinith: "Das Kambodscha-Desaster" (www.kambodscha-desaster.de)

Weblinks

Einzelnachweise

  1. The Cambodia Daily vom 17. Juni 2009, S. 1 und 29 (englisch)
  2. The Cambodia Daily vom 1./2. Febr. 2003 (englisch)
  3. Stern: Folterchef der Roten Khmer will gegen Haftstrafe Berufung einlegen
  4. Documents at the Toul Sleng Museum Archives.
  5. UN News Centre vom 30. Juli 2009.
  6. Gerd Stauch (Hrsg.): Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst? Psalm 8, 5 – Arbeiten von Herbert Müller: KZ Engerhafe und Tuol Sleng–Gefängnis in Phnom Penh, Aurich 2008.
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