Transi

Transi
Mit Würmern bedeckter Transi. Kalksteinstatue des fünfzehnten Jahrhunderts in der Pfarrkirche Saint-Martial in Vascœuil über dem Grab von Hugues de Saint-Jovinien (verstorben 1187)

Der Transi (französisch: „ein (vor Kälte) Erstarrter“, „Dahingeschiedener“) ist eine besondere Form der Grabplastik, meist auf Grabplatten über Sarkophagen oder Kenotaphen. So, wie auch beim Gisant üblich, wird der Verstorbene auf dem Rücken liegend dargestellt, jedoch nicht betend oder selig schlafend, voll bekleidet, im besten Lebensalter, mit allen Attributen seines Standes, sondern mit teils drastischem Realismus als nackter Leichnam in allen möglichen Phasen der Verwesung. Diese makabre Darstellungsweise stellt einen markanten Bruch in der Kunstgeschichte des Spätmittelalters dar, und fand ihre Entsprechung in den beliebten Darstellungen des Totentanzes. Sie entstand gegen Ende des 14. Jahrhunderts und verbreitete sich von Frankreich aus über große Teile Europas. Allerdings wurde der Gisant nur in wenigen Gebieten vom Transi verdrängt (z.B. im Osten Frankreichs, oder im Westen Deutschlands).[1] Die Beliebtheit des Motivs hatte einen Höhepunkt im 16. Jahrhundert, hielt sich aber noch bis weit ins 17. Jahrhundert, besonders in Italien und Spanien.

Inhaltsverzeichnis

Entwicklung

14. Jahrhundert

Transi des Guillaume de Harsigny im Museum von Laon

Der Kulturhistoriker Johan Huizinga führt die Entstehung des Transi auf die moralische Krise zurück, die die Menschen in der Zeit des Schwarzen Todes und des Hundertjährigen Krieges erfasst hatte.[2] Die Bevölkerung war durch Seuchen, Hungersnöte und Bürgerkriege bis auf die Hälfte reduziert worden. Die Bruderschaft des abendländischen Rittertums war zerbrochen, immer mehr setzten sich die nationalen (und finanziellen) Interessen der Landesherren durch. Bogenschützen und diszipliniertes Fußvolk waren einem Ritterheer mittlerweile selbst in offener Feldschlacht gewachsen. Die Immunität der Städte wurde durch die ersten mauerbrechenden Feuerwaffen untergraben und wegen der zurückgegangenen Bevölkerungszahl waren die Zünfte gezwungen, auch Mitglieder aufzunehmen, die sie früher abgelehnt hätten. Die Kirche war (durch Schenkungen und Erbschaften) zwar reicher geworden, als je zuvor, hatte aber auch gerade deshalb stark an Glaubwürdigkeit verloren. Weder hatte sie Erklärungen für die geschehenen Katastrophen anzubieten, noch Trost. Ohne Ansehen der Person raffte der Tod Unschuldige und Sünder dahin, Arme wie Reiche, Adelige wie Gemeine. Kurz: das gesamte mittelalterliche Weltbild mit seiner Ständeordnung kam ins Wanken.[3]

Der wahrscheinlich älteste erhaltene Transi befindet sich in der Kapelle Saint-Antoine (oder Jaquemart, um 1390) in La Sarraz (Kanton Waadt, Schweiz). Hierbei handelt es sich um den Kenotaph des Stifters, des 1363 verstorbenen François I. de La Sarra, der die Kapelle dem Heiligen Antonius weihte, als Schutzpatron gegen die Pest. Anders, als die umstehenden Standbilder von betenden Damen und Rittern, ist der mit gekreuzten Armen daliegende Verstorbene nackt dargestellt. Gesicht und Genitalien werden von jeweils vier Kröten bedeckt, der restliche Körper von Schlangen, Symboltieren der Sünde und Wollust.[4]

Ein weiteres frühes Beispiel ist das Grab des berühmten Arztes Guillaume de Harsigny († 1393) in Laon (Picardie). Der zahnlose, skelettartig abgemagerte Greis wird wie zum Zeitpunkt seines Todes dargestellt, und nicht im Alter von dreiundreißig Jahren, wie man es sonst, mit Hinblick auf die erhoffte Auferstehung, zu tun pflegte. Er faltet seine Hände nicht mehr zum Gebet, sondern versucht nur noch mit ihnen sein vertrocknetes Geschlecht zu verbergen.

15. Jahrhundert

Masaccios Fresko der Trinität, in Florenz.

Nachdem sich der Kardinal Jean de La Grange († 1402) in der Kirche Saint-Martial in Avignon ebenfalls als dürrer, unverhüllter Leichnam darstellen ließ, wurde diese Art der Grabplastik besonders unter hohen geistlichen Würdenträgern beliebt, sowie bei Angehörigen des Hochadels. Eine Inschrift ermahnt den Betrachter, nicht für den Toten zu beten, sondern statt dessen Demut zu zeigen, denn: „Bald wirst du sein, wie ich, ein scheußlicher Leichnam, Fraß der Würmer. Nun, Elender, welchen Grund gibt es für den Stolz?“[5]. Eine Untersuchung durch Kathleen Cohen, über die Lebensumstände von fünf französischen Geistlichen, die einen Transi in Auftrag gegeben hatten, ergab: tatsächlich waren alle von ihnen in weltlichen Dingen sehr erfolgreich, was sie scheinbar um so mehr dazu veranlasste, ihre Vergänglichkeit und Sterblichkeit auf schockierende Weise zur Schau zu stellen. Andererseits wurden die Grabmonumente selbst ständig größer, teurer und luxuriöser.[6]

Frei stehendes Grabmal des John FitzAlan; Arundel Castle, West Sussex.

Aber auch der wohlhabende Buchhändler und Alchemist Nicolas Flamel († 1418) „schmückte“ seinen Grabstein in Paris mit einem schlichten Relief seiner eigenen, skelettierten Leiche. Heute befindet er sich im Musée de Cluny.[7]

Schon zu Beginn des 15. Jahrhunderts gelangte die Mode des Transi auch nach Italien und England.[8] Masaccios Fresco Dreifaltigkeit in Santa Maria Novella (1425 - 27) zeigt einen Sarkophag mit einem anatomisch korrekt dargestellten Skelett in illusionistischer Grisailletechnik. Hiermit hatte das Motiv also bereits Eingang in die Kunst der italienischen Frührenaissance gefunden.

In den von Erwin Panofsky als „Doppeldeckern“ bezeichneten Grabmalen[9] wurden Gisant und Transi miteinander verbunden: auf einer oberen, steinernen Bahre wird der Verstorbenen wie zu Lebzeiten gezeigt, entweder liegend, oder kniend beim Gebet, darunter noch einmal, als ausgestreckte Leiche, mit oder ohne Leichentuch, manchmal schon bedeckt mit Würmern und anderen aasfressenden Tieren. Ein Beispiel hierfür ist das Grabmal des John FitzAlan, 14. Earl of Arundel († 1435).

In Frankreich findet sich weiter der bekannte Transi des Arztes und Kanonikers Guillaume Lefranchois[10] (nach 1446) aus Béthune (heute im Museum der Schönen Künste in Arras, Pas-de-Calais).

16. Jahrhundert

In den Kreisen des Hochadels entwickelten sich aus dem „Doppeldecker“-Grabmal schließlich sogar „doppelte Doppeldecker“ für Ehepaare. So wurden in der Kathedrale von Saint-Denis, der Grablege der Könige von Frankreich, außerhalb von Paris, aufwendige Renaissance-Monumente für Ludwig XII. († 1515) und seine Frau Anne de Bretagne († 1514) errichtet, sowie für seinen Nachfolger Franz I. († 1547) und dessen Frau Claude de France († 1524). Auf diesen wurden die Monarchen oben in kniender Haltung betend abgebildet, unten als Leichname, wenn auch noch unberührt von Verwesung.

In mancherlei Weise ungewöhnlich ist der Transi des René de Chalons († 1544) von Ligier Richier, in der Kirche Saint-Étienne in Bar-le-Duc, Lothringen.[11] Anstatt auf seiner Grabplatte zu liegen, steht der verwesende Leichnam hier aufrecht auf einem kleinen Podest und hält sein eigenes Herz in der Hand, das er mit einer expressiven Geste gegen den Himmel reckt. Sonst werden ähnliche Darstellungen von aufrecht stehenden Skeletten, wie z.B. an einem Kirchenpfeiler in Albinhac[12], eher als eine Allegorie oder Personifizierung des Todes selbst gedeutet, und nicht als das „Portrait“ eines Verstorbenen. Wohl gerade deshalb wurde der Transi des René de Chalons aber so bekannt, dass der Bildhauer und Tiermaler Edouard Ponsinet (genannt Pompon) noch 1922 eine Kopie für das Grabmal des Dichters Henry Bataille in Moux (Aude) anfertigte.

Nicht überall setzte sich dieser neue Renaissancestil durch, wie man z.B. an einem Transi in der Kirchee Saint-Gervais et Saint-Protais (um 1526)[13] in Gisors (Haute-Normandie) sehen kann. Ebenso ließ John Wakeman († 1549), der letzte Abt von Tewkesbury (Gloucestershire), seinen Kenotaph noch mit Maßwerk im spätgotischen Perpendicular Style verzieren. In Belgien finden sich beide Stile nebeneinander: Der Transi des Johann III. von Trazegnies und seiner Frau Isabel von Werchin (1550), in der Kirche Saint-Martin in Trazegnies (Hennegau, Belgien) ist noch ganz in der herkömmlichen Weise gestaltet: oben auf der Grabplatte, die von wappenbehängten Säulen getragen wird, liegt das Ehepaar, darunter eine Platte mit der Darstellung eines einzigen Skeletts. Dieses wird von Spruchbändern mit Frakturschrift umwunden. Hier kann man lesen: Mors omnia solvit. Nascentes morimur, Mors ultima linea rerum. Ortus cuncta suos repetunt matremque requirunt, Et redit ad nihilum quod fuit ante nihil.[14] Der etwa zur selben Zeit von Jacques Du Brœucq für den Herren von Boussu gestaltete Transi hingegen wirkt schon geradezu manieristisch.

Einzelnachweise

  1. Philippe Ariès, Essais sur l'histoire de la mort en Occident du Moyen-Age à nos jours, Paris, Seuil, 1975
  2. Johan Huizinga: Herbst des Mittelalters. Studien über Lebens- und Geistesformen des 14. und 15. Jahrhunderts in Frankreich und in den Niederlanden, ins Deutsche übersetzt von Tilli Jolles Mönckeberg. München: Drei Masken Verlag, 1924.
  3. Barbara Tuchman (1978): Der ferne Spiegel. Das dramatische 14. Jahrhundert, Claasen, Düsseldorf 1980, ISBN 3-546-49187-4.
  4. Frosch und König
  5. Utzinger (Hélène et Bertrand), Itinéraires des Danses macabres, éditions J.M. Garnier, 1996, ISBN 2-908974-14-2.
  6. Kathleen Cohen: Metamorphosis of a Death Symbol: The Transi Tomb in the Late Middle Ages and the Renaissance (Berkeley: University of California Press), 1973.
  7. Grabstein des Nicolas Flamel
  8. Pamela King: "The cadaver tomb in the late fifteenth century: some indications of a Lancastrian connection", in Dies Illa: Death in the Middle Ages: Proceedings of the 1983 Manchester Colloquium, Jane H.M. Taylor, ed.
  9. Erwin Panofsky: Grabplastik: vier Vorlesungen über ihren Bedeutungswandel von Alt-Ägypten bis Bernini (aus dem engl: Tomb Sculpture (New York) 1964:65); Köln, DuMont, 1993; ISBN 3-7701-3123-1.
  10. Transi des Guillaume Lefranchois
  11. Restauration du transi de René de Chalon
  12. Transi in Albinhac in der Google Buchsuche
  13. Transi in Gisors
  14. Notice descriptive et historique des principaux chateaux in der Google Buchsuche. Der Tod löst (hebt) alles auf. Indem wir geboren werden, sterben wir (bereits). Der Tod ist das endgültige Ziel aller Dinge. Alles strebt wieder seinem Ursprung zu und sucht die Mutter, und es kehrt ins Nichts zurück, was vorher nichts war.
  15. Im flandrischen Patois bedeutet moulon Made (Dictionnaire du patois de la Flandre in der Google Buchsuche) oder Wurm (Mémoire historique et descriptif sur l'église de Sainte-Waudru in der Google Buchsuche)

Literatur

  • Françoise Baron: Le médecin, le prince, les prélats et la mort. L'apparition du transi dans la sculpture française du Moyen Âge. In: Cahiers archéologiques. Numéro 51. Paris 2003, S. 125-158.

Weblinks

 Commons: Transi – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Siehe auch


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